Weltrevolution gegen die Globalisierung

von Jens Woitas

Weltrevolution gegen die Globalisierung

Alain de Benoist gilt wegen seines Standardwerkes Kulturrevolution von rechts (1985) als Altmeister nicht nur der französischen nouvelle droite, sondern auch der politischen Rechten in Deutschland. Es ist daher verwunderlich, dass viele seiner jüngeren Publikationen keine deutsche Übersetzung erfahren haben und deshalb in den politischen Diskussionen unserer Tage praktisch keine Rolle spielen, obwohl sie uns aus meiner Sicht in der verworrenen Problematik unserer Gegenwart erhellende Erkenntnisse liefern könnten. Ich denke hier vor allem an Le moment populiste – Gauche-droit, c’est fini („Der populistische Moment – Rechts-links, das ist vorbei“, 2017) und Contre le liberalisme („Gegen den Liberalismus“, 2018). Die zentrale Aussage dieser Bücher ist, dass der klassische politische Links-rechts-Gegensatz in unserer Zeit durch einen Konflikt zwischen globalistischen Eliten einerseits und Globalisierungsverlierern und –gegnern andererseits abgelöst worden ist, wobei letztere durch einen Populismus politisch repräsentiert werden, der seinem Wesen nach weder „links“ noch „rechts“ ist. Gemeinsamer Gegner von „Linken“ und „Rechten“ ist in diesem Bild der globalistische Liberalismus. In dessen Bewertung kann es keine Differenzierung zwischen Wirtschaftsliberalismus („Neoliberalismus“) und Gesellschaftsliberalismus (Gender, diversity, Menschenrechtsideologie, Auflösung gewachsener Identitäten und Bindungen) geben, weil beide Spielarten des Liberalismus untrennbar miteinander verbunden sind. Dazu kommt eine Erkenntnis, die Alain de Benoist schon im April 2020, also unmittelbar nach dem Ausbruch der Corona-Krise, in seinem Aufsatz After Covid bei Telospress publizierte: Die Globalisierung ist Geschichte!

Diese theoretischen Versatzstücke liefern uns ein Werkzeug, mit dessen Hilfe eine Vielzahl scheinbar widersprüchlicher Entwicklungen unserer politischen Gegenwart in ein geschlossenes Bild gebracht werden können. Die Bundestagswahl hat ein Ergebnis mit sich gebracht, in welchem die AfD bei einer letztlich unbefriedigenden Stimmenzahl verharrt, gleichzeitig meine frühere Partei DIE LINKE eine katastrophale Niederlage erleidet und auch die Grünen trotz der Allgegenwart des Klima-Themas weit hinter den Erwartungen zurückbleiben. Trotz einer allgemein verbreiteten Unzufriedenheit steht am Ende dieser Wahl eine klare Mehrheit für ein „Weiter so!“ einer unbestimmten liberalen „Mitte“. Entweder führt dies zu einer in sich widersprüchlichen und damit kaum handlungsfähigen Dreierkoalition oder sogar zu einer „Zombifizierung“ der Merkel-Regierung, die angesichts fruchtloser Bemühungen um eine Regierungsbildung noch für lange Zeit geschäftsführend im Amt bleiben könnte. Angesichts der oben erwähnten Erkenntnisse Alain de Benoists ist ziemlich klar, warum alle Ansätze zu einer deutlichen politischen Veränderung bei der Wahl gescheitert sind: Die Linken versteifen sich in ihrem phantomhaften „Kampf gegen rechts“ darauf, die menschliche Sehnsucht nach gewachsenen Bindungen und Identitäten zu verteufeln. Diese Dinge widersprechen aber bei näherer Betrachtung dem Ziel einer sozialen Gesellschaft nicht, sondern befördern sogar diese Zielsetzung. Die Rechten übersehen in ihrem durchaus berechtigten Eintreten für Volk und Nation, dass man dabei nicht gleichzeitig an einer globalisierten Weltwirtschaft festhalten kann, weil die Zersetzung der Nationalstaaten und auch die Massenmigration in hohem Maße das Ergebnis von Sachzwängen des globalen Kapitalismus sind. Zumindest der „westliche“ Teil der AfD denkt und handelt noch immer noch wirtschaftsliberal und somit automatisch auch globalistisch, während im „östlichen“ Teil zwar inzwischen von „Sozialpatriotismus“ (Benedikt Kaiser) gesprochen wird, aber ohne damit wirklich konkrete Ideen zur Lösung drängender wirtschaftlicher Probleme, vor allem der beständigen Instabilität des Finanz- und Eurosystems, zu verbinden. Die Grünen haben sich schließlich die falsche Vorstellung zu Eigen gemacht, dass man die Klimaproblematik durch „grünes Wirtschaftswachstum“ im Einklang mit Globalisierung und Kapitalismus lösen könnte. Dies ist aus rein physikalischen Gründen ein Irrweg: Wirtschaftswachstum bedingt immer einen höheren Energieumsatz, und damit auch eine stetige Erwärmung des thermodynamischen Systems „Planet Erde“.

Man könnte fast alle diese Widersprüche vermeiden und so zu sehr viel besseren Politikansätzen kommen, wenn man begreifen würde, dass für alle drei genannten politischen Richtungen der Liberalismus ein gemeinsamer Gegner ist, und zwar in seiner unauflösbaren Kombination aus Wirtschafts- und Gesellschaftsliberalismus. Es scheint mir aber so zu sein, dass an diesem Punkt ein großer Teil der Menschen schon weiter ist als die Politik und ihre Organisationen. Parallel zu der Verzweiflung, die sich in unserer Gegenwart gleichermaßen bei „Rechten“, „Linken“ und „Grünen“ breitmacht, gibt es eine mächtige, praktisch weltweite, Bewegung gegen den globalen Liberalismus, die sich Woche für Woche in stetig wachsenden Demonstrationen von Australien bis Europa äußert. Man muss wahrscheinlich bis 1968 zurückgehen, um eine Protestbewegung von ähnlich globalem Ausmaß zu finden. Der Begriff „global“ führt hier nicht zu einem Widerspruch in sich, denn er bezieht sich nur auf den Wunsch praktisch aller Völker dieser Welt nach nationaler und demokratischer Selbstbestimmung. Der Widerstand gegen die repressive Corona-Politik ist dabei aus meiner Sicht nur ein gemeinsamer Ansatzpunkt für eine Opposition gegen die gesamte Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik der letzten 30 bis 40 Jahre. Man mag aus einer eigenen ideologischen Verortung – sei sie links oder rechts – skeptisch auf solche Proteste blicken, die offensichtlich noch nicht wirklich Form und Inhalt gefunden haben. Aber werden hier nicht – in marxistischer Sprechweise ausgedrückt – die Globalisierungsverlierer und –gegner, Hillary Clintons basket of deplorables, von einer „Klasse an sich“ zu einer revolutionären „Klasse für sich“, indem sie den Mechanismus ihrer Unterdrückung erkennen, um sich dann erfolgreich gegen diese Unterdrückung wehren zu können? Dazu kommt, dass der gegenwärtige Zustand von Weltwirtschaft und Weltfinanzsystem tatsächlich in hohem Maße an Karl Marx‘ Beschreibung des an seinen eigenen Widersprüchen scheiternden Spätkapitalismus aus dem Kapital erinnert. Mit der Entleihung dieser marxistischen Begrifflichkeiten rede ich keineswegs einer Rückkehr zum spätestens 1991 katastrophal gescheiterten Staatssozialismus das Wort. Den geistigen Bezugsrahmen für die heutige Weltrevolution liefert nicht Lenin, sondern Julius Evola mit seiner Revolte gegen die moderne Welt. Die Zielvorstellung ist also nicht irgendeine Form von „Kommunismus“, sondern eine Überwindung des Kapitalismus in einer Synthese, welche die traditionelle, vorkapitalistische Gesellschaft der gewachsenen Bindungen und Identitäten mit den materiellen Errungenschaften des Industriezeitalters vereinigt.

Alain de Benoist: der Anfang vom Ende der Globalisierung

Ist dies nicht allzu utopisch? An dieser Stelle kommt die letzte der eingangs zitierten Erkenntnisse von Alain de Benoist ins Spiel, nämlich dass das Ende der Globalisierung unter Umständen bereits stattgefunden hat, ohne dass uns dies bewusst ist. Bei der praktisch weltweiten Panikreaktion auf „Corona“ wurde im Frühjahr 2020 faktisch der „Aus“-Schalter des globalen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems gedrückt ohne sich bewusst zu sein, dass für solche – im Liberalismus immer nur informellen – Ordnungen nicht ohne weiteres ein „Ein“-Schalter existiert (Gertrud Höhler: „Die Corona-Bilanz“). Die Folgen zeigen sich mit etwas Verspätung in diesen Tagen: Der Abbruch von internationalen Lieferketten und die krisenbedingte Entlassung von Transportarbeitern führen bereits jetzt zu merklichen Engpässen bei der Güterversorgung, die sich aller Voraussicht nach noch dramatisch verschärfen werden. Zusätzlich zu den dadurch verursachten Preissteigerungen treten inflationäre Tendenzen auf, deren Ursache eine kaum wieder zu bereinigende Verzerrung des Geldwertes durch die Injektion von Billionen nicht wertgedeckten Zentralbankgeldes in die Finanzmärkte während der Corona-Krise ist. Zumindest auf dem Gebiet der Wirtschaft könnte es also selbst nach einer Aufhebung der Corona-Maßnahmen keine Rückkehr zum global-liberalen status quo vor der Krise geben. Die Untrennbarkeit von Wirtschafts- und Gesellschaftsliberalismus stellt aber dann automatisch auch letzteren infrage.

Man kann dies auch als Globalisierungsgegner nicht bejubeln, weil die unvermeidliche Folge davon spürbare Wohlstandsverluste sind, und wahrscheinlich sogar Mangelerscheinungen wie sie jüngere oder mittelalte Deutsche nie erlebt haben. In ärmeren Weltregionen führen diese Kollateralschäden der Corona-Politik schon heute zu einer fünfstelligen Zahl von Hungertoten pro Tag und zur Paralysierung ganzer Staaten wie etwa des Libanon, was wiederum unberechenbare Kriegsrisiken mit sich bringt. In der bundesdeutschen Wohlstands- und Migrationsgesellschaft drohen zudem bislang unbekannte Gewaltausbrüche, sobald der Sozialstaat angesichts einer zunehmenden Wertlosigkeit des Geldes die ohnehin schon bestehenden inneren Konflikte nicht mehr mit materiellen Gaben zuschmieren kann. Trotzdem ist es gut, dass wir einem Punkt nahe gekommen sind, an dem eine Politik des „Weiter so!“ ganz einfach krachend an der Realität scheitern muss. Nur über einen solchen Tiefpunkt hinweg kann nämlich ein sehr viel besserer, post-globalistischer, Zustand erreicht werden. Die notwendige Rückkehr von Nationalstaaten und Regionen als hauptsächlicher Bezugsrahmen von Politik und Wirtschaft und die erlebte Bedeutung von Familie und Nachbarschaft in einer Krise führen nämlich nicht nur zu einer Renaissance gewachsener Bindungen und Identitäten. Sie erzeugen darüber hinaus quasi von selbst eine soziale und auch nachhaltige Gesellschaft. Wer sich Gemeinschaften zugehörig führt, die schon lange vor der eigenen Geburt existiert haben und noch lange nach dem eigenen Tod weiterexistieren werden, der wird von selbst darauf achten, dass er den folgenden Generationen dieselbe lebenswerte Umwelt hinterlässt, die er in seiner Kindheit vorgefunden hat. Zusammen mit dem Wegfall vieler unnötiger Reisen und Transporte durch die De-Globalisierung könnten auf diese Weise Umwelt und Klima wirksam geschützt werden, ohne dass es dazu die Verbiesterung und die Verbote der heutigen „Klima-Bewegung“ bräuchte.

Auch das aus „rechter“ Sicht zentrale Problem des schleichenden Verschwindens der europäischen Völker im Zuge der Massenmigration könnte durch die anti-globale Weltrevolution eine unkonventionelle, überraschende Lösung finden. Ich lasse keinen Zweifel daran, dass auch für mich der ethno-kulturelle Volksbegriff eine hohe Bedeutung besitzt. Ohne ethnos gibt es nämlich auch keinen demos, und die sichtbaren Folgen der globalistischen Verneinung des ethno-kulturellen Volkes sind heute schon Re-Tribalisierung und Staatszerfall. Trotzdem ist der ethnos nicht allein durch seine schiere Existenz schon ein demos, also ein demokratisches Staatsvolk.Ein politisches „Volk“ ist nicht gleichsam automatisch immer schon vorhanden, es entsteht erst dadurch, dass es sich in einem politischen Willensakt selbst als ein solches begreift. Die Franzosen wurden erst durch die Revolution von 1789 zu einem selbstbestimmten Volk, die Polen wurden es erst nach dem gewaltsamen Ende ihres Königreiches (1795) durch den zähen inneren Widerstand gegen die Auslöschung ihrer Staatlichkeit, und auch ein politischer Begriff von „Deutschland“ entstand erst im 19. Jahrhundert durch Befreiungskriege, Vormärz und die – leider unvollendete – Revolution von 1848. Die Folgerung daraus ist, dass die anti-globale Revolution auch ein erneuertes politisches Bewusstsein von einem demokratisch selbstbestimmten deutschen Volk hervorbringen könnte. Dieses politische Bewusstsein wäre aber weitgehend von der ethnischen Abstammung unabhängig und könnte so meiner Ansicht nach ohne weiteres von einer nennenswerten Zahl von Migranten geteilt werden. So würde den heutigen ethno-kulturellen Spaltungstendenzen auf einer politischen Ebene entgegengewirkt, ohne damit Begriffe wie „Volk“ und „Nation“ irgendwie in ihrer Bedeutung zu schmälern. Mir erscheint ein solcher Ansatz sehr viel aussichtsreicher als die aus schierer Verzweiflung geborenen Diskussionen um „Reconquista oder Sezession“ (Martin Sellner), wie sie zurzeit unter rechten Dissidenten geführt werden.

Zusammenfassend möchte ich feststellen, dass es auch und gerade in der finster und hoffnungslos erscheinenden Gegenwart unserer Tage deutliche Vorzeichen einer besseren Zukunft gibt. Man muss sie nur wahrnehmen und in der Lage sein, sie richtig zu deuten. Das Spätwerk von Alain de Benoist kann dabei auch für uns Deutsche ein wichtiger Wegweiser sein.

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Dr. Jens Woitas

Dr. Jens Woitas

Jens Woitas, geboren 1968 in Wittingen (Niedersachsen), verheiratet, lebt (mit einigen Unterbrechungen) seit 1970 in Wolfsburg. Abitur 1988, dann Zivildienst und Tätigkeit als Gartenarbeiter. Studium der Physik in Clausthal-Zellerfeld und Tübingen, dann Promotion zum Doktor der Naturwissenschaften in Heidelberg (1999). Wissenschaftlicher Mitarbeiter an astronomischen Forschungsinstituten in Tübingen, Heidelberg und Tautenburg (1995-2005), dann Unternehmensberater. Seit 2011 Erwerbsunfähigkeitsrentner. Von Kindheit an lebhaft an Politik, Geschichte, Literatur und Religion interessiert, Mitglied der evangelisch-lutherischen Kirche und von 2017 bis 2020 Mitglied der Partei DIE LINKE. Neben einer Reihe von Artikeln in astronomischen Fachzeitschriften auch Autor einer autobiographischen Erzählung (Schattenwelten, Mauer Verlag, Rottenburg am Neckar 2009). In den letzten Jahren intensive Beschäftigung mit dem Denken des Neomarxismus und der „Neuen Rechten“ unter Einbeziehung französischer Originaltexte, insbesondere von Alain de Benoist und Jean-Claude Michéa.

Im Lindenbaum Verlag ist soeben das Buch „Revolutionärer Populismus. Das Erwachen der Völker Europas“ von Dr. Jens Woitas erschienen.

Linksnationalismus – Traumgebilde und historische Realität

von Dr. Winfried Knörzer

Linksnationalismus – Traumgebilde und historische Realität

Seit Gründung der Zeitschrift wir selbst im Jahre 1979 haben sich die Macher der Zeitschrift (die Gründungsmannschaft rekrutierte sich ausschließlich aus rechten politischen Gruppierungen) darum bemüht, die Lagerkonfrontation zwischen links und rechts aufzulockern. Mit dem Aufkommen der GRÜNEN schien ohnehin die alte Gesäßgeographie der Vergangenheit anzugehören. Wertkonservative, Natur- und Heimatschützer, ehemalige Kommunisten, unorthodoxe Sozialisten und Nationalpazifisten fanden zusammen, denn die ökologische Frage (Kampf gegen AKW, die Maßlosigkeiten einer Konsum- und Wegwerfgesellschaft, zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft, Umweltzerstörungen einer profitorientierten Gesellschaft) ließ die alten ideologischen Gegensätze als nebensächlich erscheinen. Auch die NATO-Nachrüstungspolitik zwang zu neuen Allianzen. Die nationale Frage wurde nun auch von Linken als Frage nach der fehlenden staatlichen Souveränität wahrgenommen und die fehlende Einheit der deutschen Nation als „Wunde namens Deutschland“ (Walser) von manchen Linken mit einer patriotischen Sensibilität schmerzhaft empfunden. Im Gegensatz zu vielen anderen Linken war auch für Rudi Dutschke die „Nationale Frage“ ein Thema. Dies wurde spätestens mit seinen Diskussionsbeiträgen in Klaus-Rainer Röhls Zeitschrift „dasda/Avanti“ 1977/78 klar, wo er beispielsweise fragte: „Wer hat Angst vor der Wiedervereinigung?“ oder „Warum denken deutsche Linke nicht national?“ In dieser kurzen Zeitspanne (von 1978 bis zur Wiedervereinigung) gab es ein kleine Chance, linksnationale und rechtspatriotische Positionen miteinander zu versöhnen. Die Autorenliste unserer Zeitschrift gibt darüber beredt Auskunft. Armin Mohler nannte in einer WELT-Besprechung unsere blauäugigen Versuche, die ideologischen Gräben zu überwinden, eine „politische Topographie des Hufeisens“ (das linke und rechte Ende sind sich recht nah, weit entfernt von beiden das verachtete politische Establishment der Mitte). Uns das Etikett „linksnationalistisch“ anzuheften, wie es von medialen Beobachtern der „linken Leute von rechts“ (z. B. Hans-Gerd Jaschke) damals zuweilen geschah, war auch vor 30 Jahren schon fragwürdig, allenfalls eine bescheidene Anerkennung unseres Abschieds aus dem altrechten, erneuerungsunfähigen Milieu.

Wir möchten mit dem Artikel von Dr. Winfried Knörzer die Debatte über die Vereinbarkeit von links und national neu entfachen und bitten um rege Beteiligung! (wir selbst-Redaktion)

Linksnationalismus ist kein theoretisches Konstrukt, sonder ein reales politisches Phänomen. Darum kann man auf diesen Begriff nicht Wunschvorstellungen projizieren, wie idealerweise die Verbindung einer nationalen mit einer solidarischen bzw. sozialen Orientierung aussehen sollte. Man muß sich an das halten, was es in der historischen Wirklichkeit an Bewegungen gegeben hat oder gibt, die nach dem Selbstverständnis ihrer Protagonisten bzw. nach dem Urteil von Fachleuten mit einiger Berechtigung als linksnationalistisch bezeichnet werden können. Wie jedes politische Phänomen antwortet auch der Linksnationalismus auf eine konkrete historische Lage, woraus sich Sinn und Funktion einer politischen Positionsbestimmung ergeben. Nur indem eine politische Bewegung reale und für die Allgemeinheit bedeutsame politische Probleme aufgreift, kann sie wirkmächtig werden; andernfalls verbleibt sie im Abseits sektiererischer Theoriezirkel.

Erstürmung der indischen Stadt Shrirangapattana durch britische Truppen im Jahr 1799. Die Stadt war Hauptstadt des unabhängigen indischen Staates Myosore, der sich gegen die britischen Kolonialbestrebungen wehrte. Im dargestellten vierten „Myosore-Krieg“ verlor der Staat seine Unabhängigkeit, der Herrscher Tipu Sultan wurde getötet. Ausschnitt aus einem Gemälde von Henry Singleton, ca. 1800.

Die große Stunde des Linksnationalismus schlägt immer dann, wenn eine Konstellation auftritt, in der die Mehrheit eines Volkes gleichermaßen sozialer wie nationaler Benachteiligung/Unterdrückung ausgesetzt ist. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn die herrschende Schicht sich entweder aus Angehörigen eines fremden Volkes zusammensetzt oder im Dienste eines solchen steht, und die Mehrheit des Volkes wirtschaftlich ausbeutet, sowie bestrebt ist, dessen Widerstandswillen durch Zerstörung der nationalen Eigentümlichkeiten wie Sprache, Kultur, Traditionen zu brechen. Die herrschende Schicht ist darum für die Mehrheit des Volkes sowohl in sozialer wie nationaler Hinsicht der Feind. Typische Beispiele sind hierfür Kolonien, wo die Kolonialherren einem fremden Volk angehören und denen Teile der autochthonen Bourgeoisie zuarbeiten oder Länder mit großen und räumlich konzentrierten nationalen Minderheiten (in Europa: Basken, Korsen, die Iren Nordirlands innerhalb des Vereinigen Königreiches). Der Kampf um nationale Unabhängigkeit geht daher mit dem Kampf gegen wirtschaftliche Ausbeutung Hand in Hand. Man kann daher gleichermaßen sagen, daß der nationale Befreiungskampf eine sozialistische Komponente enthält, wie daß der soziale Klassenkampf eine nationale Färbung besitzt. Ein Linksnationalismus ist darum für alle, die unter der beschriebenen Konstellation leiden, die naheliegendste politische Bewegung.

Baskenland und Freiheit: Abertzale-Linke und Mitglieder der Partei Batasuna demonstrieren 2008 gegen die Internierung von ETA-Gefangenen in Bilbao

Diese Konstellation ist die Ausgangslage. Aber dabei bleibt es nicht – die Lage entwickelt sich weiter. Die weitere Entwicklung kann langfristig im Grunde nur in folgender Alternative münden: der Linksnationalismus ist entweder erfolgreich oder er ist es nicht.

Betrachten wir zunächst den Erfolgsfall: die Kolonialherren wurden vertrieben, die Kollaborateure entmachtet und die nationale Unabhängigkeit wurde erreicht, oder ein Volk hat sich aus dem Zusammenhang eines Vielvölkerstaates gelöst und einen eigenen Staat gegründet. Was passiert dann? Im schlimmsten Fall, der häufig in Afrika und Arabien anzutreffen ist, versteht die siegreiche Befreiungsbewegung unter Sozialismus: Beutemachen für die eigene Clique (Junta, Clan, Volksstamm) und unter Nationalismus: ein Territorium zur freien Verfügung erhalten zu haben, in dem Beute gemacht werden kann. Auch wenn eine solche Entwicklung faktisch am häufigsten eintritt, möchte ich es mir nicht einfach machen und möchte daher die Idee des Linksnationalismus nicht durch den Verweis auf dieses worst case Szenario diskreditieren, sondern gestehe zu, daß auch Besseres möglich ist. Als Beispiel wähle ich Vietnam. Nach der Vertreibung der Besatzer und der Wiedervereinigung des Landes wurde ein kommunistisches Regime errichtet. Auch wenn die Kommunistische Partei eine privilegierte herrschende „neue Klasse“ (Dijalas) darstellt, unterscheidet sich dieses Regime doch grundlegend von den eben erwähnten Tyrannis-Regimes Afrikas und Arabiens. Tyrannis sei hier im klassisch-griechischen Sinne verstanden als Diktatur zum nahezu ausschließlichen Zweck der rein egoistischen Chancenmaximierung (vor allem Bereicherung) des Herrschers. Das kommunistische Regime Vietnams ist ein echter, am Gemeinwohl orientierter Staat – allerdings im Rahmen dessen, was Kommunismus unter Gemeinwohl versteht. Durch den erfolgreichen Abschluß des nationalen Befreiungskampfes hat sich allerdings die nationale Komponente des Linksnationalismus gewissermaßen von selbst erledigt. Sie hat kein Ziel mehr für konkretes, auf bestimmte Punkte bezogenes politisches Handeln. Vom ursprünglichen Linksnationalismus ist nur die sozialistische Komponente übriggeblieben. Die nationalistische Komponente hat ihren kämpferischen, aktivistischen Elan verloren und sich zu einem gewöhnlichen „Normalpatriotismus“ verdünnt, der mittels Symbolpolitik (z.B. durch permanentes Erinnern an die ruhmreiche Vergangenheit) das nationale Selbstbewußtsein stärkt.

An dieser Stelle berühren wir ein grundlegendes Dilemma des Nationalismus. Jede politische Bewegung hat ein bestimmtes, sie charakterisierendes Zentralthema, bzw. zentrales Ziel und einen konkreten Feind. Ich möchte dies schlagwortartig verdeutlichen, wobei ich mir im Klaren bin, daß Schlagworte einen Sachverhalt nur grob umreißen können und nicht den Ansprüchen einer wissenschaftlichen Definition, die hier aus Platzgründen nicht geleistet werden kann, genügen.

Sozialismus: Zentralthema: die wirtschaftliche, soziale und rechtliche Besserstellung der Arbeiterklasse, Feind: die besitzende Klasse

Liberalismus: Zentralthema: Freiheits- und Bürgerrechte, wirtschaftlicher Fortschritt; Feind: die ein Machtmonopol beanspruchende staatliche Obrigkeit

Konservativismus: Bewahrung der überlieferten Sitten, Werte und Gesellschaftsordnung; Feind: alle Akteure, welche die Modernisierung weiter vorantreiben (Beispiele: der bürokratische, ständische Ordnungen beseitigende Zentralstaat, progressive Intellektuelle).

Nationalismus: die machtgestützte Selbständigkeit einer Nation, die es einem Volk ermöglicht, ihrer Eigenart gemäß zu leben und diese weiterzuentwickeln; Feind: Fremdherrschaft (Besatzer), konkurrierende Nationen.

Liberalismus und Konservativismus kommen nie zur Ruhe. Da jeder Staat bestrebt ist, seine Macht zuungunsten bürgerlicher Freiheiten auszudehnen, gibt es für Liberale immer etwas zu tun. Ebenso entsteht allein durch die wirtschaftlich-technische Dynamik ein „Fortschrittsdruck“, der in bestimmten Personenkreisen sich in eine entsprechende politische Programmatik umsetzt, gegen den sich der Konservative zur Wehr setzt. Die Problematik, von der das politischen Streben des Konservativismus und Liberalismus seine Berechtigung erhält, entsteht gewissermaßen immer wieder von Neuem. Das heißt nicht zwingend, daß deren Programmatik allgemeines Interesse erweckt. Sobald ein gewisses Maß garantierter Bürgerrechtlichkeit vorhanden ist, wird das Verlangen nach mehr Freiheit gedämpft, vor allem wenn dieses durch Angebote von mehr Wohlstand oder mehr Sicherheit überlagert wird. Wenn sich das Tempo des Fortschritts so weit gesteigert hat, daß alles Bestehende in seinem Lauf mitgerissen wird, wird das auf dem inneren Wert des Überlieferten beruhende Bewahrenwollen zunehmend unverständlich. Nichtsdestotrotz bleiben die Zentralthemen von Liberalismus und Konservativismus relevant, weil die entsprechende Problematik fortexistiert.

Dagegen erlahmt die geschichtliche Kraft von Sozialismus und Nationalismus, wenn sie ihr selbstgestecktes Ziel erreicht haben. Nach dem Sieg der sozialistischen Revolution, wenn die Besitzenden enteignet und alles sozialisiert wurde, gibt es nichts mehr zu sozialisieren. An die Stelle des Kampfes um die Macht im Namen eines politischen Prinzips tritt Verwaltung, die zwar den bestehenden Sozialismus noch sozialistischer machen will, aber das Bestehende nicht mehr grundsätzlich ändern möchte. Auch wenn objektiv immer noch unwürdige Lebens- und Arbeitsverhältnisse und vor allem ungleiche Machtverhältnisse vorhanden sein mögen, ist mit der Überführung der Produktionsmittel in Gemeineigentum das eigentliche Ziel des Sozialismus erreicht. Etwas anderes zu wollen, etwa gar im Sinne individualistischer Freiheits- und Glückschancen, kann sich darum nicht auf die Idee des Sozialismus berufen, sondern gilt als Konterrevolution. Ebenso gelangt das nationalistische Streben an ein (vorläufiges) Ende, wenn die nationale Einheit und Unabhängigkeit hergestellt sind. Entweder gibt man sich mit diesem Erfolg zufrieden, wodurch der Nationalismus, wie am Beispiel Vietnams gezeigt, sich zu einem Normalpatriotismus abmildert, der keine geschichtsbildende Kraft mehr besitzt, oder die nationale Leidenschaft steigert sich zum Chauvinismus, der sich neue Feinde sucht und neue, über die Grenzen der Nation hinausgreifende Ziele setzt. Falls eine solche Entwicklung ihren Ursprung in einem wie auch immer gearteten Linksnationalismus hatte, tritt die soziale Komponente in den Hintergrund, da alle politischen Energien sich im Streben nach nationaler Machtausdehnung konzentrieren. Dies trifft auf die Französische Revolution, den italienischen Faschismus und das heutige China zu.

