Ernst Niekisch – Widerstand gegen den Westen

von Uwe Sauermann

Ernst Niekisch – Widerstand gegen den Westen

Meine Dissertation und Promotion liegen eine Weile zurück. Weshalb habe ich Siegfried Bublies, Chef des Lindenbaum-Verlags, dennoch davon überzeugen können, dass eine erstmalige Buchveröffentlichung der zuvor nur als Manuskript zu beziehende Schrift Käufer interessieren könnte? Ganz einfach: Die heutige Rechte leidet unter Ideenarmut. Wer sich vor dem Hintergrund seines Wissens um die „Konservative Revolution“ und ganz allgemein um die Rechte der Weimarer Republik die Rechte der Gegenwart anschaut, erblickt neben völlig verwirrten Rechtsradikalen und einer „Neuen Rechten“, die sich zum Teil mit beachtlichen Durchbrüchen um eine „Metapolitik“ bemüht, eine AfD, die in ihrer Mehrheit einen warmen Platz im Parteiengefüge der BRD einnehmen möchte, was die terroristische „Antifa“ und der „Verfassungsschutz“ so gar nicht leiden wollen. Diese Bemerkung ist vielleicht ungerecht; tatsächlich gibt es in dieser Partei Menschen, die weiterdenken und die wissen, dass Prozentzahlen allein nichts aussagen. Aber es fehlt der große Wurf, ein neudeutsches „Narrativ“, die große Zukunftsvision, die Anhänger und Wähler begeistern könnten. Ernst Niekisch hat so ein „Narrativ“ erdacht, und er hat vor allem Jugendliche zu begeisterten Anhängern gemacht, wenn auch nicht nachhaltig, da der Nationalsozialismus mit seinem billiger zu habenden „Narrativ“ vor der Tür stand. Der Nationalsozialismus ist vorderhand erledigt, und auch Ernst Niekischs Gegenentwurf ist für uns heute nicht mehr nachvollziehbar. Aber seine scharfsinnigen Analysen der überlebten bürgerlichen Gesellschaft, seine vielfältigen Begründungen für einen deutschen Nationalismus und seine Visionen könnten tiefschürfende heutige Rechte zu Überlegungen veranlassen, die Niekischs Ideen zu völlig neuen Bildern einer erstrebenswerten Zukunft des deutschen Volkes führen könnten.

Ernst Niekisch (1889 – 1967) wurde in Armin Mohlers Standardwerk der „Konservativen Revolution“ zugeordnet, was die DDR-Historiographie und die Linken in der BRD stets empörten. War er nicht einer der Ihren? Schließlich hatte er noch kurz vor seinem Tode mit dem SDS in Westberlin gekungelt. Es stimmt: Niekisch hatte sich nach 1945 den Kommunisten bzw. der SED angedient. Allerdings war er da ein körperliches Wrack, wurde von den Russen aus dem Zuchthaus nahezu erblindet befreit, in dem er nach dem Willen des NS-Volksgerichtshofs lebenslang bleiben sollte. Danach versuchte er, wieder politisch wirksam zu werden, aber das war nur möglich, indem er seine Herausgeberschaft und seine Artikel in seiner Zeitschrift „Widerstand“ (1926 – 1934) verharmloste. Einer hat das nicht mitgemacht: Armin Mohler. Er verwies schon früh auf Niekischs grandiose Wirkmächtigkeit während der Zeit der Weimarer Republik.

Armin Mohler hatte schon in seiner Jugend in der Schweiz Niekisch-Texte gelesen. Er war fasziniert von diesem Mann, der kein Nationalsozialist, kein Konservativer, kein Reaktionär und offenbar auch kein Linker war. Niekischs Aufsätze waren in einer Sprache verfasst, die noch nie zuvor und danach gelesen wurde. Manchen erinnerte sie an Heinrich von Kleist. Eben wegen jener Sprache hatte seine Zeitschrift „Widerstand“ in der Weimarer Republik einen Einfluss, der weit über den Kreis seiner engeren Anhängerschaft hinausging.

