Wie souverän ist die Bundesrepublik?

von Dr. Jens Woitas

Wie souverän ist die Bundesrepublik?

Die Fragestellung, mit der ich diesen Artikel überschreibe, hat etwas Anrüchiges, weil sie Assoziationen an sogenannte „Reichsbürger“ wecken kann. Diese gelten spätestens seit der medienwirksamen Razzia des 7. Dezember 2022 gegen einen geplanten Putsch Heinrichs XIII. Prinz Reuß als hochgefährliche Staatsfeinde und besitzen meiner Erfahrung nach auch unter politisch rechts Gesinnten nur ein sehr niedriges Ansehen. Um hier von vornherein eine Grenze zu ziehen, stelle ich diesem Artikel voran, dass ich an folgenden historischen Tatsachen nicht zweifle: Am 23. Mai 1949 wurde die Bundesrepublik Deutschland als Staat (und nicht etwa als Wirtschaftsunternehmen) gegründet. Sie trat die Rechtsnachfolge des 1945 untergegangenen Deutschen Reiches an, allerdings ohne sich selbst als „Reich“ zu verstehen. Mit den Pariser Verträgen vom 5. Mai 1955 gestanden die westlichen Siegermächte USA, Vereinigtes Königreich und Frankreich der Bundesrepublik die Selbstbestimmung über ihre inneren Angelegenheiten zu. Die Frage nach dem endgültigen Status Gesamtdeutschlands blieb dabei offen und wurde erst 1990 unter Einbeziehung der Sowjetunion im sogenannten „Zwei-plus-Vier-Abkommen“ entschieden. Deutschland erlangte seine Einheit und vollständige staatliche Souveränität innerhalb von innen und außen unbestrittener Grenzen. Nach allgemeiner Auffassung wurde damit ein endgültiger völkerrechtlicher Schlussstrich unter den Zweiten Weltkrieg gesetzt.

Mit den letzten Punkten beginnen aber – vor allem wegen einiger politischer Entwicklungen der letzten Zeit – Zweifel , die meiner Meinung nach eine ernsthafte Erörterung der Frage nach dem wirklichen Ausmaß bundesdeutscher Souveränität rechtfertigen.

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Stalingrad – zurückblickend, vorrausschauend

von Rolf Stolz

Stalingrad – zurückblickend, vorrausschauend

Wladimir Putin preist in Stalingrad den großen Sieg im Großen Vaterländischen Krieg und damit indirekt den Ex-Namensgeber der Stadt. Was sollte ein politischer Führer eines Landes, das im Krieg steht, auch anderes tun – unabhängig davon, was er von der Weisheit und den Methoden dieses Vorvorgängers hält? Aber wir Deutsche, die wir trotz Annalenas Geschwätz nicht (noch nicht?) Opfer eines vom Zaun gebrochenen Krieges gegen Rußland sind, haben eigene Interessen und ein Recht auf eigene Sichtweisen. Man kann Rußland, das momentan wahrlich keinen Mangel an Feinden hat, nur raten, nicht seine Zeit zu vertun mit zweihundertprozentigen Nachbetern und Kriegsbegeisterten, sondern auf die guten Gründe zu hören, die vorurteilslose kritische Beobachter vorbringen. Nur Schwächlinge sind abhängig vom lauten Beifallsgetön, nur Feiglinge weichen der Debatte aus.

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Zeitschriftenkritik: CRISIS – „Kinder – Jugend – Familie“

von Werner Olles

Zeitschriftenkritik: CRISIS – „Kinder – Jugend – Familie“

CRISIS, das „Journal für christliche Kultur“, widmet sich in seiner aktuellen Ausgabe (Winter 2022/23) dem Themenkomplex „Kinder – Jugend – Familie“. Woher die Raserei und Unerbittlichkeit kommt, mit der die Zerstörer traditioneller Werte vorgehen, beantwortet die Redaktion in ihrem Vorwort: „Für den Krieg gegen Archetypen braucht es enorme Gewalt!“ In den okzidentalen Gesellschaften sei die Zerstörung bereits eingetreten und damit unsere Lebenskraft als Gesellschaft fatal untergraben.

