Die US-Südstaaten. Eine Geschichte der Demütigungen
Über die Selbstbehauptung der „Rednecks“
Buchstäblich schon immer gehören die US-Südstaaten zu den Stützpfeilern des amerikanischen Konservatismus: Früher repräsentiert durch die Demokratische Partei und populäre Südstaaten-Gouverneure wie George Wallace aus Alabama, den die Band „Lynyrd Skynyrd“ in ihrem berühmten Song „Sweet Home Alabama“ besang, und später, nach der linksliberalen Wende der Demokraten, durch die Republikaner. Dies gilt jedenfalls mehrheitlich bis heute: Die meisten Südstaaten gelten als durch und durch konservatives und republikanisches Pflaster. Und ein Pflaster zudem, auf das der gegenwärtige, nochmal konservativere Präsident Donald Trump und sein Vize Mike Pence relativ sicher setzen können.
Redneck – im linksliberalen Milieu der US-Ostküste gilt er als rückständiger Hinterwäldler
Zugleich gelten die Südstaaten – sowohl im linksliberalen Milieu der US-Ostküste als auch in Europa – als rückständig und provinziell: Der Begriff des „Rednecks“ ist dafür fast schon sprichwörtlich. In Filmen wird selbiger nicht selten als brutaler, ungepflegter, bärtiger, betonköpfiger und vorurteilsbehafteter Hinterwäldler dargestellt. In den freundlicheren Filmen hat er tief im Innern zumindest ein gutes Herz, in den übrigen ist er einfach der dumme Bösewicht vom Lande, dessen intellektuelle Kapazitäten und dessen Bildungsgrad nicht annähernd an das der großstädtischen Eliten heranreicht. Und selbst in den nachdenklichen, unzweifelhaft qualitativ hochwertigen Produktionen gilt der Südstaatler – nicht zuletzt wohl auch dank seines schweren Dialekts – als immer etwas „langsam“ und „schlicht“: „My name is Forrest, Forrest Guuump.“
Lynyrd Skynyrd – Simple Man – Live At The Florida Theatre / 2015 (Official Video)
Die Kontroverse um die Konföderierten-Flagge
Doch in derlei Klischees, die jenen deutlich häufiger beklagten Stigmatisierungen über ethnische, religiöse und sexuelle Minderheiten in nichts nachstehen, zeigt sich letzten Endes nur die Spitze eines Eisbergs der Abwertungen und Degradierungen, die buchstäblich seit 200 Jahren auf diese amerikanische Region herabprasseln. Ein weiteres Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist die wirtschaftspolitische Verwahrlosung in mehreren strukturschwachen Gebieten der Südstaaten, was dort lebende Menschen in die Arbeitslosigkeit und in soziale Nöte treibt. Doch anstatt politischer Reaktionen auf genau diese Missstände erlebten sie nicht nur aus Washington, sondern sogar auch von ihren regionalen Regierungen bloße Symbolpolitik. Symbolpolitik, die – so ein weiteres Beispiel – so weit ging, dass vor wenigen Jahren in einem (fast deutsch anmutenden) Akt des unreflektierten linksliberalen Aktionismus in mehreren Südstaaten – und sogar vorangetrieben durch republikanische Gouverneure vor Ort – die Konföderierten-Flagge als staatliches Symbol abgeschafft wurde.
Ein weiteres Politikum der letzten Jahre, das die Gemüter in den USA erhitzte: Ist die Konföderierten-Flagge ein rassistisches Symbol oder nicht? Es spricht vieles dafür, dass sie einfach das ist, was dutzende Flaggen unserer Staatengemeinschaft sind: Nationale Symbole, die sowohl negative als auch positive Facetten der jeweiligen Geschichte verkörpern. Und genau so wird sie auch von den US-Südstaatlern in der Regel gesehen: Der Spruch „Heritage – not hate“ ist in diesem Zusammenhang zum Slogan derer geworden, die sich für eine Wahrung der Südstaaten-Identität mit dem Symbol der Konföderierten-Flagge aussprachen. Prominente Vorreiterin ist hier abermals die besagte Band Lynyrd Skynyrd, die diese Haltung selbst genauso kommuniziert. Und auch abseits davon bleibt zu fragen: Ist etwa das Sternenbanner der USA eigentlich „moralisch unbeschmutzter“ als die Flagge der Konföderierten, wenn man an verschiedene, gewaltreiche Stationen der US-Geschichte zurückdenkt? Ist hier nicht abermals die Grenze zur Doppelmoral überschritten?
1890, 25 Jahre nach der Niederlage: In Richmond wird die Lee-Statue enthüllt. Das 4,30 Meter hohe Reiterstandbild aus Bronze war im Jahr 1890, 25 Jahre nach dem Sieg der Union und dem offiziellen Ende der Sklaverei, auf einen 14 Meter hohen Marmorsockel gesetzt worden.
„Angry“? Ja, aber mit Recht!
Ein weiteres Stück Identität also, das dem amerikanischen Süden abgesprochen wurde in dem Versuch, politische Korrektheit zentral zu verordnen. Für sich allein genommen ein eher banal scheinendes, eben „nur“ symbolpolitisches Ärgernis; vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Entwicklungen jedoch gefährlich ignorant. Wer über viele Jahre hinweg mal absichtlich, mal unabsichtlich versucht, einem Teil des Volkes seine Identität abzusprechen, es aber gleichzeitig dem Spott preisgibt und sozioökonomisch vernachlässigt, der muss sich nicht wundern, wenn dieser sich irgendwann politischen Kräften zuwendet, die der Frustration eine Stimme verleihen. „Angry white men“ – ja. Aber „angry“ ist nicht automatisch gleichbedeutend mit „im Unrecht“, wie es diese im naserümpfend-elitären Duktus vorgetragene Phrase zu suggerieren versucht.
Die hier dargelegte Dynamik ist wahrlich keine neue. Für die soziale Mikro-Ebene ist das Phänomen gut untersucht: Sozialpsychologen haben empirisch belegt, dass Deprivation – also auch soziale Demütigung, etwa durch Arbeitslosigkeit oder private / familiäre Probleme – die Hinwendung zu Protestparteien begünstigt. Die gleiche Dynamik spielt sich in ähnlicher Form tagtäglich sowohl in Nordamerika als auch in Europa auch auf der gesellschaftlichen Makro-Ebene ab. Die Südstaaten sind ein Beispiel dafür. Übrigens noch einmal mehr begünstigt durch die Tatsache, dass sich die Südstaaten schon seit ihrem Etablieren als „spezielle politisch-gesellschaftliche Entität“ durch eine besondere Kultur der Ehre auszeichnen, die sich noch heute teilweise in Redewendungen wie „ein echter Südstaaten-Gentleman“ niederschlägt. Ursprung: Die Tradition der Großgrundbesitzer-Kultur im Süden, im Zuge derer, nicht unähnlich manchen Kulturen im Nahen Osten, noch mehr als anderswo der Anspruch galt, dass man seine Familie und sein Hab und Gut selbst vor anderen verteidigen müsse, ohne sein Schicksal in die Hände übergeordneter Organisationen wie etwa dem Staat zu legen. Dies wirkt auch im Süden der USA bis heute nach und fundiert etwa die Position, dass jedermann ein gottgegebenes Recht auf das Tragen einer Waffe habe.
Föderalismus in den USA
Als Ostküsten-Amerikaner oder als Europäer mag man auch darüber die Nase rümpfen. Wäre der Naserümpfende jedoch in der Tradition der Südstaaten-Kultur sozialisiert worden, so würde er aller Wahrscheinlichkeit nach selbst kaum anders denken, sofern er sich nicht gerade habituell neu erfunden hat. Es ist insofern die Frage zu stellen, ob es Aufgabe der Washingtoner Politik sein kann, von Ferne aus linksliberale Volkserziehungspolitik zu betreiben, oder es nicht gerade im Sinne des amerikanischen Föderalismus (der sicherlich nicht für jedes Land, aber zumindest für die politisch und gesellschaftlich sehr heterogenen USA eine gute Einrichtung ist) wäre, die vielbeschworene „Diversity“ auch im politisch-kulturellen Sinne zu akzeptieren.
Einer der bekanntesten Vorkämpfer dieser Linie war der demokratische Politiker und bedeutende politische Theoretiker John C. Calhoun, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter den Präsidenten John Quincy Adams und Andrew Jackson Vizepräsident war und schließlich von diesem Amt zurücktrat, um danach Senator für South Carolina zu werden. Bekannt wurde er im Rahmen der sogenannten „Nullifikationskrise“ als Schöpfer der gleichnamigen Doktrin. Diese sah vor, dass US-Bundesstaaten das Recht haben sollten, ihnen schadende Bundesgesetze nicht umzusetzen. Propagiert wurde, in Form der Nullifikationsdoktrin, also ein sehr ausgeprägter Föderalismus, der später auch Eingang in die Verfassung der Konföderierten Staaten von Amerika fand.
Sezessionskrieg in Amerika (1861 – 1865): mehr als 600.000 Tote und die große Demütigung des Südens
Der später folgende amerikanische Bürgerkrieg zwischen Süd- und Nordstaaten beruhte ganz wesentlich auf dieser Entwicklung. Sein Ausgang besiegelte die historische, die größte Demütigung des Südens, von der dieser sich eigentlich bis heute niemals wirklich hat erholen können: Der militärisch erzwungene Anschluss an einen Staat, von dem man sich hatte lösen wollen. Eine weitere, aber die wichtigste Station in der langen Reihe jener Ereignisse, die – ob man sie nun befürwortet oder nicht – für das politische Selbstbild des Südens einen herben Schlag bedeuteten. Ein Schlag, der sich tief ins das politische Bewusstsein der Südstaatler eingebrannt hat, und der mit Maßnahmen und Ereignissen wie den oben beschriebenen – Abschaffung der Konföderierten-Flagge etc. – regelmäßig wieder kollektiv „getriggert“ wird.
Ein Versuch, die eigene Identität zu bewahren
Eine Ausgangssituation also, angesichts derer es, wenn man sie denn mal, wie hier versucht, ganzheitlich betrachtet, alles andere als verwunderlich ist, wenn das Protestwähler-Potenzial insbesondere im amerikanischen Süden (wenn auch natürlich nicht nur dort!) hoch bleibt und Politiker wie Trump dem dortigen Wähler sowohl inhaltlich als auch habituell („angry“) aus der Seele sprechen. Dass es trotzdem immer noch Leute gibt, die sich über die politischen Entwicklungen der USA in den letzten paar Jahren wundern, zeigt, wie notwendig es ist, in ganzheitlich-historischen Verknüpfungen zu beobachten und beschreiben – und sich dadurch darüber klar zu werden, dass es niemals effektiv sein kann, auf die dabei beobachteten Entwicklungen mit Spott oder Verachtung zu reagieren (wie er sich z. B. in der durchweg rassistischen Wählerbeschimpfung zeigt, die in dem Begriff „white trash“ zum Ausdruck kommt!). Wer will, dass ihm zugehört wird, sollte sich überzeugend – und verstehend – darum bemühen. Das politische Establishment der USA – sowohl die Demokratische Partei als auch die Parteiführung der GOP – bekommt seit der Präsidentschaftswahl 2016 die Rechnung dafür präsentiert, dass es dies so lange unterlassen hat. Dies gilt für den amerikanischen Süden genauso wie auch darüber hinaus – und hoffentlich auch wieder im Jahre 2020.
Florian Sander
Florian Sander, M. A., hatte zunächst einen nebenamtlichen Lehrauftrag (2013 – 2015), danach eine hauptamtliche Dozentur (2016 – 2019) an einer Fachhochschule inne, lehrte dort Sozialpsychologie, Soziologie und Politikwissenschaft und arbeitete auch als Verhaltenstrainer. Er ist aktuell Doktorand an der Bielefeld Graduate School in History and Sociology (BGHS), Universität Bielefeld. Von 2009 bis 2014 war er Mitglied des Rates der Stadt Bielefeld. Seit 2018 betätigt er sich als Mitglied der Landesprogrammkommission und des Landesfachausschusses Außen- und Sicherheitspolitik der AfD NRW sowie als Leiter des Arbeitskreises Kommunalpolitik der AfD Bielefeld, deren stellvertretender Kreissprecher er seit 2019 ist. Er war Autor für den Blog Le Bohémien (2010 – 2017), für das Online-Magazin Rubikon (2017 – 2018) und für die Linke Zeitung (2017 – 2018) und schreibt seit 2018 für das Kultur- und Lifestyle-Magazin Arcadi sowie seit 2019 auch für den Blog des Jungeuropa-Verlags, für die rechtsintellektuelle, vom Institut für Staatspolitik (IfS) herausgegebene Zeitschrift Sezession und für das Zentralorgan des Bundes Deutscher Unitarier e. V., Glauben und Wirken.
In nur wenigen politischen Feldern lässt sich die Einheitsfront der Altparteien so plastisch beobachten wie im Feld der Europapolitik. Von der Linkspartei über die Grünen und die SPD, über die Union bis hin zur FDP ist man sich einig im Ziel eines Europas als „politischer Union“, worunter letztlich das Endziel eines europäischen Superstaates verstanden wird, als eine Art „Vereinigte Staaten von Europa“. Differenzen gibt es allenfalls in der näheren Ausgestaltung: SPD und Linke wollen dann auch einen europaweiten Sozialstaat, die FDP dagegen eher einen föderal strukturierten, aber natürlich durch und durch neoliberal agierenden europäischen Bundesstaat.
Verklausuliert werden diese Ziele, die weniger von den europäischen Völkern, sondern vor allem von deren Eliten vorangetrieben werden, durch oberflächliche Phrasen wie die, man wolle „mehr Europa“. Floskeln wie diese ermöglichen es dem politischen Establishment, unbequeme Konkretisierungen zu vermeiden: Jeder kann zunächst einmal alles in sie hineininterpretieren – und man selber, als politischer Akteur, muss sich nicht der intellektuell anspruchsvollen und eben auch potenziell konfliktreichen Anstrengung aussetzen, näher zu bestimmen, was das eigentlich genau heißen soll. Die linksliberale Medienwelt von taz bis Springer, die das Spiel versteht und mitspielt, fragt natürlich nicht kritisch nach. So wird das Projekt der Europäischen Union (EU) als „europäische Integration“ schrittweise, aber am demokratischen Souverän vorbei, nach und nach vorangetrieben.
Die Eurokratie und ihre Propaganda
Zu einem in seiner diabolischen Genialität fast schon bewundernswerten politischen Kniff griff man in der Hochphase der – ursprünglich durch Wall-Street-Zockerbanken ausgelösten und durch private Rating-Agenturen befeuerten – Finanzkrise, die in der Folge zur Eurokrise mutierte und von Neoliberalen in diesem Kontext zur „Staatsschuldenkrise“ verklärt wurde, um die Verantwortung für sie nicht dem eigentlichen Schuldigen – der Finanzmafia – zuordnen zu müssen, sondern sie Staaten und ihren (nicht zuletzt auch Sozial-)Haushalten in die Schuhe schieben zu können. Man schlug drei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits konnte man nun mit vermeintlicher Berechtigung ein neoliberales Kaputtsparprogramm für Staaten wie Griechenland und andere verordnen – als Kondition für die milliardenschwere Rettung von Großbanken andererseits (die im eurokratischen Neusprech zur „Eurorettung“ mutierte).
Zugleich nutze man die Krise, um die besagte europäische Integration voranzutreiben und den EU-Staaten über Installationen wie etwa den ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) via Salami-Taktik die haushaltspolitische Souveränität – und damit einen Kernpunkt ihrer nationalstaatlichen Souveränität insgesamt – zu entziehen. Ein weiterer Schritt hin zum Ziel Superstaat, in das sich Debatten wie jene über eine „Europa-Armee“ und vieles mehr nahtlos einreihen. Kritiker dieser Entwicklungen werden in plattestem Populismus als „Anti-Europäer“ oder „Europa-Feinde“ stigmatisiert, wodurch zugleich eine semantische Gleichsetzung der EU mit „Europa“ bewirkt wird. Eine wirkungsvolle Strategie der Diskreditierung, die in den etablierten Parteien viele Kritiker zum Schweigen brachte. Dies trug in Deutschland maßgeblich zur Gründung der AfD bei bzw. in anderen europäischen Staaten zur Stärkung der dortigen Rechtsparteien.
Die (Nicht-)Argumente, die einem seitens der EU-Befürworter zuweilen entgegengehalten werden, sind oft an Oberflächlichkeit kaum zu überbieten. In vielerlei Fällen merkt man nur allzu sehr, wie grassierende politische Mythen, die man irgendwo – nicht selten vermutlich in den globalistisch-linksliberalen Einheitsmedien – aufgeschnappt hat, nachgeplappert werden.
Soziologische Erklärungsansätze
In der Soziologie gibt es mit dem sogenannten Neo-Institutionalismus eine Theorie, die dieses Phänomen erklärt. Diese Sichtweise geht von eben solchen grassierenden Mythen aus, die von Personen wie von Organisationen aufgegriffen, wiederholt und bekräftigt werden – so lange, bis sie zur sozialen Realität geworden sind. Ein Prozess, der in den Sozialwissenschaften als soziale Konstruktion bezeichnet wird (und der mit dem oben beschriebenen Framing, das Worte mit neuen Bedeutungen oder Assoziationen versieht, einhergeht): Wenn genug Leute und Organisationen etwas lange genug postulieren, glaubt irgendwann eine Mehrheit der Gesellschaft wirklich daran.
Irgendwann wird der Glaube daran zum nicht mehr hinterfragbaren Heiligtum. Mit anderen Worten: Er wird zur Institution. Nun haben es Institutionen aber eben an sich, dass sie nicht zwingend rational sein müssen, um zu diesen zu werden – vielmehr herrscht eben der allgemeine Glaube vor, dass sie es seien. Irgendwann ist der Prozess der Institutionalisierung soweit fortgeschritten, dass man sich (jedenfalls in der Öffentlichkeit) an sie halten muss, wenn man nicht sozial sanktioniert werden will. Die Folge: Selbst diejenigen Akteure, die die Sache eigentlich anders sehen, tun öffentlich so, als gingen sie mit der Institution konform, um ihre Legitimität nicht zu gefährden. Es wird deutlich, wohin die Reise der hier präsentierten Argumentation geht: Die Institutionen sind die EU und die sie tragenden Mythen, die so lange nachgeplappert werden, bis sie kaum noch hinterfragbar sind. Wer es trotzdem tut, wird zum Enfant terrible – wie die AfD.
Doch was sind dies genau für Mythen, die seit Jahren entgegen jeglichem Realismus in der etablierten Europapolitik grassieren?
Die EU als gesellschaftliches Psychopharmakon
Besonders in Deutschland hört man nicht selten die betont kosmopolitische (aber eigentlich eher verkrampft wirkende) Äußerung, man sehe sich ja eher als „Europäer“ – oder, um ein regelrecht pathetisches Postulat zu nennen, gar als „Weltbürger“ – denn als Deutscher. Der sozialpsychologische Hintergrund solcher Selbstbeschreibungen ist naheliegend: Der kollektive Schuldkomplex, unter dem die Deutschen mehrheitlich nach wie vor leiden, führt zu dem Bestreben nach einer kollektiven Ersatzidentität, der man sich wieder unbesorgt zuwenden kann, unbelastet durch die Vergangenheit. Im Zuge dieses (von der Psychologie als eine Art kollektiv-kognitive Dissonanz-Reduktion zu bezeichnenden) Aktes wird die EU zuweilen das Objekt eines supranationalen Pathos, der seinesgleichen sucht.
Man stelle sich einmal vor, ein Politiker würde so leidenschaftlich vom Nationalstaat Deutschland schwärmen wie es das Establishment regelmäßig im Falle der EU tut – er wäre binnen kürzester Zeit als „Nationalist“ verschrien. Aber auf der kontinentalen Ebene darf man das. Wer die EU feiert (und sei es in Form einer EU-Flagge als Facebook-Titelbild oder anderen gratismutigen, in wenigen Sekunden und ohne zu viel Anstrengung getätigten politischen Erklärungen), ist „progressiv“, „liberal“, „weltoffen“ und operiert in der sicheren Gewissheit, ein guter Mensch zu sein. Unnötig zu erwähnen, dass derlei mit rationalen politischen Erwägungen nichts zu tun hat. Es geht – einzig und allein – um Komplexe, um eine kollektive Neurose, auf massenpsychologischer Ebene. Die EU dient als gesellschaftliches Psychopharmakon.
Der Mythos von der größeren Wirtschaftskraft
Weniger Pathos, aber dafür genauso viel Unvernunft steckt in dem Argument der EU-Befürworter, ein europäischer Staat sei unumgänglich, um in einer globalisierten Welt mit Großmächten wie USA und China wirtschaftlich mithalten zu können. Man fragt sich instinktiv: Haben die Betreffenden die letzten zehn Jahre über keine Nachrichten gelesen? Wie sehr muss man die Augen verschlossen haben, um ausblenden zu können, dass die Währungsunion die wirtschaftlich starken Staaten der EU letztlich geschwächt hat, indem sie sie potenziellen oder realen wirtschaftlichen Kettenreaktionen ausgesetzt hat, die mit der D-Mark so nicht eingetreten wären?
Abseits davon gilt: Die Bundesrepublik Deutschland war trotz kleinen Territoriums und trotz kleiner Bevölkerungsgröße schon Jahrzehnte vor dem Euro eine der Wirtschaftsmächte an weltweit vorderster Stelle; der wirtschaftliche Wohlstand in zahlreichen anderen, bevölkerungs- wie flächenmäßig kleinen europäischen Staaten – etwa jenen Skandinaviens, in Österreich oder der Schweiz – besteht ebenfalls schon seit vielen Jahrzehnten. Daran würde sich bei der richtigen Wirtschaftspolitik auch nichts ändern – denn von eben einer solchen ist das „Standing“ in der globalisierten Weltwirtschaft abhängig, nicht von der Bevölkerungs- oder der territorialen Größe eines Staates.
Die salami-taktische Entwicklung hin zum EU-Superstaat schafft keinen Frieden.
Der Mythos von der friedenssichernden EU
Der Gipfel der Unvernunft ist jedoch erreicht, wenn EU-Befürworter in schamlosester Übersimplifizierung erzählen, man brauche die EU, weil „Europa“ nun mal seit Jahrzehnten den Frieden auf unserem Kontinent gesichert habe. Vertreter dieser Argumentation entlarven sich selbst entweder als manipulativ oder aber als uninformiert, indem sie dadurch die bei derlei historischen Herleitungen zwingend relevante Entwicklung von Europäischer Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) über Europäische Gemeinschaft (EG) hin zur EU komplett ausblenden.
Die EU, wie wir sie heute kennen, wurde vor allem mit dem Maastricht-Vertrag von 1992 auf den Weg gebracht und schließlich mit den Verträgen von Amsterdam und Lissabon in den Jahren 1997 und 2009 nochmals gravierend umstrukturiert. Mit beiden Stationen und vielen weiteren Schritten dazwischen und danach (s. o.) wurde die europäische Integration, d. h. also die salami-taktische Entwicklung hin zum Superstaat, immer weiter vorangetrieben. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnete die EU 1993 als Staatenverbund – eine Mischform, eine Art supranationale Zwischenstufe zwischen dem intergouvernementalen Staatenbund, bei dem die Mitgliedstaaten ihre nationale Souveränität voll und ganz behalten, und dem Bundesstaat, bei dem sie sie aufgeben.
Seit Maastricht hat sich die EU immer weiter vom Staatenverbund hin zum Bundesstaat entwickelt – eine Zielsetzung, die eigentlich gemeint ist, wenn im politischen Establishment von „politischer Union“, „mehr Europa“ etc. die Rede ist. Vor Maastricht jedoch glich die damalige EG, die aus der EWG hervorging, eher einem Staatenbund als einem Bundesstaat, auch wenn sie schon damals Elemente eines Staatenverbunds hatte.
Was in Wirklichkeit den Frieden bewahrte
Übersetzt heißt das, dass die Aussage, „Europa“ habe den Frieden bewahrt, eine Nullaussage ist, da sie noch nichts darüber verrät, welche staatsrechtliche Struktur damit nun gemeint ist. Stellt man die Frage, was denn nun genau in Europa über Jahrzehnte hinweg den Frieden gewahrt hat, dann gilt es vielmehr zu erkennen, dass die staatenbundähnliche EG hier weitaus mehr Verdienste aufweist als die zum Bundesstaat mutierende EU. Betrachten wir doch mal, was insbesondere die Währungsunion quer durch Europa angerichtet hat: Grassierende Deutschenfeindlichkeit, Proteste, Konflikte, Krisen, Anfeindungen, von den Völkern nicht akzeptierte supranationale Einmischungen und Bevormundung. Eine Krisenstimmung also, die man – den (durch andere, externe Faktoren verschuldeten und geprägten) Kalten Krieg ausgenommen – zu Zeiten der EG so nicht vorfand. Warum nicht?
