Die Gruppe Ougenweide – Tanderadei, tanderadei, schon sang die Nachtigall

von Gerald Haertel

Die Gruppe Ougenweide – Tanderadei, tanderadei, schon sang die Nachtigall

Mint + Die alternative Scheibenschau

In dieser Rubrik werden Tonträger sowohl aus meiner eigenen, umfangreichen Schallplattensammlung als auch Neuerscheinungen vorgestellt.

Die in der Überschrift verwandte Bezeichnung „Mint“ stammt aus dem Englischen und ist international unter Sammlern ein anerkanntes Qualitäts- und Gütesiegel

zum Zustand der Platte und der dazugehörigen Hülle bzw. Verpackung. Wenn Sie hinter einem Angebot die Bemerkung m/m lesen, dann können Sie davon ausgehen, dass der angegebene Titel im einwandfreien Zustand ist. Mit einem angehängten Minus- oder Pluszeichen lässt sich das Ganze noch ein wenig ausdifferenzieren.

Wenn ich, lieber Leser, Scheiben älteren Datums vorstelle, empfehle ich, falls sie den Titel käuflich erwerben wollen, vorher ein wenig im Netz zu recherchieren. Meist findet man ihn für schmales Geld im oft sehr guten Zustand. Bei Neuheiten empfiehlt es sich sowieso, ein halbes Jahr zu warten, dann purzeln die Preise wie von selbst. Die Veröffentlichungsflut lässt aus ökonomischen Gründen gar nichts anderes zu.

Die Gruppe Ougenweide: Tanderadei, tanderadei, schon sang die Nachtigall

„Tanderadei, tanderadei, schon sang die Nachtigall“. Diese Textzeile ist mir immer noch im Ohr, wenn ich an die legendäre Volksmusikgruppe „Ougenweide“ denke. Obwohl sich die Gruppe vor über 30 Jahren aufgelöst hat, gilt sie immer noch als „Erfinderin“ des Minne-Rock und damit als Vorreiterin des heute üblichen Pagan-/ Mittelalterrocks von Bands wie etwa „In Extremo“ oder „Feuerschwanz“.

Ougenweide: Nieman Kan Mit Gerten

Eine kleine, meist identitär gesinnte Gemeinde schätzt die Hamburger bis heute, obwohl ihr letztes Studioalbum 1981 erschien. Zwar gab es 1996 eine einmalige Reunion mit dem Album „Sol“ – allerdings ohne die maßgebliche weibliche Ougenweide-Stimme Minne Graw, und musikalisch war diese nicht überzeugende Veröffentlichung recht weit vom früheren Konzept entfernt: zu viel Esoterik-Geschwurbel, zu wenig packender Mittelalter-Rock.

Der Minnerock von „Ougenweide“ mit seinen teils alt- und mittelhochdeutsch gesungenen Texten und den gekonnten Arrangements hob sich damals wohltuend von denen in einer musikalischen Sackgasse gestrandeten 70er Jahre – Bands ab, die sich oft im öden Prog-Rock mit ihren ewiglangen Gitarrensoli verliefen. Aber auch von den links politisierenden Liedermachern wie Degenhardt und Politrockbands wie „Floh de Cologne“ mit ihren moralisch erhobenen Zeigefingern waren sie weit entfernt. „Ougenweide“ verströmten dagegen ein positives Menschenbild und Lebensgefühl.

Ougenweide: Merseburger Zaubersprüche

Wunderbar war die Stimme der bereits oben erwähnten Sängerin, Minne Graf, die heute noch auf ihrem aktuellen, gleichnamigen Internet-Blog interessante Anekdoten aus der Geschichte der Band und ihrem wilden Tourleben um die halbe Welt zu erzählen weiß.

Vor allem die Livekonzerte waren ein echter Ohrenschmaus, selten habe ich damals so viele Leute zu deutschen Weisen tanzen gesehen wie bei dieser aufgeweckten Kapelle.

„Ougenweide“ veröffentlichten die Lieder zu der TV-Serie „Dokumente deutschen Daseins“ auf ihrer LP „Fryheit“.

Es ist auch rückblickend nicht vermessen, „Ougenweide“ als hochwertige Kunst zu betrachten, die Musik war harmonisch und handwerklich gut gemacht. Ein Glanzpunkt ihrer Geschichte war natürlich ihre Musik zur 11-teiligen ZDF-Reihe „Dokumente Deutschen Daseins“, in der sie mit deutschen Freiheitsliedern aus den Bauernkriegen bis zur denen aus der Revolution von 1848 brillierten.

Auch die heute verfemten Historiker Hellmut Diwald und Wolfgang Venohr, letzterer steuerte das Buch zur Serie bei, drückten dieser einmaligen Sendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ihren inhaltlichen Stempel auf. Heute wäre so eine im positiven Sinne patriotische Sendereihe im ÖR undenkbar.

„Ougenweide“ veröffentlichten die Lieder zu dieser TV-Serie übrigens auf ihrer LP „Fryheit“, deren Hülle mit einem bekannten Motiv aus den Bauernkriegen geschmückt war.

Lange Zeit gab es die „Ougenweide“- Platten, bis auf ein Best-Of-Album, nicht auf CD, was dazu führte, daß ihre Vinylscheiben im Second-Handel relativ teuer gehandelt wurden. Die ursprüngliche Plattenfirma Polydor, die heute zum weltweit agierenden Universal-Konzern gehört, hatte anscheinend kein Interesse daran, den Back-Katalog zu digitalisieren, um ihn auf Lichtscheiben zu pressen oder als Download anzubieten.

Ougenweide: Lützows wilde verwegene Jagd

Nun wurde diese Lücke vor ein paar Jahren von dem kleinen, aber feinen norddeutschen Label „Bear Family“ auf geradezu vorbildliche Weise geschlossen. Dort hat man sich große Mühe gegeben, die Originalbänder nach dem heutigen Stand der Technik abzumischen, so daß der Klang glasklar aus den Boxen schallt. Ob das bei Mittelaltermusik so sein sollte, überlasse ich dem jeweiligen Geschmack der heutigen Hörer.

Die Beihefte wurden ebenfalls neu und teils aufwendig gestaltet und enthalten unbekannte Photos, Texte sowie die originalen LP-Hüllen aus den 70er und 80er Jahren. Bis auf ihr letztes Album von 1981 wurden die davor erschienenen LPs alle wiederveröffentlicht, als da wären „Ougenweide (1971), „Soll die Weil ich mag (1974), „Ohrenschmaus“ (1976), „Eulenspiegel“ (1976), „Ungezwungen“(1977), „Fryheit“ (1978), „Ousflug“ (1979) sowie „Ja-Markt“ (1980). Alle sind im normalen Tonträgerhandel und im Netz erhältlich.

Gerald Haertel mit seiner Frau Andrea

Gerald Haertel

Gerald Haertel ist 64 Jahre alt, gelernter Verlagsbuchhändler, war 33 Jahre in der Musikbranche tätig, u.a. bei Firmen Ariola und Virgin-Records. Lebt in Süddeutschland.

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