Kommen wir nun zu den historischen Konstellationen, in denen der Linksnationalismus scheiterte. Diese betreffen vornehmlich die regionalistischen Unabhängigkeitsnationalismen Europas in Nordirland, Korsika, in der Bretagne und im Baskenland. Man kann hier sehr genau den engen Zusammenhang von nationaler und sozialer Problematik beobachten. Wirtschaftliche und nationale Diskriminierung greifen ineinander. Der Engländer, Franzose, Spanier ist nicht nur der (ethnisch-kulturell) Fremde, sondern zugleich auch der Ausbeuter. Ein im Sinne des Sozialismus sans phrase vorgetragene, auf soziale und wirtschaftliche Themen bezogene Politik, kann hier nicht funktionieren, weil die ethnische Kluft zu groß ist, um ein gemeinsames Klassenbewußtsein zu ermöglichen. Der wirtschaftliche Klassengenosse wird primär als ethnischer Volksfeind wahrgenommen. Darum ist die sozialistische Politik der ursprünglichen IRA gescheitert, die in den 50er Jahren begonnen hatte, auf eine Aktionseinheit zwischen irischstämmigen und britischstämmigen Arbeitern zu setzen. Sie wurde bald von der Provisional IRA überflügelt, die einen klaren linksnationalistischen Kurs einschlug. Genauso wenig kann eine rein nationalistische Politik reüssieren, da der mit den Besatzern paktierende Bourgeois, der aus Opportunismus oder des ökonomischen Vorteils wegen mit diesen Handel treibt und für ihn Bütteldienste verrichtet, sich als Volksgenosse disqualifiziert hat.

Warum ist trotz dieser stimmigen Ausgangslage und des Rückhalts einer soliden Massenbasis den regionalistischen Unabhängigkeitsnationalismen nicht das gelungen, was nahezu alle Befreiungsnationalismen der 3. Welt zuwege brachten? Entscheidend ist das quantitative Ausmaß der Differenz zwischen den Kontrahenten. Der Kolonialherr ist gegenüber dem kolonisierten Volk der sich in wirklich jeder Hinsicht unterscheidende, total Andere. Dagegen sehen die Briten und Iren gleich aus, sprechen dieselbe Sprache, teilen eine ähnliche Lebenswelt. Der gemeinsame europäische Hintergrund reduziert die Spannweite des Abstands. Das ist ein Faktor, der konfliktmindernd wirken kann, aber nicht muß. Schon geringe Differenzen können bekanntlich tiefgehende Feindschaften bewirken, wenn der Wille da ist, diese Differenz zu etwas Bedeutsamen zu machen. Dieser Faktor führt aber auf eine Fährte, der es nachzuspüren gilt. Es sind daher weitere abstandsreduzierende Faktoren zu suchen.

1. Mit einiger Verspätung erreichte der Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit auch die Randregionen, wodurch sich eine Egalisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse einstellte.

2. Der Staat war bereit, Abstriche an seinem Konzept des Zentralismus zu machen und den Regionen eine gewisse Eigenständigkeit zuzugestehen. Im härtesten Konflikt dieser Art, dem nordirischen Bürgerkrieg, verzichtete die britische Regierung wohlweislich auf massive militärische Vergeltung und nahm lieber höhere Opferzahlen unter den britischen Soldaten als unter den IRA-Kämpfern in Kauf, als die irischstämmige Bevölkerung vollends gegen sich aufzubringen.

Diese beiden Faktoren waren noch nicht entscheidend, aber sie verschoben die Waagschale der Bereitschaft zum separatistischen Engagement doch ein Stück weit in Richtung Stillhalten. Gerade weil der separatistische Kampf den vollen Einsatz verlangt, wird er nicht leichtfertig eingegangen. Je geringer der Leidensdruck der nationalen und sozial-ökonomischen Diskriminierung durch politische Zugeständnisse und spürbare Verbesserung der Lebensverhältnisse wird, desto geringer wird auch die Bereitschaft, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen. Das Kosten/Nutzenverhältnis zwischen dem – auch persönlichen – Nutzen nationaler Unabhängigkeit und dem Risiko, zu langen Gefängnisstrafen verurteilt oder getötet zu werden, hat sich gegenüber der Ausgangslage verändert, wodurch die Bereitschaft, alles für die nationale Sache zu wagen, zunehmend schwindet.

Am wichtigsten freilich ist ein Faktor, den ich die Globalisierung auf nationaler Ebene nennen möchte. Ein eigenständiger und sich vom übrigen nationalen Umfeld scharf absondernder lebensweltlicher Zusammenhang, der die mentale Basis für eine separatistische Politik bildet, kann sich nur bei langandauernder relativer Abgeschlossenheit herausbilden. Auch in der Tier- und Pflanzenwelt führt räumliche Abgeschlossenheit zur Herausbildung neuer Arten. Diese Abschließung wurde in Spanien und Frankreich durch die natürliche Randlage und in Nordirland durch die unsichtbaren Grenzen zwischen britischen und irischen Wohnvierteln bewirkt. Diese Grenzziehungen wurden durch die sich immer schneller vollziehende Globalisierung auf nationaler Ebene eingeebnet. Hierbei verstärkten sich zwei von verschiedenen Seiten her eingreifende Prozesse gegenseitig. Zum einen rückte die gesamte Nation durch Automobilisierung und vor allem den Medienkonsum in den normalen Erfahrungshorizont hinein. Der Fernsehkrimi, die Quizsendung, die Fußballspiele der nationalen Liga machten die Belange der Gesamtnation ganz zwanglos viel interessanter und attraktiver als dies irgendeine staatliche Propaganda je hätte leisten können. Die separatismusgeneigte Region wird somit immer stärker in den Kommunikationszusammenhang der Gesamtnation integriert, wodurch sich der kulturell-lebensweltliche Abstand der Region zur übrigen Nation reduziert. Des weiteren werden die Region und die übrige Nation gleichermaßen ins Netz der weltumspannenden „Coca-Cola-Kultur“ hineingewoben, wodurch von beiden Seiten her die kulturellen Differenzen abgeschliffen werden. Verstärkt wird dieser Effekt durch die „Verfreizeitlichung“ der heutigen Lebensweise. Man definiert sich nicht primär durch Arbeit oder Herkunft, sondern über den freizeitzentrierten Lebensstil. Die Lebensstile in vergleichbaren sozialen Lagen gleichen sich in allen westlichen Ländern immer weiter an. Die Freizeitaktivitäten werden wiederum in großem Umfang von den Inhalten der globalen Populärkultur (Hollywood, Popmusik) bestimmt, die gegenüber den kulturellen Eigenheiten sowohl der Gesamtnation wie der der Region neutral sind.

Zusammenfassend läßt sich feststellen: In dem lebensweltlichen Erfahrungsraum treten immer weniger Elemente hervor, die als Ansatzpunkte zur Manifestation eines nationalen Gegensatzes dienen könnte. Dadurch schwindet die Bedeutung des nationalen Aspekts. So wie ein Angehöriger der Gesamtnation (der typische Franzose) aufgrund des Bedeutungsschwunds des nationalen Faktors keinen Anlaß mehr sieht, auf den seltsamen, rückständigen Randregionenbewohner herabzublicken, so hat auch dieser keinen Anlaß mehr, sich von der der Gesamtnation abzugrenzen. Nachdem die nationalkulturellen Eigentümlichkeiten beider Seiten gleichermaßen abgeschliffen sind, schwimmen nun die einstigen Kontrahenten als friedlich vereinte Bröckchen im Brei der One-World-Kultur.

Man wird nun vielleicht einwenden, daß nach dem Abklingen der „klassischen“ europäischen Unabhängigkeitsnationalismen gegen Ende des 20. Jahrhunderts zwei neue Separatismen beträchtlichen Zulauf erhalten haben – nämlich die Schottlands und Kataloniens. Beiden ist gemeinsam, daß sie es nie wagten, den Rubikon zu überschreiten. Zum Ausgang des schottischen Unabhängigkeitsreferendums hatte ich seinerzeit vermerkt: Das schottische Unabhängigkeitsreferendum war zum Scheitern verurteilt, weil es ein Ding der Unmöglichkeit anstrebte: ein nationalistisches Projekt ganz ohne Nationalismus durchführen zu wollen. Zwar ist in beiden Fällen eine historisch bedingte Animosität gegenüber der Titularnation vorhanden, die sich an der Erinnerung an die frühere Selbständigkeit und an den Kampf um deren Bewahrung festmacht, doch wird dieser Gesichtspunkt in der offiziellen Separatismuspolitik nicht thematisiert. Das hat seinen Grund darin, daß das allzu ostentative Hervorkehren einer dezidiert nationalistischen Politik wegen der nachhaltigen Diskreditierung des Nationalismus als solchem durch die historischen Faschismen kein gangbarer Weg ist. Darum hat man sich aufs Wirtschaftliche verlegt und den nationalen Gegensatz in den unverfänglicheren wirtschaftlichen Gegensatz umgemünzt. Aber eine hauptsächlich an wirtschaftlichen Belangen orientierte Politik muß es sich gefallen lassen, auch ausschließlich nach wirtschaftlichen Kriterien bewertet zu werden. Es wird das rationale Kalkül angestellt: wird sich meine wirtschaftliche Lage durch die Unabhängigkeit gegenüber der jetzigen deutlich verbessern? Denn nur ein deutlicher Unterschied rechtfertigt es, die unwägbaren Risiken nationaler Eigenständigkeit in Kauf zu nehmen. Da sich die wirtschaftliche Entwicklung nicht voraussehen läßt, werden viele ängstlichere Naturen vor einem „Ja“ zur Unabhängigkeit zurückschrecken. Mit dem Taschenrechner läßt sich keine nationale Politik machen. Natürlich spielt unterschwellig das nationale Ressentiment eine gewisse Rolle. Da es sich aber nicht in expliziter Form manifestieren kann, trägt es nicht dazu bei, dem Willen zur Loslösung den zusätzlichen, entscheidenden Impuls zu verleihen. Diesem Wohlstandsseparatismus fehlen die beiden zentralen Komponenten des eigentlichen Linksnationalismus: die echte, spürbare und intentional betriebene Unterdrückung durch eine Fremdherrschaft und die dadurch bewirkte wirtschaftliche Not.

Nach diesem Überblick über die verschiedenen, in der historischen Wirklichkeit realisierten Formen des Linksnationalismus sollen nun die Chancen einer linksnationalistischen Programmatik in der BRD beleuchtet werden. Entscheidend für meine Argumentation ist die Tatsache, daß der Linksnationalismus nicht aus dem Nichts heraus entstanden ist, nicht etwas vollkommen Neues war. Seine Neuheit bestand vielmehr in der neuartigen Kombination bereits vorhandener Strömung: der nationalen Orientierung und des Sozialismus.

Nationale Orientierung: der positive Bezug zur eigenen Nation und der Wille, das Eigene zu verteidigen waren bis vor Kurzem etwas Selbstverständliches. Das eigene Herrschaftsgebiet zu schützen und, wenn möglich, auszudehnen, war lange Zeit über das zentrale Anliegen politischen Handelns. Mit der Durchsetzung des Absolutismus beschränkte sich die Kompetenz zu politischem Handeln auf die Person des Fürsten; das Volk war nicht Subjekt, sondern bloßes Objekt des politischen Handelns. Dies änderte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts, als immer mehr soziale Gruppen mit dem Anspruch auf politische Partizipation auf den Plan traten. Der Nationalismus war gewissermaßen das Vehikel, um diesen Anspruch zu legitimieren, indem die Wortführer der Volksmassen bekundeten, die Idee des Nationalen besser, radikaler und umfassender zu verwirklichen, als es die bislang herrschenden Eliten getan hatten. Aber diese Idee war bereits vorhanden. Dieser neue Nationalismus von unten konnte deshalb im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zu einer wirkungsmächtigen Bewegung emporwachsen, weil er sich auf ein legitimes, allgemein anerkanntes Prinzip, nämlich das Ziel, Größe, Ruhm, Macht und Stärke der eigenen Nation zu fördern, stützen konnte.

Sozialismus: Ebenso konnte der neue Nationalismus von unten an den bereits existierenden Sozialismus anknüpfen. Eine irgendwie sozialistische Orientierung ist dem Nationalismus inhärent: Wenn das Ziel des Nationalismus in der Herstellung einer Volksgemeinschaft als Träger des politischen Willens der Nation besteht, dann muß auch die Arbeiterklasse in diese Volksgemeinschaft integriert werden. Da angenommen wurde, daß das Bürgertum die egoistischen Interessen wirtschaftlicher Vorteile im Zweifelsfalle dem nationalen Interesse vorziehe und da dessen zögerlicher, phlegmatisch-saturierter Habitus nicht dem schwungvoll-kämpferischen Elan eines echten Patrioten entsprach, gab es keinen Grund, sich mit den herrschenden Schichten zu solidarisieren. In dem Bestreben, alle mit dem herrschenden System Unzufriedenen zu sammeln, mußte man sich zwangsläufig nach links hin öffnen und in gewissem Umfang Programmpunkte des Sozialismus zu übernehmen. Nur so konnte eine über das Segment der national Radikalisierten innerhalb der bürgerlichen Klasse hinausgehende Massenbewegung geschaffen werden. Voraussetzung für den Erfolg einer durch sozialistische Elemente angereicherten nationalistischen Programmatik aber war, daß der Sozialismus bereits sich als allgemein anerkanntes und angestrebtes Prinzip in den anvisierten Zielgruppen etabliert hatte.

Zusammengefaßt: Nationalismus und Sozialismus sind weithin, wenn auch in unterschiedlichen sozialen Segmenten, anerkannt. Sie sind darum nicht eigens begründungsbedürftig. Man muß einen Arbeiter genauso wenig dazu überreden, mehr Lohn, mehr Rechte und mehr Anerkennung gut zu finden, wie einen durchschnittlichen Bürger, die eigene Nation gut zu finden.

Diese Voraussetzungen sind in der heutigen BRD nicht gegeben. Ebenso fehlen eine klar als solche erkennbare Fremdherrschaft und die durch diese bewirkte soziale Not. Wenn es den separatistischen Bewegungen in Katalonien und Schottland nicht opportun erscheint, eine deutlich nationalistische Position zu beziehen, so ist eine derartige Positionsbestimmung in einer historisch „vorbelasteten“ Nation wie Deutschland erst recht problematisch. Alle nationalen Belange, die über reine ökonomische Interesen innerhalb des „Wirtschaftsstandorts“ hinausgehen, gelten als Anathema. Das ist der wesentliche Unterschied zur Lage in der Vergangenheit, wo eine dezidiert nationalistische Bewegung auf der generell positiven Wertschätzung des Nationalen aufsetzen konnte. Das ist bekannt und muß daher nicht weiter erörtert werden.

Interessanter ist die Beziehung zum Komplex Links/Sozialismus. Für die heutige Lage ist charakteristisch, daß die Linke sich weitgehend vom Sozialismus klassischer Prägung verabschiedet hat und sich der sogenannten Identitätspolitik, also der politischen Interessenvertretung nicht ökonomisch, sondern irgendwie biologisch bestimmter Minderheiten, zugewandt hat. Die Adressaten dieser Politik sind nicht mehr die Arbeiter oder allgemeiner: die „kleinen Leute“, sondern Frauen, Homosexuelle, Einwanderer usw. Primär artikuliert wird diese Politik von Angehörigen der akademisch gebildeten Mittel- und Oberschicht. Da auch Großkonzerne in dieser Strömung mitschwimmen, gilt Kapitalismuskritik paradoxerweise mittlerweile als rechts. Ein sich irgendwie links verstehender Nationalismus kann daher nicht mehr an eine breite sozialistische Bewegung anknüpfen, die ihm eine Massenbasis verschaffen könnte. Das, was heute als links firmiert, ist die Kombination des Klassenfeindes mit dem Volksfeind. Diese veränderte Lage kann freilich auch positiv gesehen werden. Durch die Preisgabe einer originär sozialistischen Orientierung von seiten der Linken ist die Interessensvertretung der „kleinen Leute“ verwaist. In diese Lücke sind auch alle nationalen Parteien der BRD hineingestoßen und haben in diesem sozialen Segment auch ihre größten Erfolge erzielt. Sofern Nationalismus aber mehr war als der Stammtischpatriotismus von Honoratioren oder Vehikel zur Gewinnmaximierung der Rüstungsindustrie hat er sich immer als Interessensvertretung der Volksmassen unterhalb der herrschenden Schichten verstanden. Dazu bedurfte er nicht der Anbiederung an die parteiförmig organisierte Linke.

Daher stellt sich für mich die Frage, welchen Zweck die Bezugnahme auf den Komplex Linksnationalismus heutzutage noch haben kann. Die heutige Linke ist nahezu durch und durch antinational. Wo dies nicht der Fall ist, wo sie die kapitalismusförderlichen Konsequenzen der Ideologie des universalistischen Humanismus durchschaut, wo sie erkennt, daß die Identitätspolitik die Verteilungskämpfe von der gegen das Kapital gerichteten Stoßrichtung abzieht und ins Innere der Gesellschaft hineinverlagert, dann beschränkt sich diese Einsicht auf kleine Studierzirkel der letzten aufrechten Marxisten. Mit solchen Leuten zu diskutieren, mag spannend und erkenntnisfördernd sein, bringt beide Seiten aber nicht aus den Hinterzimmern heraus.

Ich muß es noch einmal betonen: Linksnationalismus ist dort sinnvoll, wo – wie im Falle einer Fremdherrschaft – der Zusammenhang von nationaler und sozialer Problematik für die breite Masse qua tagtäglichen Erlebens unmittelbar evident ist. In einem solchen Fall haben die nationalistische und die sozialistische Bewegung einen gemeinsamen Feind, weshalb es für beide Seiten von Vorteil ist, sich zusammenzutun. Linksnationalismus ist darum der Ausdruck einer Linksbewegung der nationalistischen Bewegung, um in einem Aktionsbündnis auf den sozialistischen Partner zuzugehen. Voraussetzung dafür aber ist, daß beide Seiten gleich stark sind, denn nur so können die Partner voneinander profitieren. Der Linksnationalismus der bundesrepublikanischen „Neuen Rechten“ der 70er und 80er Jahre war deshalb zum Scheitern verurteilt, weil die Linke – nicht zu Unrecht – fürchten mußte, daß diese marginalen Gruppen sich parasitär von der weit überlegenen Stärke der Gesamtlinken nähren wollten. Daher trat genau das ein, was ich in meinem ersten Aufsatz zum Linksnationalismus beschrieben hatte: die einen gaben das Buhlen um die Gunst der Linken wieder auf und kehrten zu einem „reinen“, wenn auch theoretisch modernisierten Nationalismus zurück, während die anderen sich immer weiter nach links bewegten, bis sie selbst Linke geworden waren.

Heute aber gilt es einzusehen, daß es keinen Anknüpfungspunkt für eine Aktionsgemeinschaft mit linken Gruppierungen gibt. Die nationale Bewegung tut das, was sie tun muß: die – auch sozialen und ökonomischen – Sorgen und Nöte der vom herrschenden juste milieu vernachlässigten Schichten des Volkes ansprechen. Das kann man, wenn man will, links oder sozialistisch nennen, ist aber nichts anderes als das, was schon von jeher Anliegen des reinen Nationalismus war. Bei diesem Vorhaben kann aber nichts schädlicher und dem eigentlichem Adressaten, dem Durchschnittsdeutschen, unwillkommener und unverständlicher sein, als sich mit Phrasen aus der Mottenkiste (mehr staatliche Regulierung, Kollektivierung, Konsumaskese, geschlossener Handelsstaat) sich als Gralshüter eines wahrhaft verstandenen Sozialismus zu profilieren. Die Sorgen und Nöte der normalen Deutschen aufzugreifen – das genau ist das dicke Brett, das ein nationaler Politiker zu bohren hat. Mit welchen Namen man dieses Dickbrettbohren bezeichnen will, ist völlig belanglos.

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Dr. Winfried Knörzer

Dr. Winfried Knörzer

Dr. Winfried Knörzer, geboren 1958 in Leipzig, studierte in Tübingen Philosophie, Germanistik, Medienwissenschaften, Japanologie und promovierte über ein Thema aus der Geschichte der Psychoanalyse. Berufliche Tätigkeiten: Verlagslektor, EDV-Fachmann. Seit Anfang der 90er Jahre ist er mit Unterbrechungen publizistisch aktiv.

Die Neuerscheinung im Juni2021: „Farben der Macht“ von Dr. Winfried Knörzer im Lindenbaum Verlag. Sie können dieses Buch direkt beim Verlag versandkostenfrei bestellen.

Interview mit Alain de Benoist: Drieu la Rochelle und Ernst Jünger – revolutionäre Konservative und die Bewahrung ewiger Werte

Interview von Benjamin Fayet mit Alain de Benoist

Interview mit Alain de Benoist: Drieu la Rochelle und Ernst Jünger – revolutionäre Konservative und die Bewahrung ewiger Werte

Alain de Benoist ist Schriftsteller und Journalist. Als Theoretiker der „Neuen Rechten“ war er an der Gründung der Zeitschriften Elements, Nouvelle École und Krisis beteiligt. Die Kritik an der Moderne, dem Ethnozentrismus und die Verteidigung regionaler und ethnischer Autonomien stehen im Mittelpunkt seines produktiven Werks (mehr als 50 Bücher und 3.000 veröffentlichte Artikel). Vor kurzem veröffentlichte er Ernst Jünger, entre les dieux et les titans (Via Romana), in dem er die Verbindungen zwischen den Werken des Autors von „In Stahlgewittern“ und Drieu la Rochelle erörtert.

PHILITT: Ernst Jünger und Drieu la Rochelle, beide Veteranen, die 1914 an die Front gingen, können nicht ohne eine Analyse ihrer Beziehung zum Krieg untersucht werden. Diese einschneidende Erfahrung hatte einen tiefen Einfluss auf ihre Sicht der Welt und ihr Verhältnis zur Technologie. Haben die beiden Männer, die sich an der Front gegenüberstanden, dennoch eine gemeinsame Vision des Krieges entwickelt?

Alain de Benoist: Zweifellos hat der Erste Weltkrieg bei Drieu und Jünger unauslöschliche Spuren hinterlassen: für Drieu eine eher existenzielle Erfahrung, für Jünger eine eher innere Erfahrung. In „In Stahlgewittern“ schrieb Jünger: „Von allen erregenden Momenten, die man im Krieg erlebt, ist keiner so stark wie der der Konfrontation zwischen zwei Sturmtrupps in der Enge der Kampfstellungen“. Unvergessen bleibt die Feuerprobe von Drieu in der Ebene von Charleroi am 23. August 1914, bei der er selbst mehrere seiner Kameraden anführte. Es war, wie er immer wieder sagte, die stärkste Erfahrung seines Lebens. „In diesem Moment spürte ich die Einheit des Lebens. Dieselbe Geste, um zu essen und zu lieben, um zu handeln und zu denken, um zu leben und zu sterben„. Mit anderen Worten, er fühlte sich plötzlich in der Lage, für einen kurzen Moment die widersprüchlichen Impulse, die er immer in sich gespürt hatte, in Einklang zu bringen. Hinzu kommt, dass Drieu und Jünger manchmal am selben Ort, auf beiden Seiten der Frontlinie (aber nicht gleichzeitig) kämpften. Und als sie in den Krieg zogen, hatten sie offenbar beide ein Exemplar von Nietzsches Zarathustra in ihrem Tornister.

Pierre Drieu la Rochelle (geb. 3. Januar 1893, Selbsttötung am 16. März 1945)

Der Vergleich ihrer Gemeinsamkeiten zeigt aber auch am besten, was sie unterscheidet. Während Drieu als Wehrpflichtiger an die Front geht, meldet sich Jünger im August 1914 freiwillig. Zwei Jahre zuvor hatte er bereits versucht, der Fremdenlegion beizutreten. Es ist bekannt, dass sein Engagement und sein Mut ihm vierzehn Verwundungen und das Verdienstkreuz einbrachten. Dennoch blieb er bis zum Schluss an der Spitze einer Angriffsabteilung, die er nie verließ. Drieu nahm nur sporadisch an den Kämpfen teil. In Verdun wurde er am 26. Februar 1916, nach nur einem Tag Kampf, verwundet und musste evakuiert werden. Das Gleiche geschah in Charleroi, wo er im Dezember in den Hilfsdienst versetzt wurde, bevor er erneut evakuiert wurde. Das Croix de Guerre erhielt er erst nach dem Waffenstillstand. In einem der Texte in Sur les écrivains („Überlegungen zu seinem Werk“) räumt er selbst ein, dass im Gegensatz zu Erich Maria Remarque, dem Autor von À l’Ouest rien de nouveau, „weder ich noch Montherlant jemals lange an der Front waren, und das macht den Unterschied aus„. Das ist in der Tat ein großer Unterschied.

Wir wissen, dass Jüngers erste Bücher von seinen Kriegstagebüchern inspiriert wurden. In Stahlgewittern, das 1920 erstmals im Selbstverlag veröffentlicht wurde und ab der zweiten Auflage 1922 immer erfolgreicher wurde, zeigt deutlich, dass der Erste Weltkrieg, den er fast noch im Eifer des Gefechts beschrieb, der Ursprung seiner schriftstellerischen Berufung war. Drieu seinerseits hat, mit Ausnahme seiner ersten beiden Gedichtbände, Interrogation und Fond de cantine, kaum über den Krieg geschrieben. Er wartete zwanzig Jahre, um die sechs Kurzgeschichten zu schreiben, aus denen die Komödie von Charleroi besteht (außerdem nahm er nicht am Zweiten Weltkrieg teil, da er 1939 aus der Armee entlassen wurde).

Drieus Erfahrung mit dem Krieg war eine sehr persönliche: Der Krieg gab ihm die Möglichkeit, Situationen zu erleben, die er nie vergessen würde. Jünger, der dem Mut eine viel größere Bedeutung beimaß als Drieu, sah in ihm ein Mittel zur Auswahl eines Menschentyps. Außerdem vertrat er zu dieser Zeit eine kriegerische Auffassung des Daseins („es ist das Leben, unter dem schrecklichsten Aspekt, den der Schöpfer ihm je gegeben hat„), ja sogar eine Mystik des Krieges, was bei Drieu (der in den 1920er Jahren sogar zum Pazifismus neigte) keineswegs der Fall war. Für ihn ist der Krieg eine Tatsache der Natur, vor allem der menschlichen Natur: „Der Krieg ist nicht vom Menschen gemacht, ebenso wenig wie der Sexualtrieb; er ist ein Naturgesetz, und deshalb können wir uns seiner Herrschaft nicht entziehen.“ Man könnte sagen, dass der Mensch paradoxerweise gerade im Krieg die Bedingungen findet, um seine volle Menschlichkeit zu verwirklichen – einschließlich der Führung eines Krieges ohne Hass auf den Feind (der wahre Krieger führt den Krieg für sich selbst, bevor er ihn gegen seine Gegner führt). „Eine Zivilisation kann so überlegen sein, wie sie will, wenn der menschliche Nerv nachlässt, ist sie nicht mehr als ein Koloss auf tönernen Füßen.“

Ernst Jünger (geb. 29. März 1895 in Heidelberg; † 17. Februar 1998 in Riedlingen)

Beide Autoren waren sich jedoch bewusst, wie sehr sich der Große Krieg, der 1914 als klassischer Krieg begann, allmählich in einen völlig neuen Kriegstypus verwandelte: ein Aufmarsch gigantischer unpersönlicher Kräfte, ein „Duell von Maschinen, die so gewaltig sind, dass der Mensch sozusagen nicht mehr existiert„, wie Jünger es ausdrückte. Doch das Aufkommen des „technischen Krieges“ – „dieser Krieg des Eisens und nicht der Muskeln“ – rief bei Drieu Entsetzen hervor, der darin eine „böse Revolte der vom Menschen versklavten Materie„, ein wahrhaftiges „industrielles Gemetzel“ sah, während bei Jünger, der klar erkannte, dass dieser Krieg einer vulkanischen Schmiede glich, in der die Elemente in titanischer Weise entfesselt wurden, die Intuition eines neuen Menschentyps entstand, der dem des Bourgeois völlig entgegengesetzt war: Der Arbeiter, dessen „heroischer Realismus“ in der Lage wäre, die Welt in Bewegung zu setzen (Mobilmachung). Während Drieu sich darauf beschränkt, die „Armeen der Maschinen“ zu beklagen, kündigen für Jünger die „Bataillone der Arbeiter“ an, die Erfahrung des Krieges, die dem Menschen eine Bereitschaft zur „totalen Mobilisierung„, d.h. einen Willen zur Herrschaft, der sich in den Mitteln der Technik ausdrückt, zu realisieren. Auch wenn Drieu schrieb, dass „der Mensch jetzt lernen muss, die Maschine zu beherrschen, die ihn im Krieg überholt hat“, teilte er nicht diese optimistische und zugleich voluntaristische Vision, die der deutsche Schriftsteller 1932 in seinem berühmten Buch „Der Arbeiter“ entwickelte, indem er diese Technologie lobte, deren „titanische“ Natur er später unter dem Einfluss seines Bruders Friedrich Georg verurteilte.