Junge Esten bewahren ihre Identität: Das große Liederfest der Esten findet alle 5 Jahre in Tallinn statt. Europa ist nichts ohne die Vielfalt seiner Völker
Die Antwort ist eigentlich logisch: Zu Zeiten der EG akzeptierte man die nationale Vielfalt unseres Kontinents, wie es Charles de Gaulle im Sinn gehabt hatte, als er vom „Europa der Vaterländer“ sprach. Ohne arrogante Bürokratie-Moloche, die sich in die inneren Angelegenheiten der Mitgliedstaaten einmischten, ohne wedelnde Zeigefinger, ohne aufoktroyierte Sparmaßnahmen und Bankenrettungen, ohne währungsbedingte Kettenreaktionen. Das Europa der Vielfalt, das Europa der souveränen Nationalstaaten war das Europa, in dem man kooperierend, aber eben selbstbestimmt und gerade deswegen friedlich zusammenlebte. Der erste Unfriede trat nicht ein durch das Vorhandensein von Nationen und Völkern, sondern durch das Bestreben, anderen Nationen und Völkern zu sagen, wie sie zu leben haben. Imperialismus schafft Kriegsgefahr, nicht Nationalstaatlichkeit.
Dies zu erkennen, setzt einen Akt der politischen Differenzierung voraus, den die EU-Befürworter mehrheitlich nicht ansatzweise vorzunehmen imstande sind. Dies wäre noch zu entschuldigen, wenn sie sich wenigstens auf einen nüchternen Diskurs zu der Frage einließen. Dass sie jedoch die Befürworter eines „Europas der Vaterländer“ allen Ernstes auch noch als „Anti-Europäer“ deklarieren, ja zu „Populisten“, die „einfache Lösungen“ verträten, setzt der Sache die Krone auf. Eben jene, die in ihrer Argumentation völlig undifferenziert die oben genannten Aspekte vollkommen ausklammern, sollten eigentlich gerade mit derlei Vorwürfen sehr vorsichtig sein.
Der Superstaat als „rechte“ Vision?
Allerdings: Nicht nur im liberal-globalistischen Establishment gibt es Befürworter eines europäischen Superstaates. Auch im rechten Spektrum in Deutschland vertritt eine kleine Minderheit von Autoren wie Philip Stein, dem Gründer des Jungeuropa-Verlages, die Vision eines europäischen Superstaates, in dem die bisherigen Nationalstaaten Europas zu Teilstaaten degradiert werden. Dieser Staat solle zwar nicht die EU sein, aber dafür ein völlig neues supranationales, staatliches Gebilde. Stein bezieht sich in seiner Argumentation u. a. auf (nicht nur) rechte Denker der beiden vergangenen Jahrhunderte, die ihrerseits ein zusammenwachsendes Europa gefordert haben, und strebt einen republikanischen Bundesstaat Europa an.
Doch auch ein Bundesstaat Europa, der nicht aus der EU erwachsen wäre, ist aus konservativer Perspektive heraus rundweg abzulehnen. Denn abseits der Frage, wieso Stein dann eigentlich nicht gleich zum EU-Befürworter wird und nicht einfach in den Chor derjenigen, die lediglich eine gründliche Reform der EU fordern anstatt den Austritt aus dieser, miteinstimmt, muss hierbei unweigerlich der Konflikt dann eintreten, wenn es um die „soziale Frage“ geht.
Ein Staat, den Patrioten akzeptieren können, muss auch als Sozialstaat gestaltet sein, als Solidargemeinschaft. Doch glaubt Stein wirklich, dass er dafür bei den europäischen Völkern ernsthaft eine dauerhafte Mehrheit fände? Man werde sich bitte darüber klar, was dies ganz praktisch bedeuten würde: Solidargemeinschaft bedeutet Umverteilung; sie impliziert, dass die sozial Starken für die sozialen Schwachen finanziell und politisch einstehen. Faktisch würde das bedeuten, dass der deutsche Otto Normalverbraucher auch etwa dem Italiener und dem Griechen die soziale Sicherung bezahlt. Betrachtet man die Unterschiede in Sachen Wirtschaftsleistung in Europa, ist relativ klar, welche Seite hier für wen am meisten Federn lassen würde. Das Problem setzt sich fort im Zuge von Infrastruktur und vielen anderen Bereichen mehr. Wer derlei anstrebt – anstatt die Nationalstaaten Europas ihrer eigenen sozialen Verantwortung, aber dann eben auch ihrer politischen Selbstbestimmung zu überlassen, wie es in einem „Europa der Vaterländer“ der Fall wäre –, unterscheidet sich eigentlich in europapolitischer Hinsicht kaum von Grünen, Sozialdemokraten und Linkspartei, die ja genau das wollen.
Zuweilen bekommt man auch den Eindruck, dass Stein im Rahmen seiner autoritätsbasierten Argumentation, im Rahmen derer er sich auf die Europa-Ideen klassischer rechter Autoren beruft, diese ganz gerne einmal recht frei interpretiert. Wie auch immer man zu diesen im Einzelnen grundsätzlich stehen mag: Ein „Staatenverband“ (Pierre Drieu la Rochelle) ist noch kein Bundesstaat, erst recht nicht der „Katechon“, auf den Carl Schmitt sich berief. Und wenn Victor Hugo 1849 von einer „höheren Gemeinschaft“ und einer „großen europäischen Bruderschaft“ schrieb, so ist das immer noch nicht zwingend als ein die Nationen entmündigender Superstaat zu verstehen.
Man sollte doch stets den historischen Kontext von derlei Äußerungen bedenken: Die betreffenden Autoren schließlich kannten Europa nur als ständiges Schlachtfeld. Ein Staatenbund, in dem souveräne Nationalstaaten selbstbestimmt kooperieren, wäre für so manchen Denker früherer Zeiten schon gleichbedeutend gewesen mit der Utopie eines gemeinschaftlichen, zusammenhaltenden Europas, und als solche absolut ausreichend. Aber eben als Familie freier Staaten und Völker – und nicht als superstaatliches Vielvölker-Gefängnis.
Für einen neuen europäischen Staatenbund
Ähnliche Eindrücke bekommt man, wenn Stein von anderen rechten Parteien und sozialen Bewegungen Europas schreibt, die der von ihm propagierten Idee vermeintlich offener gegenüber stünden als die deutsche Rechte. Man mag das durchaus bezweifeln, denn eine Ablehnung eines Bundesstaates Europa bedeutet eben, wie bereits dargelegt, nicht eine Wiederbelebung des Schlachtfelds Europa, auf dem jeder gegen jeden kämpft und sich die einzelnen Nationen waffenstarrend-aggressiv gegenüberstehen.
Vielmehr bedeutet es eine politische Gemeinschaft im Sinne einer nicht-staatlichen, als loses Bündnis strukturierten „Einheit in Vielfalt“ – selbstbestimmt, souverän, friedlich, kooperativ. Würde man die patriotischen Kräfte Europas fragen, welche Vision sie präferieren, so sei an dieser Stelle vermutet, dass sie eher eben dieser zuneigen würden – eben weil man sich als pro-europäisch begreift! Hier sollte man die positiven Bezugnahmen auf die unzweifelhaft vorhandene gemeinsame europäische Identität nicht „etatistisch missverstehen“, sondern diese als Grundlage eines neuen Staatenbundes begreifen; eines Bundes, der die nationalen Identitäten in ihrer Staatlichkeit respektiert, aber ihnen einen übergreifenden politischen Rahmen gibt, und der Kooperation ermöglicht.
Dies, genau dies könnte und sollte eine Europa-Vision sein, die von Konservativen unseres ganzen Kontinents einmütig und harmonisch geteilt und vertreten werden kann. Eine Vision zudem, mit der eine Partei wie die AfD, in der dieses Modell eigentlich mehrheitsfähig sein sollte, ein weiteres programmatisches Alleinstellungsmerkmal hätte. Radikal? Ja, da sie einen EU-Austritt voraussetzt und nicht nur eine „EU-Reform“. Aber dennoch: Positiv und konstruktiv. Mit einem Blick nach vorn und nicht zurück – und doch bezugnehmend auf eine große europäische Geschichte und eine gemeinsame Kultur als Hort des abendländischen Menschen.
Florian Sander
Florian Sander, M. A., hatte zunächst einen nebenamtlichen Lehrauftrag (2013 – 2015), danach eine hauptamtliche Dozentur (2016 – 2019) an einer Fachhochschule inne, lehrte dort Sozialpsychologie, Soziologie und Politikwissenschaft und arbeitete auch als Verhaltenstrainer. Er ist aktuell Doktorand an der Bielefeld Graduate School in History and Sociology (BGHS), Universität Bielefeld. Von 2009 bis 2014 war er Mitglied des Rates der Stadt Bielefeld. Seit 2018 betätigt er sich als Mitglied der Landesprogrammkommission und des Landesfachausschusses Außen- und Sicherheitspolitik der AfD NRW sowie als Leiter des Arbeitskreises Kommunalpolitik der AfD Bielefeld, deren stellvertretender Kreissprecher er seit 2019 ist. Er war Autor für den Blog Le Bohémien (2010 – 2017), für das Online-Magazin Rubikon (2017 – 2018) und für die Linke Zeitung (2017 – 2018) und schreibt seit 2018 für das Kultur- und Lifestyle-Magazin Arcadi sowie seit 2019 auch für den Blog des Jungeuropa-Verlags, für die rechtsintellektuelle, vom Institut für Staatspolitik (IfS) herausgegebene Zeitschrift Sezession und für das Zentralorgan des Bundes Deutscher Unitarier e. V., Glauben und Wirken.
Manuel Neuer, Marko Perković und die Schönheit Kroatiens
Wer die letzten Wochen in die bundesdeutschen Gazetten schaute, ob nun BILD, taz oder Spiegel, der konnte etwas ganz Erschröckliches vernehmen. Manuel Neuer, seines Zeichens Weltklassetorhüter des FC Bayern Münchens und der BRD-(National-) Mannschaft, soll während seines Kroatien-Urlaubes lautstark mit kroatischen Freunden ein Lied einer„rechtsextremen Band“ gegröhlt haben.
Bei genauerem Hinsehen bzw. Hinhören auf You Tube stellte sich allerdings schnell heraus, daß dem Ganzen nicht so war. Das skandalisierte Lied hatte den lieblichen Titel „Wie schön Du bist“ („Li jepa li si“), ist seit Jahren die inoffizielle Hymne Kroatiens und beschreibt in zarten Zeilen die Schönheit des Balkanlandes. Geschrieben und komponiert wurde es, und dies ist der Stein des Anstoßes, von Marko Perković, einst kroatischer Freischärler im Balkankrieg Anfang der 90er Jahre und heutiger Kopf seiner Band „Thompson“, die er nach seiner im Freiheitskampf benutzten Maschinenpistole benannte.
Thompson: Lijepa li si
Marko Perković ist wohl zur Zeit der beliebteste und populärste Volks- und Rocksänger Kroatiens, der erfolgreich den Dreiklang „Gott / Familie / Vaterland“ bespielt und mit seinen Liedern die ganze Nation, egal welcher Generation, ob nun zuhause oder in der Diaspora, begeistert. Unvergessen sind auch mir noch die Bilder, als nach der Fußball-WM 2018 und dem Gewinn der Vizeweltmeisterschaft die kroatische Nationalmannschaft, die im Gegensatz zum BRD-Team diese Bezeichnung auch verdient, mit Marko Perković im offenen Bus durch Zagreb fuhr und vom Volk euphorisch gefeiert wurden. Ivan Rakitić, kroatischer Superstar in Diensten des FC Barcelona, kabelte daraufhin auf Instagram, Perković sei der „einzig wahre König“ seines Landes und Luka Modrić, kroatischer Zauberfuß von Real Madrid und Weltfussballer rühmte sich, mit Perković und seiner Band eng befreundet zu sein. Die bundesdeutsche Presse war natürlich zutiefst „entsetzt“!
Marko Perkovic
Dabei bedient Perković sich eines positiven Befreiungsnationalismus, der zur Versöhnung mit dem serbischen Brudervolk sowie der Achtung ihrer gemeinsamen Religion aufruft.
Wie oben bereits erwähnt, benannte Perković seine Band nach seiner englischen MP, die ihm bei der Verteidigung seines Heimatdorfes Covaglave gegen die jugoslavische Volksarmee gute Dienste geleistet hatte. Dieser, sein Kampf, ist auch Thema seines bekanntesten Liedes „Bajua Covoglave“, das auf keinem seiner Konzerte fehlen darf und das er immer mit der Parole „Za Dom Spremni“ ankündigt. Das Ritual ist immer das gleiche und bereitet auch einem Nichtkroaten wie mir Gänsehautschauer. Perković ruft von der Bühne in Mikro „Za Dom“ („Für die Heimat“) und das meist in die Zehntausende gehende Auditorium antwortet mit „Spremni“ („bereit“). Die bundesdeutsche Presse, die sich bei Themen wie „Patriotismus“und „Identität“ mittlerweile bequem zwischen Halbwahrheit und Unwissenheit eingerichtet hat, machte daraus, wie erwartbar, prompt einen „faschistischen Ustascha-Gruß“! Dabei geht diese Parole auf den Nationalhelden Ban Jelacic aus den Jahren 1848/49 zurück, als im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn das kroatische Nationalgefühl erwachte. Die Ustascha machte in der Zeit ihrer Regentschaft daraus „Za dom i poglavnika spremni“ („Für Heimat und Führer bereit“). Thompson erinnern aber nicht an das unglückliche kroatische Regime während des 2. Weltkrieges, sondern an die vielen Landsleute, die im letzten Balkankrieg ihre Familien, Dörfer und Städte mit der Waffe in der Hand verteidigten. Übrigens hat ein kroatisches Gericht Perković ausdrücklich gestattet, im Sinne der Kunst – und Meinungsfreiheit seine Konzerte mit „Za Dom Spremni“ zu eröffnen!
Der „Spiegel“, bei dem man immer noch den Eindruck hat, Relotius führe die Chefredaktion, fabuliert im Rahmen der „Causa Neuer“, man hätte in Kroatien gegen Marko Perković wegen „Volksverhetzung“ ermittelt, vergisst aber im Nachsatz zu erwähnen, dass es nicht mal zu einer Anklage kam. Weiter behauptet das „Hamburger Presseflaggschiff“, Konzerte von Thompson würden in West-Europa regelmäßig verboten. Dabei unterschlagen die Autoren das übliche Antifa-Spielchen aus Lüge, Denunziation und Bedrohung, das immer nach der gleichen Regie abläuft. Thompson kündigen ein Konzert an, Linke, Antifa und manchmal auch instrumentalisierte, chauvinistische Serben schließen sich zu einem „bunten Bündnis“ zusammen, dieses fordert medienwirksam ein Verbot des „Nazikonzerts“. Wie in den meisten Fällen knicken Veranstalter und Hallenbesitzer ein und sagen, weil sie die Sache nicht einschätzen und durchschauen können, den Auftritt ab. Wenn das Thompson-Management und ihr Rechtsbeistand dann klagen, gewinnen sie meist und ihre Landsleute in der Diaspora danken es ihnen, indem sie zu Tausenden zu den Auftritten strömen. Beim letzten Stuttgart-Konzert in der Schleyer-Halle zählte man 13.000 Besucher! Der vollmundige Pöbel der Antifa lässt sich natürlich nicht blicken, da dieser genau einzuschätzen weiß, dass der kroatische Mann im Gegensatz zu seinem bundesdeutschen Pendant noch ein Mann ist und sich nicht ohne Konsequenzen beleidigen oder bespucken lässt.
Thompson-CD-Box
Nichtsdestotrotz, an einer objektiven und korrekten Bewertung des kroatischen Phänomens „Thompson“ scheint der BRD-Presse nicht gelegen zu sein. Zu lieb geworden sind die Klischees des rechten Buhmannes und das Konstruieren eines faschistischen Popanzes. Nicht nur die „Böhsen Onkelz“, die musikalisch durchaus vergleichbar mit dem kroatischen Pendant sind, können Lieder davon singen, auch die patriotischen Musiker des benachbarten Auslandes sind vor dem antifaschistischen Furor bundesdeutscher Bessermenschen nicht sicher. Bleibt zum Schluß nur noch die Frage, wann sich Manuel Neuer von seinen kroatischen Freunden distanzieren und den von ihm erwarteten Kniefall machen wird. Allerdings kann er sich dann bei Luka Modrić und Ivan Rakitić nicht mehr blicken lassen!
Gerald Haertel
Gerald Haertel ist 62 Jahre alt, gelernter Verlagsbuchhändler, war 33 Jahre in der Musikbranche tätig, u.a. bei Firmen Ariola und Virgin-Records. Lebt in Süddeutschland.
Nationale Solidarität im demokratischen Verfassungsstaat
Solidarität ist national
Während bald also Milliardensummen aus den solide wirtschaftenden nördlichen EU-Ländern abfließen werden, drängt sich die Frage auf: Ist es legitim, heute unsere Kinder und Kindeskinder zu verschulden und das geliehene Geld in dem großen, schwarzen Loch Südeuropas zu versenken?
Kritiker hatten schon bei Schaffung des Euro darauf hingewiesen, daß langfristige Stabilität der Währung nur bei einer im wesentlichen homogenen Wirtschaftspolitik der beteiligten Staaten zu gewährleisten ist. Davon kann keine Rede sein, wenn linkspopulistische Regierungen ihre Wähler zum Beispiel mit Sozialgeschenken wie arbeitslosem Einkommen für alle locken. Seit 2018
“können Bedürftige in Italien ein Bürgergeld von 780 Euro im Monat für Single beantragen. Die Ankündigung dieses Grundeinkommens hatte der italienischen Regierungspartei Cinque Stelle viele Wähler eingebracht.”
Man kann die deutschen Alimente für die italienischen Sozialsünden als Gebote der ökonomischen Vernunft deklarieren, als Eigennutz des Verkäufers, der am Bankrott eines Kunden und Schuldners nicht interessiert sein kann. Was unsere Staatsmedien und Feuilletons aber unisono preisen, ist keineswegs, Merkel habe unseren nationalen Eigennutzen und unsere ökonomischen Interessen verteidigt. Im Gegenteil:
Die Regierungen der “sparsamen” EU-Länder wurden teils hämisch kritisiert, weil sie, eben aus nationalem Kalkül, ablehnten, sich für Italien und Konsorten zu verschulden. Solche Stimmen messen die Finanztransfers nicht an ökonomischen Maßstäben, sondern an moralischen. Sie pochen auf “Solidarität”, die der angeblich reiche Norden dem angeblich armen Süden angeblich schuldet.
“Sterben für Polen?”, fragten viele Engländer 1939 vor der englischen Kriegserklärung an Deutschland. “Zahlen für Italien?” fragen viele Europäer sich heute. Die Frage der Solidarität gehört zu den offenen Fragen sowohl in Deutschland wie auch in Europa. Wer schuldet wem Solidarität, und zwar nicht wohlfeile Solidarität mit Worten, sondern mit Gut und manchmal auch mit Blut?
Nationale Solidarität: “Gold gab ich für Eisen” (Arthur Kampf 1813)
Soweit das Auge reicht und die europäische Landkarte überblickt, sind wir von Nationalstaaten umgeben, die sich in erster Linie dem Wohl ihrer eigenen Bürger verpflichtet fühlen. Unsere eigene Regierung ist dagegen vom Ehrgeiz ergriffen, möglichst die ganze Welt glücklich zu machen. Die geistigen Ahnen dieser Leute formulierten vor 120 Jahren, am deutschen Wesen werde noch einmal die Welt genesen, und vor 80 Jahren sangen sie: “… und morgen die ganze Welt!”
Zweimal hatte diese Hybris katastrophale Folgen für Deutschland. Heute verbindet sie sich mit einem moralischen Internationalismus, der vor Wut schäumt, wenn ein Reisbauer in Südostenasien von seinem Zwischenhändler keinen “fairen” Preis für seinen Reis bekommt, und sie erstarrt vor Schreck, wenn in Hongkong oder Teheran ein Journalist ins Gefängnis gesteckt wird. Moralisten träumen von einem globalen Großreich der Gerechtigkeit und fordern Solidarität mit jedem Benachteiligten dieser Erde.
Die Wurzeln der Solidarität
Doch schulden wir allen diesen Milliarden Menschen Solidarität, und: Was fordert sie konkret von uns?
Oder schulden wir vor allem nicht den Fernsten, sondern unseren Nächsten Solidarität? Was ist es, das zwischen Menschen die Bereitschaft zur Selbstaufopferung weckt und unzerreißbare Bande der Solidarität knüpft? Mancher führt Spruchbänder auf Demonstrationen herum und fordert „internationale Solidarität“. Das sind folgenlose Lippenbekenntnisse, deren Kosten meistens andere bezahlen sollen. Die Motive für wirkliche Opferbereitschaft liegen tiefer.
An ihren psychischen Dispositionen kommt nicht vorbei, wer diese Frage beantworten will. Über Jahrhunderttausende lebten Menschen in kleinen Solidargemeinschaften von 20-40 Personen. Sie als Horden zu bezeichnen, klänge wenig freundlich und nach den alten Affen, aus denen heraus sich menschliche Gruppen in der Evolution entwickelt haben, ohne ihre Hordenstruktur einzubüßen. Die Angehörigen solcher Gruppen waren auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen, und die meisten waren miteinander verwandt, versippt oder verschwägert. Hand in Hand auch mit dem Mutterinstinkt entwickelte sich die Bereitschaft, für die anderen selbst das eigene Leben zu wagen. Moralische Forderungen wie Solidarität wären ohne die Geschichte unserer Biologie schlechthin unerklärlich.
Als Menschen sich zu Stämmen und Völkern vermehrten, übertrugen sie den Gedanken der Solidarität auf diese größeren sozialen Einheiten. Doch was besagt das noch in der Neuzeit, was gar im Zeitalter der Massengesellschaften?
Die Neuzeit kannte unterschiedliche Anknüpfungspunkte, Solidarität abzufordern. Brav Steuern zu zahlen und als Soldat im Felde nicht die Kameraden im Stich zu lassen, hatte seine historischen Vorläufer in der personenbezogenen Gefolgschaftstreue des Mittelalters. Der Staat der Neuzeit zog den Bezugspunkt auf sich. Einen friederizianischen Grenadier aus Ostfriesland verbanden im Siebenjährigen Krieg mit seinem vielleicht polnisch sprechenden Nebenmann aus Gleiwitz keine Bande des Blutes, sondern der persönliche Eid und eine Staatsidee: „Wer auf die Fahne von Preußen schwört, hat nichts mehr, was ihm selber gehört!“ Es ist also nicht immer die Blutsverwandtschaft, die Solidarität erfordert und erzeugt. Die ethnischen Völker, konturiert durch gemeinsame Sprache, Abstammung und Kultur, bildeten aber das bis heute weltweit erfolgreichste Substrat moderner Staatsbildung. Anhand ihrer Bruchlinien zerfielen immer wieder Vielvölkerstaaten und bildeten sich ethnisch konturierte Nationalstaaten.
Der Göttinger Verfassungsrechtler Ferdinand Weber hält eine klare Abgrenzung von „Willensnationen“ wie Frankreich, geboren aus dem puren Willen, eine Staatsnation zu sein, vom ethnischen Volksverständnis als Grundlage des Nationalbewußtseins nicht für zwingend. Die Geschichtswissenschaft hat erkannt,
„daß sich die abweichenden Demokratisierungsgeschichten zwischen Westeuropa und Deutschland ebenso wenig auf divergierende Nationsverständnisse zurückführen lassen, wie es in Frankreich ausschließlich eine ›Willensnation‹ gab. Man nähert sich dem Begriffssinn nicht durch Übernahme kontingenter politischer Selbstbeschreibungen,sondern durch analytische Distanz zu diesen. Auf dieser angemessenen Abstraktionsebene grenzt Nation sich von der Ratio der allgemeinen Gattungs- und Würdegleichheit des Menschen ab, weil Gemeinschaftsbildung Konturen braucht, um als Solidaritätsgenerator zu wirken.“
Ferdinand Weber, Staatsangehörigkeit und Status, 2018, S.387.
Welcher „Solidaritätsgenerator“ angeworfen wird, um dem Nationalbewußtsein Konturen zu verleihen, ist nicht zwingend vorgegeben.
Der biologische Solidaritätsgenerator
Die politische Rechte war sich immer bewußt, daß Solidarität eines emotionalen Bezugspunktes bedarf. „Warum soll der Soldat für sein Vaterland sterben?“, fragt der Offizier die Mannschaft in „Der brave Soldat Schweijk“, und bekommt promt die schulterzuckende Antwort: „Sie haben Recht, Herr Hauptmann, warum eigentlich?“
Die völkische Rechte hat die Frage gern mit Metaphysik beantwortet: Über den Menschen schwebt ihr ein transzendenter Volksgeist vor. Die Nation wurde zu etwas Heiligem, zu einer Art kollektiver Person, zum Beispiel verkörpert durch die Figur der Germania. Daraus leitete die völkische Rechte unmittelbar Pflichten ab. Aus Solidarität sollte sich jeder dem Willen der Gemeinschaft unterordnen. Selbstverwirklichung bedeutete demnach, die in jedem Einzelnen substanziell angelegte Solidarität mit dem Kollektiv notfalls mit dem eigenen Blute zu besiegeln. Die sinnfällige Kurzfassung dieses Verständnisses lautete: „Du bist nichts, Dein Volk ist alles!“ Letztlich stellt sich dieses Denken ein biologisches Volk als identisch mit der Nation vor, als großen Genpool, dem es auf die Erhaltung des Ganzen ankommt und in dem der Einzelne eine zu venachlässigende Größe ist.
Wer im Geltungsbereich des Grundgesetzes politisch reüssieren möchte, darf nicht den Eindruck erwecken, er habe ein derartiges, idealistisches Verständnis unseres Volkes. Das Volk als Idee existiert. Aber es existiert nicht als Wesenheit im Kollektiv, sondern als Idee in den Köpfen völkisch denkender Menschen. Wer sich das klar macht, muß nicht von seiner Liebe zu seinem Volk Abschied nehmen, nur von der Vorstellung, das Volk sei eine Art kollektiver Wesenheit.
