Stalingrad – zurückblickend, vorrausschauend

von Rolf Stolz

Stalingrad – zurückblickend, vorrausschauend

Wladimir Putin preist in Stalingrad den großen Sieg im Großen Vaterländischen Krieg und damit indirekt den Ex-Namensgeber der Stadt. Was sollte ein politischer Führer eines Landes, das im Krieg steht, auch anderes tun – unabhängig davon, was er von der Weisheit und den Methoden dieses Vorvorgängers hält? Aber wir Deutsche, die wir trotz Annalenas Geschwätz nicht (noch nicht?) Opfer eines vom Zaun gebrochenen Krieges gegen Rußland sind, haben eigene Interessen und ein Recht auf eigene Sichtweisen. Man kann Rußland, das momentan wahrlich keinen Mangel an Feinden hat, nur raten, nicht seine Zeit zu vertun mit zweihundertprozentigen Nachbetern und Kriegsbegeisterten, sondern auf die guten Gründe zu hören, die vorurteilslose kritische Beobachter vorbringen. Nur Schwächlinge sind abhängig vom lauten Beifallsgetön, nur Feiglinge weichen der Debatte aus.

Unser Land, vor allem die von kuschelpädagogischen Bildungsfabriken verbildeten Jungkarrieristen, ob Freitagsschwänzer oder Festgeklebte, ob nach Hasch oder nach Hormonen gierend oder einfach nur durchgetriggerte Neuröschendurchlebende, braucht offenkundig eine strikte Roßkur, um einige ebenso alte wie einfache Wahrheiten zu begreifen. Erstens: Ein Land und ein Volk hat keine Freunde, sondern entweder Verbündete, Neutrale oder Feinde. Zweitens: Jeder Krieg ist brutal und blutig – auf allen Seiten. Unterschiedlich ist nur das Ausmaß an Verletzung der Menschen und des Rechtssystems. Drittens: Jeder Krieg endet mit einem unbefriedigenden Kompromiß. Daß alle Kriegsgegner mit dem unzufrieden sind, ist eher ein gutes Zeichen. Die beste Lösung ist ein Friedensvertrag ohne Annexionen und mit einer generellen Amnestie – mit vollem Einsatz für Vergebung, aber ohne Zwang zum Vergessen und Verschweigen. Viertens: Kein Kollektiv ist schuldig. Schuld ist eine personenbezogene Kategorie. Fünftens: Eine Nation sollte stark genug sein, um sich zu verteidigen, sich aber nur dann mit Menschen und Material für Verbündete im Ausland engagieren, wenn es in ihrem ureigenen nationalen Interesse liegt. Sechstens: Nicht der erste Schuß beweist, wer der Aggressor ist, sondern die Gesamtlage. Hochgerüstetes Einkreisen eines Gegners soll diesen ja gerade wie 1914 dazu verführen, den Kampf zu beginnen, damit man den heimischen Flachköpfen nach der Kinderspiel-Melodie „der hat aber angefangen“ einreden kann, wer der Feind ist und wem man alle Schuld zuschiebt.

Legt man diese Maßstäbe an, dann wird der ganze Verrat offenbar, den die vom Völkerball und der Deutschland-Verreckungsparty Kommenden an den Grundsätzen begehen, die vor vier Jahrzehnten Petra Kelly, August Haußleiter, Rudolf Bahro oder Josef Beuys leiteten. Wer fühlt sich heute angesichts der politisierenden Schwergewichte und Panzer-Biobauern der greenen Party, die nach „Frieden durch Mega-Waffen“ schreien, nicht erinnert an das, was die zwar utopistisch-illusionistischen, aber menschlich anständigen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg den SPD-Chefs anno 1918 ins Stammbuch schrieben? Stinkende Leichen kann man hundertmal rhetorisch zuschütten, sie stinken weiter zum Himmel.

Sowjetische Truppen in Stalingrad im Winter 1942/43.