Ernst Niekisch (1889 – 1967)

Ernst Niekisch war der Anti-Hitler. Aber nicht als Menschenfreund, sondern weil er Hitlers Vision, die sich zumindest vorläufig mit der Herrschaft in Kontinentaleuropa unter Duldung durch die anglo-amerikanischen Mächte begnügte, weit in den Schatten stellte. Für ihn war Hitler das Mundstück eines Deutschland fesselnden Westens. Deutschland hätte all seine Kräfte gegen den Westen, gegen den Liberalismus anspannen und selbst mit Ausnützung des Bolschewismus den nicht nur geistigen Krieg gegen den verderblichen Westen führen sollen, um nicht nur das Versailler Diktat zu sprengen, sondern um ein eurasisches Reich preußischer Prägung zu begründen. Insofern erschien ihm der westorientierte Hitler als „Deutsches Verhängnis“. Die gleichnamige Sonderbroschüre seiner Zeitschrift „Widerstand“ hat er von A. Paul Weber illustrieren lassen, der auch der Zeitschrift selbst über Jahre das Gesicht gab. Dessen in heutigen Schulbüchern wiedergegebene Zeichnung zeigt einen Menschenstrom unter Hakenkreuzfahnen, der in ein riesiges Grab marschiert. Das Grab, das war (und dies wird in den Schulbüchern aus gutem Grund verschwiegen) ein Deutschland unter dem Befehl des Westens. Niekisch hat den Nationalsozialismus verkannt. Der entwickelte sich schließlich zu einer speziellen Art des „Nationalbolschewismus“, aber da saß Niekisch längst im Zuchthaus.

Deutsches Verhängnis 1931/1932 (A.Paul Weber)

Ernst Niekisch wird noch heute als „Nationalbolschewist“ bezeichnet. Das ist unzutreffend, wie ich in meinem Buch zeige. Er war zu der Zeit, als sein „Widerstand“ erschien, der radikalste deutsche Nationalist, der Deutschland in ein Heerlager gegen die westliche Welt verwandeln wollte. Dies mit Hilfe des bolschewistischen Russland, aber eben nur mit dessen Hilfe. Das Gebiet „von Wladiwostok bis Vlissingen” sollte von den „Ideen von 1789” gesäubert und dem „Gesetz von Potsdam” unterworfen werden. Das klingt heute verrückt, aber damals wurde durchaus darüber diskutiert. Das lag auch daran, dass Niekisch nicht etwa als sektiererischer Eiferer empfunden wurde. Seine Sprache war so faszinierend, dass die Ausgaben seiner Zeitschrift „Widerstand“ nicht nur im Kreis von Niekischs Anhängern diskutiert wurden. Intellektuelle aus allen Lagern wurden von Niekischs Stil gefangen. Selbst Joseph Goebbels, den als Anhänger Hitlers Welten von Niekisch trennten, der aber trotzdem vor 1933 versucht hatte, Niekisch für die NSDAP zu gewinnen und auf ihn, wie seine Tagebücher und Ernst Jüngers Aufzeichnungen zeigen, wegen dessen Weigerung wütend war, stand vermutlich so unter dem Eindruck der Sprachgewalt Niekischs oder wollte jedenfalls auf die nachwirkende Niekisch-Begeisterung hochrangiger Parteigenossen wie Werner Best Rücksicht nehmen, so dass er ein eigentlich naheliegendes Verbot des „Widerstand“ 1933 verhinderte, wie ich nach Einsicht in die Gestapo-Akten zeigen kann.