Erloschen sind die heitern Sonnen Die meiner Jugend Pfad erhellt; Die Ideale sind zerronnen, die einst das trunkne Herz geschwellt; Er ist dahin, der süße Glaube, An Wesen, die mein Traum gebar, Der rauhen Wirklichkeit zum Raube Was einst so schön, so göttlich war.
Friedrich Schiller
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem NPD-Urteil unmißverständlich deutlich gemacht, warum eine politische Haltung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, die auf völkischem Kollektivismus beruht. Wer sich politisch äußert und gar kein Kollektivist in diesem Sinne ist, ist gut beraten, sich vor mißverständlichen Formulierungen zu hüten. Das Grundgesetz stellt sich jeden Menschen als individuelle Person vor, deren Menschenwürde darauf beruht, daß der Staat um des Menschen willen da ist und nicht umgekehrt.
Der staatliche Solidaritätsgenerator
Das Grundgesetz leugnet die Existenz eines vorstaatlichen deutschen Volkes keineswegs. „Das Volk ist der Autor der Nation“, formuliert griffig Ferdinand Weber. Wer sonst, wäre nicht ein deutsches Volk, hätte sich das Grundgesetz als Verfassung geben können?
Das Grundgesetz selbst nimmt die Unterscheidung zwischen deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen vor:
Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.
Art. 116 Absatz 1 GG
Im Rahmen dieser Staatsverfassung mußte es sich eine solche Unterscheidung geben. An sie knüpft an, daß zum Beispiel einen Einbürgerungsanspruch hat, wer schon im Ausland als Deutscher gelebt hatte. Die deutschen Gesetze waren niemals blind gegenüber der Tatsache, daß auch außerhalb dieses Staates Angehörige des deutschen Volkes leben, umgekehrt aber nicht jeder Staatsbürger diesen Maßstäben deutschen Volkstums entspricht.
Dem Gesetzgeber war immer klar, daß deutsche Volkszugehörigkeit und deutsche Staatsangehörigkeit etwas Verschiedenes sind. Bekenntnisgegenstand im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung war
das deutsche Volkstum als national geprägte Kulturgemeinschaft nicht als eine anerkannte oder nicht anerkannte Rechtsinstitution, sondern eine rechtlicher Wertung a priori vorgegebene Seinsform, zu der der einzelne sich unabhängig von rechtlicher Institutionalisierung offen oder schlüssig bekennt oder nicht bekennt.
Friedrich Schröer, Deutsche Volkszugehörigkeit von Minderjährigen, Bayerische Verwaltungsblätter 1973, 148 ff.
Wer nun – völkisch-biologisch denkend – nicht volksmäßig deutsche Eingebürgerte von den staatsbürgerlichen Rechten ausnehmen will, vielleicht beherrscht von einem Ideal völkischer oder rassischer Reinheit, befindet sich wiederum klar auf der verfassungsrechtlichen Verliererseite. Wenn er argumentiert, eine Katze im Fischladen werfe bekanntlich junge Kätzchen und lege keine Fischeier, mag ja an den deutschen Qualitäten mancher Eingebürgerter Zweifeln. Wenn er aber ihre rechtlicher Einordnung als Deutsche bezweifelte, wird der Verfassungsschutz hellhörig. Wer das so nicht meint, sollte sich stets präzise ausdrücken, ob er mit „Deutscher“ die Volkszugehörigkeit oder die Staatsangehörigkeit meint.
Das Band der Staatsangehörigkeit legt verfassungsrechtlich die Grenzen der von Rechts wegen zu fordernden Solidarität fest. Die Staatsangehörigkeit ist keine natürliche, substanzielle Gegebenheit einer Person, sondern tatsächlich ein „soziales Konstrukt“: ein ideelle Vorstellung mit rechtlicher Verbindlichkeit. Die ideelle Nation, verkörpert in Staat, kann sie Ausländern verleihen.
Die prinzipielle Offenheit einer Nation folgt bereits aus ihrem nichtorganischen, sozialkonstruktiven Charakter. […]
Der Vorgang der Herstellung weist die Behauptung begrifflich-existenzieller Vorgegebenheiten zurück und zeigt verfassungsdogmatisch für das Grundgesetz: Das Volk ist Autor der Nation im besten (und damit auch konfliktreichen) demokratischen Sinn.
Weber, a.a.O., S.389.
Wer die Nation nicht aus begrifflich-existentiellen Vorgegebenheiten ableitet, verzichtet damit keineswegs darauf, der Solidargemeinschaft der deutschen Staatsangehörigen die erforderlichen Konturen zu geben. Ein Volk
„erwächst aus einer geschichtlich gewachsenen, substantiellen Gemeinsamkeit einer Gruppe von Menschen. Sie verweist und findet ihren Grund in der subjektiv unverfügbaren Vergangenheit: aus gemeinsamer Geschichte, Schicksal, Sprache, Kultur erwächst solidarische Verbundenheit. Ihre aus geschichtlicher Kontingenz geprägte Gestaltung widerstrebt rationaler Erklärbarkeit.“
Otto Depenheuer, Solidarität im Verfassungsstaat, 2.Aufl. 2016, S.318.
Alle diese unserem Gefühl so wichtigen, unsere Vaterlandsliebe und Solidarität stützenden Merkmale dürfen wir schützen. Sie sind Teil unserer kollektiven Kulturprägung, unserer nationalen Identität.
Der Einwand, eine kollektive Kulturprägung sei im Gegensatz zu konkreter individueller Grundrechtsbetroffenheit nicht auszumachen, ist unzutreffend. Die kollektive Erscheinungsform wird notwendigerweise anders zum Ausdruck gebracht, nämlich in der Rechtsstruktur und ihrem Gewährleistungsrahmen, nicht der vereinzelten Grundrechtsnorm, sondern dem System. Es gilt als Allgemeinplatz der Ethnizitätsforschung, daß partikulare Rechtsnormen im Gegensatz zum Glauben an ihren besonderen Gehalt keine fundamental anderen Werte formulieren, als in anderen Staaten. Genau hier liegt der entscheidende Punkt: Denn ebenso anerkannt ist, daß die Normen gleichwohl an partikularen Ideen über die Lebensweise orientiert sind, die sich aus gemeinsam gelebten kulturellen Formen ableiten läßt (Sprache, Geschichte, Wirtschaftssystem).
Weber, a.a.O., S.409.
Wer das vergißt und Forderungen nach Integration und einer deutschen Leitkultur verteufelt, provoziert geradezu eine überschießende – völkische – Gegenreaktion.
Kultur ist Voraussetzung für die Realisierung personaler Autonomie und ein elementarer Bestandteil personaler Identität, aber nur durch intersubjektive Beziehungen entfaltbar. Der gleichwertige Schutz schließt deshalb einen assimilatorischen Kulturnationalismus ebenso aus wie einen radikalen Multikulturalismus, also eine komplette Anerkennung der Migrantenkultur(en), insbesondere in ihren gesellschaftspolitischen Implikationen. Eine demokratische Entscheidung ist jedoch nicht nur Ausdruck einer numerischen Mehrheit, sondern ruht als kollektives Recht auf den Ausdruck kultureller Identität auf einer ebenso schutzwürdigen normativen Basis und verwirklicht sich im Gegensatz zu Einwandererkulturen originär in der politischen Aufnahmegemeinschaft. Die Auslegung der in einer Verfassung niedergelegten Prinzipien unter zwanghaftem Freimachen von Partikularität verpasst den notwendigen Ausgleich mit der kollektiven politischen Selbstbestimmung. Ein Unterlassen dieses Ausgleichs durch die politische Theorie, die Politik und Teile der Rechtswissenschaft erweist sich dann nicht als moralisch erhaben oder progressiv, sondern als Impulsgeber für übersteigerten, gegenreaktiven Nationalismus.
Weber a.a.O., S.411 f.
Ein „kollektives Recht auf kulturelle Identität“? Das ist vielleicht mehr, als mancher Patriot sich von unserer derzeitigen Verfassungslehre erhofft hatte. Wir dürfen es mit gutem Gewissen verteidigen. Unsere Solidarität gilt primär den Menschen, mit denen wir uns durch gemeinsame Geschichte, Schicksal, Sprache und Kultur verbunden fühlen dürfen.
Darum ist der Gesetzgeber gut beraten, unsere Staatsangehörigkeit nicht jemandem zu verleihen, der alles ablehnt, was uns verbindet. Eine staatlich verordnete Zwangssolidarität mit solchen Menschen zerstört die emotionalen Grundlagen unserer Bereitschaft zur Solidarität und damit die Akzeptanz unserer staatlich verfaßten Solidargemeinschaft.
Unser Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht gehindert, unser Einbürgerungsrecht weitgehend frei zu gestalten. Er durfte bereits bisher deutschen Volkszugehörigen einen Einbürgerungsanspruch geben. Auch künftig darf er die Einbürgerung auch davon abhängig machen, daß ein Bewerber ethnisch und kulturell zu uns paßt, integriert werden kann und dafür Gewähr bietet, unsere Vorstellungen von einem friedlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Zusammenleben zu teilen.
Klaus Kunze, seit 1984 selbständiger Rechtsanwalt in Uslar, von 1970-71 Herausgeber eines Science-Fiction-Fanmagazins, von 1977 bis 1979 Korrespondent der Zeitung student in Köln, seit 1978 diverse Beiträge in genealogischen und heimatkundlichen Fachzeitschriften, seit 1989 Beiträge für politische Zeitschriften wie u. a. die Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT
Autor der Bücher:
NEU:
Klaus Kunze: Identität oder Egalität. Vom Menschenrecht auf Ungleichheit. Hier erhältlich!
Klaus Kunze: Das ewig Weibliche im Wandel der Epochen. Von der Vormundschaft zum Genderismus. Hier erhältlich!
Mit Linken reden: Renaissance des Nationalstaatlichen oder Universalismus, Souveränität der Völker oder Globalismus.
Versuche einer politischen „Topographie des Hufeisens“
Von Beginn der Zeitschrift „wir selbst“ im Jahre 1979 an war es unser besonderes Anliegen, das streitbare Gespräch mit Linken zu suchen und zu führen. Nichts erschien uns so destruktiv und sinnlos wie der von den jeweils herrschenden politischen und ökonomischen Eliten im Staat gewollte und geförderte, oft mit blindwütigem Haß geführte Krieg zwischen Linken und Rechten. Nichts erschien den Machthabern – auch schon vor der Neuvereinigung Deutschlands – so gefährlich und existenzbedrohend wie die hochbrisante Verknüpfung von nationaler und sozialer Frage. Ideologische Anknüpfungspunkte für eine neue politische „Topographie des Hufeisens“ (Armin Mohlers Metapher in einer Rezension unserer Zeitschrift in der Tageszeitung DIE WELT zur Kennzeichnung unseres Programms) gab es in der deutschen Geschichte schon oft. Wo sich das äußerst linke und rechte Ende des Hufeisens fast berühren, ist das herrschende politische Establishment jeweils gleich weit entfernt. Sowohl in der Geschichte der konservativen Revolutionäre im rechten als auch im linksnationalen und nationalkommunistischen Spektrum finden sich immer wieder Versuche, zumindest das Gespräch mit dem scheinbar verfeindeten Gegner aufzunehmen. Dem sollte auch dieses hier dokumentierte Interview aus dem Jahr 1998 mit Prof. Arno Klönne (SPD) dienen, der als einer der schärfsten Kritiker einer Renationalisierung der deutschen Politik und als Warner vor einem erstarkenden Rechtsextremismus galt. Wir zollen diesem antitotalitären und undogmatischen linken Intellektuellen mit der Wiederveröffentlichung dieses Interviews unseren bleibenden Respekt.
… was heißt dann noch „Souveränität des Volkes“?
Prof. Arno Klönne im Gespräch mit Siegfried Bublies
Arno Klönne, Dr. phil., war Professor für Soziologie an der Universität-Gesamthochschule Paderborn, Jahrgang 1931. Herkunft aus der Bündischen Jugend, in den 60er Jahren einer der Sprecher der Ostermarschbewegung. Gewerkschaftlich engagiert, Mitglied der SPD. Buchveröffentlichungen u.a. über die Geschichte der Arbeiterbewegung, über „Jugend im Dritten Reich“ und über die politische Kultur der Bundesrepublik.
Klönne war Schüler von Wolfgang Abendroth, von dem, wie er sagt, „zu lernen war, den eigenen Verstand nie der ideologischen Kontrolle eines Parteivorstandes, eines Zentralkomitees oder sonstiger Autoritäten zu unterwerfen“. Arno Klönne verstarb im Juni 2015.
Frage:Sie haben in einem vielbeachteten Buch mit dem Titel „Zurück zur Nation?“ die These vertreten, daß unter verschlechterten ökonomischen Rahmenbedingungen neue ideologische Konflikte unsere Gesellschaft erschüttern könnten. So befürchteten Sie eine gesellschaftliche Wiederabkehr von „westlich-liberalen“ Leitvorstellungen, die nationalisierende Umdefinition sozialer Probleme (,,Gastarbeiterfrage“), eine Reaktualisierung sozialbiologischer, insbesondere gegen das Gleichheitsprinzip gerichteter Ideen. Diese Tendenzen könnten sich – nach Ihrer Ansicht – in der Bundesrepublik in einem besonders dichten Traditionszusammenhang bewegen. Sehen Sie diese Prognose, nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten und einer sich verfestigenden Massenarbeitslosigkeit, bestätigt, oder ist die herrschende Tendenz nicht eher eine Entnationalisierung des alltäglichen Lebens und die Globalisierung von wirtschaftlichen Zusammenhängen als extreme Ausformung einer eher universalistischen und kapitalorientierten Politik?
Arno Klönne: In meinem Buch „Zurück zur Nation?“ (1984) bin ich von der Annahme ausgegangen, daß die deutsche Zweistaatlichkeit vorerst weiterbestehen und eine denkbare „Wiedervereinigung“ nur auf längere Sicht eine Chance haben werde. Deshalb habe ich mich in diesem Buch auch mit der Frage auseinandergesetzt, welche Ressentiments bei wachsendem sozialem Problemdruck aus der „unbewältigten deutschen Teilung“ hervorgehen könnten. „Unbewältigt“ meint: Die wirklichen Gründe der Auftrennung des deutschen Staatsgebiets nach 1945 waren im vorherrschenden deutschen politischen Bewußtsein – insbesondere im westdeutschen – ideologisch verdeckt, insofern nicht „verarbeitet“. Das weitverbreitete Gefühl (von der westdeutschen Regierungsagitation lange Zeit hindurch bestärkt) „die Kommunisten“ oder „die Russen“ seien an allem schuld, verdrängte einen wichtigen historischen Sachverhalt, nämlich den, daß ein „Wirtschaftswunder“ in Westdeutschland – in der damaligen weltpolitischen Konstellation – die deutsche Teilung zur Voraussetzung hatte, die meisten Westdeutschen also von der Gründung bzw. Existenz der DDR profitierten.
In meinem Buch „Rechts-Nachfolge“ (1990) habe ich das Thema „Zurück zur Nation?“ gewissermaßen fortgeschrieben, nun unter den Bedingungen der sich anbahnenden „Wiedervereinigung“, die auch so etwas wie größere Selbstverantwortung der deutschen Politik bedeutet.
Es ging und geht mir bei meiner Fragestellung nicht um die territoriale und staatliche Form, sondern um die politische Kultur, um das Verhältnis zu „deutschen Ideen“ (und Mentalitäten) der Vergangenheit, um deren fragwürdige Tradierung. Der Blick auf die deutsche Geschichte zeigt, daß hier – im europäischen Vergleich – expansiv machtstaatliche Orientierungen, antidemokratische Vorstellungen und sozialdarwinistische Gesellschaftsbilder („national“ oder „völkisch“ sich präsentierend) politisch sehr erfolgreich waren und mörderische Konsequenzen hatten. Derartige Weltanschauungen und politische Richtungen waren kein deutsches Spezifikum, und sie sind nicht auf die „Natur der Deutschen“ zurückzuführen. Aber sie haben in Deutschland Systemfolgen gehabt, die so in anderen Ländern nicht zu finden sind. Um den brutalsten Fall zu nennen: Antijudaimus oder Antisemitismus gab es auch in anderen Gesellschaften, aber nur hierzulande entwickelte sich daraus eine gesellschaftlich etablierte „Rassenlehre“ mit staatsverbrecherischen, vernichtenden Konsequenzen. Es gibt Erklärungen dafür, nicht in „deutschen Eigenschaften“, aber in der deutschen Gesellschaftsgeschichte, auch in der Mentalitätsgeschichte.
Wie sich dazu die inzwischen vorherrschende „Globalisierung“ verhält, welche Effekte sie in dieser Hinsicht hat, wäre gesondert zu bereden. Zweifellos handelt es sich bei der „Globalisierung“ um eine weltweite Durchsetzung kapitalistischer Strukturen, mit wachsenden Risiken für die Verlierer im „Wirtschaftskampf“. Aber ist das gleichzusetzen mit „Universalismus“ – und was kann dieser Begriff bedeuten? Die globale Einlösung von menschenrechtlichen Ansprüchen ist ja offenbar nicht die Substanz der „Globalisierung“ …
Halten Sie die politischen Ideen der „Konservativen Revolution“, die in der „Weimarer Republik“ eine gewisse Bedeutung erhielten und die Sie einmal als „seltsames Gemisch aus Zivilisationspessimismus, Verlangen nach heroischem Leben, Gemeinschaftsseligkeit, Naturglauben und nationalistischen Ressentiments“ bezeichneten, für überlebt, oder sehen Sie die Möglichkeit, daß eine „Neue Rechte“ sich dieser wirren Ideensplitter bedient und sie in reale Politik umsetzt?
Die als „konservativ-revolutionär“ bezeichnete Gedankenwelt war nicht einheitlich, sie enthielt unterschiedliche und auch widersprüchliche Positionen. Überwiegend war sie durchaus nicht geeignet, dem Faschismus oder Nationalsozialismus eine menschenfreundliche Alternative entgegenzustellen, vielmehr leitete sie, zum Teil unfreiwillig, viel ideologisches Wasser auf die Mühlen des „Dritten Reiches“. Diese Feststellung soll nicht ausschließen, daß es im Ideenkonglomerat der „Konservativen Revolution“ auch produktive Anregungen gab, frühzeitige ökologische Warnungen zum Beispiel, am Rande auch einen frühen Blick auf die Probleme der sogenannten „Dritten Welt“, oder auch bemerkenswerte Kritiken der Kapitalisierung der modernen Lebenswelt. Anknüpfungspunkte für politische Zukunftsentwürfe sehe ich in der Hinterlassenschaft der „Konservativen Revolution“ nicht, da ist selbst das Nachdenkenswerte durch eine katastrophale Geschichte „vernutzt“, wenn es sich auf die Traditionen berufen wollte. Welche auch nur halbwegs humane Idee sollte z.B. heute dem „politischen Ernst Jünger“ abzugewinnen sein? Und was könnten selbst diejenigen „konservativen Revolutionäre“, die Gegner Hitlers waren oder wurden, nachträglich an brauchbaren Lösungen der Gegenwartsprobleme beitragen? Es kommt mir sinnvoll vor, sich mit der „Konservativen Revolution“ kritisch erinnernd auseinanderzusetzen. Wer aber Versatzstücke aus deren Ideenbestand in die aktuelle Politik einbringen will, unternimmt dies nach meinem Eindruck entweder legitimatorisch zu dem Zwecke, den eher stumpfsinnigen rechtsextremen Gruppierungen der Gegenwart eine höhere philosophische Weihe zu verschaffen – oder auf eine surrealistische Weise, indem längst vergangene Zeiten in einer „In group“ noch einmal nachgespielt werden. Im Ergebnis heißt das: Nach der Tragödie die Farce. So etwas tritt auch linksaußen auf, als Nachspielen von Rotfrontkämpferzeiten.
Ihre besondere Kritik gilt einer Definition von Nation als kategorischer Imperativ, wie sie u.a. von Bernhard Willms vertreten wurde und heute wohl vor allem von den einflußreichen Jüngern Carl Schmitts formuliert wird. Frieden, Menschenrechte, Freiheitlichkeit, Demokratie erscheinen in deren Politikauffassung als ganz und gar nebensächlich. Willms: „Es gibt keine der Idee der Nation übergeordneten Prinzipien, schon gar keine moralischen.“ Was halten Sie diesem Rückgriff auf die Nation als dem „einzig erfahrbaren politischen Sinn menschlicher Existenz“ entgegen? Und: Gibt es nicht auch eine deutsche Tradition der Freiheit, Gleichheit und Solidarität (auch mit Fremden), die sich für eine andere Definition des Begriffs Nation fruchtbar machen läßt? Zeugt nicht gerade auch der ethisch und patriotisch begründete Widerstand während des Dritten Reiches, daß Ansätze für eine andere Definition des Nationalen vorhanden sind?
Diejenigen, die ihren Widerstand gegen den NS-Staat als patriotisches Handeln verstanden haben, ob Nationalkonservative oder Nationalrevolutionäre, sind in ihrem Handeln und in ihren Biographien zu würdigen. Damit sind aber die politischen Konzepte, von denen sie ausgingen oder beeinflußt waren, noch nicht zur Weiterführung geeignet. Das gilt ebenso für diejenigen Kommunisten, die den Widerstand gegen Hitler-Deutschland in der Hoffnung auf eine „Diktatur des Proletariats“ riskierten. Übrigens gibt es Beispiele dafür, wie deutsche Nationalisten aus der Erfahrung des Kampfes gegen den NS-Staat heraus zur Kritik ihrer eigenen ideologischen Herkünfte kamen. Um nur zwei Fälle zu nennen: K.O. Paetel und Hans Ebeling als einstige „Nationalbolschewisten“ haben – wie ich aus einem nahen Kontakt zu ihnen weiß – nach ihren Erfahrungen des Widerstandes gegen das „Dritte Reich“ mit der Idee von „nationaler Identität“ gebrochen. Die historische Wirklichkeit enthielt für sie andere Lehren als die nationale Imagination ihrer jugendbewegten Zeit vor 1933.
Die Idee von der „Nation als kategorischem Imperativ“, dem gegenüber Ansprüche auf Frieden auf andere Menschenrechte zweitrangig seien, halte ich für extrem menschenfeindlich. Daß „die Nation der einzig erfahrbare politische Sinn menschlicher Existenz“ sei, ist eine idealistische Konstruktion, die zur systematischen Brutalität führt, wenn sie zur Realität wird. Solcherart Philosophie ist stets als Instrument rücksichtsloser Machtinteressen mit durchaus „materiellem“ Charakter eingesetzt worden. Ein „erfahrbarer politischer Sinn menschlicher Existenz“ liegt demgegenüber in dem andauernden Versuch, Menschen von physischer und und sozialer Bedrohung zu retten, freiheitliche Zustände zu erreichen, solidarische Regelungen gesellschaftlichen Lebens zu finden. Dieser Versuch geschieht in vielen Formen von Gemeinsamkeit, in unterschiedlichen Handlungsräumen, die individuell auch wechseln können. Der Staat, in dem man als Bürgerin oder als Bürger agiert, ist ein solcher Handlungsraum, und in der Moderne, der noch andauernden, handelt es sich zumeist um einen Nationalstaat, der historisch entstanden ist – und sich historisch verändern oder in anderen Zuordnungen politischen Handelns hinüberwechseln kann.
Selbstverständlich gibt es so etwas wie Verantwortung für den jeweiligen Handlungsraum, dem man zugehörig ist, und es ist vernünftig, die in einem Regelwerk (Verfassung) festzuschreiben. Ebenso selbstverständlich wirken gemeinsame kulturelle Traditionen und historische Erfahrungen (positive und negative) bei der Ausgestaltung von Politik mit. Aber das ist kein Grund, die „Nation“ zu mystifizieren, sie zur „natürlichen“ (oder gar „göttlichen“) Größe zu erklären. Gemeinsames politisches Handeln gegen die vielfältige Bedrohung menschlicher Rechte heute ist möglich und notwendig auf verschiedenen Ebenen. In unserm Fall auf den per Verfassung oder Vertrag vorgegebenen Ebenen von Gemeinde, Land, Bundesrepublik oder Europäischer Union, auch auf der Ebene politischer oder politisch mitwirkender Organisationen und Initiativen, von denen manche (und einige nicht ohne Erfolg) sich nicht mehr an die nationalstaatlichen Grenzen halten, was auf der Seite der Menschenrechte gerade deshalb immer wichtiger wird, weil das abstrakte „Recht des Kapitals“ sich längst über die „Volkswirtschaften“ und die Souveränität von Nationalstaaten hinweggesetzt und „exterritorial“ etabliert hat. Was bringt da der Begriff der „nationalen Identität“? Nach meiner Auffassung würden (und wurden) damit nur die bestehenden Konflikte vernebelt. Welche „Identität“ könnte denn Akteure einer Wirtschaftsweise, die auf nicht profitträchtige und menschliche Bedürfnisse und auf Naturressourcen im Zweifelsfall gar keine Rücksicht nimmt, mit den dadurch Geschädigten „national“ vereinen? „Volkswirtschaftliche“ (in diesem Sinn „nationale“) Selbstbeschränkung gibt es in einer Weltmarktgesellschaft nicht, und es wird sie auch nicht wieder geben. Allerdings gab es und gibt es immer wieder den Appell international agierender wirtschaftlicher Interessengruppen an das jeweilige „Nationalbewußtsein“ von Arbeitnehmern oder auch Konsumenten. Das hat aber mit „nationaler Identität“ nichts zu tun, sondern mit Demagogie.