Natürlich stimmen Drieu und Jünger auch darin überein, dass der Erste Weltkrieg dem Krieg „in der Form“ (Vattel) ein Ende setzte, der noch eine gewisse Verwandtschaft mit dem ritterlichen Krieg hatte. Jünger versteht aber auch, dass der Krieg jetzt ein „totaler Krieg“ ist, ein Ausdruck, dessen Bedeutung geklärt werden muss. Der totale Krieg ist nicht der „absolute Krieg“, von dem Clausewitz gesprochen hat und der nur das Ergebnis einer Übersteigerung ist, die schließlich zum „Vernichtungskrieg“ führen kann, bei dem der Feind, auch wenn er nicht völlig vernichtet wird, unfähig wird, den Kampf fortzusetzen. Der wichtigste Gedanke, den konservative und reaktionäre Kreise im Allgemeinen noch nicht verstanden haben, ist vielmehr der, dass der Krieg nicht mehr ausschließlich eine militärische Angelegenheit ist und dass die klassische zwischenstaatliche Kriegsführung einer wirtschaftlichen und imperialistischen Kriegsführung weicht. Dies hatte Léon Daudet bereits 1918 in seinem bahnbrechenden Buch „Der totale Krieg“ vorausgesehen: „Er ist die Ausweitung des Kampfes auf die Bereiche Politik, Wirtschaft, Handel, Industrie, Recht und Finanzen.“

PHILITT: Beide Schriftsteller haben den utopischen Roman – Jünger mit Auf den Marmorklippen oder Heliopolis und Drieu mit Beloukia oder Der Mann zu Pferde – zu einer Zeit verwendet, als dieses Genre noch recht selten war. Gibt es über diese Ähnlichkeit hinaus noch andere Gemeinsamkeiten in den literarischen Werken der beiden Autoren?

Alain de Benoist: Ich bin nicht genug Literaturkritiker, um diese Frage richtig zu beantworten. Was mir beim Schreiben an Drieu auffällt, ist seine Neigung zu einer bestimmten Form der Beichte, in der er sich ohne Umwege und Nachsicht verrät. Dies zeigt sich in den Texten, die nach seinem Tod veröffentlicht wurden, sei es der Geheime Bericht oder das Tagebuch 1939-1945 (das den vorherigen Bericht wiederholt). Wenn ich mich nicht irre, hat sich Jünger nie auf diese Weise verraten und hatte offensichtlich auch nicht das Bedürfnis, dies zu tun. Alle Notizbücher, die er führte, wurden noch zu seinen Lebzeiten veröffentlicht.

PHILITT: Wie Julien Hervier in seinem Buch Deux individus contre l’histoire: Drieu et Jünger feststellt, „ist das Auffällige an Drieu und Jünger die explosive Mischung, die sich bei beiden zwischen einem unbestreitbaren reaktionären Geist und einem revolutionären Willen ergibt.“ So stand Jünger am Ende des Ersten Weltkriegs Ernst Niekisch, dem Vordenker des Nationalbolschewismus, nahe, und Drieu wandte sich dem Faschismus zu. Wie waren ihre jeweiligen politischen Versuche, einen Dritten Weg jenseits von rechts und links in der Zwischenkriegszeit zu finden, gekennzeichnet?

Alain de Benoist: Beide waren zweifellos revolutionäre Konservative, die die Werte, die sie für ewig hielten, bewahren wollten, sich aber gleichzeitig bewusst waren, dass das Aufkommen der modernen Welt Brüche verursacht hatte, die nicht mehr rückgängig gemacht werden konnten. Aber meiner Meinung nach geht die Ähnlichkeit nicht viel weiter. Jüngers politisches Engagement ist eine direkte Folge seiner Erfahrungen an der Front: Nach dem verlorenen Krieg muss der Soldat an der Front „die Nation gewinnen“. Aus dieser Sicht kann die deutsche Niederlage sogar zu einem Gewinn werden: „Deutschland wurde besiegt, aber diese Niederlage war heilsam, weil sie zum Verschwinden des alten Deutschlands beitrug […] Es war notwendig, den Krieg zu verlieren, um die Nation zu gewinnen.“ Nichts dergleichen geschah mit Drieu, der sich erst mit der Abkehr Jüngers von der Politik wirklich engagierte.

Gleich zu Beginn der 1920er Jahre galt Ernst Jünger schnell als der brillanteste Schriftsteller der Frontgeneration. Nach seinem Ausscheiden aus der Reichswehr ließ er sich ab 1923 in Leipzig nieder, wo er sich in den Freikorpsorganisationen (Ehrhardt-Brigade, Organisation Rossbach) und in einigen bündischen Verbänden der Jugendbewegung engagierte, zahlreiche nationalistische Zirkel und Gruppen besuchte und sich mit seinem Bruder Friedrich Georg mit ganzem Herzen der Politik widmete. Dieses glühende Engagement in einer nicht minder glühenden Zeit führte dazu, dass er für eine ganze Reihe von Zeitschriften (Arminius, Vormarsch, Die Kommenden, Widerstand) rund 140 Artikel schrieb, in denen er für einen „neuen Nationalismus“ soldatischer und nationalrevolutionärer Inspiration eintrat. (Diese frühen Schriften, die vor einigen Jahren in Deutschland neu aufgelegt und dann ins Italienische übersetzt wurden, sind bis heute nicht auf Französisch veröffentlicht worden). „Wenn wir das Programm, das Niekisch im Widerstand entwickelt hat, in die Form einer trockenen Alternative bringen wollen„, schrieb er, „dann lautet es etwa: gegen die Bourgeoisie, für den Arbeiter, gegen die westliche Welt, für den Osten.“

Die wichtigsten politischen Aufsätze erschienen ab 1929. Zuerst kam die erste Fassung von Das abenteuerliche Herz (1929), dann die Totale Mobilmachung (1931) und schließlich Der Arbeiter, der 1932 in der Hanseatischen Verlagsanstalt in Hamburg erschien und bei dem Benno Ziegler Regie führte. In seiner Jugend sah Jünger, zweifellos gerade unter dem Einfluss von Niekisch, in den Kommunisten mitunter die besten Wegbereiter für die „Revolution ohne Phrasen“, die er dann in Der Arbeiter feiern wird. Später jedoch, und aus einer ganz anderen Perspektive, betonte er, wie sehr Kommunismus und Nationalsozialismus in ähnlicher Weise die Technik in das politische Leben eingeführt hatten und damit dasselbe Festhalten an der Moderne unter dem Horizont eines Willens zur Macht demonstrierten, den Heidegger als bloßen „Willen zum Willen“ zu entlarven vermochte. Ähnliche Überlegungen finden sich in Genf oder Moskau (1928), wo Drieu betont, dass Kapitalismus und Kommunismus beide Erben der Maschine sind: „Beide sind die glühenden und dunklen Kinder der Industrie„.

Vielleicht schon besorgt über den Aufstieg des Nationalsozialismus, distanziert sich Jünger radikal von der Politik, ebenso wie Drieu sich ihr ebenso entschlossen widmet. 1934 veröffentlichte er Socialisme fasciste und schloss sich drei Jahre später der PPF von Jacques Doriot an, von der er sich 1938 distanzierte, indem er ihm vorwarf, kein „wahrer Revolutionär“ zu sein (sein endgültiger Austritt aus der PPF datiert von 1939). Er hatte sich jedoch 1933 der linken Strömung um Gaston Bergery angenähert, als dieser eine „Gemeinsame Front gegen den Faschismus“ ins Leben rief! In der Zwischenzeit hatte ihn das Spektakel der Demonstrationen vom 6. Februar begeistert.

In Socialisme fasciste stellt Drieu Nietzsche Marx gegenüber: „Nietzsche gegen Marx, Nietzsche in der Nachfolge von Marx, Nietzsche der wahre Prophet und die Inspiration der Nachkriegsrevolutionen.“ Aber es wäre ein großer Fehler zu glauben, dass Drieu Politik als eine Domäne der Ideen in Aktion sieht. Im Gegenteil, er sieht sie als reines Handeln, im Gegensatz zu jeglichem Intellektualismus, als Mittel, um sich von den Ideen, d.h. von der abstrakten Intelligenz zu verabschieden. Doch während er den Intellektualismus anprangert, ist er sich selbst nicht bewusst, dass er ein Intellektueller ist. In der „Peroration“ seines Exordiums (das erst 1961, zeitgleich mit der Geheimen Erzählung, veröffentlicht wurde) heißt es: „Ich habe mich in vollem Bewußtsein verhalten, gemäß der Vorstellung, die ich mir von den Pflichten des Intellektuellen gemacht habe. Der Intellektuelle, der Kleriker, der Künstler, ist kein Bürger wie die anderen. Er hat Pflichten und Rechte, die über denen der anderen stehen.“

Wie Julien Hervier feststellte, ist das Bedürfnis nach Engagement für Drieu also eine Ethik des Handelns um des Handelns willen. Er engagierte sich nicht aus Provokation, sondern weil es feige wäre, sich nicht zu engagieren: Im Leben muss man sich zwingen, sich die Hände schmutzig zu machen. Und vor allem, um es noch einmal zu sagen, sucht er in der Politik das, was er schon immer gesucht hat, ohne jemals Erfolg zu haben: nicht so sehr einen „Dritten Weg“, sondern eine Art absolute Synthese, dank derer es ihm gelingen würde, seine Widersprüche miteinander zu versöhnen. Er war bald enttäuscht, aber er wollte es nicht zugeben. Aus demselben Grund blieb er während der Besatzungszeit auf seinen Positionen, obwohl er von der deutschen Niederlage überzeugt war.

In seinen Romanen verwendet Drieu Figuren, die die Eitelkeit des politischen Engagements anprangern oder offenbaren. In Beloukia wird Felsan als „einer jener Mittelmäßigen, die sich in den politischen Fanatismus stürzen, um sich für die miserablen Ergebnisse zu rächen, die die übermäßige Mittelmäßigkeit ihrer Temperamente bei ihrer normalen Arbeit hervorbringt„, vorgestellt. Auch in Der Mann auf dem Pferd macht sich Felipe keine Illusionen über die Politik. Ist dies eine Selbstkritik – eine weitere?

Der von Niekisch und einigen anderen vertretene Nationalbolschewismus sah die Oktoberrevolution als eine eminent nationale Revolution an. Sie plädierte für eine „Ostorientierung“, um das besiegte Deutschland aus dem doppelten Einfluss des sich auflösenden Westens und des katholischen Südens zu befreien. Niekisch sah im sowjetischen System auch eine Verwandtschaft mit dem preußischen Geist sowie mit jenem „deutschen Sozialismus“, den auch Spengler und Sombart behaupteten. Drieu seinerseits schrieb, dass „die einzige tiefgreifende Ressource des deutschen Imperialismus ein deutscher Kommunismus wäre„, aber er stellte sich nicht in dieselbe Perspektive. Erst 1943, nachdem er begriffen hatte, dass Hitler mit seiner „sozialistischen Revolution“ gescheitert und der Hitlerismus eine Sackgasse war, lobte er offen den russischen Kommunismus: „Wir müssen eher auf den Sieg der Russen als auf den der Amerikaner hoffen […] Die Russen haben eine Form, die Amerikaner nicht […] Nichts trennt mich vom Kommunismus, nichts hat mich je von ihm getrennt, außer meiner atavistischen kleinbürgerlichen Starrheit.“

Diese letzten Worte sind aufschlussreich. Im Kommunistischen Manifest (1847) sagte Marx, dass „die moderne Regierung nur ein Ausschuss ist, der die gemeinsamen Angelegenheiten der gesamten Bourgeoisie verwaltet„. Er fügte hinzu, dass „die bürgerlichen Produktions- und Tauschbedingungen, die bürgerliche Eigentumsordnung, die moderne bürgerliche Gesellschaft […] dem Zauberer gleichen, der die von ihm heraufbeschworenen höllischen Kräfte nicht mehr zu beherrschen weiß„. Jünger hätte dieser Aussage zustimmen können, denn für ihn ist die Figur des Arbeiters das genaue Gegenteil des verhassten Bourgeois. Drieu ist viel ambivalenter. Schon seine erste Ehe mit Colette Jéramec hatte ihm ein bürgerliches Leben ermöglicht, das er nach eigener Aussage verabscheute. Sein 1937 veröffentlichter Roman Rêveuse bourgeoisie beschreibt die Geschichte einer bürgerlichen Familie vor und nach dem Ersten Weltkrieg, enthält aber nur wenige politische Überlegungen. Drieu weiß sehr wohl, dass der bürgerliche Individualismus, den er scharf verurteilt, auch Teil seines Wesens ist. Er verflucht die Dekadenz umso mehr, als er merkt, dass auch in ihm selbst etwas Dekadentes steckt.

Das Verhör enthält diese Zeile: „Und der Traum und die Handlung„. Diese Worte wurden oft zitiert, weil ihre Gegenüberstellung genau das wiedergibt, was Drieu sein ganzes Leben lang versucht hat, unter einen Hut zu bringen. Die Suche nach einem „Dritten Weg“ mag für jemanden, der immer versucht hat, Gegensätze miteinander zu versöhnen, ganz natürlich erscheinen: Träume und Taten, Schrift und Krieg, Tinte und Blut. Aber das ist ihm nie gelungen. Auch die Politik ist die Suche nach einem Absoluten, das alle Gegensätze versöhnen kann. Wie der Held von Der Mann auf dem Pferd träumte auch Drieu von „etwas Tieferem als der Politik, oder vielmehr von jener tiefen und seltenen Politik, die der Poesie, der Musik und, wer weiß, vielleicht der hohen Religion gleicht„. Aber er war nicht in der Lage, den Weg zu bestimmen, der ihn in diese Richtung führen würde. In vielerlei Hinsicht war er immer ein Dilettant. In seinem Tagebuch der Jahre 1939-1945 kann man sogar von seiner „Gleichgültigkeit gegenüber jeder tiefen ideologischen Überzeugung„, von seiner „Vielseitigkeit“ (Julien Hervier) sprechen. Im Grunde genommen verfügte er nicht über die theoretischen Mittel, um die Ideen, die er zu haben behauptete, wirklich zu verstehen.

Drieu ist einer von denen, die das schätzen, was ihnen am meisten fehlt. Er ist umso leidenschaftlicher in der Politik, weil sie ihn anwidert und enttäuscht. Das Gleiche gilt für Frauen und auch für den Körper. Drieu war ein Mann des Zögerns, des Hin und Her, des Schwankens, der widersprüchlichen Begeisterung, der Unentschlossenheit und vor allem der stets enttäuschten Impulse. Im Vergleich zu Jünger war er ein Frontsoldat, manchmal ein Rebell (Waldgänger), jedoch nie ein Anarch.

PHILITT: Beiden Männern ist gemeinsam, dass sie es für notwendig hielten, dass die europäischen Völker den nationalen Rahmen überschreiten. Wie sahen beide die Nation, über die sie nach dem Ersten Weltkrieg viel schrieben?

Alain de Benoist: In den 1920er Jahren, beginnend mit Mesure de la France (1922), setzte sich Drieu am nachdrücklichsten für einen großen kontinentaleuropäischen Block ein. Die Idee wurde 1927 in Le jeune Européen, 1928 in Genève ou Moscou und 1931 in L’Europe contre les patries wieder aufgegriffen. In La comédie de Charleroi heißt es 1934 erneut: „Heute ist Frankreich oder Deutschland zu klein„. Gleichzeitig glaubte Drieu, im Völkerbund die Umrisse dessen gefunden zu haben, was er wollte (Genf oder Moskau), was heute etwas seltsam anmutet. Noch bizarrer ist, dass er dem „europäischen Kapitalismus“ die Aufgabe zuweist, den lokalen Patriotismus zugunsten eines europäischen Patriotismus zu zerstören.

Die Idee eines „Dritten Weges“ beruht auf der offensichtlichen Notwendigkeit für Europa, sich sowohl vom amerikanischen als auch vom sowjetischen Modell zu distanzieren, zwei Kräften, die er, wie bereits erwähnt, als eng miteinander verbunden ansieht: „In den Vereinigten Staaten von Amerika tun diejenigen, die man Kapitalisten nennt, und in der UdSSR Russlands diejenigen, die man Kommunisten nennt, dasselbe.“ In seinen Romanen erklärt Boutros, die Hauptfigur von Eine Frau am Fenster, dass er, obwohl er Kommunist ist, „kein Vertrauen mehr in die Amerikaner oder die Russen“ hat.Menschen in Europa, reduziert und erschöpft, wir befinden uns zwischen zwei Massen: Amerika und Russland. Europa, das zwischen Imperien kontinentalen Ausmaßes liegt, beginnt darunter zu leiden, dass es auf fünfundzwanzig Staaten aufgeteilt ist, von denen keiner so groß ist, dass er alle anderen beherrschen oder in dem unverhältnismäßigen Wettbewerb, der sich zwischen riesigen Teilen Asiens und Amerikas auftut, würdig vertreten könnte“ (Maßnahme Frankreichs). Sein allgemeiner Gedanke ist, dass die Zukunft Europas von seiner Fähigkeit abhängt, sich zu vereinen, um den beiden konkurrierenden Imperialismen, die es gleichermaßen bedrohen, zu begegnen. Die „kleinen Nationen“, die eng gewordenen Nationalismen, sind dazu nicht in der Lage. Um Europa aufzubauen, ist es notwendig, den „kleinen Nationen“ den Kampf anzusagen, die so viele Hindernisse für seinen Aufstieg auf der Weltbühne darstellen. „Europa wird sich fusionieren oder es wird verschlungen„, heißt es in Mesure de la France. Nebenbei lobte Drieu das Kaiserreich: „Das Vaterland ist bitter für den, der vom Kaiserreich geträumt hat. Was ist ein Vaterland für uns, wenn es nicht das Versprechen eines Imperiums ist? (Der Mann zu Pferd). Europa muss auf „imperiale“ Art und Weise föderiert werden, was bedeutet, dass er es nicht auf „napoleonische“ Art und Weise als eine vergrößerte Nation begreift. Das ist etwas, was Hitler, der in seinem Nationalismus und seinem Pangermanismus gefangen war, nie verstanden hat. Drieu wiederholte es nach 1942 ständig: „Hitler ist ein deutscher Revolutionär, aber kein europäischer„.

In L’Europe des patries schrieb er: „Zunächst einmal seid ihr keine Deutschen, genug der Witze. Genauso wenig, wie wir Gallier oder Lateiner sind oder die Italiener Römer sind. Von der Poesie skizzierte Figuren, die von nostalgischen Kleinbürgern in den Tiefen der Bibliotheken des 19. Jahrhunderts zu politischen Ungeheuern verdichtet wurden […] Jetzt braucht es mehr als die Abrundung eines Nationalstaates in einer Zeit, in der man nichts ist, wenn man nicht ein Kontinent ist.“ Es ist anzumerken, dass Drieu auch den Gegensatz zwischen „jungen Völkern“ und „alten Völkern“ aufgreift, der sich bei Moeller van den Bruck findet. Dieses Thema eines mächtigen und sozialistischen Europas wird auf unterschiedliche Weise eine Konstante in seinem Werk bleiben.

Auch Jünger konnte sich von engen nationalen Bindungen lösen. Auch er war ein „guter Europäer“, aber nicht in dem Sinne, den Drieu ihm gab. Der Arbeiter wirft bereits ein globales Problem auf, das sich nach dem Krieg in seinem Essay über den Universalstaat wiederfinden wird. In Der Frieden plädiert Jünger lediglich für die Wiedergeburt eines geistig geeinten und re-christianisierten Europas. Drieu hingegen träumt nur von Regeneration. Wie Nietzsche glaubt er, dass das, was zusammenbricht, nicht gerettet, sondern eher beschleunigt werden sollte. Deshalb erklärt er in seinem Tagebuch, dass er sich die Zerstörung des Westens wünscht, und ruft zu einer barbarischen Invasion auf, die diese sterbende Zivilisation hinwegfegen wird: „Mit Freude begrüße ich die Ankunft Russlands und des Kommunismus. Es wird schrecklich sein, furchtbar zerstörerisch„.

Drieu ist ein Anglomane und hat den Ruf eines Germanophilen, aber im Grunde weiß er wenig über die germanische Welt. Jünger gilt als frankophil, was nicht falsch ist, aber allzu oft vergessen lässt, vor allem die Franzosen, wie sehr er auch zum Deutschtum gehört. Drieu ist zuweilen von seiner Anglomanie geblendet: Er schrieb zunächst, dass sich die Europäer die Angelsachsen zum Vorbild nehmen sollten, deren Schönheit, Körperkult und Vornehmheit er als guter Dandy hervorhob. Erst später scheint er erkannt zu haben, dass die angelsächsischen Länder auch die Brutstätte des Kapitalismus, des Utilitarismus und der materialistischen Uniformität sind und dass es „die beiden großen angelsächsischen Mächte sind, die die Ozeane halten„. Schließlich sind die Länder des Südens, die in seinen Romanen eine große Rolle spielen, in seinen eher theoretischen Betrachtungen über Europa auffallend wenig vertreten.

PHILITT: Beide legten großen Wert auf Transzendenz und entwickelten ein Interesse an Religionen und dem Christentum – man denke an die zahlreichen Verweise auf das Alte und Neue Testament in Jüngers „Kriegstagebuch“ – und entwickelten gleichzeitig eine nietzscheanische und kritische Sicht darauf. Wie sahen sie die moderne Welt, die vom Göttlichen verlassen worden war?

Alain de Benoist: Jünger las biblische und christliche Schriften vor allem seit dem Ende des Krieges, als er den Frieden schrieb, und auch in den 1950er Jahren, in der Zeit, die mit seinem Essay über den Universalstaat (1960) endete – eine Entwicklung, die seinen damaligen Sekretär Armin Mohler sehr enttäuschte! Jünger zog eine Parallele zwischen dem Aufstieg des Totalitarismus (der „nackten Bestialität„) und dem Zerfall des Christentums.

In seinen Briefen an die Surrealisten schrieb Drieu, der auch davon geträumt hatte, Priester oder Mönch zu werden, dass „die wesentliche Funktion, die menschliche Funktion schlechthin, die sich Männern wie euch, die kühn und schwierig sind, bietet, darin besteht, Gott zu suchen und zu finden„. Aber bei ihm ist der Bezug auf Gott eher selten, und in diesem Punkt unterscheidet er sich kaum von Jünger. Mehr als die Religion selbst ist es die Spiritualität – um einen modisch gewordenen und daher überstrapazierten Begriff zu verwenden – die ihn anzieht. Daher auch sein Interesse an orientalischen Weisheiten und sogar an der Esoterik. Im Vorwort zu Gilles (1939) schreibt er, dass er, wenn er sein Leben noch einmal leben müsste, es der Geschichte der Religionen widmen würde. Wie Jünger, der Mircea Eliade sehr nahe stand (gemeinsam gaben sie die Zeitschrift Antaios heraus), interessierte er sich leidenschaftlich für Mythen und bezog sich immer wieder auf das Heilige, ohne jedoch jemals zu versuchen, es mit einer bestimmten Religion in Verbindung zu bringen. Für ihn ist das Heilige gleichbedeutend mit dem Göttlichen, und dieses Göttliche ist eher immanent als transzendent: „Gott„, sagt er, stellt vor allem die „Tiefe der Welt“ dar. Aus Nietzsches Aussage „Gott ist tot“ zieht Jünger die Überzeugung, dass „Gott neu gedacht werden muss„. Das, was man gewöhnlich als Glauben bezeichnet, ist hier kaum zu finden. Man denkt eher an Heideggers berühmten Satz: „Nur ein Gott kann uns retten„.

PHILITT: Sehen Sie in ihrer künstlerischen Anziehungskraft, die bei Drieu la Rochelle vom Surrealismus und bei Ernst Jünger vom Klassizismus geprägt ist, eine Verbindung zu ihrem politischen Engagement?

Alain de Benoist: Ich weiß nicht, ob man bei Jünger wirklich von einer künstlerischen Anziehungskraft des Klassizismus sprechen kann. In der „goetheanischen“ Periode seines Lebens hörte er zwar nicht auf, im klassischen Stil zu schreiben, was ihn aber nicht daran hinderte, sich für Maler, Graveure oder Zeichner ganz anderer Richtungen zu interessieren (Alfred Döblin, A. Paul Weber und viele andere).

Drieu seinerseits hatte schon immer eine äußerst ästhetische Vision des Lebens im Allgemeinen und der Politik im Besonderen. Er wollte ein großer Künstler sein, genauso wie er ein großer Dichter, ein großer Liebhaber, ein großer Politiker sein wollte, aber es ist schwer zu erkennen, was genau sein künstlerischer Geschmack war. In drei bekannten Hetzbriefen vollzog er schnell den Bruch mit den Surrealisten, die ihn ebenfalls enttäuschten. In einem dieser Briefe vertraute er an, dass er „das Leben als ein Gebet und die Kunst als die Art und Weise, dieses Gebet zu artikulieren“ betrachte, aber seine Aussage bezog sich nur auf die „Kunst“ im Allgemeinen, nicht auf einen bestimmten Stil. Später verteidigte er Maler wie Fernand Léger, Georges Braque, Matisse und Picasso, aber das reicht nicht aus, um uns viel über seine künstlerischen Neigungen zu erzählen.

In seinem Artikel „Künstler und Propheten“, der 1939 in Buenos Aires in der Zeitung „La Nación“ veröffentlicht wurde, stellt Drieu fest, dass die „hitlerischen Inquisitoren“ in ihrem Kampf gegen die „entartete Malerei“ „den gesamten konvulsiven Aspekt der Kunst der letzten Zeitalter zerstören wollen„. Und doch sind sie selbst, in ihrer revolutionären Bewegung, der sicherste Ausdruck des konvulsiven Charakters des Jahrhundertgeistes. Und er fügt hinzu: „Die Hitlerianer haben das Werk von Vincent Van Gogh aus den deutschen Museen verbannt. Dennoch scheint mir dieser gewalttätige und verzweifelte Maler einer der Vorläufer Hitlers zu sein.“ Eine Idee, die noch nicht erforscht wurde!

Dieses Interview mit Alain de Benoist wurde in französischer Sprache zuerst veröffentlicht auf der Internetseite von Philitt:

Wir danken für die Erlaubnis zur Veröffentlichung auf unserer Seite!

Im Jungeuropa Verlag ist in einer Neuauflage das Werk von Alain de Benoist „Kulturrevolution von rechts“ erschienen und kann dort direkt bestellt werden.

Über Wahlhelfende, freiwillige Gleichschaltung und Hannah Arendt

von Matthias Matussek

Über Wahlhelfende, freiwillige Gleichschaltung und Hannah Arendt

In diesen Tagen hat der Bundeswahlleiter Briefe an die Wahlhelfer, Quatsch, die Wahlhelfenden (aller möglichen und unmöglichen Geschlechter) verschickt mit der frohen Botschaft, dass sie eventuell für die Vorzugsbehandlung einer Corona-Impfung in Betracht kämen sowie in den Genuss einer „Erfrischungspauschale“ von 25 Euro.

Dass hier nun von „Wahlhelfenden“ die Rede ist, liegt nicht unbedingt an dem Gebot einer geschlechtsneutralen Anrede. Sie ist einfach richtiger, weil sie auch Institutionen wie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit einschließen, die ja durch durchaus helfen auf den letzten Metern hin zu Wahlkabine, indem sie Orientierung geben im verwirrenden demokratischen Dschungel so vieler Parteien.

Gerade wir älteren Mitbürger sind da oft überfordert. Sollen wir die V-Partei wählen (Veganer und Vegetarier) oder die MLPD (Marxisten/Leninisten Deutschlands), die Gartenpartei oder die Pinken (Bündnis 21)? Fest steht nur, wen wir nicht wählen sollten, obwohl sie, ihrem Gewicht bei der letzten Wahl entsprechend, an dritter Stelle wohl oder übel auf dem Wahlzettel aufgeführt werden musste: die AfD.

Aber unsere Medien, auch die Zeitungen und Magazine, sind sich einig, dass die Wahl der AfD einen bedenklichen Mangel an demokratischem Bewusstsein der Wählenden verraten würde. Kurz: die AfD gilt als rechtsextrem und darf eigentlich nicht gewählt werden. Deshalb wurde sie bisher auch nie zu irgendwelchen irgendwie bedeutsamen TV-Auftritten gebeten.

Bisher galt es in den „Nachrichten“-Sendungen für durchaus möglich, dass eine nonchalant so genannte „Mitte-Links-Regierung“ gebildet werden könne aus linksradikalen Antifa-SPDLern (Esken), Linken, Grünen – eine „Mitte-Rechts“-Regierung aber des Teufels wäre, denn die wäre ein bürgerliches Bündnis aus CDU, AfD und FDP, und selbst die Bezeichnung als „bürgerlich“ dafür kostete einst einer Moderatorin nach der Landtagswahl in Sachsen fast den Kopf.

Für die AfD gilt im öffentlichen politischen Diskurs ein schon alttestamentarisches  Bilderverbot – man sollte sie nicht nennen bei Strafe der allgemeinen Ächtung.

Dafür beeilen sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten – sicher ist sicher – auf diesen letzten Metern noch einmal drastisch vor Augen zu führen, was passieren könnte, sollten wir doch das Kreuz an verbotener Stelle setzen – wie nun die Science Fiction Serie im ZDF mit dem Titel „Deutscher“ vorführt, die drastisch und mit blutig geschlagenen Schädeln und himmelschreiend Antifa-konform erzählt, was in Deutschland passiert, wenn “plötzlich eine rechtspopulistische Partei die Regierung in Deutschland übernehmen würde“.

Als hätten Saskia Esken (SPD) und Janine Wissler (Linke) bereits jetzt eine volkspädagogische Produktion einer künftigen rotgrünlinken Regierung in Auftrag gegeben. Dass die Wahlstände der AfD in diesem gesteuerten und gleichgeschalteten Überzeugungseifer derzeit regelmäßig zu Kleinholz verarbeitet werden, gilt als, nun, demokratisches Kavaliersdelikt.