Zurück zu Putin und nach Stalingrad, zurück zur notwendigen Korrektur einiger Geschichtslügen. Den Überfall auf Polen 1939 gab es nicht, sondern den Ausbruch eines Krieges zwischen zwei kriegstreibenden Staaten, der eine faschistisch, der andere faschistoid. Das faschistoide und ultrachauvinistische Polen, das unter Pilsudski sich mit Deutschland verbündet hatte und noch 1938 an dessen Seite sich mit der Eroberung des Teschener Gebiets an der Zerstörung der Tschechei beteiligt hatte, betrieb 1939 – die eigene Kraft überschätzend und vergeblich auf englisch-französische Hilfe vertrauend durch Verweigerung jeder Verhandlung den Krieg. Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt war seitens der Russen nicht allein die
Revanche für die Eroberungen der Polen 1920/21 und eine Abwehr gegen die anfangs von Interventionen begleitete Einkreisung durch die Westmächte. Zwanzig Jahre später schien für die Russen mit dem 21. Juni 1941 sich dieses Muster zu wiederholen. Ob Hitler tatsächlich einem russischen Angriff zuvorkam, wofür es durchaus Belege gibt, mögen Geschichtsforscher klären – das „Unternehmen Barbarossa“ bleibt so oder so eine Idiotie und ein Verbrechen an der deutschen Nation. Wäre das Deutsche Reich angegriffen worden, hätte dies fundamental die Fronten in Europa geändert und Auswege gewiesen, wäre es nicht dazu gekommen, wäre ein Friedensschluß in Europa möglich gewesen – alles andere als ideal allerdings, aber lebensrettend für Millionen Menschen.

Stalin-Denkmal in Budapest (1953): Man erwarte von uns daher so wenig einen Kniefall vor den alten und neuen Stalin-Denkmälern wie vor dem Londoner Denkmal britischer Schande für Bomber Harris. Foto :Gyula Nagy – Fortepan

Aber war Stalin dann der Befreier Europas, das Weltgenie? Oder hat er wie sein Gegenpart Hitler, um es mit den Worten Kleists im Gedicht „An Palafox“ zu sagen „stinkend wie die Pest, der Hölle wie entronnen, / Den Bau sechs festlicher Jahrtausende zerstört“? Wie immer gibt es Leistungen des Gewaltherrschers für sein Land, die ihn überdauern – große Bauten, die berühmten Autobahnen, Naturparks… Beides gilt für das Reich wie für die Sowjetunion. Aber aus deutscher Sicht war Stalin der Hauptverantwortliche für den Holodomor in der Ukraine 1932, für die massenhaften Erschießungen bei den „Säuberungen“, für die Deportationen, für den Gulag, für die Annexion Ostdeutschlands, für die Vertreibungen, für die Morde und die von den Nazis übernommenen Todeslager, für die Vergewaltigungen deutscher Frauen in Mittelost- und Südeuropa. All das ist nicht im mindesten zu rechtfertigen durch die Verbrechen der Nationalsozialisten. Man erwarte von uns daher so wenig einen Kniefall vor den alten und neuen Stalin-Denkmälern wie vor dem Londoner Denkmal britischer Schande für Bomber Harris. Allerdings, so bitter und so zynisch ist die Geschichte: An der Spitze derer, die tatsächlich die Gefangenen aus den KZs und den Kerkern befreiten, standen Kriegsverbrecher und Massenmörder wie Stalin, Truman (von den Rheinwiesenlagern bis zu Hiroshima und Nagasaki) und Churchill (1,5 bis 4 Millionen Hungertote in Bengalen 1943). Nachträglich kann man die Geschichte nicht umschreiben – sie bleibt, wie sie ist. Aber festzuhalten ist, daß bei der Entscheidung zwischen dem Faschismus plus dem japanischen Feudalimperialismus auf der einen Seite und den Alliierten auf der anderen Seite klar ist, wer das kleinere Übel war. Tragisch und traurig, daß am Ende nur zwischen Hitler und Stalin zu wählen war und in der Gesamtbilanz ausgerechnet der Georgier zwar immer noch ein elender Übeltäter blieb, aber in der damaligen Konstellation das kleinere Übel darstellte.