1983 schrieben Sie, die Menschheitsgeschichte enthalte genügend Beispiele für eine aggressionslose Koexistenz verschiedener kultureller Gruppen auch in unmittelbarem Nebeneinander. Heute ist das Sowjetreich auch und vor allem an seinen ethnischen Konflikten zerbrochen, die CSSR existiert nicht mehr, und Jugoslawien ist unter mörderischen Kriegen in mehrere Staaten auseinandergefallen. Von Ruanda bis Kurdistan scheinen tägliche Massaker zwischen unterschiedlichen Kulturen und Ethnien zu belegen, daß Aggressionspotentiale sich aus tiefenpsychologischen Schichten speisen, die sich einem rein materialistischen Verständnis entziehen. Gibt dies einem linken Soziologie-Professor nicht Anlaß, über seine These, die Probleme des „Vielvölkerstaates“ seien nicht naturgegeben, sondern historisch bedingt, noch einmal nachzudenken? Kann man tatsächlich nach den Erfahrungen der zurückliegenden Jahre noch sagen, daß es sich bei diesen Konflikten in der Substanz stets um materielle, ökonomische, soziale und politische Auseinandersetzungen handelt? Ist die Vorstellung, unterschiedliche ethnische oder kulturelle Gruppen könnten dauerhaft friedlich miteinander leben, nicht auch ein ideologisches Konstrukt, das in der realen Welt kaum eine Stütze findet?
Die Deutung, nach dem Ende des „Ostblocks“ und des zweipoligen politischen Weltsystems sei das Zeitalter einer neuen Pluralität von national und ethnisch geprägten Staaten, auch der „reinlichen“ Trennung der Nationen und Ethnien angebrochen, womöglich auch der „religiös-nationalen Identitäten“, ist weitverbreitet – und dennoch realitätsfern. Insofern ist auch das Konzept des „Vielvölkerstaates“ nicht etwa durch die neue Entwicklung widerlegt. In den ökonomisch florierenden Sektoren des Weltmarktes kann von einer Wiederkehr nationaler oder ethnischer Staatsbildung überhaupt keine Rede sein, das zeigt der Blick auf die westeuropäischen und nordamerikanischen Verhältnisse. Bei den Nachfolgestaaten der UdSSR ist übrigens ein national-traditionelles oder ethnisches Prinzip der Neugliederung auch nicht durchgängig zu finden, und wo es als Postulat aufgestellt wird, setzt es sich über die wirkliche Zusammensetzung der Bevölkerung hinweg und enthält menschenfeindliche Konsequenzen. Im Territorium des ehemaligen jugoslawischen Staates sind diese auf scheußliche Weise vorexerziert worden. Wer annehmen wollte, auf dem Balkan führe ein tiefes seelisches Bedürfnis von „Nationen“ oder „Ethnien“ zum Prozeß der staatlichen Neugliederung, kennt die Verhältnisse nicht. Es handelt sich vielmehr um ein explosives Gemisch von Interessen machthungriger „Führer“, sozialökonomischen Konflikten, gezielt instrumentalisierten kulturellen Traditionen, Verkaufsstrategien der internationalen Rüstungsunternehmer, verselbstständigten Geheimdienstoperationen – wirren Einflüssen rivalisierender Außenmächte. Es wäre Hohn, angesichts dessen von einer „national-ethnischen Wiedergeburt“ zu reden.
Kennzeichnend ist, daß die angeblich epochale Wiederkehr des „Nationalen“ oder „Ethnischen“ (dessen historischer Hintergrund eher fiktiv ist) sich auf der Schattenseite des Weltmarktes vollzieht, als Fluchtreaktion von „Verlierern“, aber auch im Sinne der Zuweisung eines „unzivilisierten“ Terrains durch die Gewinner: Die „Unterentwickelten“ mögen sich mit ihren „national-ethnischen“ Anstrengungen begnügen…. Die Risiken werden dann stellenweise durch pazifizierende Eingriffe der „Entwickelten“ begrenzt, wobei sich Einflußkalküle und humane Motive miteinander vermengen. In jedem Falle wird so die Dominanz der ökonomisch florierenden Zonen der Welt und ihrer Staaten bestätigt.
Es ist gut zu verstehen, daß Menschen, die im Zuge der „Globalisierung“ beiseite gedrängt werden oder kaum Aussicht auf Teilnahme an der ökonomischen Konkurrenz haben, Zuflucht und existenziellen Rückhalt in der „vormodernen“ Gruppe suchen, gestützt auf überlieferte Gewohnheiten, auf kulturelle oder religiöse Traditionen. Inwieweit hier der Begriff
„Ethnie“ paßt, mag dahingestellt bleiben, keinesfalls liegt in ihm ein Muster für soziale Homogenität in der Gegenwart. „Vormoderne“ Lebensformen oder deren Reste können in Zeiten bedrängender und sozialökonomisch polarisierender „Modernisierung“ Schutzfunktionen haben, auch in den Armutssektoren insgesamt reicher Gesellschaften. Aber daraus ergibt sich noch keine zukunftsfähige Alternative zu den Schäden und Beschädigungen, die mit dem globalen kapitalistischen Wirtschaftssystem einhergehen.
Im Rückgriff auf die Konstruktion „nationaler“ oder „ethnischer Identität“ liegt keine Chance, die sozialen Räume einer Weltgesellschaft, die durch extreme Ungleichheit der Lebensmöglichkeiten gekennzeichnet ist, dauerhaft wohnlich oder wenigstens einigermaßen erträglich auszugestalten. Eher steckt darin die Versuchung oder auch Verführung, gesellschaftlich bedingte Konflikte in „natürliche“ Gegensätze umzufälschen, von Problemursachen abzusehen oder sich ablenken zu lassen, oft mit katastrophalen Resultaten.
Welche Gefahren könnten nach Ihrer Ansicht von einem vereinigten Deutschland ausgehen? Befürchten Sie eine Renaissance nationalstaatlicher Politik aufgrund der veränderten geo- und machtpolitischen Situation in Europa? Oder glauben Sie, daß die Einbettung Deutschlands in EU und NATO und deren Sicherheitsstrukturen eine nationalpolitische oder eigenstaatliche Option der ökonomischen Großmacht Deutschland unmöglich macht? Und wie verhält sich zu alledem der Trend eines weltweiten „Marktes“?
In der deutschen „Wiedervereinigung“ liegt noch keine Eigendynamik eines aggressiven deutschen Nationalismus. Der Ruf „Deutschland verrecke!“, soweit er nicht purer und grober politischer Unfug ist, sondern dem Gefühl entspringt, angesichts seiner Vergangenheit müsse Deutschland sich am besten als staatliches Gebilde in Nichts auflösen, ist absurd, zudem übernimmt er das menschenverachtende Vokabular der Nazis. Allerdings haben die sozialen Begleitprobleme der staatlichen Integration in Deutschland und der weiter zunehmenden ökonomischen Integration in den Weltmarkt aggressive nationalistische Stimmungen, zum Teil auch rassistische Weltbilder bestärkt, nicht zuletzt auf der „Verliererseite“, wie man gerade in den neuen Bundesländern sieht, aber auch bei Menschen, die Angst haben, sie könnten auf die „Verliererseite“ geraten. Ähnliches ist in anderen, auch „westlichen“ Gesellschaften zu erkennen. Die Gefahr einer „Machtübernahme“ nationalistischer oder rassistischer Bewegungen (oder gar eines neuen nationalsozialistischen Regimes) sehe ich weder in Deutschland noch in anderen EU-Ländern. Aber nationalistische oder rassistische Regungen nehmen auf indirekte Weise Einfluß auf die „seriöse“ Politik, die ihnen Zugeständnisse macht, um „rechtsaußen“ keine Konkurrenz aufkommen zu lassen. Die große Unternehmenswirtschaft ist inzwischen soweit internationalisiert, daß sie den klassischen aggressiven Nationalismus als staatlich geformte Vertretung ihrer Interessen nicht mehr brauchen kann. Selbst ein „europäischer Nationalismus“ in traditioneller, staatlich-aggressiver Form wäre vermutlich mit den dominanten Kapitalinteressen nicht mehr vereinbar. Dies schließt aber nicht aus, daß bestimmte ökonomische Gruppeninteressen in der weltweiten Konkurrenz sich auch „nationaler“ oder „national-europäischer“ Ideologien und Instrumente bedienen, hierfür auch Staaten instrumentalisieren, um Einflußsphären weltweit abzusichern, neue Ressourcen zu erschließen oder unliebsame politische Akteure in anderen Ländern abzustrafen und passende Feindbilder auszumalen. Damit wird man sich auf lange Sicht auseinandersetzen müssen, und hier liegen auch Risiken der „Großmacht Deutschland“. Anscheinend „zivilisatorische“ Interventionen können mit solchen recht profanen Interessen zusammenhängen, – eine vertrackte Gemengelage. Als Mitglied einer „Weltpolizei“ soll der Nationalstaat oder das europäische Staatenbündnis einsetzbar sein – während die internationalen Operationen der Großwirtschaft, insbesondere in den Finanzmärkten, der sozialen und wirtschaftlichen Gestaltungsfunktion der Staaten oder Staatengemeinschaften immer mehr den Boden wegziehen. Was heißt dann noch „Souveränität des Volkes“? Dies ist, meine ich, auf absehbare Zeit das Grundproblem: Wie kann das, was einmal mit Demokratie gemeint war, unter den Bedingungen des „Weltmarktes“ neu entwickelt werden?
Eine persönliche Bemerkung zum Schluß: Als Vierzehnjähriger habe ich 1945 erlebt, wie erbärmlich die großen und kleinen Verkünder hochtrabender Ideologien in Deutschland sich aus ihrer historischen Verantwortung davonstahlen und sich in neuen politischen Systemen einen Platz an den Futterkrippen suchten, was sie nicht daran hinderte, später wieder rechtfertigende Legenden in die Welt zu setzen. Gerade in den letzten Jahren ist die rechte Publizistik in der Bundesrepublik voll von derartigen Borniertheiten. Ich finde, man sollte mißtrauisch sein gegenüber jeder großartig daherkommenden politischen „Philosophie“, wo immer sie auftritt. Nur zu oft verhüllen „hehre Ideen“ und „weltgeschichtliche Missionen“ Herrschaftsinteressen, Machtgier, Karrierewünsche, Profitstreben. Die Rede ist dann von der „Nation“, von der „Klasse“, von der „Religion“ – oder auch vom „Fortschritt“, von der „Modernität“, der „Innovation“ – aber die Menschen kommen in solchen Programmen nicht mehr vor, sie sind nur Material. Geschichte und Politik „von oben“ – und „unten“, das sind nach wie vor zwei Welten .
Aufstieg, Abweg oder Niedergang – eine Kritik der Neuen Rechten
Als Günter Bartsch Mitte der 1970er Jahre mit seinem Grundlagenwerk „Revolution von rechts? Ideologie und Organisation der Neuen Rechten“ auf den nicht-marxistischen Sozialismus Lassalles, den Syndikalismus Sorels und die Tradition des revolutionären Linksfaschismus aufmerksam machte, staunten viele seiner Leser nicht schlecht, denn genau diese Symbiose von nationalrevolutionärer und sozialrevolutionärer Gesinnung war der Beginn einer Neuen Rechten als gesamteuropäische Gestalt, die sich jedoch speziell in der BRD keine Illusionen über ihre schlechten Startbedingungen angesichts des gebrochenen Verhältnisses des größten Teils der Westdeutschen zum eigenen Volk und zur eigenen Nation machte.
Ferdinand Lassalle und der nichtmarxistische Sozialismus- frühe Versuche, die nationale und soziale Frage zu kombinieren
45 Jahre später legt der 1991 geborene Historiker Alexander Markovics mit „Der Aufstieg der Neuen Rechten“ nun eine Monographie vor, die „die geistige Herkunft der „Mosaikrechten“ beleuchtet und darlegt, wie sich diese gegenüber anderen Strömungen in den letzten Jahren durchsetzen konnte und durch mediale Projekte im vorpolitischen Raum den Wahlerfolg der AfD in Deutschland und den anderen europäischen Patrioten in ihren Ländern geistig vorbereitete“. Der Autor, Vorsitzender des Suworow Instituts in Wien, dessen Forschungsschwerpunkt auf der Neuen Rechten und „Vierten Politischen Theorie“ des russischen Philosophen Alexander Dugin liegt, dem ein beträchtlicher Teil des Buches gewidmet ist, sieht im Populismus „die Stunde des Aufstands der Völker gegen den Liberalismus“, wenngleich er diese Behauptung mit einem Fragezeichen versieht. Dabei beruft er sich auf Alain de Benoist, der die Wurzeln des Populismus in den USA (People’s Party, 1891) und Rußland (Narodniki, 1860-1880) verortet. Doch im Gegensatz zu den Narodniki, die nur das Landleben gegen den Kapitalismus verteidigten, griffen die Anhänger der People’s Party auch den Finanzkapitalismus an.
Benoist zitierend differenziert Markovics zwischen identitärem und Nationalpopulismus, die sich beide gegen die Eliten richten. So ist die Frage, ob Populismus nicht eher ein Stil als eine Ideologie sei, durchaus berechtigt. Wer jedoch Populismus mit Demagogie gleichsetze, verkenne, daß es auch eine Demagogie der Eliten geben kann – siehe Brexit. Es liege also an der Neuen Rechten, einen Populismus des Volkes auszuarbeiten, um die liberalen Eliten „vom Thron zu stürzen und die Volkssouveränität wiederherstellen zu können“. Ob sich allerdings Gesellschaftskritik einen Gefallen tut, indem sie nach dem totalitaristischen national- und realsozialistischen Grauen der wuchernden Ausbreitung von Suggestivbegriffen, sakrosankten Leerformeln wie „Toleranz“, „Weltoffenheit“, „Vielfalt“ und „Buntheit“ und einer ganzen Batterie neu gegründeter Sprechblasen und Newcomer-Begriffen wie „Alltagsrassismus“, „struktureller Rassismus“ und „People of Colour“ eine neurechte Zuckergußvariante „zukunftsorientierter“ Aufbruchs-Schwadronaden entgegenhält, ist dann doch mehr als fragwürdig. Eine Gesellschaft, die sich von augenscheinlich geistig Gestörten über 60 verschiedene Geschlechter aufschwätzen läßt, jährlich über 100.000 ungeborene Kinder, die Schwächsten der Schwachen also, ohne mit der Wimper zu zucken im Mutterleib abmetzelt und neben einer desaströsen Energiewende mal so eben zwei Millionen Menschen aus raum- und kulturfremden Völkerschaften unkontrolliert ansiedelt, nicht in der Lage ist, zumindest einen einzigen konservativen Fernsehsender aufzubauen, aber sich Abend für Abend im Zwangsgebühren-TV belügen, als „Rassisten“, „Faschisten“, „Neo-Nazis“ und „Rechtsextremisten“ beschimpfen und beleidigen läßt und dafür auch noch Geld bezahlt, ist von der „Volkssouveränität“ weiter entfernt als die Erde vom Mond.
Ein umfangreiches Kapitel ist dem Islam in der Einschätzung der Neuen Rechten gewidmet. Während rechte Islamkritiker wie Egon Flaig, Michael Ley und Henryk M. Broder den Islam für die größte Bedrohung Europas halten, sehen andere Vertreter der Neuen Rechten wie Alain de Benoist, Thor von Waldstein und das IfS darin eine Vereinfachung, mit der man der Propaganda Huntingtons und dessen „Kampf der Kulturen“ folge. Von Waldstein habe herausgearbeitet, daß „die Völker des Islam mit Europa ein zum Teil mehrere Jahrhunderte überdauerndes geistiges Erbe verbinde. Orient und Okzident seien eine symbiotische Einheit“. Hier muß man allerdings einwenden, daß Europa mit dem Islam bis heute durchaus negative und erschreckende Erfahrungen gemacht hat und mit allergrößter Wahrscheinlichkeit noch weit größere Konflikte vor uns liegen. Immerhin sieht auch von Waldstein keine Möglichkeiten einer Integration, da das gegenwärtige Europa keine Identität besitze. Hinzuzufügen wäre, besäße Europa eine solche, wäre es sehr wohl imstande, der islamischen Invasion energisch Einhalt zu gebieten.
Im übrigen hat Huntington durchaus den Niedergang der westlichen Zivilisation beschrieben, ohne diese dem Islam anzulasten, sondern auf die Beziehungen von Macht und Kultur hingewiesen und darauf, daß der Islam durch Kriegslist und Gewaltbereitschaft gleichsam kulturell codiert ist: „Die Grenzen des Islam sind in der Tat blutig, und das Innere ist es ebenfalls“. Wie für Spengler, den Markovics kaum für „überholt“ halten dürfte, ist auch für Huntington Menschheitsgeschichte Kulturgeschichte, und „dem Aufstieg der chinesischen Macht und der Dynamik des Islam stehen im Sinne einer historischen Apokalypse die inneren Verfalls- und Fäulnisprozesse des Okzidents gegenüber“. Es ist daher mehr als fahrlässig, geopolitische Grundgesetze wie die Ursachen und Folgen einer islamischen Migrantenflut und die offene Feindseligkeit und den imperialistischen Machthunger Rot-Chinas zu ignorieren.
Dugins „Vierte politische Theorie“, die viele Ideen der Neuen Rechten zusammenfaßt, sieht den notwendigen Konflikt mit China und dem Islam im Gegensatz zu Huntington lediglich als „Möglichkeit“, nicht als Schicksal, was einer Realitätsverweigerung und Verharmlosung der Barbareien des Neo-Kommunismus und des fanatischen Islam gleichkommt. Dies auszublenden, bedeutet die Rückkehr zum Irrationalen, zu einem Alptraum durch das geistig-sinnlich Irrationale. Gewiß liegt Dugin richtig, wenn er dem russischen Volk eine verborgene katechotische Mission zubilligt, während der Westen sich dazu entschieden habe, die Postmoderne zu vollenden und – was besonders ekelhaft ist – nun ungeniert erneut die antirassistischen Töne erklingen läßt. Man mag darin die Bedeutung von Heideggers Satz: „Nur ein Gott kann uns retten“ erkennen. Der Autor lobt Götz Kubitscheks Kaplakenband „Provokation“ als „Anleitung zum Widerstand“. Dem „dekadenten Verlust der Wirklichkeit“ setze dieser „die Hochschätzung der Form entgegen, die sich in tragischer Haltung („und dennoch die Schwerter halten“) und Stilbewußtsein ausdrücke“. So könne es gelingen, zum „Wegweiser“ zu werden, einer „Widerstandsinsel, die erahne, daß es noch etwas anderes gebe“. Angesichts des unwiderruflichen Niedergangs und einer Spektakularisierung der Politik, hört sich dies ein wenig wie Wunschdenken an. Immerhin haben wir es hier mit keiner bedauerlichen „Fehlentwicklung“ zu tun, sondern mit einem integralen Moment und wesentlichen Produkt eines durch und durch katastrophalen Systems, dessen einzige Leistungen die Verdrängung der Realität und die schamlose Propagierung der wunderbaren Segnungen der Aufklärung sind, über die Adorno und Horkheimer in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ das Nötige gesagt haben, die unsere liberalen und linken Eliten als geschworene Dunkelmänner der Aufklärung subjektivistisch jedoch nie verstanden haben und bei Gevatter Habermas´ „Theorie der herrschaftsfreien Kommunikation“ stehengeblieben sind.
Das interessanteste Kapitel ist jenes über die italienische Nuova Destra, die zur Zeit wohl weltweit erfolgreichste mit „Casa Pound“ und einer parlamentarischen Neuen Rechten in Gestalt der „Lega“ und den „Fratelli D’Italia“. Seltsam mutet an, daß im gesamten Buch kein einziges Mal der Name Steve Bannon auftaucht, der gerade in Italien eine neurechte Denkfabrik aufbaut. Durchaus kritisch ist zu sehen, daß die Frage, ob die Partie für die Neue Rechte nicht längst verloren ist, nicht einmal ansatzweise diskutiert wird.
Befreiung muß in der Tat neu gedacht werden, denn wir haben dem System nicht für irgendeine „zivilisatorische Mission“ zu danken, sondern es als bösartige Zusammenfassung einer negativen Leidensgeschichte zu erkennen, der keinerlei positiver metaphysischer Sinn dieses Leidens an den infamen politischen Verhältnissen mit all ihren häßlichen Erscheinungsformen der neuerdings wieder gern beschworenen liberalen, demokratischen Werte abzugewinnen ist. In den immer häufiger auftretenden Extremen des Globalismus wird der Bann der modernen Form von Entstaatlichung und Ökonomie grauenvoll kenntlich. Genau hier hat eine antiemanzipatorische Kritik eines Rechts-Konservativismus anzusetzen, die den selbstläufigen Zerfall des Politischen nicht selber als politischen Akt mißversteht.
Alexander Markovics: Der Aufstieg der Neuen Rechten. Arcadi Media, Dresden 2020. 144 Seiten, 19,99 Euro.
Werner Olles
Werner Olles, Jahrgang 1942, war bis Anfang der 1980er Jahre in verschiedenen Organisationen der Neuen Linken (SDS, Rote Panther, Jusos) politisch aktiv. Nach grundsätzlichen Differenzen mit der Linken Konversion zum Konservativismus und traditionalistischen Katholizismus sowie rege publizistische Tätigkeit in Zeitungen und Zeitschriften dieses Spektrums. Bis zu seiner Pensionierung Angestellter in der Bibliothek einer Fachhochschule, seither freier Publizist.
Plötzlich sehnen sich alle nach Identität. Für Rechte ist das ein Heimspiel. Unter Losungen wie „Identität gegen Entfremdung“ ziehen sie seit Jahrzehnten gegen Tendenzen zu Felde, uns unsere nationale Identität madig zu machen.
Ich habe dieses Jahr erst unter dem Buchtitel „Identität oder Egalität“ nachdrücklich auf das Menschenrecht auf Ungleichheit hingewiesen. Ohne Selbstbestimmung der persönlichen und kollektiven Identität gibt es keine Freiheit. Eine globale One World ohne das Recht auf Differenz zum Anderen, ein multinationaler, amorpher Einheitsbrei von Konsumenten, ist eine Albtraumvorstellung.
Das neue Buch von Klaus Kunze: Identität oder Egalität. Vom Menschenrecht auf Ungleichheit
Jeder möchte eine Identität haben. Wo massenhaft dieselben Güter konsumiert und dieselben stereotypen Serien geguckt werden, ist das für manchen schwierig. Auf Sinnsuche findet er nichts, bei der Selbstverwirklichung ist nicht genug Selbstsubstanz zum Verwirklichen vorhanden, und auf der Suche nach „ihrer Mitte“ findet manch eine kriselnde Persönlichkeit keine vor. Da ist jedes Sinnangebot willkommen, das dem schwächelnden Ich neuen Halt bietet, ein neues Zentrum, an das es sich lehnen kann. So vielfältig die Angebote sind, so divers sind die neuen Minderheiten mit jeweils eigener, geliehener Scheinidentität.
Jetzt reiben sich manche Rechte verwundert die Augen: Haben Linke Ihnen das Stichwort geklaut? Diese diskutieren heiß über „Identitätspolitik“, seit diverse „Minderheiten“ genau auf dasjenige Recht pochen, von dem Rechte sich die Rettung ihrer deutschen Identität erhoffen. Diese Minderheiten haben für sich entdeckt, was Linke früher nie wahrhaben wollten: Jeder Mensch besitzt eine persönliche Identität, die auch auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruht. Greift jemand diese Gruppenidentität an, verletzt er jeden Einzelnen, der sich der Gruppe zurechnet.
Für die Deutschen hatte sich im vorigen Jahrhundert keine Identitätsfrage gestellt. Ob man sie gerade amtlich zu Herrenmenschen erklärte oder ab 1945 wie den letzten Dreck behandelte, ob man ihnen vor 1918 erzählte, am deutschen Wesen werde einmal die Welt genesen, oder ob man ihnen gegen Ende das Jahrhunderts einredete, sie seien ein verbrecherisches Tätervolk, war doch immer klar: Die Identität lautete: deutsch.
Identitätenpolitik in der Massengesellschaft
Damit ist es vorbei. Auf deutschem Boden haben sich Parallelgesellschaften gebildet, die nicht deutsch sind und es auch gar nicht sein wollen. In großen Städten sind wir bereits in der Minderheit. Das Jahrhundert der Minderheiten ohne Mehrheit ist angebrochen. Sie drängen an die Macht. Ihnen im Weg steht die Mehrheitsgesellschaft mit ihren überlieferten Vorstellungen von einem guten und friedlichen Zusammenleben. Die für die Mehrheit normale Ideenwelt wird darum erbittert attackiert.
Immer geht es um die Zersetzung und Beseitigung der bestehenden Normen und Institutionen. Zu den Normen gehört die Erfahrung, daß ein Mann und eine Frau als Eheleute und als Eltern zwar keine Garantie, aber die bestmögliche Chance haben, miteinander glücklich zu sein und in ihren Kindern fortzuleben. Leidvolle Erfahrungen zeigen, daß dieses Glück des umfassenden Schutzes durch staatliche Institutionen vor krimineller Gewalt und anderen Nachteilen bedarf. Gute Erfahrung haben wir mit der Idee des freiheitlichen Rechtsstaates, der das gleiche Recht für alle gewährleistet und die Schwachen notfalls vor den Starken schützt.