Titelseite der Zeitschrift Widerstand (Mai 1931)

Was sagt uns Niekisch heute? Selbst in einem kleiner gewordenen Deutschland hätte er wohl nicht zur Kapitulation geraten, denn er schöpfte Mut aus allen noch so fern liegenden Entwicklungen, die seinem Deutschland bei der Wiedererhebung hilfreich werden konnten. Seine Hoffnung, die bolschewistische und weltrevolutionäre Sowjetunion, ist zwar Vergangenheit, nicht aber Russland. Aber das heutige Russland hat keine weltrevolutionäre Idee mehr, die mit Deutschland zusammen den Westen aufrollen könnte. Auch wenn russische Intellektuelle wie Alexander Dugin immer wieder von „Eurasien“ schwärmen und sich dabei auch auf Niekisch berufen – dieses Konzept hat wegen der russischen wirtschaftlichen und administrativen Schwäche auf unabsehbare Zeit keine Chancen. Ein wirtschaftliches starkes und machtbewusstes Deutschland hätte zur Zeit des Zusammenbruchs der Sowjetunion vermutlich die Möglichkeit gehabt, zusammen mit dem militärisch immerhin noch starken Russland Geschichte zu schreiben, aber diese Chance wurde vertan, weil die deutsche Regierung eben nicht machtbewusst im Sinne Niekischs war. Heute ist Russland, von der Militärtechnik abgesehen, der Juniorpartner Chinas, aber sich das weit entfernte und nur nominell kommunistische China als Teil einer revolutionären Schicksalsgemeinschaft mit der kleinen BRD zu denken, das wäre wohl nicht einmal Niekisch eingefallen. Womöglich hätte Niekisch heute auf den Islam gesetzt, der einzigen verbliebenen Ideologie, die dem Westen unversöhnlich gegenübersteht, und die sich mittlerweile im gealterten Deutschland nicht nur durch junge Migranten eine Machtstellung geschaffen hat. Das ist Spekulation, aber es ist nicht unwahrscheinlich. Damals hat Niekisch auf den antiwestlichen Bolschewismus gesetzt. Er wollte ihn zu einem „Preußischen Bolschewismus“ umformen. Dies nicht, weil er Anhänger Lenins oder Stalins gewesen wäre, sondern weil er im Bolschewismus die einzige Ideologie sah, die den Deutschland unterdrückenden Westen radikal verneinte. Das ist heute der Islam, der sich zu Niekischs Zeit noch nicht zur weltgeschichtlichen, zumindest aber westeuropäischen Sprengkraft entwickelt hatte. Wie auch immer: Ernst Niekisch war ein „unbedingter Nationalist“. Er wäre sogar ein Bündnis mit dem Teufel eingegangen, wenn es seinem Land genützt hätte. Wie heute zu verfahren ist, müssen diejenigen entscheiden, die seine Schriften gelesen haben und es verstehen, Historisches von dem zu unterscheiden, was Ernst Niekisch noch heute bedeutsam machen könnte.

