Israel-Solidarität als deutsche Staatsräson? Unsere nationalen Interessen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker

von Dr. Florian Sander

Israel-Solidarität als deutsche Staatsräson? Unsere nationalen Interessen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker

Der Nahost-Konflikt als politischer Prüfstein

Wenn eine politische Streitfrage geeignet ist, reaktionäre Haltungen als solche zu entlarven, so ist es zweifelsfrei der Nahost-Konflikt. So begreifen sich nicht nur in den etablierten Parteien, sondern auch in der AfD manche Neokonservative, in diesem Punkt im Konsens mit der antideutschen Antifa, dezidiert als „zionistisch“ oder „radikal pro-israelisch“, weil man in Israel einen Vorposten „des Westens“ gegen den gemeinsamen Feind, sprich „den“ Islam, sieht. Vergessen ist in diesem Fall das Postulat vom Selbstbestimmungsrecht der Völker: Plötzlich ist Israel „Staatsräson“ und „westliches“ Blockdenken verdrängt das Primat des nationalen Interesses. Abseits solcher ideologischen NeoCon-Hardliner trifft man zudem auch auf viel undifferenzierte „Bauchgefühlsargumentation“: Palästinenser werden im Rahmen dieser assoziiert mit persönlichen Negativ-Erfahrungen mit arabischen Jugendlichen in Deutschland und innenpolitische Schauplätze werden affektiv auf die internationale Sphäre projiziert. Die Tatsache jedoch, dass die Palästinenser dort, wo sie leben, eben keine Einwanderer, sondern beheimatet sind und sich daraus im Gegensatz zur Migration in deutsche Sozialsysteme auch aus rechter Sicht viel legitimere Ansprüche ableiten lassen, gerät bei diesen Affekten regelmäßig aus dem Blick.

Um reaktionäre Positionen wie die oben genannten zu fundieren, wird dann zuweilen auf haarsträubende Argumente zurückgegriffen: So ist dann etwa zu hören, die Palästinenser seien ja im Grunde kein Volk, da es nie einen palästinensischen Staat gegeben habe. Tatsächlich sei es eine arabische Minderheit auf israelischem Gebiet. Eine Positionierung, die vor dem Hintergrund einer ja ohnehin schon bestehenden dauernden Auseinandersetzung mit den linksliberalen Globalisten der etablierten Parteien selten dumm ist: Wer so argumentiert, stellt letzten Endes den Volksbegriff als solches in Frage und beteiligt sich an seiner Dekonstruktion. Denn wenn eine territorial und politisch abgrenz- und fassbare Großgruppe, die sich selbst mehrheitlich als „palästinensisches Volk“ ansieht, deren Mitglieder sich bewusst entsprechend identifizieren, kein „Volk“ ist – ja, wer ist es denn bitte dann? Dies gilt umso mehr, als dass sich Israel ja dezidiert als „jüdischer Staat“ betrachtet und damit auch die Palästinenser schon qua Definition nie als Staatsvolk akzeptieren könnte.

Mediale Hetze

Wer sich politisch zum Selbstbestimmungsrecht der Völker bekennt, der kann von diesem Bekenntnis keine Ausnahmen machen an Orten, wo es für ihn unbequem oder weniger opportun wird. Israelischer Imperialismus ist genauso scharf zu verurteilen und genauso energisch zu bekämpfen wie amerikanischer, britischer etc. Doch hier sind wir an einem weiteren Punkt angelangt, der solche bestehenden Schieflagen erklärt: Kaum etwas scheint sich für Konservative besser zu eignen, um sich vom Etikett des „Rechten“ reinzuwaschen. Wer erklärt, dass er bedingungslos zu Israel steht – und sei es auch eigentlich nur, weil man „den“ Islam als gemeinsamen Feind sieht – hat entscheidende Teile der deutschen Massenmedien auf seiner Seite.

BILD-Hetzkampagnen gegen vermeintlichen (!) „Antisemitismus“, die für den bildungsbürgerlichen Zirkel von der WELT unterstützt werden, braucht in einem solchen Falle niemand mehr zu fürchten; und auch andere, linksliberale Medien werden gewiss etwas zahmer auftreten, als es sonst der Fall gewesen wäre (die – in solchen Dingen wenigstens konsequente – Süddeutsche Zeitung sowie Jakob Augstein, für den das gleiche gilt, vielleicht noch ausgenommen).

Im anderen Fall jedoch schlägt die volle Gnadenlosigkeit der Medienmacht zu. Exemplarische Fälle wie der vor 20 Jahren verstorbene Jürgen Möllemann – sein tödlicher Fallschirmsprung im Jahre 2003 wird als Suizid eingestuft – oder zahlreiche andere Beispiele (man denke hier in jüngerer Vergangenheit etwa an Pink-Floyd-Legende Roger Waters) sprechen eine deutliche Sprache. Antizionismus und Kritik am israelischen Staat und dessen Regierung werden medial mit Antisemitismus synonym gesetzt, und das entsprechende Etikett bedeutet nicht selten den politischen Tod oder zumindest soziale Sanktionen für solche Akteure, die sich entsprechend geäußert haben. Gerade aufgrund dieser Zustände gilt es jedoch, sich aktiv dagegen zu stemmen und sich nicht in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken zu lassen.