Solange anderen nicht geschadet wird, läßt er selbst den perversesten Neigungen ihren Freiraum. Das genügt “Minderheiten” aber nicht. Die taz beschwert sich:
Es wäre schön, wenn die Gesellschaft so weit wäre, dass überall alle sie selbst sein dürften. Ist sie aber leider nicht. Darauf zu reagieren ist ein Akt der Selbstverteidigung, der Selbstbehauptung, der Selbstermächtigung. Uns gibt es. Wir sind es wert, daß wir von der Norm abweichen dürfen und nicht im normierten Mainstream untergehen.
Es geht aber schon lange nicht mehr darum, jemandem für sich zu verbieten, von der Norm abzuweichen. Malte Göbel: “Das Problem ist, daß die gesellschaftliche Realität anders aussieht. Die Normen in dieser Gesellschaft sind real und auch die daraus resultierenden Machtstrukturen.” Wer von der Norm abweicht und an die Macht gelangen will, muß die geltende Norm zerstören und seine eigene Befindlichkeit als neue Norm durchsetzen.
Damit “Minderheiten” die Macht ergreifen können, müssen sie also zunächst die bestehenden gesellschaftlichen Normen und Institutionen abräumen. Diesem Ziel dient ihre “Identitätspolitik”. Sie wurde schnell von Kommunisten als Instrument erkannt, das ihnen verhaßte demokratische System zu zerstören. Der englische Publizist Douglas Murray fand den Nukleus des marxistischen Paradigmenwechsels in den Arbeiten der “Postmarxisten” Ernesto Laclau und Chantal Mouffe. Diese wandten sich vom „traditionellen Diskurs des Marxismus“ ab, der sich auf den Klassenkampf und und die ökonomischen Widersprüchlichkeiten des Kapitalismus konzentriert habe. „Doch jetzt“, schreibt Murray, „müsse das Konzept des Klassenkampfes neu geschrieben werden, weshalb sie die Frage aufwerfen:“ „In welchem Umfang ist es notwendig geworden, das Konzept des Klassenkampfes zu modifizieren, um mit neuen politischen Themen – Frauen, nationale, ethnische und sexuelle Minderheiten, Anti-Atomkraft- und institutionskritischen Bewegungen – von eindeutig anti-kapitalistischem Charakter umgehen zu können, deren Identität jedoch nicht auf bestimmte Klasseninteressen ausgerichtet ist.“ (1)
Die postkommunisten Zerstörer unserer demokratischen Normen und Institutionen fahren gern auf dem Trittbrett der “Minderheiten”. Doch was bewegt diese selbst?
Die sozialpsychologische Antwort
In der Neuen Zürcher Zeitung vom 20.6.2020 hat Alexander Grau eine brillante sozialpsychologische Analyse vorgelegt. Ihr Ausgangspunkt ist die historische Einordnung unserer Zeit als fortgeschrittene Massengesellschaft.
Während jeder Mensch Identität(en) benötigt und sucht, gibt es keine sie stiftenden Sinnangebote mehr. Insbesondere prägt nicht mehr die frühere Vorstellung einer durch einen göttlichen Vater geschaffenen und geordneten Welt die Gesellschaft. Hier hatte jeder seine vorgegebene Identität: als Mensch, als Sünder, als Frommer oder, den Geboten folgend, jeweils in seiner Rolle als Kind, Gatte oder Eltern. Die Aufklärung ließ Gott abtreten.
Im 16. Jahrhundert bildete sich die Idee der menschlichen Würde heraus.Udo Di Fabio, 1999 bis 2011 Richter am Bundesverfassungsgericht, identifizierte als materiellen Kern der Idee und Sinn des Begriffs “Würde des Menschen” die säkularisierte christliche Vorstellung von der Gottesebenbildlichkeit jedes Menschen.(2)
„Der moderne Ursprung dieser radikalen Idee liegt auf der Hand. Der Humanismus, repräsentativ verewigt durch die kleine Schrift Pico della Mirandolas über die Würde des Menschen, beginnt die Konstruktion seines Ideengebäudes mit einer im Grunde nur notdürftig kaschierten Gotteslästerung. Die biblische Offenbarung, wonach jeder einzelne Mensch ein Ebenbild Gottes sei, wird von seinen transzendenten theologischen Wurzeln und den praktischen Demutsermahnungen getrennt. Die jeweils einzelne Gottesebenbildlichkeit wird zur Identität des Menschseins schlechthin gemacht, wenn jeder Mensch auf Erden in den Rang eines gottgleichen Schöpfers seines Schicksals, im Range gleich.“
Di Fabio, Udo, Die Kultur der Freiheit, 2005, S.98.(3)
Gott wurde von seinem Thron gestoßen und der Mensch vergöttlicht. Während die Mehrheit mit ihrer Identität zufrieden ist, sehen von deren Normen Abweichende ihre große Chance, die Mehrheitsnormen zu zerstören und – gottgleich – ihre eigenen Normen und ihren persönlichen Lebensstil zu schaffen und durchzusetzen.
Denn jede Frage des Lebensstils, jeder Lebensentwurf will nun genau bedacht sein. Es entsteht das, was der Soziologe Ulrich Beck die postreligiöse Theologisierung des Alltags genannt hat: «Die Entscheidungen der Lebensführung werden ‹vergottet›. Fragen, die mit Gott untergegangen sind, tauchen nun im Zentrum des Lebens neu wieder auf.»
Es gibt keine belanglosen Entscheidungen mehr. Alles wird wichtig und bekommt Bedeutung. Jede Lebenshandlung hat nun symbolischen Gehalt. Jeder Einkauf, jeder Jobwechsel, jeder Sexualpartner wird zu einem Bekenntnis für einen bestimmten Lebensentwurf. Das Ich ist sein eigener Erlösergott geworden.
Doch Götter reagieren empfindlich auf Kritik. Jeder Tadel, jede Mißbilligung ist für sie Häresie. Götter wollen angebetet werden. Das gilt für die Götter archaischer Zeiten, aber auch für die vielen kleinen Millionen Götter der Moderne: Der emanzipierte Individualist unserer Gegenwart will sein Leben radikal autonom führen – und seine Sicht auf sich selbst ist die einzig wahre. Also bitte schön: Die Gesellschaft hat dabei Applaus zu spenden, besser noch Verehrung.
So schnell der Vorhang der Aufklärung sich öffnete und Menschen erkannten, daß wir nur “Zigeuner am Rande des Universums” (Jacques Monod) sind, so schnell schloß er sich wieder. Anstelle der Gott zugewandten Religion trat eine Theologie der Vergöttlichung des Menschen. Grau schreibt treffend:
Das Individuum der emanzipatorischen Moderne möchte nicht nur den Applaus der Masse. Als kleiner Selbsterlösungsgott verlangt es nach einer Echokammer, in der den eigenen Idealen im Kreis Gleichgesinnter gehuldigt wird. Es bildet sich eine soziale Gruppe, deren Mitglieder Götter und Klerus in Personalunion sind: die Minderheit. Hier zelebriert man nicht nur die eigenen Lebensideale als Kult, sondern erhebt sich als Gemeinschaft der Inkarnierten über die Masse. Und das mit Erfolg. Denn in einer Gesellschaft, in der jeder anders sein will, wird die Zugehörigkeit zu einer Minderheit zum Beleg authentischen Selbstseins: Ich bin Minderheit, also bin ich.
Entsprechend wird die Minderheit auch moralisch aufgewertet. Als Produkt des modernen Individualismus übernimmt die Minorität auch dessen moralisches Überlegenheitsbewußtsein. In den Minoritäten und Subkulturen sammeln sich die Unangepaßten und Nonkonformisten und damit die Vorkämpfer eines auch aus ethischer Sicht überlegenen Lebensstils.
Von der Postdemokratie zu ihrer Zersetzung
Während sich die neue Minderheitentümelei sozialpsychologisch aus dem religiösen Bedürfnis erklären läßt, bildet sie gefährlichen Sprengstoff für unsere Demokratie. Die Normen, Institutionen und Spielregeln werden von der Mehrheit bestimmt. Die unter ihrem rechtlichen Schutz stehenden neuen Minderheiten akzeptieren das aber nicht.
Demokratietheoretisch wäre das kein das System gefährdendes Problem. Das Dilemma wird der Demokratie von einer politologischen Konstruktion namens Pluralismus eingebrockt. Dieser zählt nicht zu den Wesensmerkmalen der Demokratie, sondern fließt aus anderen ideologischen Quellen. Er besagt, alle Lebensentwürfe müßten gleichberechtigt sein. Das wäre schön und gut, würden sich alle damit bescheiden.
Viele der “Lebensentwürfe” und neuen Minderheiten-Identitäten genügt das aber nicht. Sie wollen das System sprengen und an die Macht. Das Dilemma des Pluralismus besteht darin, daß er diejenigen schützt, die ihn beseitigen wollen. Sie drängen die Mehrheit zurück. Grau zufolge weicht der Staat vor ihnen zurück und fällt ihnen zum Opfer:
War dieser bis Ende des 20. Jahrhunderts Garant allgemeiner liberaler Grundrechte, so verwandelt er sich in der tribalisierten Minderheitengesellschaft zum Sachwalter des Schutzes von Minoritäten und Partialinteressen. Diese werden umgesetzt, indem der Staat allgemeine Bürgerrechte zurückschraubt: Er verordnet Quoten, greift so in das Eigentumsrecht oder das Wahlrecht ein und versucht, die Sprache zu reglementieren.
Das erklärt, wie der amerikanische Politologe Patrick J. Deneen betont, «warum heutige liberale Staaten – ob in Amerika oder Europa – gleichzeitig dirigistischer und individualistischer geworden sind». Emanzipation und Individualismus erzeugen «einen sich selbst verstärkenden Kreislauf, in dem das zunehmend entwurzelte Individuum den Staat stärkt, der es hervorgebracht hat».
Diese Tendenz wird noch dadurch verstärkt, daß in einer tribalisierten Gesellschaft unterschiedlichste Minderheiten aufeinandertreffen, die in Konkurrenz um die materiellen und ideellen Ressourcen treten. Dabei ergeben sich zwangsläufig Konflikte zwischen einander widerstreitenden Minderheitsidentitäten.
Alexander Grau
Viele Bürger wundern sich seit Jahren, warum unser Staat in immer mehr Lebensbereiche regelnd, fordernd und verbietend eingreift. Während unser Staat nicht mehr in der Lage ist, eine funktionierende Armee aufrechtzuerhalten und die innere Sicherheit zu garantieren, versickern Millionen um Millionen in dubiosen “bunten” Kanälen, werden Gebührenverweigerer härter verfolgt als Randalierer immer mehr Menschen zu staatlich ausgehaltenen Kostgängern und Sozialstaatsuntertanen. Unser Staat wird zunehmend machtloser und zugleich autoritärer. Als schwacher Staat zeigt er sich bei der Verteidigung seiner grundlegenden Werte, Normen und Institutionen, als starker Staat führt er sich auf, seine Bürger administrativ zu gängeln, was sie tun sollen und lassen müssen, ja selbst wen sie lieben müssen und nicht hassen sollen. Grau beobachtet, wie er sich zum autoritären Regelungsstaat mausert:
Die daraus entstehenden Konflikte zwischen verschiedenen Minoritäten sind in einer pluralistischen Gesellschaft jedoch nur durch einen allmächtigen Regelungsstaat auflösbar. Dessen autoritärer Gestus wird noch dadurch gestärkt, daß er nicht im Namen schlichter Macht agiert, sondern als Hüter der überlegenen Minoritätenmoral.
Der Liberalismus erstickt an seinen eigenen Idealen.
Alexander Grau
Die neuen Ideale werden uns bereits täglich im Staatsfernsehen eingetrichtert. Sie sind allerdings gar nicht mehr liberal.
(1) Laclau / Mouffe, Socialist Strategy: Where next, in: Marxism today, Januar 1981, zit.nach Douglas Murray, Wahnsinn der Massen, 2019. S.79
(2) Di Fabio Die Kultur der Freiheit, 2005, S.114, ebenso Herdegen (2005) in Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz-Kommentar, Art. 1 I GG Rdn.7.
Klaus Kunze, seit 1984 selbständiger Rechtsanwalt in Uslar, von 1970-71 Herausgeber eines Science-Fiction-Fanmagazins, von 1977 bis 1979 Korrespondent der Zeitung student in Köln, seit 1978 diverse Beiträge in genealogischen und heimatkundlichen Fachzeitschriften, seit 1989 Beiträge für politische Zeitschriften wie u. a. die Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT
Autor der Bücher:
NEU:
Klaus Kunze: Identität oder Egalität. Vom Menschenrecht auf Ungleichheit. Hier erhältlich!
Klaus Kunze: Das ewig Weibliche im Wandel der Epochen. Von der Vormundschaft zum Genderismus. Hier erhältlich!
Von der totalitären Versuchung des Weltstaats und der Weltkulturen
Ein Empire, das ist seine Definition, ist ein universales Gebilde. Ein Imperialismus beruht auf dem universalen Prinzip.(1) Der Universalismus andererseits ist eine Denkform der Intervention. Denn wo gegen sein Prinzip verstoßen wird, muß er eingreifen, wenn sein Gedankengebäude nicht unglaubwürdig werden soll. Und da sein Gedankengebäude alles umfaßt, hat er auch das Recht im Sinne seines universalen Ordnungsprinzips, überall einzugreifen. Deshalb sind sie untrennbar miteinander verbunden.
Die Selbstreflexion des westlichen Menschen betont spätestens seit den Ideen der Aufklärung und der französischen Revolution, auf die sich vor allem Linke und Liberale gleichmäßig berufen, die menschliche Universalität. Die Rechte stellt seit der Romantik „das Besondere, sprich die kulturellen Eigenarten in den Vordergrund“.(2) Was die Vernunft für gültig erklärt, ist immer und überall gültig. Die Freiheit beginnt jedoch mit der Differenz, der Möglichkeit, nicht nur als Individuum, sondern auch als Kollektiv fundamental anders zu sein. Dieser Unterschied ist unaufhebbar.
Der Universalismus setzt eine Rangordnung zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen. Er behauptet, das Besondere bestehe lediglich als ein Derivat des Allgemeinen, von ihm logisch abhängig, ihm in allem untergeordnet. Das Menschenbild des Universalismus heißt also: Der Mensch ist eine Unterform der Menschheit. Die Menschheit definiert den Menschen, nicht umgekehrt. Der Universalist spricht von „dem“ Menschen in Wahrheit als moralisches Kollektiv, ganz so wie man früher von „dem“ Russen, „dem“ Franzmann, „dem“ Hunnen, „dem“ perfiden Albion gesprochen hat. In Wahrheit spricht er also, wenn er „Mensch“ sagt, nicht von einem Individuum, sondern von der kleinsten Untereinheit des Kollektivs Menschheit.
Der Universalist hat dieser Menschheit seine Gesetze formuliert, von denen er sagt: Diese Gesetze sind, da sie einmal als Essenz alles allgemein Menschlichen erkannt worden sind, als die Gesetze der Menschheit, sie gelten also für jedermann. Alle Besonderheiten haben sich hier unterzuordnen, oder wir können sie nicht mehr als allgemein menschlich akzeptieren.
Der letzte Kampf der Azteken auf dem Tempel von Tenochtitlán – nach Emanuel Leutze
Der Universalismus ist als Ideengebäude tief in der europäisch-orientalischen Tradition verwurzelt. Das Ziel beispielsweise aller monotheistischen Religionen ist die einheitliche, also universale Welt. Die universale Welt erscheint gleichzeitig als eine ganzheitliche, eine integrale Welt: Der perfekte Ausgleich aller Gegensätze in der realen Welt. Ein System verschiedener Völker, Kulturen und Religionen aber erzeugt Spannungen, deren völlige Beseitigung die Voraussetzung für eine harmonische, aufeinander abgestimmte, spannungsfreie Welt ist. Integralismus nennt sich diese restlose Aufeinander-Abgestimmtheit aller gesellschaftlichen Bauelemente, so daß jedes Element von jedem anderen Element abhängt, und keines entfernt werden kann, ohne daß der Aufbau des Ganzen zerstört würde.(3) In der Theorie mag ein solches System leicht herzustellen sein. In der Praxis liefe es zwangsläufig auf einen politischen Totalitarismus hinaus. Denn ein solcher Zustand kann nur geschaffen werden, wenn es einen einstimmigen, harmonischen Chor gibt, der alles eliminiert, was diesen endzeitlichen Weltfrieden stören könnte.
Das Ziel aller monotheistischen Religionen ist die einheitliche, also universale Welt: die ersten Taufen in Kalifornien durch Mönche des Franziskaner-Ordens, 1769
Die Sehnsucht nach universaler Einheit ist das Gegenbild der in der Geschichte immer wieder erlebten Zustände der Wirren und der Unübersichtlichkeit. Harmonie und endzeitliche Einheit konnte es aber in der monotheistisch-religiösen Vorstellung nur im Reich Gottes geben. Solche endzeitlichen, chiliastischen Vorstellungen sind das Kennzeichen dieser ewigen Friedenszustände: Tausendjähriges Reich, Kommunismus, das irdische Paradies der Zeugen Jehovas, das (liberale) Ende der Geschichte. Also ein Austritt aus der Weltgeschichte in eine Welt des endgültigen Glücks oder der göttlichen Gerechtigkeit, die keine zeitliche Kategorie mehr kennt. (Die Aussetzung der Zeitschiene, der Übergang aus einer geschichtlichen in die ungeschichtliche Zeit ist übrigens fast immer ein Hinweis für den Übergang aus einer weltlichen in die religiöse Sphäre). Sie alle sind ewige Friedensreiche, deren Voraussetzung die „Befriedung“ unbotmäßiger Randgruppen ist, also eine interventionistische, ja kriegerische Handlung.
Vor dem Beginn eines „ewigen Friedensreiches“ steht also immer notwendigerweise der Krieg oder, freundlicher ausgedrückt, die Befriedung. Denn Weltfrieden ist nur möglich aufgrund einheitlicher Weltherrschaft. Dieser Weltfriede war für die Völker des Alten Orients das Heil schlechthin. Die umfassende Einherrschaft wurde von ihnen mit der Alleinherrschaft Gottes gleichgesetzt, der einzig möglichen Grundlage eines solchen Weltfriedens. Die jüdische Religion übernimmt dieses orientalische Motiv und von ihr die Christen. Die Puritaner bringen es nach Amerika, die Zeit nach den Founding Fathers säkularisiert es. Nicht zufällig ist es deshalb, daß solche universalen Gebilde wie Imperien es sind, auch universale Friedensordnungen zu etablieren suchen. Wir kennen die Pax Romana, die Pax Britannica und seit einiger Zeit die Pax Americana. Ein Zeitalter der Pazifikationen, der Kreuzzüge gegen das Böse bricht an.
Alle Entwicklungen zu einer einheitlichen Weltherrschaft, sei es mit dem Ziel der Herrschaft eines Landes über die Welt oder eines universalen Weltstaats, führen notwendig zum Empire. Ein Empire definiert alles Fremde durch sich selbst. Dort, wo es kompatibel gemacht werden kann, läßt man es möglicherweise bestehen. Wo nicht, wird es eliminiert. Es ist bestenfalls als unterschiedlichfarbige Garnitur zum gewohnten Gericht erträglich, nicht aber als etwas grundsätzlich anderes. Wenn Rom ein Land eroberte, ordnete es die einheimischen Götter dem römischen Götterkosmos zu und machte es so zum Teil des imperialen Systems. Wohin ein Imperium auch kommt, nichts bleibt unberührt, denn alle Wege führen nach Rom. Keine Deutung bleibt autonom, denn alles bezieht sich auf das Zentrum und erhält von dort seinen Sinn zurück. Das Mittel dieser Einordnung ist der Universalismus. Wohin das Besondere auch flieht, der Universalist ist schon da. Er schafft das einheitliche Bezugssystem, die Nomenklatur, die einheitliche Benennung, die den unterschiedslosen Zugriff auf alles ermöglicht; nichts, was sich der Macht eines Universalisten entziehen könnte. Das Besondere, das sich sein Besonderes außerhalb dieses Systems bewahren will, hat keine Wahl, außer der Unterwerfung oder der Vernichtung.
Ein Empire hat stets die Tendenz, alles Besondere auszulöschen, die Besonderheit der Völker, der Nationen. Volk und Nation tragen Linke, Liberale wie Rechte, sogar viele kommunistische Partisanen im Mund. Was verbindet diese Begriffe? Kurz gesprochen ist die Nation die transzendentale Einheit eines Volkes. Das, was ein Volk von gestern mit dem von morgen verbindet. Die Sprache, die Kultur, die gemeinsame politische und kulturelle Identität, die Geschichte, das kollektive Gedächtnis. Dinge, die zwar ständig in Bewegung sind, die sich aber aus naheliegenden Gründen nicht jeden Tag neu definieren und erfinden lassen.
Der Neomarxist (nicht etwa Marx oder Lenin) will die Völker zugunsten der Menschheit auslöschen, Hitler wollte das Volk zugunsten der arischen Rasse ablösen. Für beide ist der Gedanke unerträglich, daß es für verschiedene Völker dauerhaft bestehende besondere Bedürfnisse geben soll. Der frühe Nationalismus eines Johann Gottfried Herder verteidigt die „Reize von Volkskulturen“ gegen den arroganten und anmaßenden Imperialismus des französischen Hofes, des englischer Kommerzialismus oder des blutleeren Universalismus der Aufklärung.(4)
Johann Gottfried Herder: verteidigt die „Reize von Volkskulturen“ gegen den arroganten und anmaßenden Imperialismus des französischen Hofes, des englischer Kommerzialismus oder des blutleerer Universalismus der Aufklärung.
Der politische Bündnispartner der Aufklärung ist die Republik. Derjenige des Nationalismus ist die Nation. Republik beschreibt eine Staatsform, die kulturell verstandene Nation umschreibt eine Identität. Dieses ursprünglich deutsche, kulturelle Verständnis der Nation, von der hier ausgegangen wird, unterscheidet sich klar von dem westlichen Nationenverständnis, das diese traditionell an den Staat bindet (Frankreich, England, USA). In Deutschland war die Kulturnation vor der Staatsbildung von 1871 vorhanden. Auch der bis Anfang des 19. Jahrhunderts vorhandene Begriff „Heiliges Römisches Reich deutscher Nation“ ist fast immer in der Weise mißverstanden worden, als ob es sich um eine Identität von Reich und deutscher Nation gehandelt habe. Das Gegenteil ist der Fall: Neben der deutschen Nation gab es in diesem Reich nämlich auch eine französische (arelatische bzw. burgundische) und eine italienische Nation mit eigenen Kanzleien und drei Erzkanzlern für jede (nationale) Kanzlei. Die Nation in der deutschen Auffassung ist also (respektlos ausgedrückt) eine Art Gewerkschaft des kulturell Besonderen gegenüber den Allmachtsansprüchen des universal Herrschenden oder wie in der Universität des Mittelalters und der Renaissance die Repräsentanz des Lokalen und des Besonderen im Allgemeinen, der Universitas litterarum, die nicht in diesem Allgemeinen untergehen sollte, sondern es durch seine Besonderheiten bereichern und die Interessen nach kultureller und geographischer Herkunft zu vertreten.
Dieser Nationenbegriff war prägend auch für alle Nationen, die jahrhundertelang Kulturnationen ohne Staat waren, als Untertanen der Kronen Österreich-Ungarns, der Türkei oder Rußlands. Auch in der Sowjetunion hatte man dieses deutsche Nationenverständnis. Wer in die sowjetischen Pässe schaute (das heutige Rußland handelt nach dem selben Prinzip), der sah dort geschrieben: Staatsangehörigkeit: Sowjetisch, Nationalität: Russisch, Tadschikisch, Jüdisch, Deutsch, etc.. In Deutschland lief die Sache umgekehrt, aber nach demselben Prinzip: Bis zum Staatsangehörigkeitsgesetz von 1934 gab es in Deutschland die preußische, bayerische, sächsische, oldenburgische (etc.) Staatsangehörigkeit. Das heißt, in allen von der deutschen Kultur beeinflußten Ländern von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer fielen Staats- und Nationsbegriff auseinander. Die Volkszugehörigkeit war wieder etwas anderes: Sie umfaßte auch die Deutschen in Wolhynien, an der Wolga, in Siebenbürgen oder Moldawien. Daß erst mit dem Staatsangehörigkeitsgesetz von 1934 die westliche Identität von Staat und Nation von Hitler hergestellt wurde, ist kaum ein Zufall. Die deutsche Länder-Staatsangehörigkeit wurde erst (übrigens zeitgleich mit der Einführung der Arier-Gesetze) durch die Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes mit Wirkung vom 7. Februar 1934 aufgehoben. Erst damit war die vollständige juristische Identität von Staat und Nation durch Hitler hergestellt. Das jakobinisch-zentralistische Staatsverständnis der Nationalsozialisten konnte eine Differenz zwischen Nationsbegriff und dem de facto faschistischen Staatsbegriff nicht zulassen. Erst jetzt befand sich die Nation auch in ihrer Macht.