In zwei Weltkriegen ging es aus der Sicht der Westmächte (inklusive der zur allerbesten Entsendezeit eintretenden USA) immer um die Einkreisung Deutschlands und dessen Ausschaltung. Nachdem letzteres inzwischen gelungen ist – immer mehr inzwischen auch auf wirtschaftlichem Gebiet durch Kaperung der Deutschland AG -, rückt die Einkreisung der Russischen Föderation und Chinas in den Mittelpunkt der amerikanischen Globalstrategie. Statt die NATO nach 1989 an der Elbe enden zu lassen, statt mit Rußland eine neutrale Pufferzone in Mittel- und Osteuropa zu vereinbaren, wurde die NATO immer näher an die russische Grenze herangeschoben. Der inszenierte Putsch in der Ukraine und deren massive Aufrüstung – das gehört zur verschwiegenen Vorgeschichte des jetzigen Krieges. Wieder einmal wird versucht, aus einem Präventivkrieg durch Umfälschen einen „Überfall“ auf ein unschuldiges und argloses Opfer zu machen. Wieder einmal läßt der profitierende Westblock das Volk seines Vorpostens, dieses Pfahls im Fleisch seiner Gegner, in einem Stellvertreterkrieg bluten – 1939 die Polen, heute die Ukrainer. Wieder einmal stehen die Quislinge und ihr verhetzter Anhang bereit, um Öl in ein Feuer zu gießen, das sie zu verschlingen droht.

Rolf Stolz

Rolf Stolz

Der Publizist, Photograph und Diplom-Psychologe Rolf Stolz war seit 1967 im SDS aktiv. Seit 1979 gehörte er zur Bundesprogrammkommission der GRÜNEN und bis 1981 zu deren Bundesvorstand. Er ist weiterhin (dissidentisches) Mitglied dieser Partei. Von 1984 bis 1990 war er Sprecher des Initiativkreises „Linke Deutschlanddiskussion“, von 1990 bis 1998 stellvertretender Vorsitzender des „Friedenskomitees 2000 für Entmilitarisierung, Truppenabzug und Selbstbestimmung“. Rolf Stolz ist heute Autor u.a. der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ und der Zeitschrift „COMPACT“.

Autor der Bücher:

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Der deutsche Komplex. Alternativen zur Selbstverleugnung.

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Aussichten, Auswege. Politische Essays III.

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Gegenfragen. Politische Essays IV

4 Kommentare zu „Stalingrad – zurückblickend, vorrausschauend

  1. Rolf Stolz trifft wieder einmal den Nagel auf den Kopf. Es kann einem wirklich speiübel werden angesichts der ehemaligen wehrdienstverweigernden Fundalmentalpazifisten, die heute bar jeglicher Scham immer mehr schwere Waffen, Kampfpanzer („Panzer retten Leben!“) und demnächst mit ziemlicher Sicherheit auch Kampfbomber für die Ukraine fordern. Um das Ausmaß an Schwachsinn vollzumachen erklärt eine „vom Völkerrecht kommende“ Ex-Trampolinspringerin, die sich in ihrer Rolle als Außenministerdarsteller offenbar sauwohl und unangreifbar fühlt, der Atommacht Rußland so ganz nebenbei mal eben den Krieg. All das spottet zwar jeder Beschreibung, aber die BRD-Kakistokratie rutscht auf der schmierigen, schiefen Ebene ihrer Konkupiszenz munter weiter ins grüne Reich der institutionierten Lüge und Verkommenheit.
    Derweil steht in unserem vom Amerikanismus und Islamismus bereits tödlich infizierten Land, das deutsche Volk, das seine Kultur bereits weitgehend verloren hat, nun rasend schnell zur Disposition. Geistig und moralisch ist da nichts mehr zu retten, und für eine vernünftige Ethnogeopolitik ist es längst zu spät. Da für Zweck- und Heilsoptimismus ohnehin kein Grund besteht, sollten wir uns wenigstens eine gewisse ironische Gelassenhait nicht verbieten lassen. Wir plädieren daher dafür die Kampfpanzer im Zuge eines Mobilisierungsaufrufes den Berliner Rettungssanitätern und der Feuerwehr zu überlassen, die damit bei ihren Einsätzen in von nicht integrierbaren und im Prinzip auf unterschiedliche Weise hinauszukomplimentierenden Bevölkerungsanteilen besetzten staatsfreien Gebieten immerhin ihr eigenes Leben retten könnten.