Es geht aber auch positiver! Letzte Woche zum Beispiel setzt das ZDF seine Wahlhilfe fort mit „Eure Wut, Euer Mut“, eine Motivationsstunde für Wähler der Grünen, besser: für die Wahl der Grünen.

So einig sind sich alle in unserer Republik, dass die AfD unwählbar ist, dass es einen gruseln könnte. Denn gleichzeitig, das ist ermittelt, haben drei Viertel der Bürger Angst in diesem Lande, ihre Meinung zu sagen. Ja, sie fühlen sich „gegängelt“.

Durch wen? Durch knallende Stiefelhacken? Nein, durch die Drohung, geächtet zu sein, und die wird durch diejenigen wach gehalten, die man in England als „chattering class“ bezeichnet, die Meinungsmacher in den Salons und Redaktionstuben und TV-Programmabteilungen, die Meinungsmacher aus Medien und Politik.

Das wohl beeindruckendste Interview, das ich in letzter Zeit gesehen habe, ist ein uraltes aus den sechziger Jahren, als das Fernsehen noch schwarzweiß war, ein Gespräch von zwei Kettenrauchern, mit Günther Gaus mit Hannah Arendt, der klugen deutschjüdischen Emigrantin, die sich erinnert an den schlimmsten Freundschafts-Verrat, den sie in den 30er Jahren zu erdulden hatte – er wurde von den gleichgeschalteten Intellektuellen verübt.

Die Gleichschaltung, und das ist die historische Paradoxie, wird heute von links ausgeübt, unter dem Vorwand, eine rechte Machtübernahme zu vereiteln. Eine angesichts der Verhältnisse absurde Annahme und durchaus ein Vorwand, jede regierungskritische Haltung zu unterdrücken. Dieses Verfahren wird erspürt von der Bevölkerung („Gängelei“), aber nicht zum Ausdruck gebracht, aus Angst vor – genau, Repressalien oder Jobverlust.

Noch einmal zu Hannah Arendt, die die opportunistische Beweglichkeit der Intellektuellen unter der Bedingung der begeisterten Gleichschaltung erlebte.

„Sie glauben gar nicht, wie interessant sie diesen Hitler plötzlich fanden – sie sind in die Falle ihrer eigenen interessanten Überlegungen gerannt!“

Also hoffen wir, dass die Wahlhelfenden am Wahlabend in ihrem gleichgeschalteten „demokratischen“ Eifer nicht aus Versehen die Stimmen für jene Unaussprechlichen dahin sortieren, wohin sie offizieller Meinung nach gehören – in den Müll.

Dieser Kommentar zur bevorstehenden Bundestagswahl erschien zuerst auf der stets lesenswerten Internetseite von Matthias Matussek.

Wir danken Matthias Matussek für die Genehmigung zur Veröffentlichung auf unserer Seite.

Dieses Bild hat ein leeres alt-Attribut; sein Dateiname ist matussek.jpg.

Matthias Matussek

Matthias Matussek, geboren 1954, wollte Missionar oder Bundesliga-Spieler werden. Er schloss einen Kompromiss und wurde Maoist. (Paul Breitner!) Nach dem Abitur trieb er sich ziellos in der Welt herum (Griechenland, Balkanstaaten, Indien). Ein ebenso zielloses Studium (Theaterwissenschaften, Amerikanistik, Komparatistik, Publizistik, Schauspiel) wurde erstaunlicherweise relativ zügig mit einem Zwischendiplom in Anglistik und Germanistik beendet. Danach wechselte er auf die Journalistenschule in München, wo es Zuspruch von erfahrenen Journalisten gab, sowie eine Abmahnung seitens der Schulleitung aufgrund mangelnder Disziplin. Nach Praktika beim Bayrischen Fernsehen und der Münchner tz wechselte er zum Berliner Abend, danach zum TIP. Die Zeit: RAF-Wahnsinn, besetzte Häuser, Herointote.

Als er 1983 zum STERN nach Hamburg wechselte, hatte er das Gefühl, endlich in der Bundesliga angekommen zu sein. Allerdings purzelte ein paar Monate später das gesamte Staresemble des STERN über die gefälschten Hitlertagebücher und war fortan stark abstiegsgefährdet. Dennoch lernte Matussek – gemeinsam mit den großen STERN-Fotografen (Bob Lebeck) – die Kunst der Reportage, die zu einem nicht geringen Teil auf der Kunst besteht, im entscheidenden Moment unverschämt zu sein. Weshalb Disziplinlosigkeit durchaus Teil des Berufes sein kann.

1987 machte ihm der SPIEGEL ein Angebot, das er nicht zurückweisen konnte. Chefredakteure und Ressortleiter gingen und kamen. 1989 konnte er seine theoretischen Kenntnisse des Maoismus nutzbringend anwenden, als er in die kollabierende DDR zog und dort ins Palasthotel. Die Lehre: kein Umweg, den wir nehmen ist unbrauchbar.Schriftsteller Thomas Brussig, der im Palast-Hotel als Etagenkellner arbeitete, und Matussek zur Hauptfigur seines Romans „Wie es leuchtet“ machte, schrieb:“ Für Matthias Matussek hatte ich die meiste Bewunderung. Er schrieb eine glänzende Reportage nach der anderen. Sie lasen sich wie Rezensionen des laufenden Geschehens…Zum Reporter muss man geboren sein – und Matthias Matussek ist es“. (Natürlich hatte er Brussig dafür ganz groß in eine Pizzeria ausgeführt.) Für eine seiner Ost-Reportagen erhielt Matussek 1991 den Kisch-Preis.

Seine Frau lernte Matussek 1990 im Roten Rathaus kennen, wo sie, von Sprachstudien aus Moskau kommend, ein Praktikum absolvierte. Zwei Jahre später zogen sie um nach New York, was damals in etwa gleich weit von Ost- wie West-Berlin lag, also durchaus neutraler Boden war. In New York entstanden nicht nur der gemeinsame Sohn sondern auch ausgedehnte Reportagen und Artikel für amerikanische Zeitungen, sowie Kurzgeschichten und ein Roman. Harold Brodkey nannte Matussek „den besten seiner Generation“.

Zurück in Deutschland zog Matussek kreuz und quer durch die Nation und schrieb eine zweiteilige Bestandsaufnahme der deutschen Einheit, die wiederum für den Kischpreis nominiert wurde. Dann nahm er Stellung im Geschlechterkampf. Mit seinem Buch „Die Vaterlose Gesellschaft“ verärgerte er den Großteil deutscher Frauen und wurde von der Zeitschrift „Emma“ zum „Pascha des Monats“ ernannt. Aus seinem Buch entstand das Spielfilm-Projekt „Väter“ (Regie: Dany Levi), zu dem Matussek das Drehbuch schrieb. Mittlerweile, hat er den Eindruck, hat man ihm beides verziehen.

Im Jahr 1999 trat Matussek die Korrespondentenstelle in Rio de Janeiro an. Er bereiste den Kontinent, erlebte Putschversuche und Katastrophen, recherchierte in Favelas, unter Drogenbanden und unter den Eliten der Länder. Für eine 2-teilige Serie zog er wochenlang durch den Amazonas, und veröffentliche das Ergebnis in Buchform unter dem Titel „Im magischen Dickicht des Regenwaldes“.

Im Jahr 2003 übernahm er die Korrespondentenstelle des SPIEGEL in London, wo er sich ehrenhafte Kämpfe mit der blutrünstigen, Deutschen-hassenden Fleetstreet lieferte, was in seinem Buch „Wir Deutschen – warum uns die anderen gerne haben können“, auf das schönste dokumentiert ist. Das Buch war 13 Wochen lang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste, und lieferte den Beleg dafür, dass man patriotische Gefühle nicht den Knallköpfen von rechts überlassen muss.

2003 übernahm er das Kulturressort in der Hamburger Spiegel-Zentrale. Die Presse meinte, dort sei nun „Rock n Roll im Laden“. Gleichzeitig hatte er für den SWR das TV-Format „Matusseks Reisen“ entwickelt und einen wöchentlichen Video-Blog etabliert, der 2007 mit dem Goldenen Prometheus ausgezeichnet wurde. Im gleichen Jahr entstand sein Buch „Als wir jung und schön waren“ (Fischer-Verlag).

Schon 2007 hatte Matussek seine Funktion als Ressortchef wieder abgegeben und widmete sich den Sachen, die er am besten kann: dem Schreiben und der Disziplinlosigkeit. „Matusseks Reisen“ wurde unter dem Titel „Matussek trifft“ noch ein paar Folgen fortgesetzt und fiel dann dem Sparzwang zum Opfer. Seinen wöchentlichen Videoblog betrieb er weiter und publizierte mit „Das Katholische Abenteuer“ eine „Provokation“, die es ebenfalls in die Bestellerliste schaffte.

Nach mehr als 25 Jahren beendete er seine Zeit beim Spiegel und stellte sich als Kolumnist für den Springer-Konzern zur Verfügung, eine Zusammenarbeit, die bereits nach erfüllten und produktiven 17 Monaten beendet wurde.

Fortan arbeitet er als freier Autor für die „Weltwoche“ und den „Focus“ und andere und widmet sich erneut seinen Stärken: dem Schreiben und der Disziplinlosigkeit.

Corona als politisches Phänomen – der verzögerte „Weltsystemcrash“ und die Horrorpropaganda der Herrschenden

von Dr. Jens Woitas

Corona als politisches Phänomen – der verzögerte „Weltsystemcrash“ und die Horrorpropaganda der Herrschenden

Die erstmalige Verhängung von Anti-Corona-Maßnahmen im März 2020 hatte, wahrscheinlich nicht nur für mich, den Anschein eines Putsches, mit welchem die Regierungen von Bund und Ländern jegliche politische Auseinandersetzung zugunsten einer von ihnen vorgegebenen Einheitsposition beenden wollten. Plötzlich gab es – analog zum Beginn des Ersten Weltkrieges im August 1914 – keine Parteien mehr, sondern nur noch einen gemeinsamen „Kampf gegen das Virus“, der auf eigenartige Weise auch den „Kampf gegen rechts“ einzuschließen schien. Genau daran scheiterte in den folgenden Wochen und Monaten der schnelle Sprung in eine „Corona-Diktatur“. Zwar ließ sich der bisherige Hauptfeind des Establishments, die AfD, viel zu lange von „Corona“ paralysieren, aber es verblieben einige neurechte Widerstandsnester, die von Anfang an die inhaltliche Begründung der Corona-Politik, und damit auch die Zwangsmaßnahmen selbst offen infrage stellten. Dazu gesellten sich eine winzige Minderheit aufrechter Linker und diffuse Gruppen, die man – auch ohne entsprechende Diffamierungen durch den Mainstream zu übernehmen – tatsächlich nur als „Spinner“ bezeichnen kann. All diesen Akteuren ist es zu verdanken, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland überhaupt den März 2020 überlebte und in der Folgezeit eine – sowohl in der Zahl der „Sender“ als auch jener der „Empfänger“ – stetig wachsende demokratische Gegenöffentlichkeit hervorbrachte, die heute zu einer Gegenmacht angewachsen ist, welche der herrschende polit-mediale Machtkomplex sehr ernst nehmen muss.

Da ich mich selbst schon seit dem „Vor-Corona-Zeitalter“ dieser Gegenöffentlichkeit zuordnen kann, sei hier eines angemerkt: „Wir“ sind weder klüger noch moralisch besser als die anderen. Unser Vorteil besteht lediglich in zwei Punkten: Erstens war uns schon vor „Corona“ bewusst, dass die bundesdeutsche Demokratie hochgradig gefährdet war (etwa durch die Ereignisse in Thüringen unmittelbar vor dem Beginn der Corona-Maßnahmen), und vor allem, dass die Politiker und Parteien des polit-medialen Machtkomplexes nicht mit Notwendigkeit im Interesse des deutschen Staatsvolkes handeln (etwa bei der unkontrollierten Masseneinwanderung nach Deutschland 2015ff.). Zweitens besaßen gerade die erwähnten „Spinner“ die richtige Erkenntnis, dass in der Welt des Jahres 2020 die Science-Fiction mehr und mehr die Realität eingeholt, ja teilweise sogar überholt hatte. (Die Begründung dafür kann u.a. dem durchaus Mainstream-kompatiblen Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ des israelischen Historikers Yuval Noah Harari entnommen werden.)

Meine persönliche Herangehensweise ist es, die Corona-Krise als ein vor allem politisches Phänomen zu betrachten, in welchem Haltungen und Interessen der Beteiligten den Gang der Dinge sehr viel stärker bestimmen als Medizin und Virologie. Die Frage nach diesen Haltungen und Interessen ist somit eine Möglichkeit der Annäherung an eine „wahre“ Erklärung der Ereignisse und ihres Zusammenhanges. „Verschwörungstheoretisch“ wird diese Methode aus meiner Sicht erst dann, wenn über Haltungen und Interessen der Verantwortlichen unbegründete und spekulative Annahmen gemacht werden.

Nach diesen notwendigen Vorbemerkungen komme ich nun zum eigentlichen Thema dieses Essays. Die Corona-Maßnahmen bestimmen nunmehr seit fast 18 Monate unser Leben (Allein dies ist übrigens Anlass genug, die Warnungen und Vorhersagen der Gegenöffentlichkeit nicht von Vornherein abzuwerten.), und in dieser Zeit hat sich die Vernebelung schon teilweise gelichtet, die noch im Frühjahr 2020 unsere Wahrnehmung der Lage bestimmte. Es ist nunmehr Zeit für eine Zwischenbilanz, mit der ich einige wahrscheinliche Motive der politisch Handelnden herausarbeiten und für diese Motivlagen auch stichhaltige Begründungen liefern möchte.

Zunächst einmal ist anzumerken, dass schon die politischen Entscheidungen des März 2020 alles andere als „alternativlos“ waren. Schweden, Brasilien, Weißrussland, Tansania und eine Reihe von US-Bundesstaaten gingen von Anfang an anders mit „Corona“ um als etwa Deutschland und Frankreich. Es hat in den genannten Ländern sicherlich mehr Erkrankte und Todesfälle gegeben als bei uns, aber es fanden auch dort nicht jene apokalyptischen Katastrophen statt, die unser polit-medialer Machtkomplex immer noch ankündigt, sollte seine Maßnahmenpolitik nicht befolgt werden. Die bundesdeutschen Corona-Politiker trafen also im Frühjahr 2020 eine eindeutig politische Entscheidung mit der Konsequenz, für den Seuchenschutz notfalls die Selbstzerstörung von Staat, Wirtschaft und Demokratie in Kauf zu nehmen. Diese Selbstzerstörung ist in nunmehr fast 18 Monaten „Corona-Krise“ bereits weit vorangeschritten, aber selbst dies dient nicht als Anlass dazu, den Pandemie-Zustand durch eine gleichfalls politische Entscheidung zu beenden. Der Grund dafür kann eigentlich nur sein, dass man den Zustand von Staat, Wirtschaft und Demokratie schon Anfang 2020 als derart katastrophal bezeichnen musste, dass die Inkaufnahme von Infektionsrisiken als Preis für die Erhaltung des status quo schlichtweg ethisch nicht gerechtfertigt werden konnten. Diese Einschätzung der verantwortlichen Politiker deckt sich übrigens sehr wahrscheinlich mit derjenigen der großen Mehrzahl der deutschen Bevölkerung. Das erklärt wiederum, warum die Proteste etwa der „Querdenker“, welche auf die Rettung von Staat, Wirtschaft und Demokratie vor den Corona-Maßnahmen abzielen, trotz einiger Achtungserfolge niemals zu einem wirklichen Massenphänomen werden konnten.

Der Hauptgrund für diesen – zunächst unverständlich erscheinenden – Selbstzerstörungstrieb liegt meiner Ansicht nach schon in der Weltfinanzkrise von 2007ff. und der daraus resultierenden Eurokrise. Diese Krisen zwangen Wirtschaft und Politik schon vor mehr als zehn Jahren in einen Ausnahmezustand, der seitdem nicht aufgehört hat, weil offensichtlich die politische Handlungsfähigkeit Deutschlands, der EU und sogar der G20-Staaten nicht zu einer wirklichen Lösung der zugrunde liegenden Problematik ausreicht. Die Corona-Krise lieferte dann einen willkommenen Anlass dazu, die Staatsverschuldung und die Flutung der Finanzmärkte mit Zentralbank-Geld nochmals gewaltig auszuweiten und damit den „Weltsystemcrash“ (Max Otte) weiter hinauszuzögern, der ohne „Corona“ höchstwahrscheinlich schon im Laufe des Jahres 2020 eingetreten wäre. Diese Strategie stößt aber in diesen Tagen endgültig an ihre Grenzen, weil die stetig zunehmende (und für den Verbraucher bereits deutlich spürbare) Inflation in einen unauflösbaren Widerspruch mit der, durch die Überschuldung von Staaten, Unternehmen und Privathaushalten bedingten, Notwendigkeit von Null- und Minuszinsen tritt. Das Ende könnte in einem – politisch durchaus gewollten – Verdampfen der globalen Schulden durch Inflation bestehen, das gleichzeitig praktisch die gesamten weltweiten Privatvermögen vernichten würde. Wahrscheinlicher ist eine mildere, aber gleichwohl schmerzhafte Variante, welche das Weltfinanz- und Eurosystem noch kurz vor dem Crash mit Vermögensschnitten in ein neues Gleichgewicht bringen und auf diese Weise wenigstens das Geld der ganz großen Spieler des globalen Kapitalismus zum größten Teil erhalten könnte. Das politische Vorgehen in der Corona-Krise wäre somit als eine Strategie zu verstehen, welche bewusst ein finanzpolitisches Ende mit Schrecken herbeiführt, das sich ohne „das Virus“ und die realwirtschaftlichen Folgen der Corona-Politik weder vermitteln noch rechtfertigen ließe.

Die geschlossene Bank, Gemälde von Eduardo Matania, 1870er Jahre: Der „Weltsystemcrash“ ist nur aufgeschoben!

Es gibt noch mindestens ein zweites nachvollziehbares Motiv für die Corona-Politik: Ich spreche hier zwar nicht von einer „Plandemie“, also von einer bloßen Vortäuschung einer Viruspandemie zum Zwecke einer autoritären Maßnahmen-Politik. Trotzdem ist es eine Tatsache, dass die gesamte Corona-Strategie (zumindest die bundesdeutsche) vorgefertigten Pandemie-Plänen folgt, die schon im Laufe des letzten Jahrzehnts auf der Ebene von Regierungen, internationalen Organisationen und privaten „Sponsoren“ auf einer Reihe von Konferenzen beschlossen wurden (zuletzt übrigens im Oktober 2019 ausgerechnet im chinesischen Wuhan, wo einige Wochen später die reale Pandemie ihren Anfang nahm). Es fällt auf, dass in diesen Plänen von Anfang an die mRNA-Impfungen einen wesentlichen Baustein darstellten, sodass man durchaus zu dem Schluss kommen kann, dass diese Impfungen in den Augen der Verantwortlichen, zumindest teilweise, ein Selbstzweck sind. Dafür spricht vor allem, dass die Forschung an medizinischen Therapien, die auf eine Heilung von Covid-19 abzielen, von Anfang an auf eigenartige Weise vernachlässigt und sogar durch die Verweigerung von Forschungsmitteln für solche Vorhaben unterdrückt wurde. Auch dass die ersten mRNA-Impfstoffe schon wenige Monate nach dem Auftreten der ersten Covid-19-Fälle für klinische Tests zur Verfügung standen, ist ein zumindest eigenartiger Umstand. Es erscheint zunächst als unangemessen „verschwörungstheoretisch“, dass Profite der Pharmaindustrie von „nur“ einigen zehn Milliarden Dollar mit einer veritablen Weltkrise erkauft werden sollten. Das Ganze ergibt aber auf der Grundlage jüngerer Erkenntnisse durchaus Sinn, welche darauf hinweisen, dass zum einen die Impfstoffe nur unter der Bedingung regelmäßiger Auffrischungen (alle sechs Monate oder sogar weniger) wirklich gegen Covid-19 schützen und dass sie zum anderen negative Auswirkungen auf das natürliche menschliche Immunsystem mit sich bringen könnten. Die globale Pharmaindustrie und ihre politischen Verbündeten hätte also mit den Impfungen die Menschheit gleichsam „angefixt“ und auf diese Weise deren Überleben von immer weiteren Spritzen abhängig gemacht, die dann wirklich Profite in Größenordnungen erzeugen, welche ein solches Vorgehen lohnend erscheinen lassen. Gleichzeitig würde ein immenser Druck im Sinne politisch korrekten Verhaltens entstehen, weil die Politik missliebigen Personen ohne weiteres die lebensnotwendigen Injektionen verweigern könnte. Der homo sapiens wäre gleichsam auf die Rolle von Kreaturen der industriellen Massentierhaltung reduziert, die ohne ständige Medikamentengabe sehr schnell massenhaft an Seuchen verenden würden, und eine solche Entwicklung läge durchaus im Sinne der Strategie des Great Reset. Es liegt eine bittere Ironie darin, dass sich unter den medizinisch Verantwortlichen für die Corona-Politik überdurchschnittlich viele Tierärzte(!) befinden, etwa Lothar H. Wieler, der Präsident des Robert-Koch-Institutes.

Ein drittes Motiv ist weniger plausibel, verdient es allerdings doch, hier erwähnt zu werden: Die Corona-Politik versetzt seit 18 Monaten mittels einer unrealistischen Horrorpropaganda den Großteil der deutschen Bevölkerung in eine Angststarre, die sich natürlich auf jede Form von Konflikten dämpfend auswirkt. Es könnte sein, dass die sich aufschaukelnde innenpolitische Gewaltspirale aus Islamismus, Klima-Apokalyptik, Links- und Rechtsextremismus in den Augen der Verantwortlichen schon im Frühjahr 2020 eine solche Dynamik erreicht hatte, dass – unter dem Vorwand von „Corona“ – gleichsam die Notbremse gezogen werden musste. Gerade im Hinblick auf den politischen Islam erscheint mir diese These als gerechtfertigt: Es ist offensichtlich, dass auf diesem Feld Eskalationen durch religiöse Gewalt und Kriminalität nur noch durch eine Appeasement-Strategie vermieden werden können, welche der islamischen Forderung nach religiös-kultureller Hegemonie immer weiter nachgibt und gleichzeitig jeden „rechten“ Widerstand dagegen mit drakonischen Maßnahmen der Staatsgewalt bekämpft. Dies wurde besonders im Frühjahr 2020 augenfällig, als die durch den „Lockdown“ ausgestorbenen deutschen Städte auf Anweisung der Regierung flächendeckend mit Muezzin-Rufen beschallt wurden, gleichzeitig christliche Ostergottesdienste verboten waren und zusätzlich die Zahl der Prozesse wegen „Volksverhetzung“ gegen Kritiker dieser Zustände, u.a. auf Geheiß des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil drastisch zunahm. Zu diesem innenpolitischen Islam-Appeasement kommt noch die beständige Appeasement-Politik gegenüber dem türkischen Erdogan-Regime hinzu, von welchem sich die Bundesregierung durch den „Türkei-Deal“ von 2016 in der Flüchtlingspolitik völlig abhängig gemacht hat. Es war unter Umständen kein Zufall, dass im März 2020 praktisch parallel zum Absturz in die Corona-Krise Erdogans Türkei die EU mit kriegsähnlichen Handlungen bedrohte, indem sie wochenlang am Evros-Fluss syrische Dschihadisten gegen die griechische Grenze anrennen ließ.

Trotz aller Plausibilität darf jedoch dieses dritte Motiv, also innen- und außenpolitische Beruhigung durch erzwungene Angststarre, in seiner Bedeutung nicht übertrieben werden. Auch den verantwortlichen Politikern musste klar sein, dass eine solche Beruhigung die Gewaltrisiken nur kurzzeitig stoppen konnte, und dass sich danach die Gewaltspirale unvermindert weiterdrehen würde. Die Corona-Politik hat sogar neue Gewaltrisiken erzeugt, weil zum einen die Dialogunfähigkeit der Staates den bislang friedlichen Widerstand der „Querdenker“-Bewegung immer weiter radikalisiert, zum anderen weil gegenwärtig der Konflikt um eine indirekte oder sogar unmittelbare Impfpflicht den schon vorhandenen Spaltungen der Gesellschaft eine weitere hinzufügt, die sogar noch viel tiefgreifender sein könnte als jene.

Hausbemalung einer deutschen Patriotenfamilie: Widerstand ist möglich!

Aus dem bisher Gesagten ergibt sich eine erschreckende Konsequenz: Ein Erfolg der nationalkonservativen, radikaldemokratischen und „esoterischen“ Widerstandskräfte gegen den in der Corona-Krise endgültig zur Antidemokratie erstarrten Merkelismus würde unvermeidlich dazu führen, dass das Ergebnis einer solchen demokratischen Revolution zunächst nicht nur eine allgemeine Befreiung wäre. Das Volk würde sich nämlich im Moment seines Erfolges sofort einer riesengroßen wirtschaftlichen, medizinischen und innenpolitischen Problematik gegenübersehen, die sich gegenwärtig noch unter der Decke der Corona-Propaganda verbirgt. Die Gegenöffentlichkeit und der demokratische Widerstand müssen dieser Tatsache ins Auge sehen, ohne sich dadurch von ihrem notwendigen Kampf für eine bessere Bundesrepublik und ein besseres Europa abbringen zu lassen.

Unser Titelbild zeigt: „Triumph des Todes“, Gemälde, das der flämische Maler Pieter Bruegel um 1562 schuf.

Dr. Jens Woitas

Jens Woitas, geboren 1968 in Wittingen (Niedersachsen), verheiratet, lebt (mit einigen Unterbrechungen) seit 1970 in Wolfsburg. Abitur 1988, dann Zivildienst und Tätigkeit als Gartenarbeiter. Studium der Physik in Clausthal-Zellerfeld und Tübingen, dann Promotion zum Doktor der Naturwissenschaften in Heidelberg (1999). Wissenschaftlicher Mitarbeiter an astronomischen Forschungsinstituten in Tübingen, Heidelberg und Tautenburg (1995-2005), dann Unternehmensberater. Seit 2011 Erwerbsunfähigkeitsrentner. Von Kindheit an lebhaft an Politik, Geschichte, Literatur und Religion interessiert, Mitglied der evangelisch-lutherischen Kirche und von 2017 bis 2020 Mitglied der Partei DIE LINKE. Neben einer Reihe von Artikeln in astronomischen Fachzeitschriften auch Autor einer autobiographischen Erzählung (Schattenwelten, Mauer Verlag, Rottenburg am Neckar 2009). In den letzten Jahren intensive Beschäftigung mit dem Denken des Neomarxismus und der „Neuen Rechten“ unter Einbeziehung französischer Originaltexte, insbesondere von Alain de Benoist und Jean-Claude Michéa.

Im Lindenbaum Verlag ist soeben das Buch „Revolutionärer Populismus. Das Erwachen der Völker Europas“ von Dr. Jens Woitas erschienen und kann hier bestellt werden: https://lindenbaum-verlag.de/produkt/revolutionaerer-populismus/

Was schulden wir den Ortskräften unserer Regierung?

von Klaus Kunze

Um von ihrem vollständigen Desaster abzulenken, malen unsere Regierenden das Schicksal der Afghanen jetzt in den düstersten Farben. Für sie und ihre Propagandamedien sind alle Taliban üble Terroristen. Bald würden sie dazu übergehen, alle Frauen in komische Säcke mit Gucklöckern zu stecken, allen Dieben die Hände abzuhacken und alle Schwule von Häusern zu stürzen. Die „Ortskräfte“ der bisherigen deutschen Besatzung stehen scheinbar unmittelbar davor, massakriert zu werden.

Ob die jetzt gemäßigt auftretenden Taliban nur Wölfe sind, die Kreide gefressen haben, oder ob sie begriffen haben, daß sich auf Racheorgien und Unterdrückung kein stabiler Staat bauen läßt, werden wir bald wissen. Unsere Regierung übt sich bereits in der Kunst der Prophetie und leitet aus ihrer schwarzen Prognose ihre „moralische Pflicht“ ab, ins Flugzeug zu packen, wer eben kommt, und ihn nach Deutschland zu verfrachten. Zugleich sind wir weiter denn je entfernt von Abschiebungen verurteilter afghanischer Verbrecher oder abgelehnter Asylbewerber.

Heim ins Reich der Menschenrechte möchte unsere Regierung jetzt möglichst viele “Ortskräfte” und “Vertreter der Zivilgesellschaft” holen. Das sind zwei verschiedenartige Gruppen. Ortskräfte hatten sich als Vertragsarbeiter in deutsche Dienste gestellt, zum Beispiel als Schneider oder Putzhilfen in Unterkünften. Vermutlich tut ihnen jetzt niemand etwas. Für ihr bekanntes Risiko hervorragend bezahlt wurden Sprachmittler, die gewöhnlich weit weg von ihrem Herkunftsort eingesetzt wurden. Wo niemand sie kannte, begleiteten sie die Spitze militärischer Konvois, um bei Bedarf nach dem Weg zu fragen oder mit örtlichen Stammesführern Verbindung aufzunehmen.

Nicht unmittelbar in unseren Regierungsdiensten stand eine schmale Bildungsschicht in Kabul, die westlichen Lebensstil adaptiert hat und ihn als Professor, Fernsehansagerin oder dergleichen propagierte. Aber was schulden wir jenen „Ortskräften“ und den Kabuler Verfechtern westlichen Lebensstils wirklich?

