Die Jesiden – 4000 Jahre fallen in Trümmer

von Dr. Uwe Sauermann

Die Jesiden – 4000 Jahre fallen in Trümmer

Dass sich die Jesiden über vier Jahrtausende bis heute erhalten konnten, ist ihrem Bestreben geschuldet, unter sich zu bleiben, sich nach außen scharf abzugrenzen. Das erklärt auch, dass es bei den Jesiden, anders als in ihrer Umgebung, noch so viele Blauäugige, gelegentlich sogar Blondhaarige gibt, ein persisch-arisches Erbe.

Jesidin
jesidische Junge: viele sind blauäugig, manche mit blonden Haaren – ein persisch-arisches Erbe

Jeside wird man nur durch Geburt. Es gibt für Außenstehende keine Möglichkeit, der Glaubensgemeinschaft der Jesiden beizutreten – weder durch Konversion noch durch Einheirat. Geschlechtsverkehr mit Nicht-Jesiden wird seit jeher und gelegentlich noch heute mit Steinigung bestraft. 2007 wurde das 17-jähriges jesidisches Mädchen Du’a Khalil Aswad, dessen Liebe zu einem benachbarten arabischen Jungen angeblich nicht nur platonischer Natur war, von ihren Leuten nördlich vom Mosul gesteinigt, verbrannt und zum Zeichen ihrer Entehrung mit den Überresten eines Hundes verscharrt. Ein Video von dieser grauenvollen Szenerie stieß international auf Entsetzen. Die im Süden angrenzenden Araber, Nachbarn des Geliebten, empfanden diesen Mord und seine Begründung als Beleidigung der arabischen Mannesehre, verwüsteten einen Teil des Jesiden-Gebiets und ließen hunderte tote Jesiden zurück.

Das Grab von Scheich Adī ibn Musāfir im Lalisch-Tal im Irak

Ein Jahr später war ich dort (die hier gezeigten Fotos stammen von daher). Der arabische Einfall vom Vorjahr steckte den Menschen noch in den Knochen, aber dass sie vor diesem Arabersturm etwas falsch gemacht haben könnten, kam ihnen nicht in den Sinn. Die Jesiden haben klare, jahrtausendealte Gesetze, mögen die im Einzelfall als noch so grausam empfunden werden. Wenn sie die aufgeben, geben sie sich selbst auf und verschwinden aus der Weltgeschichte. So sahen sie es damals. Sie feierten vor meiner Fernsehkamera ihr höchstes religiöses Fest, das „Fest der Versammlung“ (Cejna Cemaʿîye ). Dass der Arabersturm des vergangenen Jahres nur ein Vorbeben der großen Katastrophe war, konnten sie nicht ahnen.

Das Symbol der schwarzen Schlange am Eingang des Schreins von Scheich ʿAdī ibn Musāfir. An seinem Grab im Lalisch-Tal im Nordirak findet jedes Jahr im Herbst das Fest der Versammlung (Jashne Jimaiye) statt.

Die große Katastrophe ereignete sich sieben Jahre später, 2014. Der „Islamische Staat“ (IS) wollte aus den Jesiden entweder Moslems oder Leichen machen. Ersteres kam für die Jesiden, deren Religion viel älter ist als der Islam, nicht in Betracht. Die irakisch-kurdische Regierung in Erbil wäre zuständig gewesen für die Verteidigung der Jesiden. Doch die kurdischen Peschmerga, die sich in der Nähe mit wirkungsvollen deutschen Waffen (inkl. Ausbildung durch die Bundeswehr) verschanzt hatten, sahen dem nun beginnenden Massenmord ungerührt zu und blickten stattdessen besorgt Richtung Türkei.

Das Siedlungsgebiet der Jesiden zwischen dem 14. und 19. Jahrhundert

Tatsächlich hatte die atheistische linke türkisch-kurdische Arbeiterpartei PKK beschlossen, die frommen Jesiden vor dem Untergang zu retten. In Eilmärschen rückten Kämpfer der PKK aus dem Norden heran und stoppten den IS, bevor er das Siedlungsgebiet der Jesiden überrennen konnte. Weshalb die PKK (die übrigens in der BRD Erdogan zuliebe verboten ist) das getan hat? Niemand weiß das. Einen Vorteil hat es ihr nicht gebracht, nur gefallene Kämpfer. Nachdem die größte Not vorüber war und endlich auch die eifersüchtigen Peschmerga zugunsten der Jesiden eingriffen (und sich dann der Weltpresse als Retter der Jesiden präsentierten), zog sich die PKK zurück.