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  2. Stalingrad
    Der Beitrag von Rolf Stolz ist hervorragend und wie in seiner Überschrift bezeichnet,
    tatsächlich eine zurückblickende und vorrausschauende Sicht die überfällig ist.
    Gleich zu Beginn nennt Stolz die wirklichen Verantwortlichen des aktuellen Krieges, die
    nicht wissen von was sie reden, die mit dummem dahingeplappertem Geschwätz die Lage
    erzeugt haben und täglich verschärfen. Die Zerstörungen des unnötigen letzten Krieges haben
    Deutschland in Schutt und Asche gelegt, dies wiederholt sich gerade durch eine Generation
    von Politikern, man nennt sie „Global Leader“, womit deutlich wird, wodurch sie wirklich
    gesteuert sind. Die Wortschöpfung stammt von Klaus Schab und seinem WEF, die jungen
    verzogenen Emporkömmlinge stehen in dessen Diensten und reproduzieren Inhalte, die 2020
    durch den sogenannten „Great Reset“ formuliert wurde. Darauf brauch hier aber nicht noch
    einmal eingegangen werden.
    In den sechs Punke zum Wesen des Krieges und wie man aus ihm rauskommt oder gar
    verhindern kann, zeichnet Stolz, Maßstäbe die lange bekannt waren aber scheinbar vergessen
    sind. Die hauptsächlich Verantwortlichen sind bei den Grünen zu suchen, die nicht nur als
    Friedenspartei angetreten sind, sondern noch im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes 2021
    Plakate aufhängten „Keine Waffen in Kriegs- und Krisengebiete“. Es ist nicht zu verstehen,
    wie man so schnell derartig verkommen kann.
    Zum Beginn des 2. Weltkrieges, der ja zu Stalingrad führte, ist auch zu sagen, dass dabei
    Polen selbst und in stärkerem Maße die Westalliierten beitrugen. Hierzu ist die Lektüre von
    General a.D. Gerd Schulze-Rohnhof „1939- Der Krieg der viele Väter hatte“ (2005) zu
    empfehlen. Mit hochmütiger Überheblichkeit behauptete die polnische Regierung, ihre
    eigenen zahlreichen Provokationen im Frühjahr 1939, gegenüber den deutschen Minderheiten,
    gingen auf das Konto Deutschlands, was auf fruchtbaren Boden in England und Frankreich
    fiel. Zur gesamten Rolle Polens am Ausbruch des Krieges sollte man jetzt aber kein Fass auf
    machen. Wie beim Unternehmen Barbarossa sollte es späteren Geschichtsforschern
    überlassen werden. Allerdings wissen wir heute, wie Stolz sagt, „ein Friedensschluss wäre
    möglich gewesen“ dazu gibt es zahlreiche historische Tatsachen. Übrigens, selbst der
    russische Präsident Putin hat dafür plädiert, die Frage Überfall- oder Präventionskrieg ruhen
    zu lassen.
    Die Hinweise auf Kriegsverbrechen der Alliierten befohlen, von ihren Führern sind
    unverzichtbar. Stolz hat sie umfänglich genannt.
    Die Ereignisse der letzten Monate zeigt, dass der Krieg weitergeht, auch gegen Deutschland.
    Churchill bezeichnete die Zeitspanne 1914-1945 als „Einen Krieg“, einen 30 jährigen.
    Vielleicht wäre es richtig von einem 120-Jährigen zu sprechen. Ob dieser endlich 2024 zu
    Ende sein wird, muss allerdings bezweifelt werden.

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  3. Ziel russischer Politik ist es seit jeher, das ukrainische Volk mit allen Mitteln klein und schwach zu halten. Gleiches galt auch schon gegenüber den Tschetschenen, die man auch mit Krieg und Kriegsverbrechen überzogen hat. Letztlich geht es Rußland u.a. darum, in wirtschaftlich und geostrategisch wichtigen Regionen nicht noch mehr Einfluß gegenüber dem Westen einzubüßen. Aber mit derartigen völkerrechtswidrigen Vernichtungsfeldzügen gewinnt Rußland nicht die Herzen der Völker sondern bringt sie gegen sich auf und büßt weiteren Boden ein. Selbst viele Menschen im Donbass, die sich dort vor dem Krieg als russischsprachige Minderheit der Ukraine gesehen haben und durchaus Symphatien zu Rußland hatten, wollen heute nichts mehr mit diesem Rußland zu tun haben. Geschweige denn der Ukrainer in Charkiw, Kiev oder Lwiv. Und ob es die Tschetschenier, die Georgier oder die Ukrainer sind, alle haben ein Recht darauf selber zu bestimmen, mit wem sie, in welcher Weise auch immer, kooperieren wollen.

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