Ein alter Hut – „Konzertierte Aktion“: Olaf Scholz, Arbeitgeber und Gewerkschaften stimmen Bürger auf Krise ein

von Peter Backfisch

Ein alter Hut – „Konzertierte Aktion“: Olaf Scholz, Arbeitgeber und Gewerkschaften stimmen Bürger auf Krise ein

Bundesregierung, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften wollen im Schulterschluss einen drohenden Abschwung in Deutschland verhindern. „Die aktuelle Krise wird nicht in wenigen Monaten vorübergehen“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach dem Auftakt der „Konzertierten Aktion“ im Kanzleramt in Berlin. Unterstützung erhält er dabei sofort von Arbeitgeberpräsident Dulger: „Vor uns liegen schwierige Jahre“! Sein Counterpart, die DGB Chefin Yasmin Fahimin, fällt zustimmend in den gemeinsamen Tenor ein: „Es geht darum, eine Rezession zu verhindern.“

Als Begründung müssen Russlands Krieg in der Ukraine und die Corona-Pandemie herhalten. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich diese Lage auf absehbare Zeit nicht ändern wird. Wir stehen vor einer historischen Herausforderung“, so Scholz.

Auf den ersten Blick will eine derartige Rhetorik weismachen, dass es hierbei um gemeinsames Interesse gehe und dass die Beschäftigten die unangenehmen Entscheidungen mittragen sollen. In Wirklichkeit handelt es sich bei der sogenannten „Konzertierten Aktion“ aus sozialpatriotischer Sicht um einen weiteren Sündenfall deutscher Lohnpolitik zulasten der Arbeitnehmer und Beschäftigten. Die Älteren unter uns wissen, dass der Vorstoß nicht neu ist und in der Vergangenheit mit ähnlicher Zielsetzung versucht wurde.

Bereits 1995 vollzog sich mit dem „Bündnis für Arbeit“ eine „deutsche Version der sozialen Paralyse“ (Robert Kurz), damals ging die Initiative allerdings nicht vom Kanzler und der Politik aus, sondern federführend von den Gewerkschaften selbst. Auf dem Gewerkschaftstag der größten Einzelgewerkschaft der Welt, IG-Metall, im Herbst des gleichen Jahres verkündeten der Vorsitzende Klaus Zwickel und sein Vize Walter Riester den verdutzten Delegierten ein angeblich zukunftsweisendes Konzept namens „Bündnis für Arbeit“. Damals ging es um den „Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit“ und um Rückführung „aus dem Ruder gelaufener Lohnentwicklungen“, verknüpft war alles mit Appellen an „notwendige Einsicht“ der Beschäftigten. Ein „Immer-mehr“ sollte es nicht mehr geben. Die eingeleiteten „unvermeidlichen“ Maßnahmen hatten einen beispiellosen Stellen- und Sozialabbau zur Folge, der sich in den kommenden Jahren verstärkt fortsetzte. Die Politik der Arbeitszeitverkürzung wurde aufgegeben, Frühverrentungsmodelle wurden gekappt und in einem Roll-back die Lebensarbeitszeit verlängert. Mit den Arbeitsmarkt-Reformen der späteren Schröder Regierung wurden ganze Bevölkerungsgruppen erworbener sozialer Absicherung beraubt und in fragwürdigen Qualifizierungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit und diverser Beschäftigungsgesellschaften gezwungen.

Kollwitz, Käthe. 1867–1945. “Losbruch”, 1902/03 (1921). Blatt 5 aus der Folge: Bauernkrieg.

Das „Bündnis für Arbeit“ sollte ein Konzept zur Modernisierung der Arbeit sein, die Gewerkschaften signalisierten dabei „Zurückhaltung in den kommenden Tarifrunden“ und boten im Gegenzug an, auf jeglichen Widerstand beim Einführen von „Einstiegslöhnen“ zu verzichten. Kanzler Kohl übernahm für das Konzept die Schirmherrschaft und segnete es unter dem Beifall der neoliberalen Wirtschaftspresse ab. Der Faktor Arbeit ist immer im Kontext zum Faktor Kapital zu sehen, zumindest gilt dies in kapitalistischer Produktionsweise. Nutznießer war damals aber ausschließlich die Seite des Kapitals und natürlich auch die Politik, die sich „unangebrachten sozialpolitischem Anspruchsdenken“ entledigen konnte.