Es gibt kein moralisches Dilemma

Moralphilosophisch liegt nahe, zu halten, was man versprochen hat. Hat aber irgend jemand irgend einem afghanischen Dolmetscher oder Hilfswilligen eine Option zur Auswanderung versprochen? Ich nehme nicht an, so etwas stünde in irgend einem der mit deutscher Gründlichkeit geschlossenen Arbeitsverträge. Also schulden wir es auch nicht.

Der britisch-indische Krieg 1857: Damals wie heute geht es um Selbstbestimmung der Völker und Kulturen. Kollaborateure mit Kolonialisten und Besatzern haben immer einen schweren Stand!

Zwanzig Jahre hat Deutschland sich in Afghanistan als Besatzungsmacht aufgespielt. Einheimische Kollaborateure, die das für einen Dauerzustand gehalten haben mochten, haben auf das falsche Pferd gesetzt. Sie haben objektiv gegen die Selbstbestimmung ihrer eigenen Stämme gehandelt und dafür Geld genommen. Falls jemandem jetzt wirklich der Tod drohen würde, könnte man ihn aus Barmherzigkeit aufnehmen, aber nicht aus moralischer Pflicht. Wir sind nicht verpflichtet, jedem Todgeweihten dieser Erde beizustehen.

Das eigene „moralische“ Verhalten jener Ortskräfte war höchst zweifelhaft. Sie dienten nicht ihrem Vaterland, sondern Besatzungsmächten. Diese wollten, Deutschland vorneweg, die Afghanen umerziehen – “denn heute, da hört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt!” Höre, oh Welt, den globalen Weckruf aus Berlin: “Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, Brüder zum Lichte empor!” Das Licht unseres Gutmenschentums sollte über dem ganzen Erdball erstrahlen, und Afghanistan schien ein guter Anfang.

Aus erbitterten Kämpfern für ihre Unabhängigkeit – erst gegen Rußland, dann die USA, wollte man ideologische Gefolgsleute „des Westens“ machen. Sie sollten ihre – uns so fremden – angestammten Sitten, Bräuche, Hoffnungen, Werte und religiöse Gebote ablegen. Statt dessen sollten sie an „die Demokratie“ glauben, „den Humanismus“, an „die Gerechtigkeit“, den Pluralismus, den Genderismus und all die vielen bunten Blümchen auf Gutmenschens Himmelswiese.

Präferenzen “deutscher” Außenpolitik

Die geplante Umerziehung der Afghanen mit allen volkspädagogischen Instrumenten war die Fortsetzung ihrer militärischen Unterwerfung mit anderen Mitteln. Einer mehrheitlich archaischen, patriarchalischen Gesellschaft sollte die Ideologie der westlichen Massengesellschaft übergestülpt werden.

Die Methoden der Umerziehung

Das revolutionäre Frankreich hatte seit 1796 einen deutschen Staat nach dem anderen unterworfen und sich einverleibt. Zugleich verbreitete es seine republikanische Ideologie. Sie behauptete, unter französischer Herrschaft seien die Deutschen jetzt freier als zuvor. Überall wurden Freiheitsbäume errichtet, während in Köln der Dom von Franzosen geplündert und ein Pferdestall aus ihm gemacht wurde. Die umerzogenen neuen deutschen Republikaner schritten bald mit ihren geliebten französischen Besatzern zur Befreiung ganz Europas, bis ihre Überlebenden, dezimiert, verfroren und zerlumpt, aus Rußland zurückwankten.

Die  Umerziehung unterworfener Staaten gehört auch zum Standardrepertoire der USA. Die Phrase „to make the world safe for democracy“ wurde zufälligerweise immer dann angewandt, wenn eine geostrategische Intervention der ideologischen Verbrämung bedurfte. Für Weltmacht, Handelsvorteile oder Bodenschätze wären auch amerikanische Soldaten ungern gestorben. Unter der Fahne eines demokratischen Kreuzzugs hatten sie wenigstens beim Bombardieren ein gutes Gewissen.

Die Mehrheit der Deutschen ist so sehr Produkt der amerikanischen Umerziehung der Nachkriegszeit, daß sie das gar nicht mehr bemerkt. Man hat einen Krieg erst dann gewonnen, wenn in den Schulbüchern der Besiegten steht, wie dankbar die Kinder der Siegermacht sein müssen. Heute lautet unsere übliche Propaganda, Deutschland sei am 8. Mai 1945 befreit worden. So fand man wenig dabei, auch Afghanistan zu „befreien“ und „safe for democracy“ zu machen.

Allerdings waren alle „westlichen Werte“ unserer Umerziehung nach 1945 im Ansatz in Deutschland schon vorhanden, nur nicht mehrheitsfähig. Wir haben uns gern umerziehen lassen, weil die amerikanische Umerziehung nichts importierte, was nicht vor 1933 an geistigen Strömungen auch schon vorhanden war und weil unsere Gesellschaft mit ihrer Massenzivilisation der amerikanischen strukturell glich.

Patriarchalische Stammeskrieger

Völlig anders war und ist die Lage in Afghanistan. Viele der westlich akkulturalisierten oder umerzogenen Hauptstädter sind heute enttäuscht. Anders die Mehrheit:

Es ist wichtig, in die Köpfe und Herzen der Paschtunen vorzudringen: Die Taliban-Bewegung ist in der Tat eine politisch-religiöse Manifestation, die weitgehend zum paschtunischen Universum gehört, wie die ethnische Identität, die Werte, das Organisationssystem und der Glaube ihrer Mitglieder zeigen und beweisen. Da die Taliban wie die Paschtunen an den Paschtunwali (den paschtunischen Weg, auch bekannt als Lebenskodex) glauben – auch wenn sie ihn für ihre eigene Agenda verzerrt und instrumentalisiert haben – versammeln sie sich in Jirga (Versammlung der Ältesten), respektieren Stammesführer (Khans) und praktizieren eine besondere und heterodoxe Form des Islam (Deobandi).

Emanuel Piebroton, La vera ideologia che muove i talebani, 18.8.2021

Die deutschen Medien verkürzen die Weltanschauung der Afghanen auf ihre Schriftreligion. Diese bildet aber nicht die Ursache und Quelle viel tiefer liegender, archaischer Werte:

Die anderen zehn Säulen, die im Laufe der Zeit ebenso wichtig geworden sind wie die ersten drei, sind die Pflicht zur Tapferkeit gegenüber Eindringlingen (turah), die Loyalität gegenüber Familie, Freunden und Stamm (wapa), der Respekt vor dem Nächsten und der Schöpfung (khegara), Respekt vor sich selbst und seiner Familie (pat aw Wyar), Verteidigung der Ehre der Frauen (namus) und der Schwachen (nang), Ritterlichkeit (merana), Verteidigung der Sitten und Gebräuche (hewad), Konfliktlösung durch Schlichtung (jirga) und unerschütterliche Loyalität gegenüber Gott (groh). Der Groh zum Beispiel erklärt, warum die Taliban gegen jede Form der Säkularisierung und den Ausschluß des Heiligen aus dem öffentlichen Leben sind. Nanawatai hingegen erklärt, warum Korangelehrte Polizisten, Soldaten und Regierungsbeamten verzeihen, die bei der ersten (und einzigen) Warnung ihre Waffen niederlegen und die Farbe wechseln. Und die Turah ist die Säule, die die Paschtunen seit der Zeit Alexanders des Großen dazu gebracht hat, ihr Land mit einem Sinn für Selbstaufopferung zu verteidigen, der eher einzigartig als selten ist.

Emanuel Piebroton, La vera ideologia che muove i talebani, 18.8.2021

Es ist der typische Wertekanon einer agrarischen Stammesgesellschaft, wie er vor tausend Jahren auch in Deutschland galt. Der Islam und die Scharia sind nicht der Grund einer solchen Weltanschauung, sondern nur ihre Hülle.

Wer sich unterwirft, der wird geschont. Das stellte in der Mehrzahl der historischen Staaten islamischen Glaubens die Regel dar. Dann muß er freilich kuschen und sich den althergebrachten Gesetzen beugen.

Das schreckliche nyaw aw Badal hingegen ist das Scharnier, das all die Grausamkeiten legitimiert, die die Taliban gegen Feinde begehen, die sich nicht ergeben oder ihren Glauben verleugnen: von der Steinigung bis zum Hängen, von der Folter bis zur Vergewaltigung. Nyaw aw Badal ist der Grund dafür, daß der letzte Präsident der Demokratischen Republik Afghanistan bei lebendigem Leibe gehäutet und anschließend im Zentrum von Kabul erhängt wurde. Nyaw aw Badal erklärt, warum Horden von Afghanen versuchen, das Land zu verlassen, und warum viele andere auf Befehl von Taliban-Gerichten hingerichtet werden, wo es weder Kameras noch Zeugen gibt.

Emanuel Piebroton, La vera ideologia che muove i talebani, 18.8.2021

Kein moralisches Bonbon für unmoralisches Handeln

Die Propaganda, in Afghanistan habe „der Westen“ für „westliche Werte“ gekämpft, war von Anfang an für unsere Innenpolitik bestimmt. Das schließt nicht aus, daß ein paar weltfremde Narren tatsächlich glaubten, mit deutschen Steuermillionen den Afghanen ihren Genderismus beibringen zu können. Aber das strategische, operative Ziel war immer die geostrategische Macht der USA.

Es bildete von Anfang an eine Propagandalüge, der Krieg in Afghanistan hätte einen „Kampf gegen den Terrorismus“ dargestellt. Spätestens nach der Vernichtung der al-Khaida war er das nicht mehr. Der Krieg und die auch deutsche Besatzung war so unmoralisch wie ein Angriffskrieg auf fremden Territorium mit Umerziehung eines Volkes nur sein kann.

In Nibelungentreue schlossen die deutschen Vasallen sich ihm an. Auch von Deutschland ging Krieg aus. Unsere herrschenden Parteien haben uns alle in diesen Krieg hineingezogen. Offenbar wird sie niemand dafür zur Rechenschaft ziehen.

Ob ihre afghanischen Hilfswilligen von ihren Landsleuten jetzt zur Rechenschaft gezogen werden, geht uns nichts an.

Es gibt keine moralische Verpflichtung, unmoralische Handlungen zu belohnen.

Und es gibt nach Kriegsende erst recht keinen Grund mehr, die nach Zigtausenden zählenden Afghanen ohne Asylanspruch in Deutschland zu behalten. Es ist höchste Zeit für einen operativen Schlußstrich unter die düstere Kapitel deutscher Geschichte.

Dieser Artikel erschien auch auf der stets sehr informativen Seite von Klaus Kunze:

Was schulden wir den Ortskräften unserer Regierung?

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Klaus Kunze



Klaus Kunze, seit 1984 selbständiger Rechtsanwalt in Uslar, von 1970-71 Herausgeber eines Science-Fiction-Fanmagazins, von 1977 bis 1979 Korrespondent der Zeitung student in Köln, seit 1978 diverse Beiträge in genealogischen und heimatkundlichen Fachzeitschriften, seit 1989 Beiträge für politische Zeitschriften wie u. a. die Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT

Autor der Bücher:

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Und das neue Werk von Klaus Kunze: Die solidarische Nation. Wie Soziales und Nationales ineinandergreifen. Gebundene Ausgabe, 206 Seiten, Preis: 19,80 Euro ist hier erhältlich: https://lindenbaum-verlag.de/produkt/die-solidarische-nation/

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Die wahre Ideologie der Taliban

von Emanuel Pietrobon

Die wahre Ideologie der Taliban

Die Taliban sind nach zwanzig Jahren an die Macht zurückgekehrt, und wenn es nicht zu einer radikalen Wende kommt, beginnt für Afghanistan, Zentralasien und Eurasien eine neue historische Phase. Eine Phase, die nach Ansicht einiger durch eine Rückkehr zur terroristischen Instabilität der frühen 2000er Jahre – der Ära des Krieges gegen den Terror – gekennzeichnet sein könnte, nach Ansicht anderer jedoch große und unvorhersehbare Überraschungen bereit hält: einschließlich einer Stabilisierung des afghanischen Schauplatzes, der als Katalysator für die Verwirklichung der eurasischen Träume Russlands und Chinas und damit für eine beschleunigte Multipolarisierung des internationalen Systems fungiert.

Die Ereignisse der nahen Zukunft werden der einen oder der anderen Seite Recht geben, d.h. denjenigen, die sich vor den Taliban fürchten, oder denjenigen, die sich über ihren Aufstieg freuen. Aber in der Zwischenzeit haben wir bereits einige Elemente, die eine Vorhersage ermöglichen. Wir wissen zum Beispiel, dass die Taliban von Hibatullah Akhundzada nicht auf Selbstbereicherung aus sind, sondern auf internationale Anerkennung. Und wir wissen, dass sie die Legitimität, die ihnen derzeit fehlt, auf verschiedene Weise erlangen möchten: durch eine allgemeine Amnestie für Mitbürger, die mit der Atlantischen Allianz kollaboriert haben, durch die Öffnung für ausländische Investitionen, durch die Einleitung eines Prozesses der nationalen Aussöhnung und nicht zuletzt durch die Errichtung eines (sehr) konservativen, aber nicht-fundamentalistischen politischen Regimes.

Auch hier werden es die Ereignisse der nahen Zukunft sein, die die Qualität der Taliban-2-Proklamationen bestätigen werden oder nicht. Die Taliban-2-Regierung wird ein Regime sein, das im Vergleich zu seinen Vorgängern sozialer zu sein scheint, d.h. geneigt, alle Beziehungen und potentiellen Möglichkeiten zu nutzen, um sein Image zu verbessern. Sicher ist: Sie sind und bleiben Pragmatiker, sie sind und bleiben die mächtigste Manifestation der pakistanischen Geopolitik, und sie sind und bleiben die Sprecher einer ziemlich großen und repräsentativen sozialen Kraft der afghanischen multiethnischen Nation. Anders ist die Unfähigkeit des Westens nicht zu erklären, den Afghanen eine attraktive kulturelle Alternative zu den Korangelehrten zu bieten, deren Ursprünge auf Dost Mohammed Khan (afghanischer Herrscher von 1826 bis 1840) zurückgehen, deren Werte vom paschtunwalischen Ehrenkodex inspiriert sind und deren Auslegung des Islams in den Lehren der Deobandi-Schule wurzeln.

Dost Mohammed Khan (1793-1863)

Die paschtunische Methode

Die Stämme, die das wilde und gebirgige Land Afghanistan bewohnen, leben von Sprichwörtern und Redensarten: Sie sind ihr tägliches Brot, eines ihrer wichtigsten Mittel, um ihre Gefühle, Emotionen und Gedanken auszudrücken. Und wer das ewige und unverständliche Rätsel Afghanistan verstehen will, braucht nur die Sprüche der Menschen zu studieren, die dort leben, insbesondere der Paschtunen.

Denn die Paschtunen sind die dominierende ethnische Gruppe in Afghanistan. Es sind die Paschtunen, die, unnachgiebig, unbeugsam, kämpferisch und stolz, seit der Zeit Alexanders des Großen im Mittelpunkt der Chroniken der europäischen Eroberer stehen. Und es sind die Paschtunen, die, wie es heißt, immer einen Weg finden und selbst wenn sie den Gipfel eines steilen Berges erklimmen immer ein Schwert tragen, um die Ehre des Islam und ihrer Brüder zu verteidigen.

Es ist wichtig, das Denken und Fühlen der Paschtunen zu verstehen: Die Taliban-Bewegung gründet sich auf politischen und religiösen Fundamenten, die weitgehend zum paschtunischen Universum gehören, wie die ethnische Identität, die kulturellen und traditionalen Werte, das Organisationssystem und der Glaube ihrer Mitglieder. Da die Taliban wie die Paschtunen an den Paschtunwali (den paschtunischen Weg, auch bekannt als paschtunischer Lebenskodex) glauben – auch wenn sie ihn für ihre eigene Agenda verzerrt und instrumentalisiert haben –, versammeln sie sich in Jirga (Versammlung der Ältesten), respektieren Stammesführer (Khans) und praktizieren eine besondere und heterodoxe Form des Islam (Deobandi).

In gewisser Weise erinnert das Paschtunwali an den alten albanischen Ehrenkodex, den Kanun, und er basiert auf dreizehn Säulen, von denen drei als grundlegend gelten. Die drei Grundpfeiler sind die Gastfreundschaft gegenüber dem Besucher (melmastia), die Gewährung von Schutz und Unterwerfung gegenüber Feinden, die darum bitten (nanawatai), und die blutige Rache (nyaw aw Badal), die keine Grenzen oder Waffenstillstand kennt.

Die anderen zehn Säulen, die im Laufe der Zeit ebenso wichtig geworden sind wie die ersten drei, sind die Pflicht zur Tapferkeit gegenüber Eindringlingen (turah), die Loyalität gegenüber Familie, Freunden und Stamm (wapa), der Respekt vor dem Nächsten und der Schöpfung (khegara), Respekt vor sich selbst und seiner Familie (pat aw Wyar), Verteidigung der Ehre der Frauen (namus) und der Schwachen (nang), Ritterlichkeit (merana), Verteidigung der Sitten und Gebräuche (hewad), Konfliktlösung durch Schlichtung (jirga) und unerschütterliche Loyalität gegenüber Gott (groh).

Der Groh zum Beispiel erklärt, warum die Taliban gegen jede Form der Säkularisierung und den Ausschluss des Heiligen aus dem öffentlichen Leben sind. Nanawatai hingegen erklärt, warum Korangelehrte Polizisten, Soldaten und Regierungsbeamten verzeihen, die bei der ersten (und einzigen) Warnung ihre Waffen niederlegen und die Seiten wechseln. Und die Turah ist die Säule, die die Paschtunen seit der Zeit Alexanders des Großen dazu gebracht hat, ihr Land mit einem einzigartigen und unbedingten Sinn für Selbstaufopferung zu verteidigen.

Das schreckliche nyaw aw Badal hingegen ist das Scharnier, das all die Grausamkeiten legitimiert, die die Taliban gegen Feinde begehen, die sich nicht ergeben oder ihren Glauben verleugnen: von der Steinigung bis zum Hängen, von der Folter bis zur Vergewaltigung. Nyaw aw Badal ist der Grund dafür, dass der letzte Präsident der Demokratischen Republik Afghanistan bei lebendigem Leibe gehäutet und anschließend im Zentrum von Kabul erhängt wurde. Nyaw aw Badal erklärt, warum eine Vielzahl von Afghanen versuchen, das Land zu verlassen, und warum viele andere auf Befehl von Taliban-Gerichten hingerichtet werden, wo es weder Kameras noch Zeugen gibt.

Der Glaube der Taliban

Der Paschtune, der gewaltige Hirtenkrieger, der im Laufe der Jahrhunderte die Mazedonier, die Briten, die Sowjets und die Amerikaner besiegte und Afghanistan zum Friedhof der Imperien machte, lebt nicht nur nach den ungeschriebenen Regeln des Paschtunwali, sondern auch nach der strikten Befolgung der Diktate der Imame und der Ulema der Deobandi-Schule.

Der Deobandismus (der Islam des Deobandismus beinhaltet eine absolute Antihaltung gegenüber allem Westlichen und Vorislamischen) hat seinen Ursprung in der Zeit der antikolonialistischen Kämpfe im 19. Jahrhundert im heutigen Indien. Ihre Gründer, zu denen Fazlur Rahman Usmani, Mehtab Ali, Nehal Ahmad, Muhammad Qasim Nanautavi und Sayyid Muhammad Abid gehörten, waren der Ansicht, dass die britische Kolonisierung des Subkontinents einen Prozess der Dekadenz der Sitten und Gebräuche mit einer völligen De-Islamisierung als Endergebnis zur Folge haben würde. Ein Szenario, dem die indischen Muslime nur auf eine Weise entkommen konnten: durch die Schaffung eines neuen, strengeren, reineren, ethnozentrischeren und vor allem antiimperialistischeren Islam.

Diese Art von Islam, die der zivilisatorischen Kolonisierung durch die britischen Besatzer widerstehen sollte, wurde in der 1866 in Deoband, Uttar Pradesh, gegründeten Darul Uloom Deoband-Schule geformt, von der sie ihren Namen hat. Beeinflusst vom Hanafismus, Maturidismus und vom Sufismus abgeleiteten Praktiken, lud der Deobandismus die Gläubigen dazu ein, den Islam als den einzigen Glauben der Altvorderen, der Vorfahren (al-salaf al-ṣāliḥīn) zu erleben – was große Ähnlichkeit mit dem Wahhabismus aufweist – und durchlief eine erste Expansionsphase, die bis zum ersten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts andauerte und sich zwischen Mekka und Kuala Lumpur bewegte.

Im Laufe der Zeit setzten sich jedoch der ethnozentrische Faktor, die Betonung der Rückkehr zu den Ursprüngen und die zentrale Bedeutung des antiimperialistischen Ansatzes gegenüber Universalismus und Mäßigung durch und führten schließlich zu einer Radikalisierung dieser interessanten und faszinierenden deobandistischen Denkschule.

Die Radikalisierung der Deobandi-Lehren ist ein Phänomen, das der Entstehung des Afghanistan-Problems und damit der Mudschaheddin und der Taliban vorausging und zum Teil auch damit einherging. Wurde der Feind zum Zeitpunkt der Gründung durch die Briten repräsentiert, so wurde er im Laufe des Kalten Krieges zur Sowjetunion. Und die Muslime, die den Imperialismus nicht akzeptieren, ob 1979 oder 1866, werden im Deobandismus immer einen Anker finden, an den sie sich klammern können, um der überwältigenden Kraft der Gleichschaltung durch Verwestlichung zu widerstehen und ihren Glauben und ihre Ethnie zu verteidigen.

Letztlich überwanden die Taliban die ethnisch-stammesmäßige Zersplitterung Afghanistans, indem sie sich auf die Bindekräfte der Kultur (Paschtunwali) und Religion (Deobandi) verließen. Diese beiden Faktoren des Zusammenhalts ermöglichten es ihnen einerseits, die Errichtung eines ebenso geschlossenen (paschtunischen) wie offenen (islamischen) Emirats zu legitimieren, und andererseits, die Jahre der euro-amerikanischen Besatzung zu überstehen, indem sie sich in den Bergen und auf dem Lande niederließen und vermehrten, von wo aus sie geduldig die Rückeroberung des gesamten Landes vorbereiteten.

Dieser Artikel erschien zuerst auf der „InsideOver“-Seite https://it.insideover.com/politica/i-talebani-oltre-gli-stereotipi-e-le-apparenze.html?

Wir danken Emanuel Pietrobon für die Veröffentlichungserlaubnis.

Emanuel Pietrobon wurde 1992 geboren und schloss sein Studium der internationalen Wissenschaften, der Entwicklungs- und Kooperationswissenschaften an der Universität Turin mit einer experimentellen Arbeit mit dem Titel „Die Kunst des geheimen Krieges“ ab, die sich mit der Schaffung von und der Verteidigung gegen kontrolliertes Chaos befasste. An derselben Universität spezialisiert er sich auf „Area and Global Studies for Development Cooperation – Focus former Soviet world“. Seine Hauptinteressengebiete sind die Geopolitik der Religion, hybride Kriege und die russische Welt, die ihn im Laufe der Jahre zu Studien-, Arbeits- und Forschungsaufenthalten in Polen, Rumänien und Russland geführt haben.
Er schreibt für und arbeitet mit L’Intellettuale Dissidente, Opinio Juris – Law & Political Review, Vision and Global Trends, ASRIE, Geopolitical News. Seine Analysen wurden übersetzt und im Ausland veröffentlicht, z. B. in Bulgarien, Deutschland, Rumänien und Russland.

Der flüchtige Charme des Linksnationalismus

von Winfried Knörzer

Der flüchtige Charme des Linksnationalismus

Der Linksnationalismus vereint Elemente und Denkansätze politischer Richtungen, die gemeinhin als gegensätzlich und inkompatibel erachtet werden. Diese complexio oppositorum verleiht ihm einen hohen geistigen Reiz, der ihn insbesondere für nonkonforme, unkonventionelle Intellektuelle anziehend macht. Ein derartiges Mischwesen wird in der Kunstgeschichte als Chimäre bezeichnet, ein Ausdruck, der in der Alltagssprache nicht zu Unrecht für Gebilde verwendet wird, die den Charakter des Unwirklichen aufweisen. Das Schicksal dieser Fabelwesen ist, daß sie sich, wenn sie durch irgendeinen Zauber sich materialisieren und in der Realität erscheinen, binnen kurzem in Luft auflösen.

Ich will hier nicht abstrakte Deduktionen entwickeln, auch nicht abstreiten, daß eventuell doch anderes möglich sein könnte, sondern nur das analysieren, was sich tatsächlich ereignet hat. Solange man sich im Elfenbeinturm der Theorie aufhält, kann vieles gedacht und geschrieben werden; nur in der politischen Wirklichkeit zeigt sich, welchen Wert eine politische Position besitzt. Man muß von der Tatsache ausgehen, daß links-nationalistische Gruppierungen immer eine kleine Minderheit gewesen sind. Sobald sie sich nicht mehr damit zufriedengaben, irgendwelche Abhandlungen und Traktate zu schreiben, sondern politisch handeln wollten, ereignete sich regelmäßig folgender Vorgang: Im Augenblick der Prüfung wird der Linksnationalismus in ein Scheidewasser getaucht, und die ursprüngliche, aber immer fragile Einheit löst sich auf. Die Bruchstücke des Linksnationalismus werden dann durch die Masse eines größeren Objekts angezogen und gehen in ihm auf. Der Linksnationalismus, zwar hell und glänzend wie ein Komet, erweist sich als zu klein, um selbständig seine Bahn zu ziehen, irgendwann gerät er ins Schwerefeld eines Planeten, taucht in seine Atmosphäre ein und verglüht. Ist die Linke stark genug und ist sie zu einem bestimmten Zeitpunkt, aus welchen Gründen auch immer, in gewisser Hinsicht national orientiert, wird diese den Linksnationalismus anziehen; der historisch häufigere Fall ist freilich der, daß der Linksnationalismus in den Bannkreis der Rechten gerät.1)

Was die erste Möglichkeit betrifft, so möchte ich nur auf den sogenannten Scheringer-Kurs der KPD verweisen. Die KPD war selbst nie wirklich national eingestellt, ihr fehlten hierzu alle Voraussetzungen; ausgestattet mit einem ideologisch wenig originellen und von den Persönlichkeiten her der Souveränität entbehrenden Führungskader, horchte sie stets, wie ein treuer Hund, auf die Stimme ihres Herrn, der KPdSU. Sie spielte die nationalistische Karte allein aus taktischen Gründen aus. Zum einen wollte sie dadurch Verwirrung ins Lager der Gegner tragen, einen Keil in die „konterrevolutionäre Front“ treiben. Zum anderen hatte sich gezeigt, daß sie mit ihren eigenen Kräften, nämlich Teilen der Arbeiterklasse, den großen Umsturz nicht bewerkstelligen konnte. Deshalb suchte sie neue Bündnispartner, teils zur Vergrößerung der Massenbasis, was vor allem ihre Agitation in bäuerlichen (Landvolkbewegung um 1930) und kleinbürgerlichen Kreisen betrifft, teils um wichtige Spezialisten („bürgerliche“ Theoretiker für die Propaganda, Offiziere für den Ausbau der militärischen Organisation) zu rekrutieren. Linke Nationalisten wie Richard Scheringer, Bodo Uhse, Bruno von Salomon, Beppo Römer, die zu der Überzeugung gelangt waren, daß das Bürgertum nicht zur nationalen Rettung beitragen könne, gerieten in den Bannkreis der KPD. Sobald sie sich aber dieser Partei anschlossen, waren sie der Parteilinie unterworfen und die Stimme ihres Nationalismus verhallte, als der Wind wieder drehte und die schwarz-weiß-roten Fahnen in der Dachkammer verstaut worden waren, ungehört in den Büros des Parteiapparates.