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Die Prußen – auf den Spuren eines (fast) vergessenen Volkes

von Leif-Thorsten Kramps

Die Prußen – Auf den Spuren eines (fast) vergessenen Volkes

Im Januar 1701 setzte sich der Hohenzoller Friedrich III., Kurfürst von Brandenburg, im ostpreußischen Königsberg die Krone aufs Haupt und nannte sich fortan „König in Preußen“. Die Selbstkrönung des prunksüchtigen Provinzfürsten markierte den Aufstieg Brandenburg-Preußens zur europäischen Großmacht. Über mehr als 200 Jahre hinweg bestimmte der Hohenzollern-Staat ganz entscheidend die deutsche Geschichte. Preußen eroberte sich die Vorherrschaft im Deutschen Reich und wurde zu dessen Machtzentrum. Der Staat Preußen, nach Meinung der Alliierten „Sinnbild deutscher Machtansprüche und Hort des deutschen Militarismus“, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch Beschluß der Siegermächte aufgelöst.

Preußen hat stets zu sehr gegensätzlichen Beurteilungen provoziert. Noch heute assoziiert man Preußen mit Aufklärung und Absolutismus, mit Militarismus und Minderheitenschutz, mit Disziplin und Untertanengeist. Die Mehrheit der heutigen Deutschen verbindet mit dem Namen Preußen in erster Linie wohl den Alten Fritz und den Polizisten mit Pickelhaube.
Doch Preußens Geschichte beginnt nicht erst im Jahre 1701 mit der oben erwähnten Gründung des preußischen Königreiches. Auch nicht mit der Errichtung des Ordensstaates und ebenso wenig mit dem erstmaligen Übertreten der Weichsel durch den Deutschen Orden im Jahr 1231. Die Geschichte Preußens beginnt wesentlich früher.

Der römische Historiker Tacitus erwähnte bereits in seiner im Jahr 98 unserer Zeitrechnung erschienenen „Germania“ als Bewohner der Ostseeküste östlich der Gegenden der „Gotones“ (Goten) die „Aestorium gentes.“ (die Völker der Aestie) Die „Aestier“ blieben in der spätrömischen Kaiserzeit nicht unbekannt. Der damals weltberühmte griechische Geograph Ptolemäus nannte im 2. Jahrhundert die Stämme der „Galindi“ und „Sudini“, die uns später noch als „Galinder“ und „Sudauer“ begegnen werden.

Im Jahr 550 verfaßte der römische Geschichtsschreiber Jordanes eine Abhandlung, in der er, ebenso wie sein Landsmann Tacitus mehr als 450 Jahre zuvor, das Volk der Aestier erwähnt, das östlich des Weichselmündungsgebietes leben soll.
Auch der Wikinger Wulfstan, der 890 von Haithabu (im heutigen Schleswig-Holstein) bis nach Truso an der Nogatmündung gefahren war, sprach von den Gebieten östlich der Weichsel als „Eastenland“.
Um 965, also nur 75 Jahre später als Wulfstan, berichtete der weitgereiste spanische Jude Ibrahim Ibn Jakub davon, daß die Wikinger häufiger ein Volk überfallen würden, das er als „Brusi“ bezeichnet. Der Wohnsitz dieses Volkes soll nach Ibn Jakub an der Ostsee gelegen haben.

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Gedenktag 27. Januar: Der Kaiser, den wir verdient hatten

von Klaus Kunze

Gedenktag 27. Januar: Der Kaiser, den wir verdient hatten

Zum 164. Geburtstag von Kaiser Wilhelm

Hatten wir Deutschen das verdient? Es lief nicht gut für uns im 20. Jahrhundert. Modern betraten wir es, stolz auf unsere technischen Errungenschaften, stolz als Volk der Dichter und Denker. Zwei Weltkriege haben das eine zerstört, 75 Jahre Nachkriegszeit das zweite.

Unsere jeweiligen Staatsoberhäupter haben es nicht verhindert. Immer wieder ließen wir uns führen, und immer wieder führte der Weg am Ende ins Unglück. Sind wir daran selbst schuld?

Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient.Joseph de Maistre (1753-1821)

Es gibt zwei verschiedene Erklärungen für historische Weichenstellungen. Die einen sagen: „Männer machen Geschichte.“ Die anderen sehen Politiker und Staatslenker hervorgehen aus einem komplizierten sozialen Geflecht, einer Art Kräfteparallelogramm. In ihm verkörpern sich soziale Strömungen und emotionale Einstellungen idealtypisch in einer Person. Hätte diese nicht gelebt, wäre es jemand anderes gewesen.