Aktuell zeichnet sich eine Wiederholung oder besser eine Fortsetzung des sozialpolitischen Desasters ab. Scholz: „Wir werden als Land durch diese Krise nur gut durchkommen, wenn wir uns unterhaken, wenn wir uns gemeinsam auf Lösungen einigen.“ Wichtig sei ihm die Botschaft: „Wir stehen zusammen.“ Im ersten Treffen ging es darum, ein „gemeinsames Verständnis“ zu finden. Nach den Statements der jeweiligen Vertreter aus Politik und der Sozialpartner zu urteilen, ist dies gelungen.

Mit der von Scholz angekündigten „Konzertierten Aktion“, Einmalzahlungen gegen Lohnverzicht, stehen uns vergleichbare Entwicklungen der 90er Jahre bevor, die in ihren sozialen Erschütterungen die damaligen um ein Vielfaches übertreffen werden. Angeblich soll alles eine Intervention gegen die steigende Inflation sein, tatsächlich mahnen namhafte Wirtschaftsexperten vor realitätsfernen Illusionen und sehen gerade nicht die Beherrschbarkeit des weltweiten Problems. Was auch immer im Herbst an Vorschlägen vorgelegt wird, die Explosion der Energiepreise wird bleiben, und die Belastungen für die Privathaushalte werden für viele nicht mehr tragbar sein. Außerdem bleibt bisher unberücksichtigt, dass die Inflation in der gesamten westlichen Welt mehr und mehr außer Kontrolle gerät. Die angekündigten Lösungen haben allenfalls einen kleinen nationalen Effekt, sind nicht übertragbar und auf internationaler Ebene ohne Wirkung.

Was sicher auf den Tisch gelegt werden wird, werden Belastungen der Bürger durch Maßnahmen zum Klimaschutz sein. So hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gefordert, ein soziales Klimageld müsse bei der „konzertierten Aktion“ dringend zu einem Ausgleich führen. Er meinte damit Zuwendungen für sozial schwache Haushalte als Kompensation für anstehenden Belastungen. Vorschläge zur Bezahlung wurden bisher nicht genannt.

Wie Arbeitgeberpräsident Dulger sagt, handelt es sich bei der „konzertierten Aktion“ um eine Herkulesaufgabe: „In den Unternehmen wissen wir aktuell nicht, welches Feuer wir zuerst austreten sollen.“ Ratlosigkeit, wo immer wir hinschauen. Auch die von den Parteien bisher gemachten ersten Vorschläge zeigen, dass eher ein Hauen und Stechen ansteht als konzertiertes Handeln.

Die angekündigte Kehrtwende wird weder Entspannung noch Entlastung für die Bürger mit sich bringen, sondern die aktuelle Krise nur beschleunigen und verschärfen. Dass wiedermal die Gewerkschaften daneben stehen, ohne soziale Gegenwehr zu leisten, hat Tradition, wie aus den Worten des Vize IG-Metall Chefs Walter Riester schon 1995 zu hören war: „Ich bin zunehmend gezwungen, unternehmerisch mitzudenken – auch und vor allem im Interesse der Beschäftigten, in Zeiten des Stellenabbaus … auch für die Belegschaften unangenehme Entscheidungen mitzutragen.“ (Nürnberger Nachrichten, 27.12.1995)

Das Titelbild zeigt „Die Gefangenen“ (1908) aus dem Zyklus „Bauernkrieg“ von Käthe Kollwitz.

Peter Backfisch

Peter Backfisch ist 68 Jahre alt, Diplom Pädagoge, 38 Jahre bei einer NGO in der Sozialwirtschaft angestellt. Er war dort Vorstandsreferent für Europapolitik. Tätigkeiten im Rahmen von EU- und Weltbankprojekten in Ländern der EU und in Nordafrika. Er war 49 Jahre Mitglied der DGB-Gewerkschaft ÖTV/Verdi. Austritt 2019.

Am 28.11.2020 gab er der Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT ein Interview über die Machenschaften von NGOs in der Bildungs- und Entwicklungspolitik.

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