Ein weiteres instruktives Beispiel für das staatsferne Verhältnis von nationaler, kultureller, sprachlicher Identität ist das der arabischen Welt.(5) Wir haben verschiedene Staaten, aber auch eine überstaatliche arabische Identität, die sich von anderen Identitäten, wie etwa den Türken oder Persern scharf abhebt. Wir haben eine starke arabisch-islamische Identität: Arabisch ist die heilige, einzig authentische Sprache des Koran, die Sprache des Propheten. Dennoch gibt es beispielsweise im Libanon oder in Palästina starke christliche Gruppen, die großen Wert darauf legen, daß sie Araber sind. Andererseits gibt es marokkanische oder algerische Nationalisten, die Wert darauflegen, keine Araber zu sein, wie die Berber. Auch hier ist beispielsweise der arabische Nationalismus zunächst eine Antwort auf fremde kulturelle Unterdrückung, teils auf die türkisch-osmanische, teils auf den britischen und französischen Imperialismus. Das Gefühl, eine Nation zu sein, das Wissen um eine arabische Identität, ist jahrhundertealt. Auch sie war natürlich keineswegs staatsgebunden.
Der libysch-arabische Freiheitskämpfer Omar Mukthar in Ketten. Er wurde von den Italienern 1931 hingerichtet.
Die Herdersche Form eines Nationalismus, der in der Differenz etwas Zentrales sieht, das eben den Charme eines jeder Volkes, jeder Kultur, ausmacht, wird in Deutschland seit 1789 mit der Französischen Revolution von einem harten, politisierten, „verstaatlichten“ Nationalbegriff abgelöst. An diesem etatistisch-jakobinischen Nationsbegriff, nicht an Herder, orientierte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die von deutschen Liberalismus getragene deutsche Nationalbewegung.
Es ist kein Zufall, daß sich Daniel Cohn-Bendit, der sich klar an die westlich-französisch-jakobinische Tradition gebunden fühlt, bereits Ende 1993 im „Spiegel“ als Vorreiter für eine später tatsächlich durchgeführte Grundgesetzänderung vehement dafür einsetzt, daß „jegliche völkische und ethnische Definition der Nation aus der Verfassung herausgedrängt“ werde.
Wobei, wie gesagt, die Definition des Volkes von Cohn-Bendit wiederum fälschlicherweise mit Ethnie gleichgesetzt wird, der Nationsbegriff aber auf Staatsebene neutralisiert und universalistisch in den Massen- bzw. Bevölkerungsbegriff aufgelöst werden soll, dem selber ein kollektiver politischer Subjektsbegriff nicht mehr zukommen kann. Hier ging es auch nicht zunächst darum, einzuräumen, ob die Bundesrepublik nun in der Realität längst ein Einwanderungsland sei oder nicht, dafür haben längst die Großkonzerne und ihre fortdauernden Anforderungen nach billigem Nachschub für Arbeitskräfte auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten, gesorgt. Es geht darum, auf Dauer den Begriff Volk und Nation aus dem Vokabular der Demokratie zu tilgen, für die diese Begriffe seit Jahrhunderten ein unverzichtbarer Bestandteil waren. Volk (demos) als Subjekt der Demokratie, des kollektiven Mitbestimmungsrechts, die Nation als Haus dieser Demokratie. Die auch von Herder mitgeprägte Wissenschaft der Anthropologie war bis vor einigen Jahrzehnten stolz darauf, ethnozentristische Überheblichkeit zu kritisieren und die kulturellen Besonderheiten im Sinne Herders zu verteidigen. Sie verstand sich in diesem Sinne ursprünglich als antikolonialistisch.
Doch hier geht es nicht nur um Staats- und Volksbegriff, sondern um etwas viel allgemeineres: es geht um die Frage, ob es jenseits vom einzelnen Menschen und seiner kulturellen Eingebundenheit in seine Gemeinschaft, seine Kultur, etwas allgemeineres gibt: die Menschheit. Und damit Rechte, die einem solchen Konstrukt eigen wären: die Menschenrechte. Wir haben gesehen, daß sowohl die Europäer als auch die Amerikaner die Menschenrechte als ein universal gültiges Naturgesetz ansehen, wenn auch mit leicht unterschiedlichem Interpretationsbereich, da die Amerikaner keinerlei auswärtige Einmischung dulden, weil sie niemanden außer sich selbst für eine genuine Interpretation dieser Rechte als ausreichend kompetent ansehen. Diese Rechte sind self evident, wie es in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung heißt: also aus eigener Kraft und Logik gültig wie ein Naturgesetz, unhinterfragbar wie die Zehn Gebote Gottes.
Wenn George W. Bush fragt: „Why do they hate us?“ und die Antwort nur lautet: Sie hassen unsere demokratischen Institutionen und unsere Freiheit, dann ist diese Erklärung nicht dazu angetan, die Ursache für diesen „Krieg“ zu finden, der entbrennen und furchtbar eskalieren wird und zu deren Löschung vielleicht alles Wasser der Welt nicht ausreichen wird. Die Frage, die der Präsident stellte, war sehr berechtigt. Doch die Antwort fällt nicht aus, als ob sie tiefer bedacht wurde als eine rhetorische Frage. Was bekannte Autoren zum Teil schon lange vor dem 11. September vorausgesehen hatten, nämlich, daß die imperiale Form der internationalen Politik, die der überwältigenden Überlegenheit, auch ein Gefühl der überwältigten Ohnmacht hinterläßt, die, je nach der Konstitution des Opfers in Ergebung oder Widerstand mündet. Das, was der frühere CIA-Berater Chalmers Johnson als „Rückstoß“ (blow back) bezeichnet, die Arroganz als eine notwendige und unausbleibliche Folge der imperialen Allmacht und damit lediglich sagt, „daß ein Land erntet, was es sät“.(6) Ist das so schwierig zu begreifen? Autoren wie Susan Sontag, Noam Chomsky oder Arundhati Roy haben unmittelbar nach dem 11. September 2001 ähnlich argumentiert. Auf sie gehört hat in den USA fast niemand. Die Ohnmachtsgefühle und die damit verbundene Wut über dieses Verhalten wächst in der Dritten Welt, insbesondere in den arabischen Ländern. In den veröffentlichten politischen Analysen des Westens dagegen merkt man davon kaum etwas. Und es entsteht der Eindruck, als beginne man der eigenen Propaganda zu glauben. Das aber war noch stets ein untrügliches Zeichen für den beginnenden Abstieg.
Ist der Erdball tatsächlich die extrapolierte Projektionsfläche der westlichen Zivilisation? Hassen „uns“ die Terroristen, weil sie unsere Werte hassen? Vielleicht. Doch wie steht es mit uns? Hassen wir nicht auch die Werte der anderen Weltteile oder ignorieren sie bestenfalls? Haben wir den Arabern, Indern, Chinesen, Afrikanern nicht gesagt, daß sie ihre eigenen „Werte“ über Bord werfen müssen, um die unsrigen anzunehmen? Haben auch sie sich nicht einmal gefragt: „Why do they hate us?“ Und haben wir diese Frage gehört? Wenn ja, wie lautete unsere Antwort? Hat unsere Antwort Gleichberechtigung gelautet oder lautete sie Unterwerfung und Weltherrschaft? Was waren die Terroristen, bevor sie Terroristen wurden?
Dabei hat man sich in den Vereinigten Staaten über dieses Problem durchaus Gedanken gemacht. Und zwar an hoher Stelle. Galt es nicht, nach dem Fall der Sowjetunion, des Reiches des Bösen, nun an die Verwirklichung des alten Jeffersonschen Reiches des ewigen irdischen Friedens zu gehen? Nach dem Fall des Kommunismus blieben als Haupthindernis die Kulturen. Was hieß: die verschiedenen Religionen der Welt und dagegen die als dialektisches Endstadium der Weltgeschichte sich gerierende und universale Gültigkeit beanspruchende amerikanische Zivilreligion. Samuel Huntington machte sich bereits Anfang der 90er Jahre Gedanken über einen globalen Zusammenprall der Kulturen und seine Folgen für die USA und die westliche Zivilisation.(7)
Doch die Kulturen sind nicht alle gleich bedrohlich, gibt es doch neben dem Islam und Christentum nur die amerikanische Zivilreligion, die von allen Kulturen eine universale Gültigkeit beansprucht. Da die amerikanische Zivilreligion in den vergangenen 200 Jahren durch seine Verfassung das Christentum bereits erfolgreich aus dem staatlichen Leben ausgeschlossen hat, bleibt global vor allem der Islam. Amerikanische Zivilreligion und Islam sind beide in sich bereits als imperial, das heißt auf Weltherrschaft angelegt. Dem System des globalen Amerikanismus und dem System des politischen Islam. Beide sind im höchsten Maße universalistisch, beide erheben einen Absolutheitsanspruch, der ein Nebeneinander der Werte ausschließt. Beide sind religiös oder religiös verbrämt, also gibt es keine Möglichkeit, eines der beiden Denksysteme auch nur teilweise in Frage zu stellen.
Huntington hat unrecht, wenn er auch die heutige Orthodoxie und den chinesischen Konfuzianismus in diese Reihe stellt. Diese sind für die Amerikaner nur deshalb störend, weil sie sich nicht problemlos in das westliche System einpassen lassen, nicht aber, weil diese darauf angelegt sind, die Welt in ihrem Sinne zu missionieren und zu unterwerfen, wie dies jede imperiale Ideologie versucht. Insofern fügt das in Teilen mißverständliche Werk Huntingtons in seinem deutschen Titel noch ein weiteres Mißverständnis hinzu: Es spricht vom „Kampf der Kulturen“, anstatt, wie im Original („The Clash of Civilizations“), von Zivilisationen. Jeder, der die Geschichte der soziologischen Begriffe kennt, weiß, daß Kultur und Zivilisation keine Synonyme, sondern Gegensätze sind. Sie spielten insbesondere im ideologischen Kampf zwischen der angloamerikanischen Welt gegen Deutschland während des Ersten Weltkriegs eine zentrale Rolle. Nämlich im Sinne des Kampfes zwischen der westlich-universalistischen Zivilisation und dem barbarisch-deutschen Kultur-Begriff, der unbedingt zugunsten der Zivilisation gelöst werden müsse, wenn nicht die Welt in der Barbarei versinken solle (in den weiteren Zusammenhang dieses ideologischen Kampfs gehören beispielsweise auch die Begriffsgegensätze von Gemeinschaft und Gesellschaft). Die Vermischung dieser Begriffe in der deutschen Übersetzung Huntingtons ist also ein faux-pas in der denkbar zentralsten Kategorie seines Themas. Denn im Fall der amerikanischen Zivilreligion und des Islam (beide mit dem Anspruch universaler Gültigkeit), spricht man besser von Zivilisation, im Falle des Konfuzianismus oder des Hinduismus von Kultur.
Samuel Huntingtons „The Clash of Civilizations“ ist kein Kampf der Kulturen
Immerhin ist das System Huntingtons in seiner ursprünglichen Fassung kein genuin imperialistisches. Sein Buch war zunächst eine wütende Reaktion auf die Feststellung Francis Fukuyamas von 1992, auf den Fall des Kommunismus folge nunmehr die ewige globale Herrschaft liberaler Werte. Huntington mit einem Seitenhieb auf Fukuyama: „Es ist ungeheuer arrogant und sogar fahrlässig, so zu tun, als sei der Liberalismus durchgesetzt, wenn die Leute in Afghanistan Coca-Cola trinken. Das kann nur jemand sagen, der sich immer nur in den Kreisen bewegt, die ich Davos-Kultur nenne, also einer Elite, die sich auf Weltwirtschaftsforen trifft und mit international kompatiblen Daten und Zahlen hantiert.“(8) Im Gegensatz zu Fukuyama lag dem Weltbild Huntingtons zunächst nicht der Wille zur globalen Unterwerfung der Welt unter die amerikanische Kultur wie bei Fukuyama zugrunde. Der Big Mac solle eben nicht in die Magna Charta eingewickelt werden: „Im Gegenteil“, so Huntington: „Ich bin ja gerade der Meinung, daß der Westen nicht das Recht hat, anderen Kulturen seine Werte aufzuzwingen.“ Aber nach dem Ende des Kalten Krieges könne man überall auf der Welt eine Rückbesinnung der Völker auf ihre eigenen Sprachen, Kulturen, Bräuche usw, also auf ihre eigenen Identitäten, beobachten. Und diese Tatsache werde sich auf die Form künftiger Konflikte auswirken. (Liberaler) „Multikulturalismus bei uns“ gefährde „die USA und den Westen als Ganzes“, der „Universalismus im Ausland“ werde unweigerlich „als Imperialismus erlebt und wird entsprechende Gegenreaktionen provozieren“. Huntingtons Fazit: „Es ist falsch die Welt Amerika gleichmachen zu wollen, aber ebenso falsch ist es Amerika der Welt gleichmachen zu wollen.“(9) So weit, so richtig. Zumindest im Ansatz.
Zwei Dinge bleiben bemerkenswert. Einerseits die Perspektivlosigkeit des Huntingtonschen Blickwinkels. Andererseits das Konstrukt „Westen“, das Rußland, Asien und die arabische Welt ausschließt, Westeuropa aber umso härter in den amerikanischen kulturellen Einflußbereich zwingt. Es beinhaltet die kulturelle (und damit letztlich politische) Identität der USA und Westeuropas. Denn nichts anderes bedeutet der Begriff „Westen“ für Huntington, als die Ausdehnung der Monroe-Doktrin bzw. des Schmittschen Großraumbegriffs der USA auf Westeuropa. Dies scheint man in Europa, trotz einiger existierender Widerstände,(10) immer wieder gern zu übersehen, wenn vom „Westen“ gesprochen wird.
Habent sua fata libelli: Bücher haben ihre Schicksale. Und das Schicksal des Buches vom „Kampf der Zivilisationen“ scheint noch kein abgeschlossenes Kapitel zu sein. Denn Huntingtons Schüler haben kürzlich (mit einem Vorwort von Huntington selbst) ein weiteres Werk herausgegeben, das den imperialismuskrischen Ansatz ihres Mentors geradezu auf den Kopf stellt. Denn es ist bemerkenswert, wie in diesem jüngsten Werk Huntington und sein Harvard-Schüler Lawrence E. Harrison versuchen, diesen Kampf der Kulturen, in die neue imperiale Strategie der USA nach dem 11. September 2001 einzupassen und damit dem Huntingtonschen Zentralwerk, „Kampf der Kulturen“, nachträglich einen neuen Sinn verleihen: Harrison versucht nämlich nun, die Kulturen der Welt moralisch zu gewichten. Er unterscheidet zwischen „fortschrittsgeneigten“ Kulturen und solchen, von denen man dies nicht sagen kann (11) und beruft sich auf Gunnar Myrdals Buch „Asian Drama“ von 1968, in dem dieser zu dem Schluß kam, kulturelle Faktoren, stark beeinflußt von Religion, seien die Haupthindernisse für eine Modernisierung.(12) Nicht der Imperialismus, so Harrison, sei für die wirtschaftliche Unterentwicklung der Welt verantwortlich (dies sei eine insbesondere bei den Lateinamerikanern gern geglaubte Verschwörungstheorie), sondern die „traditionelle Kultur“ bilde das eigentliche Haupthindernis für einen universellen Fortschritt der Menschheit: „[…] traditionelle kulturelle Werte [bilden] die Wurzel von Armut, Autoritarismus und Ungerechtigkeit in Afrika bzw. Lateinamerika […]“(13)
Fortschrittshemmende Faktoren (14) seien beispielsweise die Orientierung an Gemeinschaft und Familie statt an Gesellschaft und Individuum, Genügsamkeit statt dem Wunsch nach materiellem Wohlergehen, Einfluß von Religionen statt Säkularisierung und Belohnung im Diesseits, Orientierung an Vergangenheit und Gegenwart, statt an der Zukunft und so fort. Eine an der Arbeitsethik des Protestantismus orientierte Zivilreligion erscheint selbstverständlich fortschrittsgeneigter als der Katholizismus oder gar der Hinduismus oder der Islam. Kulturelle Differenzen gefährdeten auf Dauer nicht nur den materiellen Fortschritt, sondern auch den Weltfrieden. Und hier wird die Sache interessant: Um hier Abhilfe zu schaffen, bedürfe es nämlich, so Harrison, einer „Veränderung mentaler Modelle“, mithin einer „Veränderung der traditionellen Kultur“. Bislang hätten Weltbank oder Entwicklungshilfeorganisationen wie USAID es versäumt, diese Ursachen der Rückständigkeit zu eliminieren. Bislang habe es Einflußnahme vor allem auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet gegeben. Es werde Zeit, daß internationale Organisationen durch „Interventionen“ auch den kulturellen Wandel förderten und umsetzten.(15) Faktisch bedeutet das: Die UNO und ihre Unterorganisationen, amerikanische und europäische staatliche und nichtstaatliche Entwicklungsorganisationen sowie international operierende NGOs sollen sich zukünftig dafür mit Druck, notfalls mit Interventionen [sic!] dafür einsetzen, daß nur solche autochthonen Kulturen vor Ort überleben, die man in Washington für „fortschrittsgeneigt“, sprich: für ökonomisch mit den Interessen der USA für kompatibel und nützlich hält. Denn, so der französische Regierungsbeamte Pierre Conesa: „Geopolitisch zerfällt die unipolare Welt in einen nützlichen und einen unnützen Teil“.(16) Und genau an dieser Stelle wird der ursprünglich vernünftige Teil des Ansatzes von Huntington, nämlich, daß keine Kultur eine globale Gültigkeit beanspruchen solle, in ihr genaues Gegenteil verkehrt (ganz im Sinne Fukuyamas): Er wird imperialistisch, genauer gesagt, er wird zum generalstabsmäßig geplanten Kulturimperialismus. Die Forderung Harrisons nach Intervention gegenüber nicht fortschrittsgeneigten Kulturen ist nicht ganz neu. Schon Theodore Roosevelt meinte 1904 feststellen zu müssen, daß die Bewohner von Santo Domingo (der heutigen Dominikanischen Republik) zwar auf eine hundertjährige Unabhängigkeit zurückblicken könnten, diese aber einen schlechten und unvernünftigen Gebrauch von ihrer Freiheit gemacht hätten, so daß eine US-Intervention für die Sicherheit von Santo Domingo und die ganze Hemisphäre erforderlich sei.(17) Auch von Hoovers Außenminister Stimson ist bekannt, daß er intern des öfteren die Unfähigkeit vieler lateinamerikanischer Länder beanstandete, sich selbst nach vernünftigen (US-amerikanischen) Maßstäben zu organisieren, was ein amerikanisches Eingreifen notwendig mache.(18) Die Liste amerikanischer Politiker, die eine Intervention zugunsten des Fortschrittsgedankens befürworteten, ließe sich bis in die heutige Zeit fortsetzen. Und, wie das Buch von Huntington und Harrison zeigt, wird diese Argumentationsfigur künftig wohl eher an Bedeutung gewinnen.
Auch Francis Fukuyama („Das Ende der Geschichte“) gehört zu denen, die in der USA das Thema einer universalistischen Weltgesellschaft öffentlichkeitswirksam diskutieren. Sein wahrhaft imperialer Entwurf ewiger globaler amerikanischer Herrschaft bildete, wie erwähnt, seinerzeit den Anlaß für Huntingtons „Clash of Civilizations“. Wobei es sich offenbar bei beiden um die Exponenten zweier verschiedener Richtungen künftiger amerikanischer Außenpolitik handelt. Fukuyama hat diesen Fehdehandschuh Huntingtons aufgenommen und er wirft ihm Halbherzigkeit vor: Er habe den Universalismus der westlichen Werte nicht offensiv genug vertreten. Ja, anderen kulturellen Werten theoretisch sogar eine selbständige Existenzmöglichkeit zugesprochen. Dabei seien die westlichen Werte „kulturübergreifend anwendbar“.(19)
Fukuyama: „Universalität ist auch auf breiter Basis möglich, da die treibende Kraft in der Menschheitsgeschichte und der Weltpolitik nicht kulturelle Vielfalt, sondern der allgemeine Fortschritt der Modernisierung ist, der durch liberale Demokratie und freie Marktwirtschaft seinen institutionellen Ausdruck findet. Der gegenwärtige Konflikt ist keineswegs ein Krieg der Kulturen, in dem sich gleichrangige Kulturkreise gegenüberstehen. Vielmehr handelt es sich um ein symptomatisches Nachhutgefecht derjenigen, die von dieser Modernisierung und daher auch von ihrer moralischen Komponente, dem Respekt vor den Menschenrechten, bedroht sind. […] Wenn wir beispielsweise sagen, daß Rasse, ethnische Zugehörigkeit, Wohlstand und Geschlecht keine wesentlichen Charakteristika des Menschen sind, folgt daraus, daß wir an die Existenz eines gewissen Grundprinzips des Menschseins glauben, das uns alle gleichermaßen vor Verhaltensweisen anderer Gruppen oder Staaten berechtigt. Diese Sichtweise ist die ultimative Begründung, um Argumente zu widerlegen, die die Diskriminierung […] rechtfertigen.“(20)
Francis Fukuyama: In seinen Thesen enttarnt sich die totalitäre Seite des universalen Liberalismus.
Fukuyama kann sich kulturelle Vielfalt und Differenz offenbar niemals als Bereicherung, sondern immer nur als Begründung von Diskriminierung denken. Umgekehrt kann man sich die Überlebensberechtigung kultureller Vielfalt nur in einem Rahmen vorstellen, der sich komplett der liberalen Weltordnung unterordnet, gewissermaßen als polynesischer Ketchup im universalen Hamburger. Oder wie es in seinem Buch „Das Ende der Geschichte“(21) heißt:
„Es ist gar nicht nötig, daß alle Gesellschaften gelungene liberale Gesellschaften werden; es genügt, wenn sie auf ihren Anspruch verzichten, verschiedenartige oder gar höhere Formen menschlicher Organisation zu sein. Die liberale Idee ist drauf und dran, im Weltmaßstab psychologisch zu einem fait accompli zu werden […]“
In kürzerer und schönerer Form hat sich die totalitäre Seite des universalen Liberalismus selten enttarnt. Eine Form des Liberalismus, der sich in den USA inzwischen selbst fälschlicherweise als eine Form des Konservatismus, nämlich als „neokonservativ“ bezeichnet. Und daß Fukuyama auch in Europa seine Anhänger hat, zeigt ein kurzer Blick auf den liberalen „Klassiker“, Sir Ralf Dahrendorf, der, etwas weniger brutal im Ton, meint: „Die liberale Ordnung ist die Ordnung für alle Bürger. Erst wenn diese hergestellt ist, kann man von einer freien Gesellschaft sprechen.“(22)
Fukuyamas Vorwurf an Huntington, er behaupte zwar die Feindschaft der verschiedenen Kulturen, halte aber unsinnigerweise immer noch an deren Gleichrangigkeit fest, hat sich durch das neueste Buch Huntingtons relativiert. Inzwischen scheint es, hat sich im Streit zwischt Huntington und Fukuyama die Waage zugunsten der universalen und imperialen Ideen Fukuyamas geneigt und Huntingtons Schüler frisieren sein Werk nur noch etwas auf die neue neokonservative Linie um, ohne ihren Meister allzusehr in der Öffentlichkeit bloßzustellen. Harrison hat Huntington mit Fukuyama „versöhnt“, indem er klar den unterschiedlichen Wert der Kulturen postuliert und „festlegt“, die niedrigerwertige (um nicht das grammatisch eigentlich korrekte Wort minderwertig zu gebrauchen) müsse zugunsten der höherwertigen, eben der „fortschrittsgeneigteren“ Kulturen, eliminiert werden. Erschreckend ist, mit welcher Vehemenz inzwischen jeder Ansatz verurteilt und in die Ecke barbarischer Menschenfeindlichkeit gestellt wird, der überhaupt die Möglichkeit des Weiterbestandes grundsätzlicher kultureller Besonderheiten ins Auge faßt, auch wenn diese einmal nicht zur Maximierung des ökonomischen Gewinns beitragen.
Doch wie sieht es aus mit den Menschenrechten als Fundament dieser westlichen Wertegemeinschaft? Dagegen werde sich doch nun kaum etwas sagen lassen können, es sei denn, man setzte sich allen Ernstes für die straflose Möglichkeit von Rassenhaß, Völkermord, Witwenverbrennung, Klitorisbeschneidung usw. ein. Oder liegen die Dinge doch etwas diffiziler?
Als die UNO 1947 die „Erklärung der Menschenrechte“ verabschiedete: “Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person[…]. Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit […] Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf den gleichen Schutz durch das Gesetz […] Jeder Mensch hat das Recht an der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen […] Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztlicher Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge gewährleistet […] Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung“, beschloß die „American Anthropological Association“ diese Erklärung nicht zu unterschreiben, mit dem Hinweis, dieses Dokument sei ethnozentrisch. Nun ist den amerikanischen Anthropologen von 1947 vorgehalten worden, daß gerade diese Erklärung zeige, daß es eben doch allgemein- und universalgültige Dinge gebe. Schließlich sei es klar, daß die überwältigende Mehrheit aller Menschen folgenden Behauptungen zustimmen würden:
Leben ist besser als Tod.
Gesundheit ist besser als Krankheit.
Freiheit ist besser als Knechtschaft.
Wohlstand ist besser als Armut.
Bildung ist besser als Unwissenheit.
Gerechtigkeit ist besser als Ungerechtigkeit.