Mein Buch kann einen gedachten Niekisch in der Gegenwart nicht zeichnen. Das ist auch deshalb nicht möglich, weil Niekischs „Widerstand“ heute in der BRD mit einiger Sicherheit verboten würde. Aber es zeigt sich, dass in der ungleich liberaleren Umgebung der Weimarer Republik eine kleine Zeitschrift mit einem wortmächtigen Herausgeber zwar nicht Welten bewegen konnte, aber doch im Lager der Rechten zum Teil für ein radikales Umdenken gesorgt hat. Der „Widerstand“, eine Zeitschrift mit geringer Auflage (es werden 3000 bis 6000 Exemplare pro Monat geschätzt), hat, wie ich am Beispiel von Parteien, Wehrverbänden und Bünden zeige, erheblichen Einfluss ausgeübt. Mein Buch ist wegen dieser Forschungen auch ein Blick auf die nationalrevolutionäre Variante der Konservativen Revolution. Natürlich gibt es einen großen Unterschied zwischen der Weimarer Republik zu Zeiten Niekischs und der BRD der Gegenwart. Selbst der liberale und heute gefeierte Stresemann wollte die erzwungenen Ostgrenzen um keinen Preis anerkennen. Heute schmerzt es fast niemanden mehr, dass ein Viertel Deutschlands verloren ist, und seine Bewohner in den Westen vertrieben wurden. Und der nationalistische Taumel um die Einheit 1990 ist längst vorbei. Die Regierung der BRD möchte in der Europäischen Union aufgehen und verschließt die Augen vor den Eigeninteressen der Nachbarländer, ganz zu schweigen von den deutschen Interessen. Der Niedergang der USA und der Aufstieg Chinas stellen die Europäer allesamt vor neue Herausforderungen. Ein reiches Feld also, das ein Niekisch der Gegenwart wortmächtig kommentieren könnte. Aber nicht nur kommentiert hat er; er versuchte damals, für die Zukunft und für Deutschland Lösungen zu finden. Verrückte vielleicht, aber immerhin hat er es versucht. Solche strategischen Denker gibt es auf der Rechten heute nicht mehr. Deshalb ist Niekisch, obwohl von der Geschichte überholt, eine Herausforderung für jeden, der oder die über die Gegenwart oder die nahe Zukunft hinausschaut und sich eine Zukunft vorstellt, in der das deutsche Volk noch eine Rolle spielt. Die von Niekisch beeinflussten Nationalrevolutionäre sind zum Teil Widerstandskämpfer gegen das Regime Hitlers geworden, darunter auch ein Autor des „Widerstand“, der hingerichtet wurde. Niekisch selbst wurde 1937 verhaftet und 1939 zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt. Natürlich stimmt es, dass er Antifaschist war, wenn auch als Nationalist, denn er sah im Faschismus eine westlich-romanische Ideologie, eine Versuchung der Deutschen, ein „Deutsches Verhängnis“. Der Russlandfeldzug, seine mordgierige, „Untermenschen“ versklavende Form und sein Ausgang konnten ihn bestätigen und ihn in die Arme der SED treiben, die ihn zum Professor machte. Nach dem Erlebnis des 17.Juni 1953 und dem Ungarnaufstand 1956 hielt er es aber in dieser Partei nicht mehr aus. In einem Interview mit Wolfgang Venohr sagte er: „Ich habe die Politik geliebt, aber sie hat meine Liebe nicht erwidert.“ Er ist gescheitert, aber die Lektüre seiner Schriften von 1926 bis 1934,als er den Deutschen noch eine weltgeschichtliche Rolle zutraute, kann auch heute und trotz einer vordergründig völlig andersartigen Mentalität der Deutschen befruchtend auf Geister sein, die das Zeitbedingte von großen Linien zu unterscheiden wissen.

Uwe Sauermann

Uwe Sauermann studierte in München und Augsburg Politische Wissenschaften, Neueste Geschichte und Völkerrecht. Seine Dissertation ist das hier vorgestellte Werk. Obwohl es danach mehrere Veröffentlichungen zu Niekisch gab, ist Sauermanns Werk bis heute die materialreichste und gelungenste Analyse von Ernst Niekischs Zeitschrift „Widerstand“. Uwe Sauermann war später für das öffentlich-rechtliche Fernsehen tätig, war schon vor dem Ende der DDR Korrespondent in Ost-Berlin und Leipzig, produzierte zeitgeschichtliche Filme und berichtete danach für die ARD u.a. aus Indien, Irak und Afghanistan. Er lebt heute in Berlin.

2 Kommentare zu „Ernst Niekisch – Widerstand gegen den Westen

  1. Ich freue mich auf dieses Buch. Niekisch Analyse des Verfangenseins in Anglo-amerikanische Politik war in der Tat ein Verhängnis. Die Nazis haben nie verstanden warum ihnen England den Krieg erklärt hat und warum diese alle ihrer Angebote zum Frieden Zurück gewiesen haben.

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