Während des palästinensischen Exodus aus Haifa 1948: Bewohner werden mit vorgehaltener Waffe vertrieben, während jüdische Truppen in die Stadt eindringen

Es geht um Selbstbestimmung, nicht um Islamisierung

Auf den Fehler, den Nahostkonflikt in einer neokonservativen, Huntington-ähnlichen Auslegung zum Schauplatz eines „Kampfes der Kulturen“ zu machen, bei dem „der Westen“ gegen „den Islam“ antritt, wurde bereits oben verwiesen. Hierin zeigt sich kein klassisch-konservatives Denken – hierin zeigt sich militanter und aggressiver Liberalismus, der sich letzten Endes ebenso gegen die Prinzipien von Nationalstaatlichkeit und Selbstbestimmung der Völker richtet wie die Inhalte linksliberaler Globalisten. Im Gegensatz zu diesen sieht er bloß den Islam als Feind auf dem Weg zum global herrschenden Kapitalismus an, anstatt ihn, wie die Linksliberalen, in einen moderaten „Euroislam“ transformieren und damit integrieren zu wollen. Letzten Endes aber zeigen sich hier lediglich zwei verschiedene Flügel ein- und derselben Seite.

So notwendig und wichtig Islamkritik jetzt und auch weiterhin ist, so klar ist doch auch, dass es „den“ Islam so schlicht und einfach nicht gibt. Nicht einmal „den“ Islamismus (will heißen: politischen Islam) gibt es: So besteht etwa in Hinsicht auf die globale terroristische Bedrohung ein eklatanter qualitativer Unterschied zwischen dem sunnitischen Islamismus einerseits und dem schiitischen Islamismus andererseits, ebenso wie selbst die sunnitisch-islamistische Hamas oder die schiitisch-islamistische Hisbollah weder strukturell noch programmatisch mit Terrororganisationen wie dem IS oder Terrornetzwerken wie Al Qaida verglichen werden können.

Die jahrzehntelange Existenz und wichtige Rolle palästinensischer Organisationen wie der Fatah bzw. der PLO zeigt deutlich auf, dass der Kampf für die Freiheit der Palästinenser und einen souveränen Staat Palästina im Kern ein weltlicher ist, der zwar – je nach Akteur – manchmal einen „islamistischen Mantel“ trägt, der aber eigentlich für eine Sache steht, die im Nahen Osten genauso Solidarität verdient wie es in einer nicht-islamischen Weltregion der Fall wäre. Keiner, der glaubwürdig für ein Selbstbestimmungsrecht der Völker einstehen will, kann diese Faktoren ignorieren.

Historische und gegenwärtige Ungerechtigkeiten

Dies gilt umso mehr, als dass bereits jene weltpolitischen Schritte, welche den jahrzehntelangen Konflikt seit 1947 mit verschuldet haben, ein Konglomerat an Ungerechtigkeiten beinhalten, die niemand guten Gewissens ignorieren kann. So wurde am 29. November 1947 von der UN-Generalversammlung mit den Stimmen der USA, Frankreichs und der Sowjetunion, unter Enthaltung Großbritanniens und Chinas und gegen die Stimmen u. a. von Ägypten, Irak, Iran, Saudi-Arabien, Syrien, Indien, Kuba, Griechenland, Indien, Türkei und Libanon der Teilungsplan verabschiedet. Dieser sprach der jüdischen Bevölkerung über 56 % des Landes zu – obwohl diese im Jahre 1948 lediglich 35 % der Gesamtbevölkerung Palästinas ausmachte und sie nur über einen Grundbesitz-Anteil von 6 % verfügte.

Ungerechtigkeiten wie diese bilden eine historische Wurzel des Problems, die über die Generationen hinweg nie vergessen werden konnten – was umso mehr gilt, als dass die Entscheidung gegen den Willen der einheimischen Mehrheitsgesellschaft zustande kam. Hier lässt sich auch die Frage stellen, wo eine UN-Generalversammlung eigentlich die politische und rechtliche Legitimation hernahm, derart gravierende und auf Dauer ausgelegte Entscheidungen über die Köpfe von Menschen hinweg zu fällen. Wer sich hier noch wundert, wieso die Menschen vor Ort mehrheitlich kein Vertrauen in die hehren westlichen Institutionen aufbauen konnten, muss mit politischer Blindheit geschlagen sein.

