Der letzte Puritaner von George Santayana (1935) – große Weltliteratur, die vergessen scheint

von Peter Backfisch

Der letzte Puritaner von George Santayana (1935) – große Weltliteratur, die vergessen scheint

Bei all dem Schrott an Literatur, den man im herrschenden Mainstream nach 1945 und in verstärkter Form nach 1990 angeboten bekommen hat und täglich bekommt, habe ich entschieden, mich primär mit Literatur zu beschäftigen, deren Entstehung vor diesen zeitlichen Kulturbrüchen liegt. Dabei bin ich auf grandiose Fundstücke gestoßen.

Das wohl beeindruckendste Stück dabei war der Roman „Der vergessene Puritaner“ von George Santayana. Er gehört zu den fünf besten Romanen, die ich jemals gelesen habe. In meiner 60jährigen Lesezeit werden das wohl 1.000 Romane gewesen sein.

Man merkt es diesem Roman auf jeder Seite an, dass ihn ein Denker geschrieben hat. Santayana war eigentlich ein Philosoph. Dieser Roman ist jedoch bedeutender als alles Philosophische, was Santayana zu Papier gebracht hat. Das geschilderte Leben des Oliver Alden (1890–1918) ist eine einzige Tragödie, die vermuten lässt, dass eine Wahlverwandtschaft mit dem Autor selbst geknüpft werden sollte.

Oliver Alden, ein Menschentypus, der alles aushalten kann, nur nicht das Gefühl, Ungerechtigkeiten hinnehmen zu müssen. Das führt dazu, dass er nur schwer Zugang zu den Freuden des Lebens findet. Im Gefühl vollkommener Selbstlosigkeit handelt er jederzeit selbstsüchtig und hart, dabei unentwegt im Einklang mit der Gottesordnung, die Santayana wohl im Katholischen sieht. Der Held des Romans präferiert hingegen eine naturwissenschaftliche Sichtweise. Dennoch ist er Puritaner, nicht nur weil er ein ausgeprägtes Pflichtgefühl und Gerechtigkeitsempfinden hat, sondern weil er bindungslos seinen eigenen Individualismus pflegt. Das macht ihn zu einem idealtypischen Vertreter der amerikanischen Gründungsmythologie und grenzt ihn von anderen pflichtbewussten nationalen Typen ab, wie sie in England oder auch Preußen zu finden waren. Individualismus versteht Santayana hier positiv: Aus ihm erwächst der Widerstand gegen Konventionen ohne Sinn und gegen die Zumutungen des Zeitgeistes.

Jegliche menschliche Beziehung zu Vater, Mutter, Freund, Verehrten, in der Liebe und der Ehe werden in eine idealisierte Vollkommenheit gehoben und verklärt, worin der Grund dafür liegt, dass Olivers Lebensglück unerreichbar bleibt. Wie in Camus‘ „Mythos des Sisyphos“, das 7 Jahre später erschienen ist, kann sich Oliver den Absurditäten der Zeit nicht entziehen.

Der Roman endet mit dem ersten Weltkrieg, den Oliver Alden als Amerikaner hasst, auch die Kriegshandlungen der Alliierten und die Verbissenheit, mit der dieser Krieg herbeigesehnt wurde. „Wieso ein Krieg wegen Serbien oder Elsass-Lothringen?“ Widerwillig unterwirft er sich dem Stellungsbefehl: „Ich spiele jetzt ein entsetzliches Spiel mit. Ich gehe hin, um auf der Seite der Franzosen, die ich nicht gern habe, gegen die Deutschen zu kämpfen, die ich gern habe.“ Oliver erlebt das Ende des Krieges nicht mehr und fällt als tragische Gestalt.

Unbedingt den Roman besorgen, es gibt ihn noch antiquarisch!

Peter Backfisch

Peter Backfisch ist 68 Jahre alt, Diplom Pädagoge, 38 Jahre bei einer NGO in der Sozialwirtschaft angestellt. Er war dort Vorstandsreferent für Europapolitik. Tätigkeiten im Rahmen von EU- und Weltbankprojekten in Ländern der EU und in Nordafrika.

Am 28.11.2020 gab er der Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT ein Interview über die Machenschaften von NGOs in der Bildungs- und Entwicklungspolitik.

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