Die andere, historisch häufigere Möglichkeit, wird paradigmatisch vom frühen Faschismus verkörpert. Mussolini war vor Beginn des 1. Weltkrieges in der Sozialistischen Partei Italiens der führende Kopf des radikalen, revolutionären Flügels. Schon bald nach Kriegsausbruch befürwortete er einen Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Entente. Italien verhielt sich zu diesem Zeitpunkt neutral, obwohl es nominell mit den Mittelmächten verbunden war. Mussolinis Kriegsenthusiasmus speiste sich noch gar nicht aus eigentlich nationalistischen Motiven, sondern entstammte einer durchaus linken Strategie. Zum einen waren ihm die „reaktionären“ Mittelmächte zuwider, zum anderen aber erhoffte er vor allem, daß durch die kriegsbedingte Verschärfung der innenpolitischen Konstellation sich eine günstige Ausgangslage für den Ausbruch einer Revolution ergeben könnte. Durch seine bellizistische Propa-ganda entfremdete er sich freilich von der pazifistisch orientierten Partei und wurde schließlich ausgeschlossen. Mit einer Gruppe von Gleichgesinnten, den sogenannten Linksinterventionisten, gründete er, mit seiner Zeitschrift „Popolo d’ Italia“ als Zentrum, eine eigene politische Bewegung. Im Laufe der Zeit gewann er noch einige neue Bundesgenossen, die Futuristen (eine zahlenmäßig kleine, aber lautstarke und einflußreiche Gruppe moderner Künstler) und Angehörige von Elitetruppen (die „Arditi“, mentalitätsmäßig und physiognomisch den deutschen Freikorps vergleichbar), mit denen zusammen er im März 1919 den ersten „Fascio“ aus der Taufe hob. Dieser frühe Faschismus wäre – unter dem Stichwort Politsekten und Splitterparteien – als Fußnote in der italienischen Geschichte abgehakt worden, wenn es nicht zu kommunistischen Unruhen gekommen wäre. Um der drohenden kommunistischen Machtergreifung entgegenzutreten, bildeten sich, völlig unabhängig von der Mailänder Zentrale, vor allem auf dem Land lokale fasces,konterrevolutionäre Schutzbünde, die von den Großgrundbesitzern und örtlichen Honoratioren unterstützt und finanziert wurden. Um hier nicht völlig die Kontrolle zu verlieren und in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, sprang Mussolini auf den fahrenden Zug auf, was aber bedeutete, daß er sich einer, von einem völlig anderen Menschenschlag getragenen und von völlig anderen Voraussetzungen ausgehenden Bewegung anpassen mußte. Binnen zweier Jahre hatte sich dadurch der Faschismus völlig gewandelt: aus einer revolutionären, antibürgerlichen, gemäßigt sozialistischen, linksnationalistischen Bewegung war eine konterrevolutionäre, das Bürgertum unterstützende, rechtsnationalistische Partei geworden. Eine ähnliche Entwicklung wie Mussolini machte in Deutschland Ernst Niekisch durch. Beide trafen sich übrigens Mitte der dreißiger Jahre, wobei sie in ihrem Gespräch auch die gemeinsame marxistische Vergangenheit würdigten. Mussolini sagte zu Niekisch: „Nicht wahr, man muß durch die Schule des Marxismus gegangen sein, um ein wahres Verständnis für die politischen Realitäten zu besitzen. Wer die Schule des historischen Materialismus nicht durchschritten hat, bleibt immer nur ein Ideologe.“2) Niekisch hatte in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre – er war zu diesem Zeitpunkt noch sozialdemokratischer Funktionär – eine unorthodoxe, linksnationalistische Konzeption aufgestellt. Die Knechtung Deutschlands durch die bürgerlichen Siegermächte in Gestalt des Versailler Vertrages beeinträchtige unmittelbar die Lebenschancen der deutschen Arbeiterschaft. Das Bürgertum erweise sich als unfähig oder unwillig, gegen diesen Zustand anzukämpfen. Deswegen zog er die Konsequenz, daß der soziale Kampf der Arbeiterklasse mit dem nationalen Befreiungskampf Hand in Hand gehen müsse. Verständlicherweise stieß er mit diesen Vorstellungen in der Sozialdemokratie auf taube Ohren. Auf der Suche nach einer organisatorischen Basis als Transmissionsriemen für seine Ideen wandte er sich zunächst einer national eingestellten Gruppe von Jungsozialisten, dem Hofgeismarkreis, und einer auf Sachsen beschränkten Rechtsabspaltung der SPD, der Altsozialdemokratischen Partei, zu. Beiden Gruppierungen war aber kein langes Leben beschieden. Unter gleichzeitiger Radikalisierung seines Kurses in Richtung eines reinen Nationalismus3) geriet Niekisch immer mehr ins Fahrwasser der authentischen Rechten. Er stützte sich, neben Rechtsintellektuellen wie den Gebrüdern Jünger, Albrecht Erich Günther, Franz Schauwecker, Alfred Bäumler, auf Gruppierungen aus dem Milieu ehemaliger Freikorpsverbände und der bündischen Jugend. Ende der zwanziger Jahre war diese Entwicklung abgeschlossen. Blättert man in den Heften seiner Zeitschrift „Widerstand“, so unterscheidet sie sich, sieht man von der Radikalität des auf die Spitze getriebenen Nationalismus ab, in nichts von anderen typisch rechten Publikationsorganen. Man findet Anzeigen des hauseigenen Widerstandsverlages, in dem Bücher bürgerlich-konservativer Autoren wie Othmar Spann und Wilhelm Stapel veröffentlicht werden. Anzeigen von Kriegserinnerungen und Ludendorff-Büchern, positive Rezensionen von Bismarck-Biographien und rassekundlichen Werken, antipazifistische und antisemitische Glossen, usw.

Entgegen den Behauptungen der in den letzten Jahren populär gewordenen Untersuchungen zum Prozeß des „nation building“ ist von der Ursprünglichkeit einer tiefverwurzelten Liebe zum Eigenen (Autophilie) auszugehen. Dieses gemeinsame Eigene ist im wesentlichen die Heimat. Deren Begriffsumfang variiert naturgemäß. Aufgrund fehlender Verkehrs- und Kommunikationsmöglichkeiten bezog er sich in früheren Zeiten zwangsläufig auf die unmittelbare Umgebung: Sippe, Dorf und Stadt, Landstrich. Erst durch die Fortschritte in Kommunikations- und Verkehrstechnik, aber auch durch den Bedeutungszuwachs abstrakt-idealistischer Sozialisationstechniken, jetzt über die Bildung, nicht mehr durchs unmittelbare Erleben vermittelt, durch das Bewußtwerden sprachlicher, kultureller und geschichtlicher Gemeinsamkeiten wurde die Ausdehnung dieses Heimatgefühles auf das ganze Vaterland im 18. und 19. Jahrhundert ermöglicht. Diese Ausdehnung des ursprünglichen Heimatgefühls auf das ganze Vaterland wird im allgemeinen Patriotismus genannt. Der Patriotismus ist ein noch vorpolitischer Motivationskomplex. Nationalismus entsteht, wenn der Patriotismus politisch wird, sich also als Bewegung gegen innere oder äußere Feinde wendet. Die Unterscheidung Patriotismus/Nationalismus entspricht der von Karl Mannheim getroffenen Unterscheidung von Traditionalismus und Konservativismus. Traditionalismus ist das vorpolitische, gleichsam unbewußte Verhaftetsein an überlieferte Sitten und Gebräuche, Konservativismus die bewußte, politische und kämpferische Bewegung gegen die Moderne.

Dieser ursprüngliche und natürliche Patriotismus gehört zum Wesen des ursprünglichen Menschen, ist Teil seines natürlichen Empfindens. Das natürliche Antriebspotential wird aber immer von darüber gelagerten Tendenzen modifiziert und überformt. Dies kann dazu führen, daß der autophile Partialtrieb sich auf andere Objekte verschiebt, beispielsweise nicht auf die Nation als solche, sondern nur auf die Fußballnationalmannschaft. Je mehr ein Mensch in bestimmte soziale Zusammenhänge eingespannt ist, desto stärker wird sich eine diesbezügliche Gruppensolidarität ausprägen, die dann an die Stelle der ursprünglichen Autophilie tritt. Die Zugehörigkeit zu Parteien oder anderen Gruppierungen ist dann der primäre motivierende Faktor. Hier öffnet sich eine Schere zwischen der sozio-kulturell überformten Gruppensolidarität und der ursprünglichen Autophilie, die sich in einen Interessenskonflikt zwischen dem „Parteigänger“ und dem Durchschnittsbürger zeigt. Besonders deutlich wurde dies während der mitteldeutschen Revolution. Während die Intellektuellen sich an komplizierten und weltfremden Modellen eines „dritten Weges“ berauschten, wollte das Volk die Wiedervereinigung. Ein weiteres, für unseren Zusammenhang noch prägnanteres Beispiel:

Im Frühjahr 1921 besetzten polnische Insurgenten weite Teile Oberschlesiens. Die deutsche Bevölkerung Oberschlesiens wurde von der die Reaktion des Auslands fürchtenden Reichsregierung im Stich gelassen. Gegen den Widerstand der offiziellen Stellen gelang es dennoch Freikorpstruppen, nach Oberschlesien durchzustoßen und den polnischen Angriff zurückzuschlagen. Die Truppenverbände wurden auf ihrer Fahrt nach Oberschlesien durch kommunistische und sozialdemokratische Bahnbedienstete massiv behindert, größeren Einheiten wurden sogar von der SiPo (Sicherheitspolizei) der sozialdemokratischen preußischen Landesregierung der Vormarsch verwehrt. Dagegen kämpften in den oberschlesischen Städten kommunistische und sozialdemokratische Arbeiter Seite an Seite mit den nationalistischen „rechten“ Freikorpssoldaten. Während hier also bei den unmittelbar Beteiligten sich die Autophilie Bahn brach, also das Antriebspotential sich gegenüber der parteimäßigen, soziokulturellen Überformung durchsetzte, überwog bei den Linken im Reichsgebiet die Parteibindung, weil diese ja in ihrem Handeln nicht durch die Bindung an die gefährdete Heimat bestimmt wurden.

Dieses Beispiel „proletarischer Heimatverteidigung“ verdient höchste Bewunderung, als Indiz für das Vorhandensein eines Linksnationalismus taugt es freilich nicht. Der Widerstand gegen die polnische Invasion ist Ausdruck der ursprünglichen Autophilie und nicht Resultat einer dezidiert politischen Einstellung. Wie der Riese Antaios bezieht diese Haltung ihre Kraft aus dem heimischen Boden und sie schwindet darum proportional mit der räumlichen Entfernung vom Ausgangspunkt und zeitlich mit dem Nachlassen der akuten Bedrohung. Dagegen sind die Freikorpssoldaten, die teilweise sogar aus dem fernen Österreich angerückt waren, „echte“ Nationalisten, weil für sie der „Aufbruch der Nation“, unabhängig von Raum und Anlaß, ein ihr Leben bestimmender Hauptmotivationsfaktor ist. Dieser Heimatkampf ist also weder links noch nationalistisch, weil er von Triebkräften motiviert ist, die Motivationsbereichen entstammen, in welche die politischen Unterscheidungen nicht hineinreichen.

Man wird vielleicht gegen diese Ausführungen einwenden, daß es doch durchaus erfolgreiche linksnationalistische Bewegungen gegeben habe, man denke etwa an Kuba und Vietnam, Nasser, die Baath-Partei, evtl, auch an die IRA. Dazu ist folgendes zu sagen:

Erstens ist zu fragen, ob für diese Bewegungen die Nation wirklich die zentrale Bezugsgröße und den höchsten politischen Wert darstellt. Meines Erachtens ist vielmehr in diesen Ländern die sozialistisch-kommunistische Revolution das Entscheidende. Die Nation gibt nur den territorialen Bezugsrahmen für das revolutionäre Projekt an, wobei in einem zweiten Schritt angestrebt wird, das eigene Modell über die Landesgrenzen hinauszutragen (vgl. das bolivianische Experiment Che Guevaras, die Ausdehnung kommunistischer Herrschaft auf Kambodscha und Laos).

Zweitens muß dieser Linksnationalismus im Zusammenhang mit dem antikolonialistischen Befreiungskampf gesehen werden. Um sich von den Kolonialmächten bzw. den von diesen eingerichteten Statthalterregimes zu emanzipieren, gab es zunächst einmal kein anderes zu befreiendes Objekt als die Nation. Zuerst mußte nach außen hin die Souveränität über das eigene Territorium hergestellt werden, um dann im Innern die sozialistische Revolution zu verwirklichen.

Eine solche, für die Dritte Welt charakteristische Konstellation läßt sich nur mit Mühe für die BRD konstruieren. Man würde in grotesker Weise den Sinn für Proportionen verlieren, wollte man die Bundesrepublik ernsthaft und nicht in einem für propagandistische Zwecke durchaus nützlichen, polemisch-metaphorischen Sinn – als Bananenrepublik bezeichnen. Es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen der kulturellen Kolonisierung (ist nicht bereits dieser Ausdruck schon eine Metapher?) durch McDonald’s und Hollywood und der tatsächlichen Kolonisierung, wie sie im 19. Jahrhundert stattgefunden hat. Jeder hat die Freiheit, statt eines Hamburgers ein Wurstbrot zu essen und statt Spielberg anzuschauen Goethe zu lesen; die Neger aber mußten die britische Flagge grüßen und in den Bergwerken und Plantagen für die weißen Herren schuften. Deshalb ist es originären Linken wie Linksnationalisten auch nie gelungen, dem Volk glaubhaft zu machen, in einer amerikanischen Kolonie zu leben. Diese These, auch wenn sie ein gutes Stück Wahrheit enthält, entspricht weniger den Tatsachen als vielmehr dem Bedürfnis, den befreiungsnationalistischen Impuls auf Deutschland zu übertragen. Man hat eben einfach einen Feind nötig, um sich von etwas befreien zu können. Dies aber ist nur ein reaktiver Nationalismus. Wahrer Nationalismus hingegen besteht aus dem Glauben an die Nation, nicht in der Abgrenzung vom Anderen, sondern im Man-Selbst-Sein, in der Verwirklichung des Eigenen.

Drittens: Weil es in diesen „jungen Staaten“ kein bereits fest etabliertes Parteiensystem gibt, kann der Linksnationalismus gar nicht zwischen den mächtigen Blöcken links und rechts zerrieben werden.

Die Linke und die rechte Einstellung zur Nation unterscheidet sich durch die gegensätzliche Gewichtung des Zweck/Mittel-Verhältnisses. Für die nationalistische Rechte4) ist die Nation immer Zweck und eine sozialistische „linke“ Methodik Mittel zum Zweck (um die Arbeiterschaft in den Staat zu integrieren und eine wahre Volksgemeinschaft zu schaffen bzw. um im Sinne einer „totalen Mobilmachung“ die Wirtschaft dem Willen des Staates zu unterwerfen). Für die Linke dagegen ist die Berufung auf die Nation zumeist nur ein Mittel, um in einer konkreten historischen Situation bestimmte Ziele zu erreichen. Sie geht hierbei von der Frage aus: Wer ist der Hauptfeind, kann er durch ein nationalistisches Engagement wirkungsvoll getroffen werden? Alle ernsthaften linksnationalistischen Unternehmungen haben immer im Umkreis antiimperialistischer Kämpfe stattgefunden: im Ruhrkampf 1923 sollte die Invasion des französischen Imperialismus abgewehrt und während der Nachrüstungsdebatte Anfang der achtziger Jahre entstand eine linke nationalpazifistische Fraktion, um dem amerikanischen Imperialismus Paroli zu bieten. Eine solche Situation, in der die eigene Nation zum Objekt einer fremden imperialistischen Macht wird, eröffnet für die Linken die Möglichkeit einer nationalistischen Orientierung, weil angesichts der Gefahr des Sieges des Imperialismus und der Etablierung massiver und manifest militärisch gestützter Herrschaftsformen, die eine noch drückendere Ausbeutung der heimischen Arbeiterklasse befürchten lassen, das Zusammengehen mit nationalistischen Kräften als das kleinere Übel erscheint.

Auf der Basis dieser Konstellation wäre es durchaus denkbar, „ein Stück Wegs“ (Graf Reventlov) gemeinsam zurückzulegen. Aber diese Konstellation ist nicht mehr gegeben. Die Linke hat die Stoßrichtung gegen Kapitalismus und Imperialismus ad acta gelegt und bekämpft stattdessen im Namen eines moralischen Universalismus den Nationalismus. Die Linke im klassischen Sinne als Repräsentantin der Arbeiterklasse existiert nicht mehr. Vom Arbeiter, den sie einst als einen auf die Erde herabgestiegenen Gott verehrte, spricht sie heute nur noch mit Ausdrücken der Verachtung – er ist für sie zum Stammtischproleten herabgesunken. Die Linke hat mit dem Kapitalismus Frieden geschlossen, sie ist heute integraler Bestandteil eines riesigen „juste milieu“, das die klassische Aufforderung zum „enrichez-vous“ mit dem vergangenheitsbewältigenden, asylbejahenden, etc. Lack einer „Hypermoral“ (A. Gehlen) gewissensentlastend überzieht. In diesem ebenso ökonomistischen wie moralistischen Weltbild finden Kollektivsubjekte, sei dies nun die Nation oder die Arbeiterklasse, keinen Platz mehr. Der Individualismus entkleidet den Menschen von seinen gruppenbezogenen Eigenschaften; in ihrer reinen abstrakten Eigenschaft des Mensch-Seins erscheinen dann alle Menschen als gleich. Für den, der dies glaubt, gibt es keinen prinzipiellen Grund, einen arbeitslosen Deutschen einem hungernden Inder vorzuziehen, da ja beide gleichermaßen Menschen sind. Mit der Aufgabe des Kampfes gegen den Kapitalismus, den die Linke nicht mehr abschaffen, sondern nur noch ökologisch und klientelspezifisch (Privilegierung von Frauen, Homosexuellen, Radfahrern, usw.) einhegen will, ist einer Zusammenarbeit von links und rechts der Boden entzogen worden.

Der Kapitalismus ist die eigentliche internationalistische Kraft, die alle nationalen Besonderheiten auflöst und das Eigene durch ein weltweit gleichförmiges Warenangebot ersetzt. Der moralische Universalismus ist sein ideologischer Reflex. So wie der Kapitalismus die sozialen Beziehungen auf abstrakte Tauschverhältnisse reduziert, so reduziert der moralische Universalismus die historisch tradierte,konkrete Vielfalt des Menschlichen auf ein abstraktes Rechtsverhältnis. Der moralische Universalismus ist die Goldkette, mit der das internationale Kapital die Linke an sich fesselt. Ein Linksnationaler muß diese Kette zerbrechen, um zur Nation zu finden. In den Reihen der Nationalisten wird ihm der deutsche Arbeiter und die „antikapitalistische Sehnsucht“ (Strasser) wiederbegegnen, von dem sich die heutige liberalextremistische Linke verabschiedet hat. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus kann der Kampf gegen den Kapitalismus nur noch von rechts, von einer nationalistischen Position aus vorangetragen werden.

1) Es sind schon unzählige Abhandlungen über die Unterscheidung von links und rechts geschrieben worden. Angesichts der Unmöglichkeit, unumstößliche Unterscheidungsmerkmale zu finden, haben in ihrer Verzweiflung einige den Vorschlag gemacht, die Begriffe „links“ und „rechts“ überhaupt fallenzulassen. Die meisten Menschen scheren sich aber nicht um derartige analytische Schwierigkeiten und verorten ihren eigenen politischen Standort ohne nennenswerte Probleme im Links/Rechts-Schema. Diese Einordnung verdankt sich nicht einer bewußten Verstandestätigkeit – etwa durch den Abgleich mit einer im Kopf gespeicherten Tabelle doktrinärer Aussagen; sondern durch ein gleichsam ästhetisches, begriffsloses Erkennen. Wer beispielsweise politisches Propagandamaterial in einer Fußgängerzone verteilt, wird nicht wahllos alle Passanten ansprechen, sondern nur die, von denen er vermutet, daß sie für die eigene Botschaft empfänglich sein könnten. Teilweise minimale Signale, die Haartracht, Kleidung, Gesichtsausdruck, Gangart aussenden, fügen sich zum Bild eines Persönlichkeitsprofils, dem eine entsprechende politische Einstellung korrespondiert. Mit anderen Worten: Die meisten Menschen wissen bzw. spüren sehr genau, was links und rechts ist, weshalb es für mich keinen Grund gibt, von diesem alltäglichen Verständnis abzuweichen.

2)Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Berlin, Köln, 1958, S. 263, Neuauflage im Bublies Verlag.

3)Unter reinem Nationalismus verstehe ich ein Haltung, welche die Nation zum alleinigen und ausschließlichen Kriterium politischen Denkens und Handelns macht und alle anderen Lebensbereiche wie Kultur, Wirtschaft, Ethik, usw. den Erfordernissen des nationalen Gesichtspunktes unterordnet.

4)Es gibt natürlich auch eine internationalistische Rechte, die uns hier aber nicht interessieren muß: der feudale Internationalismus der aristokratischen Standessolidarität (Metternich und die Heilige Allianz), die nationenübergreifende Glaubensgemeinschaft des politischen Katholizismus, der abendländisch-konservative oder neurechte Europamythos.

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Dr. Winfried Knörzer

Dr. Winfried Knörzer, geboren 1958 in Leipzig, studierte in Tübingen Philosophie, Germanistik, Medienwissenschaften, Japanologie und promovierte über ein Thema aus der Geschichte der Psychoanalyse. Berufliche Tätigkeiten: Verlagslektor, EDV-Fachmann. Seit Anfang der 90er Jahre ist er mit Unterbrechungen publizistisch aktiv.

Die Neuerscheinung im Juni2021: „Farben der Macht“ von Dr. Winfried Knörzer im Lindenbaum Verlag. Hier können Sie es direkt beim Verlag versandkostenfrei bestellen: https://lindenbaum-verlag.de/produkt/farben-der-macht-der-rechte-blick-auf-die-gesellschaft-der-gleichen-winfried-knoerzer/

Vom Nationalstaat zum Gesinnungsstaat

von Klaus Kunze

Vom Nationalstaat zum Gesinnungsstaat

2013 nahm Merkel bei einer CDU-Wahlparty ihrem Generalsekretär Hermann Gröhe ein schwarz-rot-goldenes Fähnchen aus der Hand. Es sollte nicht mit aufs Bild. Das war kein Ausrutscher der Kanzlerin. Die Funktionärskaste der Union hat sich vom deutschen Volk verabschiedet. Sie macht sich dadurch koalitionskompatibel zu den notorischen Deutschlandhassern linker Parteien.

2013 nahm Merkel ihrem Staatssekretär das Deutschlandfähnchen ab (Bild: ZdF)

„Wenn der Regierung ihr Volk nicht mehr paßt“, hatte schon Berthold Brecht gespottet, könne sie es ja auflösen und sich ein neues auswählen. Diese grausige Satire ist heute Realität und Regierungspolitik. Dabei geht es nicht etwa um das juristische Staatsvolk. Aufgelöst  wird heute dasjenige deutsche Volk, das sich das Grundgesetz als Verfassung 1949 gegeben hat. Das deutsche Volk war schon vor der Verfassung da.

Es soll sie nicht überleben, so lautet der Plan. Wer das deutsche Volk als ethnische Größe erhalten möchte, setzt sich nach Ansicht regierungsamtlicher Verfassungsschützer und des OVG Berlin bereits dem absurden Verdacht aus, ein Verfassungsfeind zu sein:

Die vom Verwaltungsgericht erkannte zentrale Zielsetzung des Klägers einer Erhaltung des deutschen Volkes in seiner ethnokulturellen Identität, die er explizit im Grundgesetz verankert sehen wolle, habe er ebenso wenig in Abrede gestellt wie die Feststellung, daß diesem Verständnis der Sache nach ein völkisch-abstammungsmäßiger Volksbegriff zu Grunde liege. Ein solcher Volksbegriff verstoße jedoch gegen die Menschenwürde, denn Art. 1 Abs. 1 GG umfasse die prinzipielle Gleichheit aller Menschen, ungeachtet aller tatsächlich bestehenden Unterschiede.

Pressemitteilung OVG Berlin vom 29.6.2021 zu Beschluß vom 23.6.2021 – OVG 1 N 96/20 –. Vergleiche dazu eingehend hier.

Was man sich an Stammtischen der Union gar nicht vorstellen kann, löst bei Grünen und anderen Linksextremisten Sehnsüchte aus. „Deutschland verrecke!“ schreibt man da zuweilen auf Häuserwände oder Fahnen, unter denen auch Grüne, Gewerkschaftler, Sozialdemokratren und andere „Antifaschisten mitmarschieren. Der deutsche Michel in seiner Stammtischvariante von der Unionsbasis merkt nicht, was geschieht. Es geschieht nämlich zu langsam für sein Wahrnehmungsvermögen.

Dabei ist die Transformierung des deutschen Volkes in eine multikulturelle Bevölkerung in vollem Gange. Sie vollzieht sich im Takt der Generationenwechsel. Die störenden alten weißen Männer sterben weg und werden durch buntgemischten Nachzug ersetzt. Weil ein Rest- oder Kernbestand an Deutschen aber durchaus vorhanden ist, genügt das nicht zur Abschaffung der Deutschen.

Das strategische Ziel der Abschaffer besteht nämlich nicht in einer biologischen Endlösung der deutschen Frage. Sie besteht darin, sich nicht mehr als deutsches Volk zu verstehen.

Die historische Dimension des Geschehens

Um das Geschehen in seiner historischen Dimension richtig zu erfassen und zu analysieren, muß man das Entstehen und Vergehen von Völkern langfristig betrachten. Menschengruppen handelten und handeln nämlich nicht zwangsläufig nach den Regeln einer Abstammungsgemeinschaft, die dem Volksbegriff seit dem 19. Jahrhundert zugrundeliegt.

Es gibt auch andere Modelle. Sie bilden die Vorbilder für die derzeitige Transformation der Deutschen in eine Gesinnungsgemeinschaft. Solchen Kultgemeinschaften gehört nur der Rechtgläubige an. Oswald Spengler hatte vor hundert Jahren ausgiebig nachgewiesen, wie Völker entstanden und untergingen. Sie gingen gewöhnlich nicht durch Ausrottung unter, sondern indem sie sich selbst nicht mehr als Volk verstanden haben. Aus übrig gebliebenen Völkerresten bildeten sich zuletzt Kultgemeinschaften, so wie der Islam sich aus diversen Stammesresten machtvoll formierte.

Arnold Gehlen setzte diese Analyse fort und erkannte den Zusammenhang zwischen den antiken Großreichen wie im Hellenismus und dem Römischen Reich. Dieses ebnete Stammes- und Völkergrenzen ein. Zu seinem Zusammenhalt bedurfte es einer Art globalistischer Ersatzideologie. Sie relativierte die Bedeutung der urwüchsigen Volks- und Stammeszugehörigkeiten. Die Zeit der eigentümlichen Stämme war von Gallien bis Ägypten abgelaufen. Wie heute die Paßdeutschen, vermehrten sich die eingebürgerten Römer und übertrafen endlich die ursprünglichen an Zahl. Die Endphase des Römischen Reiches sah entnationalisierte Bevölkerungen. Die fellachisierten Massen bildeten keine geschichtlichen Subjekte mehr.

Die Nachkommen der alten Völker und Stämme waren dabei keineswegs verschwunden. Ohne eigenen Staat, eigene Sprache, eigenen König und eigene Kultur war aber das Bewußtsein vergangen, unverbrüchlich zusammenzugehören. In ihren Städten vermischten sie sich. Zu kollektivem Handeln waren sie nicht mehr fähig. Statt dessen bildeten sich auf dem Boden des zerfallenden Römischen Reiches religiöse Kultgruppen heraus und stifteten neues Zusammengehörigkeitsgefühl. Spengler machte darauf aufmerksam, wie in den Ostländern des Mittelmeeres von einer Generation zur anderen

die antiken Nationen unvermerkt verlöschen, während das magische Nationalgefühl sich immer mächtiger durchsetzt. Eine Nation magischen Stils ist die Gemeinschaft der Bekenner, der Verband aller, welche den rechten Weg zum Heil kennen und durch das idjma (1) dieses Glaubens innerlich verbunden sind.

Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, S.931. (2)

Bis heute gliedert sich der jetzt islamische Orient nicht in Kollektive, die sich als nationale Abstammungsgemeinschaft verstehen, sondern in teils verfeindete kultische Gemeinschaften.

Die Gemeinschaft der Rechtgläubigen

Die Endlösung der deutschen Frage besteht darin, das Bewußtsein kollektiven Handelns als Volk zu zerstören. Anstelle des nationalen Imperativs soll ein moralischer treten: das kollektive Bekenntnis zu einer Wertegemeinschaft. Ihre moderne Gottheit ist ein abstrakter Mensch an sich. Er trägt mit der “Würde” ein Attribut, das früher nur Gott zugemessen wurde. Aus dieser Idee wird eine kohärente Werteordnung abgeleitet und ergeben sich neue Rituale wie Kniefälle und Kranzniederlegungen und neue Symbole wie die Regenbogenfahne.

Je nach Aspekt mag man die neue Gesinnungsgemeinschaft und ihre Gläubigen als Gutmenschen bezeichnen, als Moralisten, oder auch als Ideologen. Ihr Kult trägt ethnologisch schon alle Merkmale einer Religion: einer „Zivilreligion“. Sie bedarf keines personalen Gottes: Die Buddhisten haben auch keinen. Wie jede Religion kennt sie auch schon ihre Ungläubigen, ihre Ketzer, ihre Verworfenen. Diese teuflischen Unholde nennt sie Nazis.

Um kollektive Interessen in der Welt geltend zu machen, bedarf es nicht unbedingt der Organisationsform einer Nation. Erst in der Neuzeit begann es,

daß dieses oder jenes Kollektiv die Nation und ihre entsprechende Organisationsform als das beste Mittel begreift, um seine Interessen geltend zu machen, wobei freilich ökonomische Interessenpolitik sich wirksam mit nationalistischen Ideologien verbinden könnte. Erscheint wiederum die Nation überholt, so muß sich das Kollektiv erweitern und sich für eine andere Form von politischer Einheit entscheiden.

Panajotis Kondylis, Die Zukunft der Nation, FAZ 26.10.1994.

Tonangebenden Leute zogen aus Deutschlands Zusammenbruch 1945 den Schluß, daß nationales Denken nicht geeignet war, ihre Interessen in der Welt zur Geltung zu bringen. Zielstrebig suchten sie Deutschland in einem supranationalen Europa und einer westlichen Wertegemeinschaft aufgehen zu lassen. Ihre Nachfolger vollenden die Auflösung, indem sie ein ethnisch deutsches Volk zu einer nicht mehr verfassungskonformen Zielsetzung erklären und es in eine multikulturelle Gesellschaft transformieren.