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Das Ende der römischen Republik – eine Analogie zu unserer Gegenwart?

von Dr. Jens Woitas

Das Ende der römischen Republik – eine Analogie zu unserer Gegenwart?

Die auch aus meiner Sicht düstere innen- und außenpolitische Situation unserer Tage führt in rechtskonservativen Kreisen oftmals zu an der Geschichtsphilosophie Oswald Spenglers (1880-1936) und dessen Werk „Der Untergang des Abendlandes“ orientierten Katastrophenerwartungen, in denen der heutige Verfall des westlichen Kulturkreises in einer Analogie zum Ende des weströmischen Reiches im fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung gesehen wird. Als ein herausragendes Beispiel für eine solche Perspektive nenne ich hier das jüngst erschienene Buch „Das neue Volk“ von Simon Kießling. Kießling sieht dort den gesamten Kampf um die Erhaltung der westlichen Zivilisation und ihrer Völker als bereits gescheitert an und setzt seine verbleibende Hoffnung auf die Möglichkeit, dass in ihrer ethnischen Zusammensetzung deutlich veränderten „Europäern“ in ferner Zukunft ähnliche Neuanfänge gelingen könnten wie im Frühmittelalter bei der Gründung Venedigs, das zwar kein direkter Nachfahre des antiken Roms war, aber dennoch eine gewisse Kontinuität verkörpern konnte.

Hierzu muss zunächst als Kritikpunkt angemerkt werden, dass derartig langfristige Perspektiven mit Notwendigkeit den zeitlichen Rahmen von konkreten politischen Ideen und Handlungsvorschlägen sprengen. Hinzu kommt allerdings etwas, das ich als noch sehr viel wichtiger einstufe und deshalb in diesem Artikel näher behandeln möchte: Autoren wie Kießling berufen sich auf Spenglers „Untergang des Abendlandes“, haben aber anscheinend das Buch nicht wirklich gelesen und verstanden. Für Spengler ist zwar das antike Rom gleichsam die Blaupause für das Entstehen, Blühen und Vergehen aller großen Weltkulturen, zu denen auch unsere eigene westlich-europäische Zivilisation, eben das „Abendland“ gehört. Spengler sieht aber die römische Analogie zu seiner und auch unserer Gegenwart keineswegs in der Endphase des Römerreiches, sondern in einer sehr viel früheren Epoche, nämlich dem ersten vorchristlichen Jahrhundert, in dem nach schweren innenpolitischen Auseinandersetzungen und Bürgerkriegen die römische Republik durch eine neue Staatsform, das sogenannte Prinzipat, ersetzt wurde, das man als eine Quasi-Monarchie unter einem Kaiser (Augustus) beschreiben kann. Augustus bezeichnete sich allerdings selbst nicht als Kaiser (lat. imperator), sondern vielmehr als Erster (lat. princeps) unter Gleichen. Die Institutionen der Republik blieben bei diesem Übergang formal erhalten, verloren aber gegenüber der neuen Form autoritärer Herrschaft praktisch völlig ihre Bedeutung.

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Brigadegeneral a.D. Reinhard Uhle-Wettler: Die USA planvoll auf dem Vormarsch – Europa darf nicht zum Spielball US-amerikanischer Weltmachtinteressen werden!

von Brigadegeneral a.D. Reinhard Uhle-Wettler

Die USA planvoll auf dem Vormarsch – Europa darf nicht zum Spielball US-amerikanischer Weltmachtinteressen werden!