Doch gerade dieser Einwand von Lawrence Harrison,(23) einem Mitarbeiter von Samuel Huntington, zeigt, wie wenig die Wissenschaft sich heute überhaupt der Problematik bewußt ist, über die sie redet, wie wenig sie ihre eigene imperiale Arroganz überhaupt noch bemerkt. Denn wenn wir über Gesundheit, Freiheit, Wohlstand, Bildung oder Gerechtigkeit reden, was meinen wir damit? Heißt Freiheit in Mali oder Neuguinea notwendigerweise dasselbe wie im isländischen Althing? Heißt Gesundheit für den Medizinmann der Yanomami-Indianer dasselbe wie für den Arzt an einer deutschen Universitätsklinik? Heißt Wohlstand im Himalaya-Land Bhutan dasselbe wie in Schweden? Bedeutet Gerechtigkeit für John Rawls dasselbe wie für einen Hindu? Bedeutet Bildung für einen buddhistischen Mönch dasselbe wie für einen Eton-Absolventen? Bedeutet der Tod für einen gläubigen Muslim dasselbe wie für einen atheistischen Harvard-Professor? Das sind Dinge, über die man reden sollte. Rechnen wir diesen Begriffen und Forderungen also nur eine Bedeutungsmöglichkeit zu, dann ist diese Bedeutung im Zweifelsfall stets von der westlichen Werteordnung, von der Vorstellung des „pursuit of happiness“ bestimmt. Wer bestimmt aber, welche dieser Bedeutungen schließlich die ausschlaggebende für die ganze „Menschheit“ sein soll, und welche, wie Fukuyama meint, im Sinne des allgemeinen Fortschritts und der Entwicklung zu eliminieren sei, wenn nicht die schieren Machtverhältnisse?
In der Dritten Welt gibt es mittlerweile eine breite Bewegung, die die Form der westlichen Werte und der Menschenrechte, wie wir sie heute verstehen, und wie sie von westlichen Philosophen und Juristen kanonisiert worden ist, in Frage stellen. Und dies geschieht bei weitem nicht nur, wie immer wieder behauptet wird von Drittwelt-Diktatoren, die ein naheliegendes Interesse haben, daß man ihre Verbrechen nicht bestraft, sondern zunehmend auch von Intellektuellen aus Afrika, Asien und den arabischen Ländern. Schauen wir auf eine frühe Kritik der Dritten Welt, so stößt man auf die Banjul-Charta von 1981.(24) Menschenrechte, so seinerzeit die Afrikaner, seien nicht nur Individualrechte, sondern auch Gemeinschaftsrechte. Und, noch schrecklicher für westliche Ohren: Menschenrechten müßten auch Pflichten gegenüberstehen, Pflichten wiederum gegenüber der Gemeinschaft und der Familie. Der kamerunische Bioethiker Godfrey Tangwa,(25) der dem Rätsel der westlichen Auffassung von Ethik in der amerikanischen John Hopkins-Universität auf die Spur kommen möchte, macht auf fundamentale kulturelle Unterschiede in der Wahrnehmung des Menschen aufmerksam, die sich natürlich notwendigerweise auch in unterschiedlichen Auffassungen seiner „Rechte“ widerspiegeln. In Afrika stehe „das Zusammengehörigkeitsgefühl im Zentrum […], nicht wie im Westen das Individuum.“ Dem Westen müsse klar gemacht werden, daß er „seine Ich-Kultur nicht wie ein Teekannenwärmer der Wir-Kultur“ überstülpen könne. Das abstrahierend-universalistische Denken des Westens äußere sich auch in seiner Manie, Dinge ständig einzuordnen und zu thematisieren, kurzum, in seiner Unfähigkeit, die Dinge ganzheitlich ansehen zu können, wie es sich in einem zentralen Merkmal der westlich-universalen Ethik äußere, zu glauben, die Ethik „funktioniere losgelöst von den Glaubenssätzen und Bräuchen ihrer Gesellschaft“. Tangwa bezeichnet es als „eine Obsession des Westens, ethische Prinzipien als universell gültig zu deklarieren, zu denken, daß Richtiges im Westen auch anderswo auf der Welt richtig sein soll. „Die westliche Kultur“, so Tangwa, „hat ein großes Maul und kleine Ohren“. Seine Forderung, „daß der Westen nicht immer rede, sondern auch mal zuhöre“, wird wohl von den meisten Menschen der Dritten Welt geteilt. Und sollten ethnologische Studien von Wissenschaftlern der Dritten Welt in den Ländern des Westens einmal die Regel werden, dann kann sich dieser Westen darauf einstellen, daß auch der Mensch mit seinen Rechten anders definiert werden wird als zur Zeit.
Godfrey Tangwa: In Afrika stehe „das Zusammengehörigkeitsgefühl im Zentrum […], nicht wie im Westen das Individuum.“
Frantz Fanon hat auf die Dialektik von Kolonisation und Selbstkolonisation hingewiesen; das heißt, der Kolonisierte empfindet seinen eigenen kulturellen Zusammenhang als minderwertig und schafft so selbst die Voraussetzung für eine Kolonisation von außen. Diese Selbstkolonisation hat nicht nur in den von Fanon beschriebenen parasitären Oberschichten der Dritten Welt stattgefunden, sie findet bis heute in der antinationalen Linken Westeuropas statt. Dies wäre nicht besonders bemerkenswert, wenn diese Linke selbst nicht wiederum dieses, ihr Minderwertigkeitsgefühl ständig als Kulturfortschritt exportieren wollte. Ein Export, der zumindest in den Ländern der Dritten Welt ebenso befremdlich wie bevormundend wirkt.
Der deutsch-dänische Kulturkritiker Henning Eichberg hat das (am west-deutschen Beispiel) bereits 1984 so beschrieben: „[…] Der westdeutsche Imperialismus hat eine Mission, eine Lehre. Er belehrt die Völker darüber, daß es die nationale Identität – die ihm Widerstand leisten könnte – gar nicht gebe. Daß sie nur eine Fiktion sei. Schaut her auf uns (West-)Deutsche; wir brauchen dergleichen auch nicht.“(26) Dieser antinationale Herrenmenschen-Blickwinkel trifft aber genauso auf andere europäische und nordamerikanische Linke zu. Gerade das Vorwort des französischen Philosophen Jean Paul Sartre zum Standardwerk des Antikolonialismus „Die Verdammten dieser Erde“ von Frantz Fanon ist ein Paradebeispiel für diesen bisweilen ins Pathetisch-Würdelose oszillierenden Selbsthaß. Daß übrigens die nationale Frage in der Dritten Welt, die für Fanon in diesem Buch eine zentrale Rolle spielt, von Sartre dort nur einmal angesprochen wird und dann auch noch grandios in ihr Gegenteil verkehrt wird, versteht sich fast von selbst: „Man findet [die Nation] dort, wohin er geht, niemals weiter weg – sie wird eins mit seiner [universalistischen] Freiheit“.(27) Heißt: Nation ist identisch mit der (individuellen) Freiheit, eine sonstige Bedeutung hat sie eigentlich nicht. Sie ist, glaubt man dem typisch westlich-europäischen, geistig nomadisierenden und heimatlosen Intellektuellen Sartre, lediglich eine Frage der Immanenz, aber nicht das, was sie nach Fanon eigentlich ausmacht, eine Frage der Transzendenz: der Geschichte, der Kultur.(28) Fanon dagegen: „Dieser [antikolonialistische] Kampf für die Demokratie und gegen die Unterdrückung des Menschen wird Schritt für Schritt die universalistische neoliberale Konfusion aufgeben, um, manchmal auf mühsamen Wegen, bei dem Anspruch auf Eigennationalität anzulangen.“(29) Allerdings nur, und hier zeigt sich der linke Fanon, um später, nach der vollzogenen Befreiung, wieder „innerhalb des Nationalbewußtseins“ ein „internationales Bewußtsein“ zu entwickeln.(30) Das Nationale dürfe freilich nicht mit dem lediglich Ethnischen und einer Stammestümelei verwechselt werden(31) (hier bemerkt man den immer noch vorhandenen französisch-jakobinischen Nationsbegriff Fanons) und nicht mit den Interessen der in Wahrheit antinationalen „nationalen Bourgeoisie“. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang Fanons Überlegungen über die nationalen Kulturen in der Dritten Welt. Sie sind der Kern der früher antikolonialen, heute antiimperialen Rolle des Nationalen:
Frantz Fanon (1925-1961)
„[…] Ich gebe zu, daß die Tatsache einer ehemaligen aztekischen Kultur nicht viel an der Ernährungsweise des heutigen mexikanischen Bauern ändert. Ich gebe zu, daß alle Beweise, die für die Existenz einer reichen Songhai-Kultur erbracht werden könnten, nichts daran ändern, daß die Songhais heute unterernährt, analphabetisch und, zwischen Himmel und Erde geworfen, mit leerem Kopf und leeren Augen dahinleben. Aber es ist mehrfach gesagt worden, daß diese leidenschaftliche Suche nach einer nationalen Kultur vor der kolonialen Ära durch das Bestreben der kolonisierten Intellektuellen legitimiert ist, gegenüber der westlichen Kultur, in der sie zu versinken drohen, Abstand zu gewinnen. Weil sie sich bewußt werden, daß sie im Begriff sind, sich zu verlieren, also für ihr Volk verloren zu sein, machen sich diese Menschen verbissen und besessen daran, wieder Kontakt zu finden zur ältesten, extrem vorkolonialen Quelle ihres Volkes. […] Da die kolonisierten Intellektuellen die gegenwärtige Geschichte ihres unterdrückten Volkes nicht lieben können, für die augenblicklichen Barbareien keine Begeisterung empfinden, haben sie vielleicht unbewußt beschlossen, weiter zurückzugehen, tiefer hinabzusteigen, und ohne Zweifel haben sie mit großem Jubel entdeckt, daß die Vergangenheit nicht voller Schande, sondern voller Würde, Ruhm und Feierlichkeit war. Der Anspruch auf eine vergangene nationale Kultur rechtfertigt nicht nur eine zukünftige nationale Kultur. Er bewirkt auch, auf der Ebene des psychoaffektiven Gleichgewichts, eine Wandlung von entscheidender Bedeutung. Es ist vielleicht noch nicht genügend darauf hingewiesen worden, daß der Kolonialismus sich nicht damit begnügt, der Gegenwart und der Zukunft des beherrschten Landes sein Gesetz aufzuzwingen. Er gibt sich nicht damit zufrieden, das Volk in Ketten zu legen, jede Form und jeden Inhalt aus dem Gehirn des Kolonisierten zu vertreiben. Er kehrt die Logik gleichsam um und richtet sein Interesse auch auf die Vergangenheit des unterdrückten Volkes, um sie zu verzerren, zu entstellen und auszulöschen[…].“(32)
Es ist kein Zufall, daß der Antiimperialismus der 68er, der sich an Che Guevara, Mao und Frantz Fanon orientierte, den „Befreiungskampf der Völker“ unterstützte. Völker waren die Subjekte dieses Geschehens.
Aber Nationen entstanden für Marx in einem bestimmten historischen und ökonomischen Zusammenhang, in denen ihre Existenz „notwendig“, fortschrittlich, war. „Geschichtslose Völker“ waren für ihn weder fähig, eine Bourgeoisie noch eine handelnde Arbeiterklasse hervorzubringen, die einen solchen Prozeß beschleunigen könnten. Für Rudi Dutschke war daher noch die nationale Befreiung die Voraussetzung für eine sozialistische Vereinigung Deutschlands.(33) Man darf allerdings nicht vergessen: sie war auch für ihn nur ein Durchgangsstadium zur dialektischen „Aufhebung“ der Nation. Erst die Aufhebung der kapitalistischen Globalisierung durch die „produktive Einsetzung“, also Instrumentalisierung der nationalen Frage im Befreiungskampf kann also für den Marxisten zu einer „Aufhebung“ der nationalen Frage führen. Die vorherige „Abschaffung“ der nationalen Frage durch die revolutionäre Linke würde sie selbst nach dieser Logik direkt auf die Gleise der liberalen Globalisierung führen.
Nun sollen gewisse Vorstellungen Fanons von Kollektivismus oder Einparteienherrschaft, die in jener Zeit in allen Ländern der Dritten Welt en vogue waren, nicht glorifiziert werden, dennoch scheint es sinnvoll, einmal die unterschiedlichen Denkrichtungen zu beleuchten, die seit den antikolonialen Anfängen bis heute zwischen der antinationalen westlichen Linken und der eher nationalen Bewegungen der Dritten Welt existieren. Und die Rolle der selbsternannten westlichen Theorie-Vormünder in Sachen „nationale Frage“.
Der westliche Intellektuelle belehrt diejenigen der Dritten Welt gern über „die Konstruktion“ des Nationalen oder der Identität – zwei Begriffe, die er zutiefst haßt. Er schwadroniert von der „Ethnisierung des Sozialen“. All diese Begriffsgruppen haben den Vorteil, daß sie ein Phänomen, das erst zu begründen wäre, bereits hinreichend geklärt bzw. disqualifiziert zu haben glauben. Diese Etikettierungen suggerieren: Es gibt keine Nation, es gibt keine Identität, kein Volk, außer einem von uns selbst künstlich konstruierten. Und da diese Konstruktionen uns angeblich am wahren Menschsein hindern, sei es besser, sie ebenso schnell postmodern wieder zu dekonstruieren(34) oder zu eliminieren.
Inzwischen hat sich die neomarxistische Theorie fast völlig von ihren marxistischen Grundlagen verabschiedet. Sie hat sich der Begriffe von Volk und Nation als Trägerinnen des „Fortschritts“ vollkommen entledigt. Sie bleiben übrig als eine veraltete, verrostete Maschine, die, einmal angeworfen, lediglich Faschismus, Rassismus und Krieg produzieren. Wie jede Maschine ist sie nichts Organisches, sondern „konstruiert“. Die Konstrukteure dieser Höllenmaschine waren die Kapitalisten des 19. und 20. Jahrhunderts, und sie hatte lediglich dazu zu dienen, die Arbeiterschaft in Unwissenheit und Abhängigkeit zu halten. Nach dieser sonderbaren Theorie sind also Volk, Nation, Ethnizität, Identität, Konstruktionen,(35) wobei diese Begriffe, je nach Bedarf, munter miteinander identifiziert oder wahlweise auch einmal unterschieden werden, wie es eben gerade in den Kram paßt.(36)
Die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt wissen es in der Regel besser: Wer ihnen ihre nationale Identität nehmen wollte, nähme ihnen das Subjekt des antiimperialistischen Kampfes, der eben dadurch, daß er antiimperial ist, das Soziale mit dem Nationalen verbinden muß, wenn er dem Imperialen etwas Eigenes entgegensetzen will. Denn das universalistische Subjekt Menschheit genügt ihm als Subjekt der Befreiung zunächst nicht, weil er in das Ziel die Befreiung desjenigen mit zur Voraussetzung macht, von dem er sich emanzipieren will. Im übrigen spürt der Unterdrückte in der Dritten Welt, daß ihm da über die Hintertür wieder ein Unterdrückungsmechanismus implantiert werden soll. Die abstrakte „Menschheit“ ist daher angesichts der Not, die ihn umgibt, nicht sein Ziel. Sie ermöglicht lediglich zu einem günstigen Preis die umgekehrte Identifikation des europäischen und nordamerikanischen Linken mit seiner Sache. Aber der europäische und nordamerikanische Linke kommt, wenn er denn kommt, schon wieder als wohlmeinender Imperialist, als jemand, der im angeblich wahren Wissen um die Mechanismen der politischen Ökonomie und als Teil einer selbstentdeckten Avantgarde wieder erzählt, wo es langzugehen hat, nämlich nicht auf dem nationalen oder identitären Weg.
Das ehemals so unkompliziert-positive Verhältnis der Antiimperialisten zu den Befreiungsbewegungen hat freilich einen Riß bekommen, seitdem diese Bewegungen, zumindest diejenigen in der Dritten Welt, seit den 80er, 90er Jahren ihre Waffeneinkäufe immer mehr mit dem Drogenhandel, bestenfalls mit der „Besteuerung“ dieses Handels finanzieren. Auch ernsthafte linke Beobachter der Widerstands-Bewegungen der Dritten Welt bezweifeln inzwischen nicht mehr, daß beispielsweise „das antiimperialistische Programm in Lateinamerika […] heute national-regional“ ist, bestenfalls „mit strategischer sozialistischer Perspektive“, wobei es für die Linke nicht mehr um die Kritik eines Bündnisses mit einer örtlichen Bourgeoisie [im Sinne von Frantz Fanon antinationalen einheimischen Bourgeoisie] gehe, sondern im Falle von Südamerika um die Stützung einer regionalen und leistungsfähigen südamerikanischen Wirtschaft, die sich zwar regional grenzüberschreitend, aber relativ unabhängig von den Bedürfnissen amerikanischer Großkonzerne und Finanzgruppen, entwickeln könne, also: „kleine und mittlere Unternehmen, Kooperativen, strategische Staatsunternehmen und transnationale lateinamerikanische Konzerne“. Die „Washington verbundenen Eliten“ versuchten, die Spielräume für [soziale] Bewegungen, seien sie demokratisierender Art oder auf die Verteidigung nationaler Souveränität ausgerichtet, zu verengen. Diejenigen, die das Weltsystem beherrschen, geben ein für allemal die Regeln vor. […].“(37) Auf dieser Basis scheint ein taktischer antiimperialistischer Konsens von rechts und links durchaus möglich zu sein. Aber auch hier zeigt sich durch die Trennung von „demokratisierenden“ und „nationalen“ Bewegungen in Alternativform, daß die untrennbare Einheit von nationalem und sozialem Kampf in der Dritten Welt weiterhin auch von den gutwilligen, aber stark antinational geprägten europäischen und amerikanischen Linken der Ersten Welt nicht verstanden oder nicht ernstgenommen wird. Und da für die Mainstream-Linke das Postulat der universalistischen einheitlichen Menschheit auf absehbare Zeit vorherrschend bleiben wird, kann eine Zusammenarbeit sowohl für freisinnige Rechte als auch für Linksnationale immer nur punktuell und zeitweilig sein.
Auch in der Dritten Welt gibt es eine schmale Elite, die in der Regel mit Washington verbunden ist oder die ihr Gehalt von einer Unterorganisationen der Vereinten Nationen beziehen, die bislang als vehementeste Vertreter einer Globalisierung in der Dritten Welt aufgetreten sind. Der Druck, der nicht nur wirtschaftlich sondern auch geistig auf die Elite der Dritten Welt ausgeübt wird ist viel größer und umfassender, als man in der Regel in Nordamerika oder Westeuropa weiß, von wo aus dieser Druck ausgeübt wird. „Der Druck“, so schreibt Gamal Nkrumah wenige Tage vor der Katastrophe des 11. September 2001 in der ägyptischen Zeitung Al-Ahram, „der [vom Westen unter der Führung der USA] auf die afrikanischen Regierungen ausgeübt wird, um die westliche Hegemonie zu akzeptieren, ist riesig. Westlich finanzierte think tanks und Forschungsinstitute, verteilt über ganz Afrika, sind auf diesen Zug aufgesprungen und verteidigen verbissen die schlimmsten Exzesse des Neoliberalismus“.(38) Man mag den Wertungen Nkrumahs zustimmen oder nicht, richtig ist, daß über diese think tanks, Forschungsinstitute, von den von nördlichen Ländern subventionierten NGOs Druck nicht nur auf die regierende Elite, sondern auch auf die Intellektuellen ausgeübt wird. Und die Zustimmung, die dem Westen von diesen Personen, zurückfließt, sollte dieser im eigenen Interesse besser nicht für bare Münze nehmen oder für die repräsentative Stimmung in diesen Ländern halten. Wenn etwa der argentinische Jurist Mariano Grondona, der in dem neuesten von S. Huntington herausgegebenen Buch die lateinamerikanische Wirtschaftsmisere einer Mischung aus typisch lateinamerikanischem anti-US-amerikanischem Verschwörungsglauben und kultureller Unterentwicklung zuschreibt oder auch der frühere kamerunische Berater bei der Weltbank, Daniel Etounga-Manguelle das westliche System vehement verteidigt, dürften sie die Stimmung in ihren Ländern wohl kaum vertreten. Daß gerade sie als Vertreter der Dritten Welt in dem neuesten Buch von Harrison und Huntington sprechen, sollte eher verlegen stimmen.
Der Begriff „Armut“ ist durch die Globalisten zu einem scheinbar ganz einfachen Begriff geworden. Man schaut sich das Bruttosozialprodukt, ausgedrückt in Dollar pro Kopf, eines Landes an und schon weiß man, dieses Land ist arm oder reich. Und wenn es mal trotzdem nicht so gut ausschaut, ist der Rest Umverteilung; punktum.
Wie schnell ein solches Denken an die Grenzen führt, mag ein von der Globalisierung noch kaum berührtes Land, der Zwergstaat Sikkim im Himalaya zeigen. Die Bevölkerung dort gehört laut UN-Statistik zu den ärmsten der Welt. Die wenigen Westler, denen es vergönnt war, dieses Land zu besuchen erhielten jedoch ein ganz anderes Bild. Niemand hungert. Die Menschen scheinen glücklich und ausgeglichen. Kultur und traditionelle Kunst werden durch jedermann gepflegt. Jährliche Aufenthalte der Bevölkerung in den Klöstern sorgen für geistige Ausbildung. Das Geld spielt in diesem kleinen Land nämlich nur eine sehr untergeordnete Rolle, weil fast alles auf Tauschhandel beruht. Von Armut ist in diesem Land keine Spur, allerdings auch nicht von Überfluß. Noch nicht. Noch ruht diese Kultur ganz in sich selbst. Erst seit kurzem, nach den ersten Kontakten mit der westlichen Zivilisation, mit den ersten Radios, die man sich für Geld kaufen muß, beginnen sich erste Anzeichen sozialer Unruhe zu zeigen. Ein Fall für Entwicklungshilfe? Ja, vielleicht eine für den Westen. Doch für fast alle Länder der Dritten Welt ist es dafür längst zu spät. Kolonialismus und später Entwicklungshilfe, beides mit dem glühenden Wunsch der Universalisten, ihnen die Zivilisation zu bringen, hat ihnen ihre Logik und ihre Art zu denken, ihr Wertesystem, aufgezwungen. Sie hat ein Wirtschaftssystem geschaffen, das die Kultur und die Geschichte der Länder fast immer ignoriert hat, zunächst weil es ihnen minderwertig erschien, später, weil es ihnen nicht „entwickelt“ und schließlich, weil es ihnen nicht ökonomisch genug erschien.
Was also zeigen diese UN-Statistiken? Sie zeigen, daß ihre wohlmeinenden westlichen Urheber noch immer nichts verstanden haben und daß sie nicht ruhen werden, bis dieses westliche Einheitssystem die Welt umspannt. Die Konsequenzen werden nicht auf sich warten lassen.
Anmerkungen:
1 Dies gilt selbst für Julius Evola, Heidnischer Imperialismus, Leipzig 1933, S. 102 f.
2 Ernest Gellner, Nationalismus. Kultur und Macht, Berlin 1999, S. 144.
3 Zum folgenden: Wilhelm E. Mühlmann, Chiliasmus und Nativismus. Studien zur Psychologie, Soziologie und historischen Kasuistik der Umsturzbewegungen, Berlin 1961, S.281-284.
4 Ernest Gellner, Bedingungen der Freiheit. Die Zivilgesellschaft und ihre Rivalen, Stuttgart 1995, S. 119 f.
5 vgl. dazu neuerdings: Khaled Al-Massalmeh, Nationalismus im arabischen Raum, Hamburg 1999.
6 Chalmers Johnson, Ein Imperium verfällt, München 2001, S. 35.
7 Samuel Huntington: The Clash of Civilizations, New York: Simon and Schuster, 1996; deutsch: Der Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München/Wien 1996. Dieses Buch erschien zuerst in Kurzform eines Artikels „The Clash of Civilization?“ In: Foreign Affairs, Summer 1993, S. 22-47; deutsch: Kampf der Kulturen. In: Zeit-Punkte. Nach uns die Asiaten? Die pazifische Herausforderung, Hamburg 1995.
8 „Einen Melting Pot hat es nie gegeben“. Interview mit Samuel Huntington. In: taz vom 23. 12. 1996.
9 Ebd., Hervorhebung von mir. Bemerkenswert erscheint heute rückblickend, mit welcher Phantasielosigkeit die Linke in Deutschland das Buch Huntingtons aufgegriffen hat und es in einen geradezu monströs-provinziellen Beitrag zur deutschen Asyldebatte umgebacken hat, statt auf den eigentlich revolutionären Ansatz Huntingtons zu verweisen, nämlich seinen Verzicht auf die Grundlagen des amerikanischen Imperialismus, dem Verzicht auf den kämpferischen Universalismus (vgl. etwa die Reaktion auf das taz-Interview Huntingtons. Vgl. etwa Andrea Böhm, „Rassismus light“. In: taz, Weihnachten 1996. Dasselbe gilt mutatis mut-andis für die deutsche Rechte, die aus dem Buch nicht anders herauszulesen vermochte, als seine Absage an den Multikulturalismus.
10 Für die 50er und 60er Jahre vgl. Harold van B. Cleveland, The Atlantic Ideal and Its European Rivals, New York: McGraw-Hill, 1966.
11 Lawrence E. Harrison, Zur Förderung eines fortschrittlichen kulturellen Wandels. In: Samuel P. Huntington und L. R. Harrison (Hrsg.), Streit um Werte. Wie Kulturen den Fortschritt prägen, Hamburg/Wien 2002, S. 311-326.
12 Gunnar Myrdal, Asian Drama: An Inquiry into the Poverty of Nations (1968); deutsch: Asiatisches Drama: Eine Untersuchung über die Armut der Nationen, Frankfurt am Main 1973.
13 Lawrence E. Harrison, Einführung: Warum Kultur wichtig ist. In: Samuel P. Huntington und L. E. Harrison (Hrsg.), Streit um Werte, S.13-34 (25).