Im Lichte des neuen Multi-Kultus mit seiner Anbetung des Menschen-an-sich versteht sich die Innenpolitik als Ansiedlungs- und Umverteilungsinstrument, damit sich die Multis bei uns auch alle wohl fühlen;  Außenpolitik aber zielt auf ideologische Expansion ab. Auf keiner Auslandsreise läßt ein Minister sich entgehen, weltweit Beachtung der neuen ideologischen Prämissen „einzufordern“, was dann auch gern mit Fördermillionen unterstützt wird.

Abwendung von der Nation

Einer Familie und einem Volk anzugehören, empfand man früher als ethische Verpflichtung, beides zu schützen und zu bewahren. Wie jede Ideologie erzeugt auch die nationale ihre spezifischen Imperative: „Was auch immer werde, steh‘ zu deinem Volk!“

Hambacher Fest 1832: Wofür unsere Vorfahren gekämpft haben, die Einheit und Freiheit unserer deutschen Nation, soll endgültig getilgt werden.

Diese Werte wurden vom neuen Multi-Kult zu Unwerten erklärt. Sie tilgen den Begriff des Volkes aus der Liste der verbindlichen Werte und schaffen damit jenen nationalen Imperativ ab, der unsere Nation zweihundert Jahre lang zusammengehalten hat.

Die po­li­tisch brisante Frage lautet, ob kon­krete Kollektive bereit sind, not­falls un­ter Auf­bie­tung der dazu ge­eigneten Mytho­logeme, sich als Na­tion zu de­fi­nieren und im Na­men dieser Nation zu han­deln, also zu le­ben und zu ster­ben.

Panajotis Kondylis, Die Zukunft der Nation, FAZ 26.10.1994.

Der Multi-Kult beantwortet diese Frage mit einem klaren Nein. Seine Metaphysik ist gänzlich anders. Seine heile Welt ist der Gesinnungsstaat. Er wacht mit seinem Verfassungsschutz darüber, ob die Bürger seinen Werten auch den gehörigen Respekt entgegenbringen. Er stellt es unter Strafe, sein Böses zu „verharmlosen“. Er schafft Schwerpunktstaatsanwaltschaften gegen Anhänger nationaler Imperative und Wertvorstellungen. Solche Leute könnten nämlich die neuen Werte als Unwerte belächeln oder gar hassen und finden sich darum als „Haßkriminelle“ verfolgt. Weil sie sich nicht mehr frei äußern dürfen und gehorchen müssen, wen sie lieben müssen und was sie hassen dürfen, werden sie in absehbarer Zeit ausgeketzert haben. Bürgerliche verstummen am schnellsten. Sie eignen sich nicht als Märtyrer.

Der neue Multi-Kult weist bereits alle unangenehmen Begleiterscheinungen einer Kirche auf. Seine Gläubigen findet er weltweit, seine Ungläubigen aber auch vor seiner eigenen Haustür. Staatsangehörigkeiten und Volkszugehörigkeiten findet er unmaßgeblich: „Kein Mensch ist illegal!“ Wie eine Kirche versteht er sich als – noch inoffizieller – Personenverband der Rechtgläubigen, geeint im Glauben an den guten Menschen an sich. Spengler hat solche Kultgemeinschaften als magische Nation bezeichnet. Die „magische Nation“ verwirft die Abstammung als unterscheidendes Merkmal. (3)Die „magische Nation“ fällt „mit dem Begriff der Kirche schlechthin zusammen.“ (4)

Epochenwechsel

Oswald Spengler war seiner Zeit deutlich voraus, als er das konstruktive Element betonte, dessen eine funktionierende Nation bedarf. Lange vor dem heute modischen Konstruktivismus erkannte er, wo „das Volk“ wohnt: im Kopf der Menschen nämlich, nicht im Blut. Er nannte Völker darum seelische, ein anderer Begriff für konstruktive, Einheiten:

Völker sind weder sprachliche noch politische noch zoologische, sondern seelische Einheiten. (5)

Oswald Spengler

Wir werden Zeugen eines Epochenwechsels, in dem das deutsche Volk aus unserer „Seele“ und unserem Denken verschwinden soll. Begleitet von Masseneinwanderung und dem zahlenmäßigen Schrumpfen der Deutschen wird der Begriff „Deutscher“ auf die Staatsangehörigkeit verengt.

Alle Gruppen und Kollektive existieren nur insoweit und auch nur so­lange, wie sie von den handelnden Gruppenmitgliedern als Kollekti­ve tat­sächlich wahrgenom­men werden. Wenn die Einzelmitglieder der Gruppe aufhören, gruppenbezogen zu handeln, wenn der Wille, die Grup­pe zu bilden und die Gruppe bestehen zu lassen, erlischt, dann erlischt die Gruppe über­haupt. Eine Familie kann sich durch Schei­dung auflösen. Eine politische Partei kann durch Verbot aufge­löst werden. Auch die Mitglieder eines Vol­kes können ihr Volkstum vergessen.

„Völker sind eben nicht Gedanken Gottes, sondern handelnde Kollektive von Einzelmenschen, die im Kol­lektiv handeln wollen und das tatsächlich tun. Wenn der Wille zu ge­meinsamem Handeln und damit zur gemeinschaftlichen Existenz er­lischt, endet das Volk über­haupt. Völker sind nicht Gedanken Got­tes, sondern kol­lektive Gedanken vieler Menschen.

Klaus Kunze, Mut Zur Freiheit, 1995. (6)

Das zum Be­wußt­sein seiner selbst ge­kommene Volk bezeichnet die ro­manische Tra­dition als Nation: Nation sei ein tägliches Plebiszit. Ob eine

“Nation als politische oder auch kulturel­le Einheit erhal­ten bleibt, hängt nicht von ir­gend­ei­ner unwandelbaren Sub­stanz ab, die ihr inne­woh­­nen soll, sondern von den langfristigen Erfor­der­nis­sen der pla­ne­ta­rischen Lage, ge­nau­er: von der Art und Weise, wie die Ak­teure diese Erfordernisse be­greifen und sich darauf ein­stel­len.” (7)

Panajotis Kondylis, Die Zukunft der Nation, FAZ 26.10.1994.

Vorwärts in den Gottesstaat

In einem Gesinnungsstaat leben wir bereits. Was jemand ist, wird von seiner Gesinnung abhängig gemacht. Welcher gesellschaftliche Rang und Stellenwert ihm eingeräumt wird, hängt von seiner Glaubensstärke ab. Abweichler werden nicht geduldet.  Sie werden abgekanzelt und gesellschaftlich geächtet. Die Mikrofone der öffentlichen Aufmerksamkeit bleiben für sie stumm.

Die Klingen des Strafrechts werden bereits gewetzt. Konzerne wie VW entlassen Arbeiter, deren falsche Gesinnung auffällt. An Hauswänden prangen die Parolen und Gebote des neuen Glaubens.

Während sich die Aggressivität von Nationalstaaten zuweilen gegen andere Nationen oder Minderheiten im Innern wandte, steht dem der Gesinnungsstaat in nichts nach. Seine Außenpolitik richtet sich gegen Staaten Ungläubiger. Deren Regierungen nennt er Regime. Wenn sie sich nicht der Rechtgläubigkeit anpassen, setzt es „Sanktionen“: die Methode der moralischen Kanonenbootpoltik.

Andere Länder mit anderen Göttern oder Kulten nennt der Gesinnungsstaat gern „Gottesstaaten“. Die haben zwar auch eine Gesinnung, aber die falsche. Sie huldigen auch, aber zum Beispiel Allah und nicht dem Menschen an sich. Nationalstaaten können friedlich nebeneinander koexistieren. Für jeden Gesinnungsstaat aber ist ein Staat mit anderer Gesinnung ein ewiges Ärgernis, beweist er doch die Realativität und Vergänglichkeit aller Gesinnungen. Gesinnungsstaaten sind nicht friedlich. Sie verwandeln nur die bisherigen Völkerkriege in Bürgerkriege und machen sie dadurch besonders gnadenlos.

Im Innern richtet sich der Verfolgungsdruck erbarmungslos gegen seine eigenen Ungläubigen: Er nennt sie Haßkriminelle oder Verfassungsfeinde. Auch an bunter Gesinnung kann man einheitlich sein. Solange ein Gesinnungsstaat ideologisch nicht in sich homogen ist, gibt er keine Ruhe. Diese Homogenität erzeugt er durch ein ausgeklügeltes System öffentlich-rechtlicher Meinungslenkung, dessen Kosten die Gelenkten selbst zu bezahlen haben, denn Verweigerern droht Gefängnis.

Während ein Nationalstaat sich demokratisch verfassen und umfassende Freiheitsrechte einräumen kann, sind diese dem Gesinnungsstaat wesensfremd. Als störende Elemente werden sie nach und nach hinweginterpetiert. Am Wortlaut des Gesetzes muß man nichts ändern. „Haß ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“, und was als Haß gilt, entscheiden unsere neuen Gesinnungswächter.

Der Nationalstaat kannte noch das Recht zur Auswanderung. Der Gesinnungsstaat aber tendiert zur Universalität. Vor ihm wird es dereinst global nirgendwo mehr ein Entrinnen geben.


(1) Übereinstimmende Meinung in Glaubensfragen, für den Islam siehe Wikipedia

(2) Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918 in zwei Bänden, hier zitert nach der einbändigen Ausgabe (Text nach dem Druck von 1923), Anaconda-Verlag 2017, ISBN 978-3-7306-0453-3, S.931 = 2.Band, 2. Kap. III der Erstausgabe..

(3) Oswald Spengler, am angegebenen Ort, S.933.

(4) Oswald Spengler, am angegebenen Ort, S.931.

(5) Oswald Spengler, am angegebenen Ort, S.923.

(6) Klaus Kunze, Mut Zur Freiheit, 1995.

(7) Panajotis Kondylis, Die Zukunft der Nation, FAZ 26.10.1994.

Dieser Artikel erschien auch auf der stets sehr informativen Seite von Klaus Kunze:

Vom Nationalstaat zum Gesinnungsstaat

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Klaus Kunze



Klaus Kunze, seit 1984 selbständiger Rechtsanwalt in Uslar, von 1970-71 Herausgeber eines Science-Fiction-Fanmagazins, von 1977 bis 1979 Korrespondent der Zeitung student in Köln, seit 1978 diverse Beiträge in genealogischen und heimatkundlichen Fachzeitschriften, seit 1989 Beiträge für politische Zeitschriften wie u. a. die Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT

Autor der Bücher:

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Und das neue Werk von Klaus Kunze: Die solidarische Nation. Wie Soziales und Nationales ineinandergreifen. Gebundene Ausgabe, 206 Seiten, Preis: 19,80 Euro ist hier erhältlich: https://lindenbaum-verlag.de/produkt/die-solidarische-nation/

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Was Volks- und Völkerkunde zur Klimadiskussion beitragen können

von Dr. Christian Böttger

Was Volks- und Völkerkunde zur Klimadiskussion beitragen können

Im Mai 2019 fand unter dem Titel: „Annalena Baerbock vor Ort“ eine Open-Air-Veranstaltung statt. Dort führte die Grünen-Politikerin, in freier Rede und etwas holprig, Folgendes aus:

Ich hab´ letztens gelesen, bei der BBC ist das so, die sagen, unsere öffentlichen Kanäle sind aufgrund von Fakten und Wissenschaft. Und z. B. Klimaleugner werden da in TV-Sendungen überhaupt nicht eingeladen, weil sie sagen: wir argumentieren hier auf der Grundlage von Fakten und wir geben denjenigen, die diese Fakten leugnen, kein Forum. Und ich glaube, daß sollte auch der Standard dann in öffentlichen Medien hier bei uns sein.“ (1)

Diese Einstellung bekräftigte sie noch einmal beim Kongreß des Verbandes der deutschen Zeitschriftenverleger im November des gleichen Jahres. Es dürfte klar sein, daß eine solche Haltung weder im Einklang mit dem Grundgesetz steht, noch mit der vielbeschworenen „Offenen Gesellschaft“ – ein Begriff, den man stets als Offenheit gegenüber Migranten fehlinterpretiert und nicht als Offenheit gegenüber Argumenten und Meinungen versteht, wie er ursprünglich gemeint war. (2) Allerdings ist dieses Postulat von Karl Popper (1902 – 1994) ohnehin nur theoretischer Natur, da jeder Gesellschaft die Tendenz zur ideologischen Geschlossenheit innewohnt. Die aktuellen Entwicklungen in der BRD sind das beste Beispiel dafür. Das betrifft vor allem eben auch die These vom menschengemachten Klimawandel.

Die Annahme, daß der CO2-Ausstoß einen Klimawandel bewirken könnte, ist nicht neu. Schon als Abiturient bin ich mit dieser Frage konfrontiert worden und ich habe dieses Problem damals nicht anders verarbeitet, als die Jünger von Greta Thunberg das heute tun. Ich sehe mich deshalb weit entfernt davon, ein „Klimaleugner“ zu sein, auch wenn mein Wissen heute wesentlich über meine damaligen Erkenntnisse hinausgeht. In einer Jahresarbeit im Fach Biologie schrieb ich 1973 dazu folgendes:

Eine bedeutende Nebenwirkung, die das in der Atmosphäre enthaltene Kohlendioxyd hervorruft, ist die Fähigkeit, den thermischen Zustand der Atmosphäre zu beeinflussen und somit unerwünschte Klimaveränderungen herbeizuführen. Kohlendioxyd besitzt die Fähigkeit, Sonnenstrahlen sehr intensiv zu absorbieren und wie das Glasdach eines Gewächshauses zu wirken. Es kann zwar von Sonnenlicht durchdrungen werden, ist aber nicht in der Lage, infrarote Wärmestrahlung nach außen gelangen zu lassen. Diese Tatsache wurde schon im vorigen Jahrhundert erkannt. Eine Verdopplung der Kohlendioxydmenge in der Atmosphäre würde eine Temperaturerhöhung um ca. 2 Grad C verursachen. Da aber schon eine Temperaturerhöhung von 4 – 5 Grad C die Eismassen der Erde zum Schmelzen bringen würde, könnte eine Erhöhung des Meereswasserspiegels die Folge sein.“ (3)

Im Gegensatz zu heutigen Darstellungen erwähnte ich damals aber noch gegenläufige Tendenzen durch den Ausstoß von industriellem Staub, das Abschirmvermögen des Staubes, der so eine Erdabkühlung begünstigen könnte. Und hinsichtlich des Schmelzens von Gletschern spielt der Staub auch eine Rolle, was die einseitige Sicht auf das CO2 relativiert:

Die Auswirkungen des Staubes können verschiedener Art sein. So ist uns bekannt, daß durch Staubablagerungen auf Gletschergebirgen der Reflexionsgrad vermindert wird, wobei eine stärkere Absorption der Sonnenstrahlen erfolgt. Die Folge davon wäre ein vorzeitiges Schmelzen der Eismassen.“ (4)

Es steht z. B. auch außer Frage, daß die weltweit stattfindenden Urbanisierungstendenzen und die damit einhergehende Schaffung von städtischen Wärmeinseln die Temperatur der unteren Atmosphäre verändert hat – ganz unabhängig vom CO2-Ausstoß.

All diese Sachverhalte spielen heute in der Diskussion gar keine Rolle mehr. Warum, weiß ich nicht. Ich werte das als ein deutliches Zeichen dafür, daß es gar nicht mehr um wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern nur noch um ideologische Selbstbehauptung verschiedenster Interessengruppen geht. Auch andere Tatsachen, wie der natürliche Klimawandel durch die verschiedenen Klimazyklen oder kosmische Strahlung werden nicht mehr erwähnt oder zu einer Randerscheinung erklärt. Die aufgezeigten Zitate belegen jedenfalls, daß ich mich mit diesem Thema schon zu einer Zeit beschäftigt habe, als an Annalena noch gar nicht zu denken war. Die von mir 1973 dargelegten Auffassungen waren damals geradezu „revolutionär“. Heute müßte die Wissenschaft aber schon weiter vorangeschritten sein und könnte neue Zusammenhänge aufzeigen, sollte man meinen.

Während meines Geschichtsstudiums von 1983 bis 1988 erfuhr ich ganz vage, wie negative Klimaveränderungen zu Völkerwanderungen und Bevölkerungsrückgang geführt haben könnten – und habe mir noch nichts dabei gedacht. Erst als 2010 ein ehemaliger sorbischer Kommilitone von mir, Peter Milan Jahn, seine Dissertation vorgelegt hat, wurde ich mit dem Phänomen der sog. „Kleinen Eiszeit“ konfrontiert. (5) Die politisch ausgerichtete Klimaforschung kennt zwar auch Begriffe wie Römisches Optimum, Mittelalterliche Warmzeit und Kleinen Eiszeit, leugnet allerdings ihre reale Existenz. Wie dies geschieht, kann man auf klimafakten.de ganz gut nachvollziehen. Dort lesen wir:

Erstens war die Mittelalterliche Warmzeit ein eher regionales Phänomen. Zwar gibt es in der Tat Belege dafür, dass damals Teile der Erde (etwa der Nordatlantik) wärmer waren als heute. Diese Erwärmung und der damit verbundene Rückgang des arktischen Eises ermöglichte es beispielsweise den Wikingern, weiter nach Norden zu fahren, als dies vorher denkbar gewesen wäre. Doch gleichzeitig war es an anderen Orten der Erde wesentlich kälter als heute, … Auch weitere Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass es keine Belege gibt für eine weltweite ‚Mittelalterliche Warmzeit‘ – ebenso wenig übrigens wie für eine weltweite ‚Kleine Eiszeit‘, die nach manchen Behauptungen danach stattgefunden haben soll.“ (6)

Diese Darstellungen eint meistens die Vorstellung, die Kleine Eiszeit habe nur partiell und auf der Nordhalbkugel stattgefunden, während es anderswo wärmer war. Doch in den letzten Jahren sind immer mehr Klimaforscher zu dem Ergebnis gekommen, daß die Kalt- und Warmzeiten weltweite Phänomene waren. Bei den Studien für mein Südafrika-Buch (7) bin ich u. a. auf die Forschungsergebnisse des großartigen südafrikanischen Historikers Thomas Huffman (*1944) von der Archäologischen Abteilung der Universität Witwatersrand gestoßen. Mit seinem Handbuch zur südafrikanischen Eisenzeit (200 n. Chr. – 1840) hat er 2007 ein gigantisches Werk von unschätzbarem Wert vorgelegt, an dem heute kein Autor, der zur Geschichte Südafrikas schreibt, vorbeikommt. Anknüpfend an die Forschungsergebnisse (8) des namhaften südafrikanischen Klimaforschers Peter Tyson, (Universität Witwatersrand) gelang es Huffman, die Bedeutung des permanenten Klimawandels für die Prozesse der Migration und Ethnogenese in Südafrika herauszuarbeiten:

Throughout the Iron Age, climatic fluctuations played a significant role in structuring human geography. When EIA people first entered southern Africa, the climate was warmer and wetter than today. Between about AD 700 to 900 the climate was colder and drier than at present, and EIA farmers would have retreated to more optimal areas. The climate became better again sometime during the Middle Iron Age, between AD 900 to 1300. At about AD 1700, however, the ‘Little Ice Age’ reached its nadir, and its impact upon human population was particularly severe.“ (9)

Während der gesamten Eisenzeit spielten Klimaschwankungen eine wichtige Rolle bei der Strukturierung der menschlichen Geographie. Als die Leute der Frühen Eisenzeit zum ersten Mal in das südliche Afrika eindrangen, war das Klima wärmer und feuchter als heute. Zwischen etwa 700 und 900 n. Chr. war das Klima kälter und trockener als heute, und die Landwirte der Frühen Eisenzeit hätten sich in optimalere Gebiete zurückgezogen. Das Klima wurde irgendwann in der mittleren Eisenzeit zwischen 900 und 1300 n. Chr. wieder besser. Um 1700 n. Chr. erreichte die ‚Kleine Eiszeit‘ jedoch ihren Tiefpunkt, und ihre Auswirkungen auf die menschliche Bevölkerung waren besonders gravierend.“ (Übers. C. B.)

Zu diesen gravierenden Auswirkungen gehörte, daß ganze Landstriche (das sog. Highveld) in dieser Zeit von den Bantustämmen weitgehend verlassen wurden und die Buren hier später nachrücken konnten, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen, wenn man von der Zufallsbegegnung mit den Matabelestämmen 1837 einmal absieht. Allein der hier dargestellte Sachverhalt zeigt aber unmißverständlich, daß die Annahme, die Kleine Eiszeit habe nur partiell und auf der Nordhalbkugel stattgefunden, nicht stimmen kann. Nach der Darstellung von Huffman/Tyson finden die Klimazyklen der Nordhalbkugel auch in Südafrika ihre Entsprechung. Klimafakten.de scheint mir deshalb keine seriöse Quelle zu sein, auch wenn MDR-Aktuell (Hörfunk) sich auf diese beruft. (10) Eine Institution, die auf alle Fragen eine Antwort weiß und keine Zweifel und Widersprüche mehr kennt, nennt man im allgemeinen Sekte. Der MDR täte gut daran, sich von den „Fake News“ von klimafakten.de, hinter denen eine ominöse private Stiftung steht, zu distanzieren.

Für die nördliche Hemisphäre hat Dr. habil. Harald Kehl, PD an der TU-Berlin, Institut f. Ökologie, 2008 folgende Graphik erarbeitet (11), die Auskunft über das zyklische Auftreten von Optima und Pessima in den letzten 11.000 Jahren gibt:

Aber was bedeuten diese auf- und niedergehenden Kurven ganz praktisch, also mikrohistorisch für das Alltagseben der Völker und Kulturen? Greifen wir die letzten drei Optima heraus, weil sie mit drei kulturellen Entwicklungsschüben in Europa einhergehen. Das erste Optimum, was uns interessieren soll, fällt mit der Blüte der Spätbronzezeit zusammen, die die Lausitzer Kultur, die nordische Bronzezeitkultur und die Urnenfelderkulturen hervorbrachte. Charakteristisch für die Urnenfelderkulturen sind zahlreiche neue Bronzeprodukte. Das beginnt bei einfachen Arbeitsgeräten, geht über filigranen und anspruchsvollen Schmuck bis zu hochwertigen Waffen. Es entstanden gußtechnisch kompliziertere Bronzen. Bronzeschild, Kappenhelm, Lanze und Griffzungenschwert setzten sich jetzt in der Bewaffnung durch. Die Verwendung des von Pferden gezogenen Streitwagens ist durch Fürstengräber bezeugt. Der Pflugbau und die Einführung weiterer Getreidearten wie Roggen und Hafer gehören zu den Verbesserungen der landwirtschaftlichen Produktion. Große, mit Wällen und Gräben befestigte Anlagen – oft auf Höhen – zeugen vom Zusammenschluß der Menschen in größeren Verbänden. (12) Ein Bevölkerungswachstum ist unter diesen Bedingungen naheliegend, so daß es in diesem Zeitabschnitt zu ausgedehnten Wanderzügen kam (z. B. die Wanderungen der Dorer nach Griechenland oder der Italiker nach Italien.). Auch die Prägermanen der nordischen Bronzekultur (Nordischer Kreis), die in engem Zusammenhang mit den anderen Indoeuropäern der Urnenfelderkulturen gesehen werden müssen, waren von dieser kulturellen Blüte betroffen. Das bezeugen zahlreiche Mecklenburger Bodenfunde (Königsgrab von Seddin, Schwerter aus Barkow, bronzene Spiralplattenfibeln aus Plauerhagen usw.). Doch in der späten Bronzezeit, etwa seit dem 9. Jh. v. Chr., setzten gravierende Veränderungen in der Kulturentwicklung ein. Ein stärkerer Rückgriff auf primitive Rohstoffe wie Knochen und Stein ist jetzt im nördlichen Mitteleuropa zu beobachten. (13) Das hat zur Legende von den „primitiven Germanen“ beigetragen. Solche von Lehrern der 1968-Generation in Westdeutschland verbreiteten Legenden sind mir persönlich von Zeitzeugen berichtet worden und noch heute virulent – in Unkenntnis der wahren Zusammenhänge. Wodurch aber war dieser Zeitabschnitt der Bronzezeit und beginnenden Eisenzeit gekennzeichnet? Die obenstehende Graphik gibt uns eine eindeutige Auskunft. Es handelte sich um den Beginn einer schrecklichen Kaltzeit am Ende dieser Periode.

Erst als es um 200 v. Chr. wieder bedeutend wärmer zu werden begann, kam es über vier Jahrhunderte zu einer neuen Blüte der Kulturentwicklung. Die Klimaforschung spricht vom „Römischen Optimum“, auf dessen vielbeachtete Kulturentwicklung ich nicht weiter eingehen muß. Jedenfalls bricht diese Temperaturentwicklung etwa um 200 n. Chr. ab und das Klima wird in der Völkerwanderungszeit etwas rauer und kühler (siehe Graphik). Es kommt zu einem allgemeinen Niedergang der antiken Stadtkultur und Baukunst. Das 6. und 7. Jh. n. Chr. bildeten in kultureller Hinsicht die „dunklen Jahrhunderte“ und erst ab 800 spricht man in der Kulturgeschichte von der „Karolingischen Renaissance“, die den dunklen Jahrhunderten der Völkerwanderungszeit und des Frühmittelalters ein Ende setzte. Der Kulturaufschwung zur Zeit Karls des Großen betraf das Bildungswesen, die Literatur und die Baukunst. Zwischen 900 und 1300 erreichte die „Mittelalterliche Warmzeit“ ihr Optimum. Jetzt wurde es bedeutend wärmer und viele Gletscher schmolzen. Im Berliner Raum wie auch in anderen Gegenden der norddeutschen Tiefebene konnten im Hochmittelalter sogar erfolgreich Wein angebaut werden. Doch vom 15. und vor allem vom 16. Jh. an begann es allmählich kälter zu werden. Gemälde vom 16. und 17. Jh. zeigen zugefrorene Kanäle in den Niederlanden. Das war der Beginn der „Kleinen Eiszeit“.

Der Frage, wie sich u. a. die Kleine Eiszeit mikrohistorisch auf die Kultur und Lebensweise der unteren Volksschichten ausgewirkt hat, ist der sorbisch-wendische Volkskundler Peter Milan Jahn in dem bereits erwähnen gigantischen Werk nachgegangen. Es liefert uns konkrete Einblicke in die an der Neiße gelegene Oberlausitzer Standesherrschaft Muskau an der Wende vom 18. zum 19. Jh. Bekanntheit erlangte die Landstadt durch den Fürsten Hermann von Pückler-Muskau, der mit seinem Landschaftspark als Landschaftskünstler in die Geschichte eingegangen ist. Bad Muskau zählt heute zum amtlichen sorbischen Siedlungsgebiet. Im Mittelpunkt der Arbeit steht das Leben von Hanso Nepila (1766 – 1856), ein wendischer Fronarbeiter aus Rohne. Zu den ausgewerteten Quellen und Dokumenten gehören neben der Autobiographie Nepilas auch alte Chroniken des „Lausitzischen Magazins“, das 1768 sein Erscheinen als wissenschaftliche Zeitschrift begonnen hatte. Ein Meteoriteneinschlag am 16. Februar 1768 bei Lauban in der östlichen Oberlausitz bildete für diese die Veranlassung, ein täglich geführtes Wetterjournal für die Oberlausitz zu publizieren.

Die Wetteraufzeichnungen des Magazins zeigen ein detailliertes Bild. Zunächst fallen ungewöhnliche Kälteeinbrüche im Frühjahr auf, so für 1768, als starke Nachtfröste zu den Eisheiligen die Baumblüte schädigte. Ein ohnehin verregneter Sommer wurde von schweren Gewittern im Herbst abgelöst und im November kam heftiger Frost hinzu, der die Erde ¼ Elle tief frieren ließ. (14)

Obwohl sich der Februar im darauffolgenden Jahr (1769) durchaus vorfrühlingshaft zeigen konnte, war die zweite Märzhälfte eher durch heftige Nachtfröste und Schneegestöber gekennzeichnet. Im Mai regnete es bei empfindlicher Kälte bis zum 12. ununterbrochen, was zu dramatischem Mehltaubefall führte. Eine Gewitterserie beherrschte den Juni. Der von langanhaltenden Niederschlägen geprägten Sommer wurden von heftigen Frösten im Herbst abgelöst. Schnee oft schon Anfang Oktober verhinderte die Aussaat des Roggens. Gewaltig tobende Wirbelstürme im November schlossen sich daran an und ab 16. November lag bereits zu viel Schnee, um die Felder weiter bestellen zu können.

Auch im darauffolgenden frostigen Frühjahr schneite es vom kalendarischen Frühlingsanfang bis Ende März fast ununterbrochen, obwohl es seit Weihnachten überwiegend nur matschig und regnerisch war. Anfang April taute es, von starken Überschwemmungen begleitet, doch schon über Ostern sollte sich das ändern. In der Nacht zu Karfreitag, dem 13. April 1770, erwachte man mit heftigen Schneefällen, die nur von etwas Sonne am Ostersonntag unterbrochen wurden. Danach wurde es trübe und kalt und am 31. Mai so frostig, daß das ganze Gemüse nebst Kartoffeln eingingen. Pünktlich zum Beginn der Getreideernte stellte sich mit Hagel und Gewitter auch noch eine den ganzen Sommer anhaltende Regenzeit ein. Überall in Mitteleuropa stiegen die Getreidepreise. In der Schweiz (Basel) hatte sich schon 1770 der Kornpreis gegenüber 1768 fast verdoppelt. (15) Eine Besserung war nicht in Sicht, denn starke, lang andauernde Regenfälle im Oktober 1770 machten auf eine gute Ernte im darauffolgenden Jahr wenig Hoffnung.

