von Bert Wawrzinek
Osterreiter im Sorbenland
Noch aus der Ferne schält sich die Silhouette der Reiterprozession heraus, tragen Windböen Liedfetzen zu den Wartenden beidseits der Straße. „Christus ist heute auferstanden“ (Dzens Chrystus z mortwych stanyl je), heißt ein sorbischer Osterchoral, der vom Triumph des Lebens über den Tod kündet. In Paaren reiten sie heran, die Spitze mit Kirchenfahnen, Kruzifix und der Marien-Statue, dann in feierlichem Ernst der Zug: Alte und junge Männer, festlich angetan mit Gehrock und Zylinder, auf herausgeputzten Pferden in kostbarem Geschirr, gestickte Schleifen im Schweif, das Osterlamm auf den Schabracken. Es ist windig und mancher Reiter hat zu tun, den Hut auf dem Kopf und sein Pferd in der Spur zu halten und doch: Wer an diesem Ostersonntag nach einem Sinnbild für das Heilige sucht, wird nicht unberührt bleiben, hier am Weg der Kreuzreiter von Crostwitz nach St. Marienstern. Was aber hat es mit dem katholischen Brauchtum im doch protestantisch geprägten Sachsen auf sich?

Ihren Ursprung findet die Pferdeprozession in vorchristlicher Zeit mit den Flurumritten zu Frühlingsbeginn, wie sie germanische Völker einst praktizierten. Doch nicht nur diese. Vor etwa 1400 Jahren besiedelte der Stamm der westslawischen Milzener das Gebiet der späteren sächsischen Oberlausitz, wo deren sorbische Nachkommen noch heute leben. Christlichen Inhalt erhielt der profane Brauch im Zuge der Christianisierung im 10. und 11. Jahrhundert; fortan baten sorbische Christen in der Osterzeit ihren Gott um seinen Segen für die heimische Flur. Mit Einführung der Reformation verschwanden die Osterreiterprozessionen allmählich, von den protestantisch gewordenen Standesherren als „papistische Unsitte“ bekämpft. Galt doch nach dem Augsburger Religionsfrieden der Grundsatz „Cuius regio, eius religio” (Wer die Herrschaft hat, bestimmt den Glauben), wodurch sich immerhin in der katholisch gebliebenen, sorbischen Lausitz zwischen Bautzen, Kamenz und Hoyerswerda das Osterreiten erhalten konnte. Daß dies bis in unsere Zeit gelang, ist einmal dem Beharrungswillen der frommen sorbischen Reiter und ihren Familien zu danken, nicht minder aber der Gunst historischer Weichenstellungen.


Während die Oberlausitz, vordem im Besitz der Böhmischen Krone, erst 1635 zum protestantischen Sachsen kam, regelte ein Traditionsrezess die Übergabe, wonach die konfessionellen Verhältnisse auf dem Stand von 1618 verblieben, geistliche Stifter nicht säkularisiert werden und katholische Pfarreien weiterexistieren durften. Damit aber konnten die Kreuzreiter in der Region um die Zisterzienserklöster Marienstern und Marienthal auch weiter hoch zu Roß die Osterbotschaft verkünden. Geritten wurde die letzten 230 Jahre nahezu ohne Unterbrechung, bei Wind und Wetter, in Friedens- wie Kriegszeiten. Geritten wurde unter polizeilicher Überwachung im Dritten Reich, beargwöhnt auch in der DDR, wo es nach der Kollektivierung gerade an Pferden mangelte. Geritten wird erst recht nach der deutschen Wiedervereinigung. Allem materialistischen Zeitgeist zum Trotz, erlebt gerade das Osterreiten mit mehr als 1500 Reitern in mehreren Prozessionen einen ungeahnten Aufschwung, mobilisiert alljährlich tausende begeisterte Zuschauer. Und vielleicht liegt darin auch ein Ausdruck wachsender Sehnsucht nach Spiritualität, die in dem selbstbewußten christlichen Bekenntnis unserer sorbischen Nachbarn am Ostersonntag einen unwiderstehlichen Ausdruck findet.

Bert Wawrzinek
Bert Wawrzinek wurde 1959 in Leipzig geboren und lebt heute im Stolpener Land. Im ersten Leben Rockmusiker, betreibt er seit mehr als 30 Jahren das Historica Antiquariat in Dresden und ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu Themen sächsischer Geschichte und Kultur.
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