Im Jahre 1917 sind die USA mit über einer Million Soldaten über den Atlantik nach Europa gekommen und haben den Ersten Weltkrieg gegen Deutschland entschieden, obwohl sie gar nicht angegriffen war. Dies wiederholte sich im 2. Weltkrieg. Die Niederlage Deutschlands beförderte die USA zur europäischen Macht. Der nun in Gang kommende 3. Weltkrieg ist als ein Krieg zwischen den USA und der eurasischen Großmacht Russland zu deuten.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Verwalter der ehemaligen Sowjetunion, Wladimir Putin, die Verantwortung für etwa 25 Millionen Russen wahrzunehmen hat, die durch den Zusammenbruch der UdSSR unter fremde Herrschaft geraten sind. Während sich also Russland aus den besetzten Gebieten vollständig und ohne einen scharfen Schuss zurückgezogen hat, sind die USA mit ihren NATO-Vasallen und Raketen nachgerückt, ohne auch nur einen einzigen Vorschlag für die Einleitung einer europäischen Friedensperiode zu machen. Präsident Putins Vorschlag für eine Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok stand der amerikanischen One-World-Politik entgegen und wurde nicht ernsthaft diskutiert. Stattdessen zündelten die USA in Georgien, Syrien, dem Irak, Libyen und Tunis, unterstützten den Staatsstreich in der Ukraine zur Ablösung des russlandfreundlichen Staatschefs und Etablierung einer westlich ausgerichteten Regierung. Sie rüsteten die Ukraine sodann mit Waffen, Beratern, Ausbildern und Unsummen von Geldern und Krediten auf, um sie aus dem russischen Einfluss herauszulösen und das Schwarze Meer für westliche Flotten zu öffnen. Darüber hinaus wurden Angebote zum Eintritt in die NATO und die Europäische Union gemacht. Das bedeutet, es wurde ein neuer eiserner Vorhang von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer errichtet. Inzwischen hat der russische Präsident mit seiner Politik des „Bis-hier-her-und-nicht-weiter!“ die Ukraine mit kriegerischen Maßnahmen überzogen, mit denen er sich gegen die amerikanischen Zumutungen wehren zu müssen glaubt. Gewaltige westliche Waffenlieferungen, Satellitenaufklärungsergebnisse sowie geheimdienstliche Unterstützung laufen parallel zu den sogenannten westlichen Sanktionen, die als Wirtschaftskrieg Russland entscheidend schwächen sollen. Dabei wird kaum ausreichend diskutiert, dass die USA damit auf lange Sicht auch die EU schädigen, die auf die eurasischen Ressourcen angewiesen ist. Dies trifft in besonderer Weise vor allem auf die Exportnation Deutschland zu.

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Die ökologische Ethik – eine konservative Ethik?

von Herbert Gruhl

Die ökologische Ethik – eine konservative Ethik?

Albert Schweitzers philosophisches und theologisches Zentralanliegen war seit 1915 die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben. »Ethisch ist der Mensch nur, wenn ihm das Leben als solches, das der Pflanze und das des Tieres wie das des Menschen, heilig ist, und er sich dem Leben, das in Not ist, helfend hingibt.« Seine Auffassung weicht von der bisherigen christlichen insoweit ab, als er uns allen nicht nur die Verantwortung gegenüber den Mitmenschen, sondern sämtlichen Lebewesen gegenüber auferlegt. Die Verantwortung entspringt der natürlichen Ehrfurcht, die dem Menschen angeboren ist und durch sein tieferes Nachdenken bestätigt wird. Albert Schweitzer war überzeugt, daß diese Ethik sich durchsetzen werde, wenn auch erst nach seinem Tode.

Doch es geht nicht nur um die gesamte lebendige Mitwelt im Raum, die Dimension der Zeit ist ebenfalls einzubeziehen. Damit ist die Frage gestellt, inwieweit eine lebende Generation das Recht hat, unwiderruflich Entwicklungen in Gang zu setzen, die kommende Generationen in ihrer gesamten Existenz gefährden und ihnen andere Entscheidungen unmöglich machen. In der bisherigen Geschichte des Menschen gab es diese Gefahr nicht. Die extreme Fernwirkung ergibt sich derzeit automatisch auf Grund der Strukturen heutiger Technik. Die Entscheidung für die Kernenergie zum Beispiel ist eine Entscheidung für unzählige Generationen; diese werden keinen Nutzen mehr aus dem Atomstrom haben, aber die radioaktiven Abfälle mit allen Komplikationen »erben«, ob sie wollen oder nicht. Dies ist leider nicht der einzige gravierende Bereich. Die im Stile der Industrie arbeitende Landwirtschaft beutet heute die Böden kurzfristig aus, indem sie Chemikalien aller Art einsetzt und damit das Bodenleben abtötet. Die letzten Urwälder der Erde werden in einem atemberaubenden Tempo für einige wenige Ernten geopfert, das Klima wird dadurch langfristig geschädigt, so daß künftige Ernten in noch viel größeren Gebieten ausfallen werden. Die Gewässer bis hin zu den Weltmeeren werden verschmutzt und vergiftet (auch durch Versenken radioaktiver Abfälle), so daß künftige Generationen kaum noch Nahrung aus dem Meer gewinnen werden. Die heutige Energieerzeugung und noch mehr ihre Steigerung entscheidet über Klima und Luftzusammensetzung künftiger Jahrzehnte.