Trotz des Eingreifens der PKK und später der Peschmerga konnte der IS unter den 500.000 dort lebenden Jesiden viele tausend Männer ergreifen und töten. Etwa 7.000 Frauen und Mädchen wurden verschleppt und versklavt. Doch nach der schließlichen Niederlage des IS und der Befreiung vieler Frauen, die nach der Vergewaltigung durch Araber in der Jesiden-Gemeinschaft einen ungeklärten Status haben, erst recht ihre ungewünschten Vergewaltigungskinder, ist die Zukunft für die Jesiden dunkel.

Der eiserne Grundsatz der rigorosen Abschließung der Jesiden nach außen richtet sich jetzt zunehmend gegen sie selbst. Eine Jesidin oder ein Jeside darf nur einen gebürtige Jesiden oder eine Jesidin mit reinem Jesiden-Stammbaum heiraten. Aber wer in den Jesiden-Gebieten nach einem solchen Mann oder einer Frau sucht, wird immer öfter enttäuscht. Ein Großteil der Jesiden hat sich schon vor und erst recht nach dem IS-Ausrottungsfeldzug auf den Weg in den Westen gemacht, etwa 200.000 von ihnen nach Deutschland. Diese Jesiden beachten zwar noch ihren Ehrenkodex (einige Morde in Deutschland sind darauf zurückzuführen), sie sind von Heiratswilligen aber nur über das Internet erreichbar. Findet sich ein Heiratspartner, so wird der in der Regel verlangen, dass sich sein Liebster oder seine Liebste auf den Weg in die sichere neue Heimat im Westen macht. Die traditionellen Siedlungsgebiete der Jesiden entvölkern sich.

Haben die Jesiden im Westen eine Zukunft? Eine Volksreligion, die so weit außerhalb der „westlichen Wertegemeinschaft“ steht, hat es in einer permissiven Gesellschaft schwer. Die alten unhinterfragten Hierarchien fehlen, das Heiligtum ist unerreichbar, die in der Heimat üblichen Sanktionen bei Fehlverhalten würden die Polizei auf den Plan rufen, im Alltag nicht zu übersehende lockere Moralvorstellungen vor allem auf sexuellem Gebiet werden einen Teil der Jugend gegen die Eltern aufbringen.

Das mag sich bei einer in Emigration lebenden großen und über interne Machtmitteln sowie über ausländische Einflüsse verfügenden Religionsgemeinschaft wie dem Islam der verschiedensten Prägungen anders darstellen, aber die Jesiden sind außerhalb ihrer traditionellen Heimat schutzlos, wehrlos, dem Untergang geweiht. Die einzige Rettung für ihr Volk würde darin bestehen, dass viele von ihnen in die Heimat zurückkehren. Aber das ist, nachdem sie die materiellen Segnungen in der BRD erfahren haben, eher unwahrscheinlich. Nach viertausend Jahren stirbt eine Kultur.

Umso ehrenhafter ist es, dass der AfD-Politiker Martin Sichert im Bundestag auf das Schicksal dieser wahrhaft bedrohten Minderheit einging und dafür von den Jesiden auf der Besuchertribüne mit spontanem Beifall bedacht wurde (was die amtierende Bundestagspräsidentin schärfstens missbilligte und mit Räumung der Tribüne mitsamt der unbotmäßigen Jesiden drohte).

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Dr. Uwe Sauermann

Dr. Uwe Sauermann

Uwe Sauermann studierte in München und Augsburg Politische Wissenschaften, Neueste Geschichte und Völkerrecht. Seine Dissertation ist das hier vorgestellte Werk. Obwohl es danach mehrere Veröffentlichungen zu Niekisch gab, ist Sauermanns Werk bis heute die materialreichste und gelungenste Analyse von Ernst Niekischs Zeitschrift „Widerstand“. Uwe Sauermann war später für das öffentlich-rechtliche Fernsehen tätig, war schon vor dem Ende der DDR Korrespondent in Ost-Berlin und Leipzig, produzierte zeitgeschichtliche Filme und berichtete danach für die ARD u.a. aus Indien, Irak und Afghanistan. Er lebt heute in Berlin.

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