14 Vgl. die zehn von Harrison (Streit um Werte) aufgestellten Kriterien für eine fortschrittliche Kultur, in: ebd. S. 315 f.
15 Ebd., S. 29.
16 Pierre Conesa, Gezielte Gleichgültigkeit. Die Welt-Nutzen-Ordnung. In: Le Monde Diplomatique (deutsche Ausgabe) vom 1. 3- 2001. Hervorhebung von mir.
17 David H. Burton, Theodore Roosevelts Social Darwinism and Views on Imperialism. In: Journal of the History of Ideas (New York) 26 (1965), S. 103-118 ( 114 f.).
18 David F. Schmitz, Henry L. Stimson: The First Wise Man, Wilmington, Del.: Scholarly Resources, 2001. Hier sind auch höchst aufschlußreiche Gespräche von Stimson über die Einsetzung lateinamerikanischer Diktatoren, etwa der Familie Somoza in Nicaragua, dokumentiert. Noch bemerkenswerter ist dabei die gleichzeitige komplette Unwissenheit Stimsons über die Verhältnisse in den jeweiligen Ländern, deren Sprache er nicht verstand.
19 Francis Fukuyama, Naipaul statt Huntington. In: Die Welt vom 24. 11. 01.
20 Ebd.
21 Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir? München 1992.
22 Ralf Dahrendorf, Auf der Suche nach einer neuen Ordnung. Eine Politik für das 21. Jahrhundert, München 2003.
25 zu den folgenden Zitaten: Gabrielle Schweizer, Oko-Bio-Kommunitarist. Der afrikanische Bio-Ethiker Godfrey Tangwa kritisiert das westliche Denken. Es sei besessen von dem Drang, seine Werte weltweit durchzusetzen. In: Die Zeit Nr. 6 vom 31. 1.2002, S. 28.
26 Henning Eichberg, Entkolonisierung der Deutschen, in: ders., Die Geschichte macht Sprünge. Fragen und Fragmente, Koblenz 1996, S. 141-145 (144). Erstabdruck in: „wir selbst“, Januar 1984.
27 Sartre im Vorwort zu Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt am Main 1966, S. 18.
28 Dies ist der Grund, warum die meisten westlich sozialisierten Linken ihre Schwierigkeiten mit dem Nationsbegriff haben, sie akzeptieren als befreiende Kategorien nur solche, die sich aus der Immanenz ableiten lassen (unmittelbare wirtschaftliche Bedürfnisse etwa), nicht aber solche der Transzendenz (Geschichte, Kultur, etc.). Vgl. dazu etwa Hardt/ Negri, S. 83 ff. Auf den Nationsbegriff von Hardt/Negri (ebd. S. 107 ff.) lohnt es nicht besonders einzugehen, weil er sich nahezu komplett in der westlichen (in der absolutistisch-jakobinischen Tradition befindlichen) Identifikation von Staat und Nation (Nationalstaat) erschöpft, der hier bestritten wird und der in unserem Zusammenhang nichts zur Klärung des Nationsbegriffs beiträgt.
29 Fanon, Die Verdammten, S. 115.
30 Fanon, Die Verdammten, S. 189.
31 Fanon, Die Verdammten, S. 141.
32 Fanon, Die Verdammten, S. 160 f.
33 Rabehl, Dutschke, S. 112.
34 vgl. beispielsweise: Robin D. C. Kelley, Notes on Deconstructing „The Folk“. In: The American Historical Review 97 (1992), S. 1400-1408.
35 Immanuel Wallerstein, Die Konstruktion von Völkern – Rassismus, Nationalismus, Ethnizität. In: Etienne Balibar, Immanuel Wallerstein, Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg 1998, S. 87-106. (Zuerst erschienen als: The Construction of Peoplehooc Racism, Nationalism, Ethnicity. In: Sociological Forum, II, 2, 1987, S. 37; 387).
36 So versucht Wallerstein (ebd., S. 8 ff.) beispielsweise am Beispiel der im Südafrika des Apartheid-Systems in der Tat konstruierten Identitäten „Weiße“ „Coloureds“, „Schwarze“, ,Asiaten“, die allgemeine Konstruiertheit der Völker nachzuweisen, was jedoch schon daran scheitert, daß ja eine Identitätsfindung immer nur von der betreffenden Gruppe selbst ausgehen kann. Daß es sich hierbei nicht um „Völker“, sondern um definierte „Rassen“ handelt, vermag die Autoren auch kaum zu stören, da sie die: Entitäten sowieso im Endeffekt nicht unterscheiden und sie als Formen des „Überbaus“ samt und sonders als Produkt von Klasseninteressen und als Form der Unterdrückung beschreiben, auch wen sie andererseits wiederum zugeben, man könne den Befreiungsnationalismus der Völker der Dritten Welt nicht mit dem Unterdrückungsnationalismus der Imperialmächte identifizieren. Und so geht es munter fort, bis die Begrifflichkeit schließlich so verworren ist, daß das ganze Knäuel nur noch mit dem Schwerthieb geteilt werden kann, daß man das „Volk“ als „historisches Produkt der kapitalistische Weltwirtschaft“ (ebd., S. 106) denunziert. Was sowohl historisch wie ökonomisch schiefer und absurder kaum sein könnte.
37 „Rückkehr zur Machtlogik des 19. Jahrhunderts“. Interview mit Prof. Heinz Dieterich über „Krieg gegen Terror“ und linke Bewegung, Karl Marx und den Sozialismus im 21. Jahrhundert, die Offensive der USA und die nötigen Strategie der Linken. In: Jungle World vom 27.4.2002.
38 Gamal Nkrumah, Mammon Mad: Western behaviour in Durban made it all so horribly clear. All the rich world cares for is wealth and power. In: Al-Ahram Weekly (Kairo), Nr. 551 vom 13. 9. 2001.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der Zeitschrift Volkslust, August 2004, S. 15-29.
Hans Becker von Sothen
Hans Becker von Sothen (1959–2014) studierte Rechtswissenschaften und Geschichte in Göttingen. Nach beruflichen Zwischenstationen als Buchhändler, Lektor, Ressortleiter bei mehreren deutschen Wochenzeitungen und Gründungsgeschäftsführer der „Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung“ wirkte Becker von Sothen 2005 federführend beim Aufbau des Ares Verlags und prägte dessen Programm.
von Dr. Hans-Thomas Tillschneider / MdL (Gastautor)
Die falsche Bescheidenheit
Sie sind gegeben unter hundert Quäler
und, angeschrien von jeder Stunde Schlag,
kreisen sie einsam um die Hospitäler
und warten angstvoll auf den Einlaßtag.
R.M.Rilke, Von der Armut und vom Tode
In den Kreisen der konservativen Opposition, die über die aktuelle Lage nachdenken, hat sich eine Deutung der Corona-Krise eingeschlichen, die in den Beschränkungen des öffentlichen – und nicht nur öffentlichen – Lebens eine Bestätigung der eigenen Ansichten erkennt. Jüngstes Beispiel: Heino Bosselmann verfällt in der Sezession in ein Lob der Bescheidenheit und des „Mimimum(s) im Verbrauch“ (https://sezession.de/62996/wumms). Haben wir nicht die Entgrenzungsideologien als die reinste Form der Ideologie unserer Feinde ausgemacht, und was widerspricht einer Entgrenzung mehr als die vielfältigen Begrenzungen, niederlegt in den Corona-Verordnungen der Exekutive? Maßhalten, Bescheidenheit, Sich-Zurücknehmen, sind das nicht alles genuin konservative Haltungen? Weshalb also nicht mitmachen oder zumindest das Beste draus machen? Die Antwort ist einfach: Es wäre der Versuch, eine Bewegung, die gegen uns gerichtet ist, in unsere Bewegung umzudeuten. Ein Selbstbetrug, der Maßhalten mit Verkümmerung verwechselt und Sich-Zurücknehmen mit Betrogen-Werden. Es sind schlechte Zeiten, das Mimimum im Verbrauch zu loben.
Legen wir ruhig einmal die offizielle Corona-Version zugrunde, also die Erzählung vom exponentiellen Anstieg der Infizierten und der dann drohenden Überlastung der Behandlungskapazitäten mit den dann notwendigen Entscheidungen, wer weiterleben darf und wer nicht, die so menschenwürdewidrig sein sollen, daß jedes materielle Opfer gerechtfertigt sein soll, wenn es gilt, dergleichen zu vermeiden, was dann als die Letztbegründung für das ganze System der Corona-Verordnungen herhalten muß. Schon in der Welt dieser Erzählung ließe sich anmerken, daß genau genommen nicht das Virus die tiefere Ursache der Krise ist, sondern der Umstand, daß an unseren Krankenhäusern kaum noch freie Kapazitäten vorhanden sind. Was ist das für ein Gesundheitssystem, das unter einer etwas heftigeren Grippewelle oder vielleicht einer doch etwas (aber nicht viel) gefährlicheren Welle als nur einer Grippewelle zusammenzubrechen droht?
Die Zeiten, in denen längst genesene Patienten, die eher an Langeweile als an sonst etwas zu sterben drohten, von übervorsichtigen Onkel-Doktor-Typen überredet werden mußten, zur Sicherheit noch ein paar Tage im Krankhaus zu bleiben, sind vorbei. Heute torkeln eilig vernähte und verbundene Kranke, die noch im Krankenhausbett hätten bleiben müssen, benommen nach Hause. Jeder kennt Geschichten von verfrüht Entlassenen, die als Notfälle mit Entzündungen, nicht heilen wollenden Wunden und aufgeplatzten Nähten wieder eingeliefert werden mußten. Selbst in den Lazaretten während der Weltkriege hat man sich mehr Zeit gelassen. Die Betriebswirtschaftslehre triumphiert über die Medizin. Der Betrieb strebt nicht nach Heilung, sondern nach Auslastung. Das Heilen ist nur noch Mittel zum Zweck, Zweck ist die optimale Nutzung der Kapazitäten. Maximaler Gewinn mit minimalem Einsatz ist die Maxime, die alles regiert. So wird klar: Die Corona-Verordnungen geben nur vor, ihr Zweck bestünde darin, Menschen zu schützen. In Wahrheit schützen sie ein System, das auf der restlosen Verwertung des Menschen, auf der Reduktion jedes Reibungsverlustes, der Optimierung jedes Ablaufs und der Maximierung der Auslastung jeder Kapazität beruht.
Ein Gesundheitssystem, das noch ein Gesundheitssystem ist, dient nicht dem Profit, sondern der Volksgesundheit und hält für alle Fälle, seien es Naturkatastrophen, Terroranschläge oder Epidemien, freie Kapazitäten vor. Ein Krankenhaus ist kein Charterflug, der bis auf den letzten Sitz ausgebucht sein muß. Genau dazu aber ist es unter der Diktatur eines globalen Investitionssystem geworden, und genau das ist der eigentliche Sinn der offiziellen Corona-Erzählung. Zu viele dürfen sich nicht erlauben, auf einmal zu sterben. Die Masse mit Mundschutz soll Extrarunden vor den Hospitälern drehen und artig auf den Einlaßtag warten. Die Intensität der Ausbeutung hat eine Stufe erreicht, wo Zeit und Raum auf immer engere Kreise schrumpfen. Die Reduktion des Radius geht einher mit dem Verlust der Spontanität. Jeder Gruppenspaziergang muß angemeldet werden. Wir müssen auf Schritt und Tritt berechenbarer werden, weil sich so das Maximum an Profit kalkulieren und aus uns herausberechnen läßt. Das ist nichts, was mit dem Corona-Verordnungen in die Welt kam, sondern etwas, was sich in der longue durée vollzieht und sich an den Verschärfungen aller Ordnungsbestimmungen über Jahrzehnte hinweg ablesen läßt.
Wir müssen, bevor wir einen Ofen in unser Haus setzen, um Erlaubnis bitten, brauchen Waffenscheine für Spielzeugpistolen, dürfen nirgendwo mehr rauchen, und wenn wir mehr als 20 Kilometer pro Stunde zu schnell fahren, verlieren wir sofort den Führerschein. Was vor 30 Jahren ein Dummer-Jungen-Streich war, ist nun eine mehrfache Straftat. Jede Lebensäußerung wird auf ein Minimum reduziert. Alles muß im voraus gebucht, reserviert, beantragt, geplant werden.
Die Korona-Verordnungen sind eine Einübung in eine neue Dimension und neue Qualität des Profitsystems, ein Kapitalismus der Unfreiheit. Wir sollen lernen, mit weniger zufrieden sein: Weniger Freiheit, weniger Geld, weniger Leben. Der Anlaß ist beliebig, weshalb alle neuen Nachweise geringer Sterblichkeit und mäßiger Gefährlichkeit des Virus die Exekutive nicht anfechten und an den Verantwortlichen abperlen. Das Ganze ist eine Trockenübung. Wir exerzieren die Reduktion unserer Lebensäußerungen. Dieses Weniger bringt uns aber auf der anderen Seite kein Mehr, der reduzierte Konsum bringt keine Entlastung, im Gegenteil. Wir müssen lernen, noch mehr Profit abzuwerfen, indem wir bei reduzierten Ansprüchen das Gleiche leisten. Einfacher gesagt: Die Preise werden steigen, nicht aber die Werte.
Die Verhausschweinung des Menschen wäre der falsche Begriff, denn ein Schwein, auch ein Hausschwein, ist eine verschwenderische Lebensäußerung. Von stattlicher Leibesfülle vertilgt es Unmengen, hinterläßt Unmengen und erzeugt einen bestialischen Gestank. Wir haben es dagegen eher mit einer Verameisung zu tun. Leben ist Verschwendung und Reibungsverlust. So ist es nur folgerichtig, daß der Maximierung des Profits die Minimierung des Lebens entspricht. Wir werden auf Miniaturformate reduziert, abgespeist mit winzigen und abgeschwächten Rationen, die uns abgewöhnen sollen, was echtes Leben bedeutet. Das ist auch der Sinn des Mundschutzes: Er verhindert ein vitales, sauerstofftankendes Durchatmen, und zwingt uns, im eigenen Atmen zu hecheln, so lange, bis es irgendwann vorbei ist.
Priv.-Doz. Dr. Hans-Thomas Tillschneider (geb. 1978) ist ein deutscher Orientalist und Politiker der AfD. Er lehrt an der Universität Bayreuth Islamisches Recht, sitzt für die AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt und fungiert als Sprecher der AfD-Landtagsfraktion für Bildung, Kultur und Wissenschaft. Gelegentlich ist er publizistisch tätig. Die Orientalistik ist die Wissenschaft von der fremden Kultur. Als solche setzt sie die Differenz zwischen der eigenen und fremden Kultur voraus und richtet sich gegen die vielfältigen Tendenzen der Aufhebung dieser Differenz. Die Orientalistik pflegt die Vielfalt der Kulturen und respektiert jede Kultur in ihrer unvergleichbaren Eigentümlichkeit. Damit hat die Orientalistik das Potential, eine Widerstandswissenschaft gegen den Globalismus zu sein. Als solche wird sie von Tillschneider betrieben.
Nach dem Tod von George Floyd und im Zuge der von „Black Lives Matter“ und der Antifa ausgehenden Krawallen in den USA dürfte es nun wieder so weit sein: Die Rassismus-Debatte wird wieder befeuert. Zahlreiche Gruppen und Minderheiten – längst nicht nur die der Afroamerikaner – werden sich sowohl in Nordamerika als auch in Europa wieder bemüßigt fühlen, all ihre vermeintlich erlebten Diskriminierungen zu thematisieren und dafür wahlweise die Weißen, die Männer, die Heteros, die jeweilige nationale Mehrheitsgesellschaft oder – nicht unwahrscheinlich – alles zusammen verantwortlich zu machen. Begleitet werden wird dies durch „Shitstorms“ in sozialen Netzwerken, durch Hashtags, durch „Aktionen“ und „Aktionstage“, durch staatstragend vorgetragene Kommentare in den linksliberalisierten Massenmedien, durch hörige linke Wissenschaftler, die schon jetzt an neuen Studien über „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ und derlei mehr arbeiten dürften, um die bunte „Zivilgesellschaft“ in ihrem Kampf für die „Diversität“ zu unterstützen und hierfür die metapolitischen Grundlagen zu schaffen.
Soweit zunächst einmal nichts Neues. Neu, jedenfalls relativ neu, sind jedoch die Dimensionen, die die allgegenwärtigen Klagelieder über „Diskriminierung“, „Rassismus“ etc. mittlerweile annehmen. Ein wichtiges Stichwort in diesen neuen Entwicklungen ist hierbei das der „Mikroaggressionen“ – ein Konzept, das vor allem von den universitären Eliten der linksliberalen US-Ostküste geprägt wurde. Was hat es damit auf sich?
Wie man’s auch dreht und wendet…
Der eigentlich schon ältere, aus der Sozialpsychologie stammende Begriff beschreibt eher kurze Momente der Kommunikation bzw. der Interaktion, in denen eine vermeintliche Abwertung einer Seite erfolgt, die vorzugsweise einer gesellschaftlichen Minderheit angehört. Typisch für Mikroaggressionen sind aus der linksliberalen Sicht heraus vor allem angebliche „subtilere“ Abwertungen, etwa wenn eine Person mit offensichtlichem Migrationshintergrund anerkennend zu hören bekommt, sie spreche aber gut Deutsch.
Das Beispiel macht bereits deutlich, wohin hier die Reise geht: Mikroaggressionen sind demnach ein sehr diffuses Phänomen und ermöglichen es, in so gut wie jede Handlung, jede Kommunikation, jede nonverbale Geste Rassismus oder andere Abwertungen hineinzuinterpretieren, egal, ob derlei vom Sender der Botschaft tatsächlich so intendiert war oder nicht. Ein Weißer sagt zu einer dunkelhäutigen Frau, dass Rasse für ihn keine Rolle spiele? In dem Fall werden deren ethnische Identität bestritten und ihr ihre damit verbundenen Erfahrungen abgesprochen. Er sagt hingegen, dass Rasse für ihn ein entscheidendes Merkmal sei? In diesem Fall wird natürlich implizite Kategorisierung aufgrund der Hautfarbe ausgesprochen, was die Frau auf diese „reduziert“ und daher rassistisch ist. Er thematisiert es einfach gar nicht? In dem Fall wiederum liegt eine Mikroaggression vor, weil der besagte weiße Mann versucht, einen identitätspolitischen Diskurs zu unterdrücken. Er fragt, woher sie ursprünglich stammt? Mikroaggression, da implizite, unausgesprochene Exklusion aus dem Aufenthaltsland. Er fragt nicht danach, sondern erklärt sie für „deutsch“? Mikroaggression, da implizite Assimilation; maskuliner, ethnisch-hegemonialer Kommunikationsstil!
Instrumente der Selbstviktimisierung
Und so weiter und so fort. Die Beispiele ließen sich endlos, mit verschiedensten Randgruppen und verschiedensten Kommunikationsthemen, fortführen. Nur eine Seite bleibt immer gleich: Die des „Aggressors“ – der ist stets weiß, hetero, zumeist männlich und nicht-behindert. Das Konzept ermöglicht es zuverlässig, aus jeglicher Situation heraus eine Diskriminierung zu basteln, welche heutzutage, schreit man nur laut genug auf, ein ebenso zuverlässiger Generator moralischer Autorität ist. Eine bekannte Persiflage dessen bietet das Meme „Der Zentralrat der Fliesentischbesitzer ist empört“: Wer eine formalisierte Moralisierungsinstanz gründen kann, der hat es geschafft. Der beständigen Selbstviktimisierung steht nichts mehr im Wege. Wer Opfer ist, dem wird zugehört; koste es, was es wolle.
Im Mittelpunkt dieser Logik steht abermals der heute übliche psychologische Grundsatz „Mein Gefühl hat immer recht“: Sie fühlen sich diskriminiert? Egal, wie begründet dieser Eindruck sachlich betrachtet sein mag? Egal – Sie sind im Recht, wenn Sie dabei nur einer gesellschaftlichen Minderheit angehören. Solange Sie kein Vertreter der (vermeintlich) herrschenden Mehrheit sind, haben Sie grundsätzlich das Recht, sich über alles zu empören.
Nur allzu gern aufgegriffen wird derlei freilich von einem Personenkreis, der Aufmerksamkeit sucht – und dabei gar nicht merkt, wie er das, was er der schweigenden Mehrheit vorwirft, dadurch mittelbar wieder selbst forciert. Anders gesagt: Wer sich in seiner Kommunikation ständig selbst zum Opfer macht, wer sein eigenes Anderssein ständig wieder neu kommuniziert (und dies dann auch noch anklagend und larmoyant), der wird ganz automatisch auch immer mehr darauf reduziert werden, weil die soziale Umwelt irgendwann eben jene Thematik mit ihm oder ihr assoziativ verknüpft. Begleitet wird dieser Teufelskreis nicht selten von einer ausgemachten Mimosenhaftigkeit, im Zuge derer jeder flapsige Spruch eines Senioren an der Supermarktkasse sofort zu einem massiven Drama aufgebauscht wird. Doch anstatt zu versuchen, dazu eine lässige, dickfellige Haltung zu entwickeln, wie es schon allein aus Gründen der psychischen Gesundheit geboten wäre, richtet man den anklagenden Zeigefinger auf die vermeintlich „latent“ und „strukturell“ rassistische / ableistische / heteronormative (etc.) Gesellschaft, die einen tagtäglich wieder neu mikroattackiert.
Eine persönliche Empfehlung
Dabei kann das Leben so entspannt sein, wenn man es anders macht. Ein paar persönliche Bemerkungen in diesem Kontext: Der Autor dieser Zeilen erlebt als (recht aktiver) Rollstuhlfahrer mindestens wöchentlich Situationen, die die liberale US-Ostküste wohl zumindest zu einem hohen Anteil als „mikroaggressiv“ titulieren würde. Beginnend bei Mülltonnen, die den Bürgersteig versperren, über nicht barrierefreie Zugänge und öffentlichen Fernverkehr, institutionelle Unflexibilitäten, neugierige Nachfragen und Blicke, einen manchmal ungefragt und plötzlich schiebende Leute, im Weg stehende Menschen, starrende Kinder, teils mitleidige Blicke oder Sätze, durchaus (zu 99 % nicht böse gemeinte) Vorurteile (z. B. von Leuten, die glauben, als Rollstuhlfahrer müsse man zwingend den ganzen Tag depressiv zuhause sitzen), manchmal auch allzu intime Nachfragen.
Ja – manches findet man dumm oder auch nervig. Wirklich ärgerlich macht es mich jedoch höchst selten. Die meisten Erfahrungen finde ich amüsant und / oder soziologisch spannend, oder ich nehme sie kaum noch zur Kenntnis und vergesse sie nach ein paar Minuten wieder, weil mir meine Zeit und meine Nerven zu kostbar sind, mich noch länger damit auseinanderzusetzen. Doch oft frage ich mich wieder: Was für ein Nervenbündel muss man eigentlich sein, um derlei zum Anlass zu nehmen, deswegen ganze klageliedartige Bücher zu veröffentlichen, Kulturkämpfe auszurufen, absurdeste „wissenschaftliche“ Nischen-Ansätze zu konstruieren („Critical Whiteness“ etc.) und mehr?
Hat man sich dagegen beigebracht, im richtigen Moment einfach mit den Schultern zu zucken, zu lächeln, abzuwinken und mit dem weiterzumachen, was man zuvor getan hat, kann vieles so harmlos sein. Liebe Opfergemeinde der Mikroaggressionen: Ihr glaubt gar nicht, wie zufrieden ihr durchs Leben gehen (oder *rollen) werdet, wenn ihr an eurer inneren Stärke, eurer Charakterfestigkeit und eurem Selbstbewusstsein arbeitet, anstatt immer nur auf andere zu zeigen und auf ein Mitleid zu hoffen, das ihr dann im nächsten Moment ohnehin wieder melodramatisch als die nächste Mikroaggression abtun würdet. Wer sich aus sich selbst heraus definiert anstatt immer nur aus den Fremdbeschreibungen anderer, erlangt eine innere Kraft, die niemand kleinkriegt.
Florian Sander
Florian Sander, M. A., hatte zunächst einen nebenamtlichen Lehrauftrag (2013 – 2015), danach eine hauptamtliche Dozentur (2016 – 2019) an einer Fachhochschule inne, lehrte dort Sozialpsychologie, Soziologie und Politikwissenschaft und arbeitete auch als Verhaltenstrainer. Er ist aktuell Doktorand an der Bielefeld Graduate School in History and Sociology (BGHS), Universität Bielefeld. Von 2009 bis 2014 war er Mitglied des Rates der Stadt Bielefeld. Seit 2018 betätigt er sich als Mitglied der Landesprogrammkommission und des Landesfachausschusses Außen- und Sicherheitspolitik der AfD NRW sowie als Leiter des Arbeitskreises Kommunalpolitik der AfD Bielefeld, deren stellvertretender Kreissprecher er seit 2019 ist. Er war Autor für den Blog Le Bohémien (2010 – 2017), für das Online-Magazin Rubikon (2017 – 2018) und für die Linke Zeitung (2017 – 2018) und schreibt seit 2018 für das Kultur- und Lifestyle-Magazin Arcadi sowie seit 2019 auch für den Blog des Jungeuropa-Verlags, für die rechtsintellektuelle, vom Institut für Staatspolitik (IfS) herausgegebene Zeitschrift Sezession und für das Zentralorgan des Bundes Deutscher Unitarier e. V., Glauben und Wirken.