Und dies war, wie der informierte Beobachter weiß, lediglich der Anfang. Es sei an dieser Stelle darauf verzichtet, noch einmal die in den Jahrzehnten darauffolgenden israelischen „Interventionen“ und Besetzungen in Palästina zu thematisieren, welche historisch wohlbekannt sind, ebenso wie auch zahlreiche, immerhin von der UN kommunizierte und dokumentierte Menschenrechtsverletzungen seitens des Staates Israel in Palästina. Eine weitere Doppelmoral der Anhänger des westlichen Blockdenkens, welche Menschenrechte stets nur dort in Gefahr sehen, wo „Schurkenstaaten“ am Werke sind, nicht jedoch dort, wo es sich um liberaldemokratische Verbündete oder „Vorposten der westlichen Zivilisation“ handelt.

Siedlungspolitik Israels in den besetzten Gebieten des West-Jordanlandes: Gelb: Palästinensisches Selbstverwaltungsgebiet.
Elfenbein: Palästinensisches Selbstverwaltungsgebiet, teilweise unter Kontrolle des israelischen Militärs (Gebiet B)
Hellblau: Palästinensisches Selbstverwaltungsgebiet unter vollständiger israelischer Kontrolle (Gebiet C)
Magenta: israelische Siedlung
Hellrosa: kommunales Gebiet der Siedlung
Weiß: Vom israelischen Militär gesperrt
Straßen
Grau: Zugang verboten oder eingeschränkt für palästinensische Fahrzeuge

Für außenpolitischen Weitblick

Seien es die oben beschriebenen historischen und gegenwärtigen Ungerechtigkeiten, seien es Menschenrechtsverletzungen, seien es Okkupation und Fremdbestimmung – politische Akteure, die das Selbstbestimmungsrecht der Völker postulieren, müssen hier klar für einen Staat Palästina Farbe bekennen. Zugleich muss aber auch eine andere Konklusion hieraus hinreichend deutlich werden: Die Idee von „Israel-Solidarität als deutsche Staatsräson“, die sich konkret in der Lieferung von U-Booten und anderem militärischem Material manifestiert, welches dann womöglich in dem hier problematisierten Jahrhundertkonflikt zum Einsatz kommt, ist weder eine Politik des nationalen Interesses noch dient sie dem Selbstbestimmungsrecht der Völker oder gar der Einhaltung der Menschenrechte. Vielmehr handelt es sich um ein Armutszeugnis ganz eigener Art, welches – abermals – Auskunft darüber gibt, wie es um den außenpolitischen Weitblick in der BRD im 21. Jahrhundert bestellt ist.

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Dr. Florian Sander

Florian Sander

Dr. Florian Sander ist Soziologe und Politikwissenschaftler. Er ist Mitglied der Landesprogrammkommission und des Landesfachausschusses Außen- und Sicherheitspolitik der AfD in NRW sowie Kreisvorsitzender der AfD Bielefeld und Mitglied des Rates der Stadt Bielefeld. Er schrieb u. a. für ‚Le Bohémien‘, ‚Rubikon‘, ‚Linke Zeitung‘, den ‚Jungeuropa‘-Blog und ‚PI News‘ und ´Arcadi`, ist inzwischen Autor für ‚Sezession‘, ‚Glauben und Wirken‘, ‚Wir selbst‘ und ‚Konflikt‘ und betreibt den Theorieblog ‚konservative revolution‘.

Nachfolgend finden Sie die aktuelle Druckausgabe der Zeitschrift wir selbst:

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2 Kommentare zu „Israel-Solidarität als deutsche Staatsräson? Unsere nationalen Interessen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker

  1. Zu diesem Artikel kann ich nur meine absolute Zustimmung bekunden.
    Jeder Kenner der realen Geschichte wird sich bestätigt fühlen, vielleicht gerade, weil das in den Mainstream-Medien eindeutig tendenziös verfälschte Bild geradegerückt wird.

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  2. Das Hauptproblem des Israel-Palästina-Konfliktes ist die Frage: Welcher Lebensraum gehört dem israelischen Volke und wie verhält das sich zu dem Lebensraumrecht des dort lebenden Volkes,das da lebte, bevor das jüdische Volk es als den seinigen Lebensraum verstand. Dieser Konflikt begann, als das jüdische Volk , aus der Wüste kommend, das Land, nennen wir es zur Vereinfachung: Palästina eroberte und die Einheimischen dabei tötete oder vertrieb, etwa 1000 v.Chr.Dann wurde das jüdische Volk im 2.Jahrhundert aus ihrer Heimat vertrieben durch die Römer, bis es im 20.Jahrhundert aufs neue einen jüdischen Staat dort gründete, wo es davor gelebt hatte. Und wieder wurden die Einheimischen vertrieben. 2 Rechte stehen sich so gegenüber, das der im 20.Jahrhundert da einheimischen Palästinenser und das Heimatrecht des jüdischen Volkes, das zurück in seine Heimat will, wobei dies Volk sein Heimatrecht gar religiös, durch Gott begründet sieht: Gott gab diesem Volke diesen Lebensraum. Darum wird die jüdische Politik immer auch eine religiös fundierte sein.
    Im Sinne des Philosophen Lyotard (Der Widerstreit) ist dies kein vernünftig lösbarer Konflikt, eben ein „Widerstreit“.

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