Das Bild im Januar 1771 wurde von ungeheuren Schneegestöbern bestimmt. Starke Temperaturschwankungen folgten im Februar und Ende März setzte eine anhaltende Kältewelle mit starken Schneefällen ein. Die Schneedecke war zu Ostern übersät mit erfrorenen und verhungerten Singvögeln und Hasen. „Die Heidebauern, anstatt mit der Feldbestellung und Sommeraussaat zu beginnen, mußten sich einen Weg zu ihren Kirchen Schaufeln, wenn sie etwas über Ostern hören wollten.“ (16) Naßkalte Witterung um den Gefrierpunkt beherrschte den April. Im Juni regnete es mit einer Ausnahme jeden Tag. Regenschauer und starke Güsse wechselten sich ab. Der wärmste Sommertag war der 2. September und auch im Oktober gestaltete sich das Wetter zur Winteraussaat vielversprechend. Vier Monate lang hatte man nichts als Niederschläge erlebt. Die daraus resultierende Hungersnot erreichte deshalb auch vor der Ernte 1772 ihren Höhepunkt und erfaßte mehr oder weniger ganz Mitteleuropa. Die Produktionsausfälle in der Landwirtschaft bewirkten nicht nur schwere Hungersnöte, sondern auch Säuglinge und Kleinkinder erkrankten unter der extremen Witterung.

Zweimal hintereinander war die Ernte total vernichtet worden. Es kam zu kollektiven Auszügen bettelnder Bauern, aber auch von kleinen Handwerkern und Gewerbetreibenden bereits Ende des Jahres 1771. Auch aus dem Erzgebirge sind solche Scharen von Bettlern bezeugt. Der Weg verlief von der Oberlausitz aus nicht in Richtung Dresden, das von Bettlern aus dem Erzgebirge überlaufen war, sondern in nördliche Richtung. Zuerst ging es nach Cottbus, einer damals Brandenburgischen Exklave in Sachsen, in der ebenfalls wendische Bauern lebten. Aber dort war an eine gute Ernte auch nicht zu denken gewesen. Doch einen Unterschied gab es: „Die preußischen Domänenbauern im Kreis Cottbus wurden über die Kriegsmagazinverwaltung ihres Staates aber viel besser mit Getreide versorgt.“ (17) Seit Februar 1772 lief, von Küstrin aus, die Versorgung für den Kreis Cottbus an. Manches Grenzdorf im Kreis Cottbus mußte durch Wachen regelrecht abgeriegelt werden, um die Hilfesuchenden abzuwehren. Die einzelnen Staaten im Reich ergriffen nun protektionistische Maßnahmen. Bereits im September 1771 war in Sachsen ein Verbot für die Getreideausfuhr ergangen. Etwas später wurde die Einfuhr von Lebensmitteln von Zöllen befreit. In halb Europa begann man die Grenzen dicht zu machen, um eine negative Handelsbilanz zu vermeiden und den jeweiligen Binnenmarkt am Leben zu erhalten. Der Argwohn gegenüber kontinental operierenden Großhändlern wuchs. Ende Februar 1772 sah sich der Rat der Stadt Leipzig gezwungen, eine Anordnung zur Ausweisung von Bettlern zu erlassen. Bis Ostern 1772 waren in den Straßen von Leipzig 3.732 Todesopfer der Hungersnot zu beklagen. In Dresden waren es bis Ostern 6.225 Personen. Das Getreide, das über den Hamburger Hafen nun eintraf, kostete das Dreifache des normalen Preises und war für die Armen unerschwinglich. (18)

Die zurückgebliebenen Familienangehörigen in den Heidedörfern der Lausitz waren am Ende, denn Anfang März 1772 war selbst das Tierfutter von den Bewohnern aufgezehrt. Das Vieh hatten die Fronbauern in den standesherrlichen Forst getrieben, wo es sich selbst dürres Waldgras suchen muße. Das hatte aber zur Folge, daß nicht nur das Brot fehlte, sondern auch Milch, Butter und Käse. Man behalf sich mit dem „Grünen Mus“, das sich im Frühjahr 1772 alle bäuerlichen Einwohner hier teilten. Dieses war weder gesalzen noch gefettet und bestand aus allem frischen knospenden Grünzeug, Blättern von Linden- und Pflaumenbäumen, Hopfen, Hederich, Raps, Kartoffelkraut und Brennnesseln. Die Kinder pflückten Löwenzahn, Pfennigkraut, Sauerampfer und Schafgarbe und formten daraus eßbare Knöllchen. Um den Hunger zu stillen wurde auch eine Art von Brotersatz gebacken, der aus gemahlenen Eicheln, Spreu vom Heidekorn, vom Leinsamen, den Blüten vom Heidekraut und geschnittenem Stroh bestand. (19) Daß in solchen Notzeiten auch Hunde und Katzen als Nahrung dienten, ist verständlich.

Ein besonderes Phänomen jener Zeit kennen Ethnologen von allen Kontinenten. Es wird als „Geophagie“ bezeichnet und bedeutet die kollektive Sitte, bestimmte ton- und salzhaltige Erden zu verzehren. Instinktiv auf diese Weise angegangene Mangelerscheinungen von Salzen und Spurenelementen konnten so ausgeglichen werden. Bei den Heidewenden in der Kleinen Eiszeit ist diese kollektive Sitte nur von Kindern bezeugt: Im Rahmen von gespielten Familienfesten und großen Festmählern formten die Kindergruppen zunächst Kringel und Lebkuchen aus Lehm. Danach „verrührten die Kinder ihre Kreationen mit Wasser, dem sie mitunter frische, helle Holzspäne beimengten und erhielten dann eine Pampe, die sich mit einiger Phantasie wie weißer Mehlbrei mit Milch ansah und tatsächlich essen ließ.“ (20) Dabei erwies sich manches lehmhaltige Material als zu grob, scharf und steinig, so daß es zu Magenbeschwerden kam.

Trotz aller Anlaufschwierigkeiten, die den völlig entkräfteten Lausitzer Fronbauern im Sommer 1772 zu schaffen machten, konnte die Ernte in jenem Jahr vollständig geborgen werden. Auch 1773 war die Ernte gut geraten.

Die Mißernten und Hungersnöte waren zum Glück nicht immer zur gleichen Zeit in Europa aufgetreten. Sie häuften sich lediglich im 16., 17. und 18. Jh. In Frankreich sticht besonders das Jahr 1788 heraus:

Aber die Vorsehung … verhängte im Jahr 1788 eine neue Heimsuchung über Frankreich, die den einzelnen schwerer traf, als der noch so scharfe Steuerdruck und als alle Sorge um den finanziellen Zustand des Staates. Nämlich eine allgemeine Mißernte mit nachfolgender Hungersnot, die das Tohuwabohu der Erregungen und Anklagen auf das leidenschaftlichste vermehrte. … Nicht auf das ernste, mühselige und fast verzweifelte Studium der möglichen Abhilfen waren die allgemeinen Schichten Frankreichs gestimmt, als 1789 die Generalstände in Versailles zusammenkamen. … Nicht auf Hilfsbereitschaft für die die Nation führende Monarchie war diese innerhalb der Etats généraux mitvertretende Erwartung Frankreichs gestimmt, sondern auf Anklage und Beschuldigung, die zum Haß wurden, sobald der Name Marie Antoinettes in Betracht kam, der ‚Autrichienne‘, der ‚Madam Déficit‘. Denn die Königin wurde in ihren Einflüssen auf den König und die Regierung – und in dem Unheil dieser Einflüsse – immerhin weit überschätzt.“ (21)

Der Rest ist bekannt. Am 16. Oktober 1793 bestieg Marie Antoinette, die „Österreicherin“, die eigentlich Maria Antonia hieß, die Guillotine. Der Fränkische Adel folgte ihr nach. Es kam zu einem tiefgreifenden Elitenwechsel. Und wieder fällt die Kaltzeit mit dem Abschluß einer Kultur zusammen. Das Abendland, das mit der Taufe König Chlodwigs 498 in Frankreich seinen Ausgangspunkt genommen hatte, unter Karl dem Großen eine erste Blüte erlebte, beendete in der kleinen Eiszeit seinen Zyklus. Das soll nicht heißen, daß die Kleine Eiszeit die Ursache für die Revolution war, aber sie lieferte den dazu notwendigen Impuls, den revolutionären Elan und eröffnete so die Möglichkeit zum Abschluß des Kulturzyklus, einer ganzen Epoche. Es folgte die „Moderne“, die nur noch ein Surrogat davon war.

Die Kleine Eiszeit endete jedoch nicht abrupt, denn diesbezügliche klimatische „Ausreißer“ gab es noch bis in das 19. Jh. hinein. So kam es im Deutschen Bund 1847 zu 193 bekannten Hungerunruhen. Solche Lebensmittelunruhen häuften sich zwischen 1840 und 1850. Die Kartoffel- und Getreideernte war z. B. in Preußen im Jahr 1846 um 30 – 50% geringer ausgefallen, als in den Vorjahren. In Schlesien ging der Roggenertrag sogar um 60% zurück. Starkregen im April und anschließende Trockenheit waren die Ursache dafür. 1852 entstand Rodolf Virchows Bericht „Die Noth im Spessart“. (22) Diese Not war u. a. darauf zurückzuführen, daß die kalte und nasse Witterung im Jahr 1851 die Kartoffelernte fast völlig ausfallen ließ. Schlechte Getreideernten hatten bereits 1846 und 1847 eine große Teuerung gebracht und wirkten sich auch auf den Spessart aus.

Das waren also die Bedingungen, die mit der Kleinen Eiszeit einhergingen. Die Kleine Eiszeit – sie hatte etwa um 1700 ihren Höhepunkt – fällt aber genau mit jenem Zeitabschnitt zusammen, die die Historiker und Klimaforscher als „vorindustrielle Zeit“ bezeichnen. Diese sog. „vorindustrielle Zeit“ endete nach Auffassung eines Forscherteams um Ed Hawkins von der englischen University of Reading zwischen 1720 und 1800. (23) Die Klimaerwärmung wird aber genau seit dieser vorindustriellen Zeit festgestellt. Wenn jedoch als Ausgangspunkt für die Klimaerwärmung die vorindustrielle Zeit und damit die Kleine Eiszeit gewählt wird, ohne daß dieser Sachverhalt in der öffentlichen Debatte Erwähnung findet, dann kann das nicht seriös sein. Ganz natürlich mußte die Temperatur nach der Keinen Eiszeit wieder ansteigen. Das heißt nicht, daß es keinen menschengemachten Anteil am Klimawandel durch CO2-Ausstoß geben könnte. Aber wir wissen nicht, wie hoch dieser ist. Wissen wir aber nicht genau, wie hoch er ist, läßt sich auch kein 1,5 Grad Ziel des Temperaturanstiegs festlegen, denn das Klima läßt sich von uns nicht einstellen wie eine Maschine (mechanistisches Denken). Wir müßten über alle Faktoren und entsprechende Daten verfügen, die das Klima beeinflussen, um hier genaue Aussagen treffen zu können. Monokausal das CO2 dafür verantwortlich zu machen, hat etwas infantiles, denn monokausal denken Einfältige und Kinder. Und so ist es auch nicht zufällig, daß die Bewegung um „Fridays for Future“ aus Kindern besteht. Sie wird dazu noch von einer mittlerweile jungen Frau angeführt, die an einem Asperger-Syndrom leidet. „Gebt den Kindern das Kommando, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Der ganze Vorgang erinnert einen Historiker nicht nur an die Kinderkreuzzüge im Mittelalter, sondern auch an eine Begebenheit aus der südafrikanischen Geschichte. Es geht um ein Mädchen. Ihr Name: Nongqawuse (1841 – 1898). Sie galt als Prophetin und gehörte zum Volk der Xhosa. 1856, da war sie gerade 15 Jahre alt, behauptete sie, von drei Geistern beauftragt worden zu sein, das Volk zur Tötung des gesamten Viehs und zur Vernichtung der Ernte zu veranlassen. Die Geister der Toten würden danach wieder auferstehen (Elementargedanke?) und große gesunde Viehherden aus der Erde auftauchen. Außerdem würden große Felder mit Getreide erntereif erscheinen. Daraufhin wurden tatsächlich ca. 300.000 bis 400.000 Rinder getötet. Nach dem Scheitern der Prophezeiung starben bis zu 50.000 Menschen den Hungertod.

Der Vergleich ist durchaus nicht abwegig. Schon werden Forderungen nach einem Klima-Lockdown laut. Offensichtlich sind Teile unserer Gesellschaft geradezu besessen von der Vorstellung, die deutsche Wirtschaft ruinieren zu müssen. Die Ökonomie als Basis unseres Lebens scheint unsere intellektuellen Eliten kaum noch zu interessieren. Sie schützen die Wölfe mehr als das Nutzvieh. Hätte man das einem Bauern nach einer Zeitreise in die Welt von vor 100 Jahren berichtet, hätte er uns für völlig geistig verwirrt gehalten. Vielleicht hätte er sogar mit seinem Jagdgewehr auf uns geschossen, denn er hätte eine gefährliche, ansteckende und damit um sich greifende Geisteskrankheit in uns vermutet. Und – hätte er so unrecht damit gehabt? Natürlich ist dieses Gehabe um den Wolf ein Ausdruck von romantischer Naturschwärmerei einer übersatten Herrschaftselite, insbesondere des Bildungsbürgertums. Was denn sonst? Lebensmittel stellen keinen zentralen Wert mehr dar. Das kann kein gesunder Zustand für eine Gesellschaft sein.

Innerhalb der „Moderne“ neigt sich jedoch diese spätbürgerliche Phase ihrem Ende. Nicht eine Klimakatastrophe in Richtung immer höherer Temperaturen, sondern eine neue „Kleine Eiszeit“ steht vor der Tür. (24) Klimaforscher rechnen damit, daß etwa 2021, 2030 oder 2050 aufgrund der Verminderung der Sonnenaktivität die nächste Kälteperiode kommt. Wir müssen dann zwar wesentlich mehr heizen, sollen aber aufgrund einer angenommenen menschengemachten Klimaerwärmung wesentlich mehr für die Heizung bezahlen – von Jahr zu Jahr mehr. Eine Rentnerin oder ein Rentner, die z. B. 750 Euro Rente ausgezahlt bekommen, werden das nicht mehr stemmen können. Wohngeld löst das Problem nicht, denn wer größere Ersparnisse hat, bekommt kein Wohngeld, sondern muß von der Substanz zehren. Hier könnte ein riesiges Heer der Unzufriedenen heranwachsen – natürlich nicht nur unter den Rentnern.

Die Frage ist durchaus nicht abwegig: Wird es vielleicht nach Klimaverschlechterungen und ungewöhnlichen Kälteeinbrüchen sogar zu schweren sozialen Unruhen kommen wie ab 1788 in Frankreich? Wir wissen es nicht. Die westlichen Eliten, auch die Eliten der BRD, haben sich auf den menschengemachten Klimawandel festgelegt. Sie könnten sich damit aber auch bis auf die Knochen blamieren, sollte es jetzt zu einer Kleinen Eiszeit kommen. Es gibt nämlich noch andere Erklärungsmuster für Klimaschwankungen. (25)

Erschreckend daran ist – und das hat mich wirklich bis ins Mark erschüttert –, daß das Bundesverfassungsgericht sich in die Klimadiskussion eingemischt hat. (26) Am 24. März 2021 hatten acht Richter unter dem Vorsitz von Stephan Harbarth einstimmig das Urteil zum Klimaschutzgesetz beschlossen. Danach sei der Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 2022 verpflichtet, die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausemissionen für die Zeiträume nach 2030 näher zu regeln. Dabei beziehen sie sich auf den Artikel 20a GG und eine Gesetzgebung, die sich das Ziel gesetzt hat, die Erwärmung der Erde auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Hier kommt also wieder das vorindustrielle Niveau ins Spiel, das bekanntlich durch die „Kleine Eiszeit“ geprägt war. Da wir aber nicht wissen, wie hoch der menschengemachte Anteil am Klimawandel ist und welche Faktoren – außer CO2 – noch eine Rolle dabei spielen, können wir auch kein 1,5 Grad Ziel festlegen. Wie bereits ausgeführt: Das Klima ist keine Maschine, an der ich mal eben 1,5 Grad einstellen kann! Der Kenntnisstand der Wissenschaft ist einfach noch viel zu gering, um hier konkrete Ziele definieren zu können.

Und der wissenschaftliche Kenntnisstand ist auch noch viel zu gering, um überhaupt eine Aussage zur Wirkung von CO2 treffen zu können. Einige Klimaforscher haben das getan und werden derzeit heiß diskutiert. (27) Da ich kein Klimaexperte bin, werde ich mich an dieser Diskussion nicht beteiligen. Im Rahmen dieser Abhandlung konnte ich deshalb auch nur die Schnittstellen aufzeigen, wo es Ungereimtheiten gibt und Widersprüche, wo wir belogen werden und um die Früchte unserer harten Arbeit betrogen werden sollen. Es galt, diktatorische Ansätze, die einer „deutschen Unbedingtheit“ (Plessner) zu entspringen scheinen, zu erkennen und zu entlarven. (28) Diktatorische Ansätze, die, wie in der völlig überzogenen deutschen Corona-Politik, einen deutschen Sonderweg darstellen. (29) Dazu kommt: Es geht um Geld, um sehr viel Geld, das der Bürger für die „Klimarettung“ ausgeben soll. Zwar propagieren die Grünen im Wahlkampf eine Klimarettung mit sozialem Ausgleich – das muß man der Ehrlichkeit halber sagen – doch ist eine Durchsetzung solcher Forderungen nicht sehr glaubhaft, weil die Welteliten bereits etwas ganz anderes beschlossen haben.

Das Ziel der Klimapolitik besteht nach meiner Auffassung nämlich gar nicht in der Klimarettung, sondern in der Umverteilung des Weltvermögens. Eine gigantische Umverteilung ist geplant. Diesmal von Nord nach Süd. Das hat bereits 2010 der Chefvolkswirt des Potsdamer Instituts für Klimaforschung, Ottmar Edenhofer im Gespräch sowohl mit der NZZ als auch mit der FAZ offen zugegeben. Zur globalen Verteilung von Emissionsrechten pro Kopf der Bevölkerung meine er: „Das würde eine erhebliche Umverteilung bewirken, vor allem zugunsten von Afrika und Indien“ (30) und „dann ist Afrika der große Gewinner, und es fließt viel Geld dorthin. Das hat für die Entwicklungspolitik enorme Konsequenzen.“ (31) Ganz nebenbei gesagt, Edenhofer war nicht nur für den Weltklimarat aktiv, sondern von 1987 bis 1994 Mitglied des Jesuitenordens. Da wird einiges klar. Das ganze Netzwerk von Verflechtungen aufzuzeigen, dem Edenhofer angehört, kann in diesem Rahmen nicht geleistet werden.

Tatsächlich geht es den intellektuellen Eliten um globale Entwicklungspolitik, eine ökologisch verschleierte Entwicklungshilfe auf unsere Kosten. Hat die Entwicklungshilfe der letzten 50 Jahre, die wesentliche Anteile von Staatshaushalten afrikanischer Staaten subventionierte, schon nichts gebracht, so erhofft man sich jetzt mit der Umverteilung astronomischer Summen durch Klimaabgaben den großen Durchbruch. Daß sich die herrschenden Eliten Afrikas seit der Unabhängigkeit ihrer jeweiligen Länder als völlig unfähig erwiesen haben, hat man bei uns immer noch nicht begriffen. Und was meinen diese „Klimaretter“ eigentlich, woher die Summen für die „erhebliche Umverteilung“ kommen? Wo gewaltige Summen abfließen, muß jemand einen erheblichen Verlust erleiden! Wem eigentlich werden diese Summen weggenommen? Es sind wieder einmal die Armen, die Rentner und der verarmte handwerkliche und kleingewerbliche Mittelstand, die dieses kapitalistische Weltexperiment bezahlen sollen, denn diese Schichten machen den größten Teil der Gesellschaft aus. Der soziale Sprengstoff, der darin verborgen liegt, ist in seiner Wirkung noch gar nicht erkannt.

Was sich hier westliche Intellektuellengehirne ausgedacht haben, Gehirne von Menschen, die sich zeitlebens ausschließlich vom Staat durch extrem hohe Gehälter haben alimentieren lassen, verschlägt einem fast die Sprache. Diese Wissenschaftler tun gerade so, als resultiere unser CO2-Verbrauch aus einem ausschweifenden Luxusleben. Sie schließen von sich auf die gesamte Bevölkerung. Und die ist eben auf fossile Heizmittel angewiesen. Da wir aber als Mittel- und Nordeuropäer im Winter nicht ohne Heizung auskommen können – schon gar nicht in einer neuen „Kleinen Eiszeit“ – würde diese Umverteilung letztendlich zu einer Verarmung von ¾ der Bevölkerung auf Harz IV Niveau führen. Und dieses Niveau müßte dann noch weiter abgesenkt werden. Die Reichen werden sich – wie immer – rauszuwinden verstehen. Ausschließlich die Armen, bzw. ein verarmter Mittelstand werden die Lasten tragen. Darauf muß die Zivilgesellschaft eine klare Antwort finden und die kann nur lauten: So nicht! Jetzt muß ein deutliches „Halt“ gesprochen werden. Der Aufbau einer breiten Volksbewegung aller demokratischen Kräften zur Abwehr von Klimahysterie, globalem Umverteilungswahn und einheimischer Massenarmut ist jetzt das Gebot der Stunde.

Quellen und Anmerkungen

  1. Baerbock, Annalena: „Annalena Baerbock vor Ort“. Open-Air-Veranstaltung 2019
  2. Popper, Karl: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. 1945
  3. Böttger, Christian: Die Gefahren, die durch die Verschmutzung der Atmosphäre entstehen, und ihre Bekämpfung. Jahresarbeit im Fach Biologie (12. Klasse). Berlin 1973, S. 3
  4. Ebenda, S. 4
  5. Jahn, Peter Milan: Vom Roboter zum Schulpropheten. Hanso Nepila (1766 – 1856). Mikrohistorische Studien zu Leben und Werk eines wendischen Fronarbeiters und Schriftstellers aus Rohne in der Standesherrschaft Muskau. Bautzen 2010
  6. https://www.klimafakten.de/behauptungen/behauptung-im-mittelalter-war-es-waermer-als-heute#:~:text=Die%20Mittelalterliche%20Warmzeit%20ist%20hier,in%20S%C3%BCdamerika%20teils%20deutlich%20k%C3%BChler.
  7. Böttger, Christian: Autonomie für die Afrikaanse Nation. Ein Superethnos in Südafrika. Schnellbach 2020
  8. Tyson, P. D. & Lindesay, J. A.: The climate of the last 2000 years in southern Africa. In: The Holocene 2, 1992; Tyson, P. D., Karlen, W., Holmgren, K. & Heiss, G.: The little Ice Age and medieval warming in South Africa. In: South African Journal of Science 96. 2000; Tyson, P. D., Lee-Thorp, J., Holmgren, K. & Thackeray, J. F.: Changing gradients of climate change in southern Africa during the past millennium: implications for population movements. In: Climate Change 52, 2002
  1. Huffman, Thomas N.: Pre-colonial history of Southern Africa. In: South African History online (SAHO) 2010: http://www.sahistory.org.za/article/pre-colonial-history-southern-africa
  2. Matsche, Thomas: Wissenschaftsleugnung und wie man ihr begegnen kann. 5 Methoden, die Laien beim Entlarven von Desinformationen helfen sollen. Sendung vom 04. 06. 2021, 8.53 Uhr; Nach klimafakten.de sollen z. B. Pseudoexperten daran zu erkennen sein, daß sie nicht zitiert oder diskutiert werden. Sie sollen zukünftig mit einem „P“ gekennzeichnet werden. Das ist eine Argumentation, die einfach nur lächerlich ist und an die schlimmsten Phasen der Geschichte erinnert, weil sie Andersdenkende in abwertend gemeinte Kategorien einteilt, um sie aus der Diskussion herauszuhalten. Deutlich sind hierin Anhaltspunkte einer in Entstehung begriffenen Diktatur zu erkennen.
  3. https://www.science-e-publishing.de/project/lv-twk/002-holozaene-optima-und-pessima.htm
  4. Lexikon früher Kulturen, Band 2, Leipzig 1984, S. 368
  5. Die Germanen. Ein Handbuch, Berlin 1983, Band 1, S. 75
  6. Jahn, Peter Milan: a. a. O., S. 142 f.
  7. Ebenda, S. 148
  8. Ebenda, S. 152
  9. Ebenda, S. 162
  10. Ebenda, S. 164 f.
  11. Ebenda, S. 167 f.
  12. Ebenda, S. 171
  13. Ullsteins Weltgeschichte, hrsg. von Prof. Dr. Julius v. Pflugk-Harttung, Bd. Neuzeit 1650 – 1815, Berlin 1905, S. 427
  14. Virchow, Rudolf: Die Noth im Spessart. Eine medicinisch-geographische und historische Skizze. In: Gesammelte Abhandlungen aus dem Gebiet der öffentlichen Medicin und Seuchenlehre, Bd. 1, Berlin 1879
  15. Titz, Sven: Was bedeutet eigentlich „vorindustriell“? In: NZZ-online v. 03. 02. 2017
  16. Odenwald, Michael: Trotz Klima-Erwärmung: Forscher sagen Mini-Eiszeit wie im Mittelalter voraus. In: Fokus Online v. 18. 01. 2019
  17. Miersch, Michael: Ein Physiker erschüttert die Klimatheorie. Welt online vom 14. 12. 2009; siehe auch: Schlesinger, Xaver Philipp: Zwei Studien und Henrik Svensmark contra den menschengemachten Klimawandel. In: der Freitag digital (Blog aus der Community) vom 07. 08. 2019
  18. Schon die Einmischung in die Definition des Volksbegriffs hätte zu einem Aufschrei in der ethnologischen Wissenschaft führen müssen. Das Grundgesetz kennt nämlich durchaus einen ethnischen Volksbegriff, nämlich in Artikel 116 mit dem Begriff der deutschen Volkszugehörigkeit. Der Artikel 116 wurde u. a. geschaffen, um nach dem Zweiten Weltkrieg Menschen, die nie die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen, aber ethnische Deutsche sind, in die Bundesrepublik zu integrieren. Vor 1989 waren das z. B. die Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben und nach 1989 verstärkt die Rußlanddeutschen. Es kann nicht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes sein, den Volksbegriff neu zu definieren oder seinen Gebrauch zu reglementieren. Die Wissenschaftsfreiheit muß unantastbar bleiben!
  19. Uhlig, Stephan: Der natürliche Klimawandel. Fakten aus geologischer, archäologischer und astrophysikalischer Sicht. Weltbuch-Verlag 2021
  20. Plessner, Helmuth: Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus. (Erstausgabe 1924) Frankfurt am Main 2018
  21. Auch in der Corona-Politik scheint diese „deutsche Unbedingtheit“ zum Ausdruck zu kommen, vergleicht man die bundesdeutschen Maßnahmen mit denen in Österreich. Wer regelmäßig die österreichische Nachrichtensendung ZiB2 auf 3sat verfolgt, dem wird der Unterschied bewußt: Waren die Geschäfte in Österreich bis zum 24. Dezember geöffnet, um den Geschäftsleuten das Weihnachtsgeschäft noch zu ermöglichen, wurde die BRD 9 Tage vor Weihachten in den harten Lockdown geschickt und damit ein schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet. Besonders die Textilgeschäfte waren betroffen und mußen ihre Waren der Vernichtung zuführen. Angela Merkel könnte mit ihrer Politik als ein menschliches Sinnbild dieser „deutschen Unbedingtheit“ in die Geschichte eingehen (Merkel und Kurz als Sinnbilder einer Neuauflage des deutschen Dualismus? Diesmal ginge es dann nicht um Vorherrschaft in Deutschland, sondern um Vorbildlichkeit, den besseren Weg in und für Europa). Ihr protestantischer Familienhintergrund liefert die Grundlage dafür. Plessner würde in diesem Zusammenhang auf das Luthertum verweisen, das für die Deutschen im Norden prägend war: „Protestantismus ist die Religion der Konzessionslosigkeit, weil jeder Mensch unmittelbar zu Gott ist, und damit ein Bruch mit der Wirklichkeit.“ Ebenda, a. a. O., S. 20
  22. Im Gespräch: Ottmar Edenhofer: In: FAZ-Net v. 30. 11. 2010
  23. NZZ am Sonntag v. 14. 11. 2010
Dr. Christian Böttger
Dr. Christian Böttger

Dr. Christian Böttger

Christian Böttger, geb. 1954, Facharbeiterausbildung als Gärtner für Zierpflanzenbau mit Abitur 1974, studierte von 1983-1988 Ethnographie, deutsche Geschichte und Volkskunde an der Humboldt-Universität zu Berlin. Danach arbeitete er bis Ende 1991 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Wissenschaftsbereich Kulturgeschichte/Volkskunde am Zentralinstitut für Geschichte (Akademie der Wissenschaften der DDR) an einem Forschungsprojekt auf dem Gebiet der Kulturgeschichte sozialer Reformbewegungen in Deutschland um 1900. Ende 1993 promovierte er an der Humboldt-Universität zum doctor philosophiae. Anschließend war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an verschiedenen Lexikonprojekten beschäftigt.

Autor der Bücher:

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Christian Böttger: Ethnos. Der Nebel um den Volksbegriff.

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NEU:

Christian Böttger: Autonomie für die Afrikaanse Nation! Ein Superethnos in Südafrika