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Agnes Miegel: Winterreise I

von Agnes Miegel

Agnes Miegel: Winterreise I

Es ist gar nicht winterlich in dem großen Garten. In der dünnen, hellen Luft, die jene klare Farblosigkeit zeigt, die charakteristisch ist für die Mark, einer sozusagen verständigen Luft gleich fern von dem perlmuttrigen Nebelhauch Westgermaniens, wie von der eindringlichen bunten Scharfumrissenheit der östlichen Ebene – blauen sanft die Waldhügel der Staatsforst, ziehn silbrige Wolken an dem spitzen roten Kirchturm des großen Dorfs vorbei, das jenseits der großen Felder liegt, deren sammetbraune Schollen der Motorpflug umwirft. Eine blasse Nachmittagssonne läßt das Drahtseil aufblitzen, eine Erdkrume fettig glänzen, letzte Distelflocken und raschelnde Halme am Wegrain silbrig leuchten. Ein leichter Wind, duftend vom Acker, von der smaragdgrünen Wintersaat dahinter, von feuchtem Gras an den Gräben, fährt leise sausend über die verfahlte Wiese und riecht fast nach Frühling, wie er die stiftdünnen Kätzchen am Haselstrauch schaukeln läßt, der hier oben am Rand der Böschung zwischen dem rostbraunen kleinen Buchengestrüpp steht.

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DFB-Elf als Menetekel einer zerfallenden Gesellschaft

von Klaus Kunze

DFB-Elf als Menetekel einer zerfallenden Gesellschaft

„Elf Freunde müßt ihr sein!“ So hatte 1957 ein Buchtitel Sammy Drechsels gelautet. Aus Freunden bestand der von Hansi Flick zusammengewürfelte Flickenteppich erkennbar nicht, der bei der WM so jämmerlich scheiterte. Die Neue Zürcher Zeitung berichtete:

Mehr oder minder unverblümt richtete sich die Kritik des Spielgestalters Ilkay Gündogan auch gegen seinen Kollegen aus der Premier League. Der Profi von Manchester City sagte: «Man hatte das Gefühl, dass nicht jeder den Ball unbedingt haben wollte. Wir haben viel zu oft und viel zu einfach den Ball verloren.» Havertz zeigte sich nach dem Spiel irritiert über die Worte Gündogans, er verwies auf die große Anzahl an Torchancen. Die Episode illustriert allerdings auch: Mit jener Harmonie, die Außenstehenden gegenüber gern behauptet wird, ist es im Team des viermaligen Weltmeisters nicht sonderlich weit her.Stefan Osterhaus, Mit dem Rücken zur Wand: Vor dem Spiel gegen Spanien deutet viel auf Spannungen im deutschen Nationalteam hin, NZZ 27.11.2022

Von einer Leidenschaft und Bereitschaft jedes Spielers, unbedingt alles für Mannschaft und Sieg zu geben, war nichts zu sehen – wie auch, bei einer so heterogenen Gesellschaft? Um als Mannschaft zu siegen, hätten sie eine homogene Gemeinschaft bilden müssen und nicht bloß eine zusammengewürfelte Gesellschaft.

Nach außen wurde den hochbezahlten Profis eine Homogenität vorgegeben: aber eine ideologische. Sie nahmen auch folgsam vor den Kameras ihre einstudierten Posen ein. Der Fisch fängt vom Kopf zu stinken an. Der DFB rüstete seine Truppe nicht zum Sieg auf dem Rasen aus, sondern mit woken Clownsfarben. Die vorgesehenen Herrenbinden am Oberarm, wo nach gewisser Tradition politische Armbinden zu sitzen haben, verstießen natürlich gegen das FIFA-Verbot politischer Propaganda auf dem Platz. Die Regenbogenbinden seien überhaupt nicht politisch, wie es vom peinlich dummen DFB-Verantwortlichen hieß, gehörte zum Einfältigsten, was ich je aus Fußballermund gehört habe.

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