Das Ende der römischen Republik – eine Analogie zu unserer Gegenwart?

von Dr. Jens Woitas

Das Ende der römischen Republik – eine Analogie zu unserer Gegenwart?

Die auch aus meiner Sicht düstere innen- und außenpolitische Situation unserer Tage führt in rechtskonservativen Kreisen oftmals zu an der Geschichtsphilosophie Oswald Spenglers (1880-1936) und dessen Werk „Der Untergang des Abendlandes“ orientierten Katastrophenerwartungen, in denen der heutige Verfall des westlichen Kulturkreises in einer Analogie zum Ende des weströmischen Reiches im fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung gesehen wird. Als ein herausragendes Beispiel für eine solche Perspektive nenne ich hier das jüngst erschienene Buch „Das neue Volk“ von Simon Kießling. Kießling sieht dort den gesamten Kampf um die Erhaltung der westlichen Zivilisation und ihrer Völker als bereits gescheitert an und setzt seine verbleibende Hoffnung auf die Möglichkeit, dass in ihrer ethnischen Zusammensetzung deutlich veränderten „Europäern“ in ferner Zukunft ähnliche Neuanfänge gelingen könnten wie im Frühmittelalter bei der Gründung Venedigs, das zwar kein direkter Nachfahre des antiken Roms war, aber dennoch eine gewisse Kontinuität verkörpern konnte.

Hierzu muss zunächst als Kritikpunkt angemerkt werden, dass derartig langfristige Perspektiven mit Notwendigkeit den zeitlichen Rahmen von konkreten politischen Ideen und Handlungsvorschlägen sprengen. Hinzu kommt allerdings etwas, das ich als noch sehr viel wichtiger einstufe und deshalb in diesem Artikel näher behandeln möchte: Autoren wie Kießling berufen sich auf Spenglers „Untergang des Abendlandes“, haben aber anscheinend das Buch nicht wirklich gelesen und verstanden. Für Spengler ist zwar das antike Rom gleichsam die Blaupause für das Entstehen, Blühen und Vergehen aller großen Weltkulturen, zu denen auch unsere eigene westlich-europäische Zivilisation, eben das „Abendland“ gehört. Spengler sieht aber die römische Analogie zu seiner und auch unserer Gegenwart keineswegs in der Endphase des Römerreiches, sondern in einer sehr viel früheren Epoche, nämlich dem ersten vorchristlichen Jahrhundert, in dem nach schweren innenpolitischen Auseinandersetzungen und Bürgerkriegen die römische Republik durch eine neue Staatsform, das sogenannte Prinzipat, ersetzt wurde, das man als eine Quasi-Monarchie unter einem Kaiser (Augustus) beschreiben kann. Augustus bezeichnete sich allerdings selbst nicht als Kaiser (lat. imperator), sondern vielmehr als Erster (lat. princeps) unter Gleichen. Die Institutionen der Republik blieben bei diesem Übergang formal erhalten, verloren aber gegenüber der neuen Form autoritärer Herrschaft praktisch völlig ihre Bedeutung.

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Der erste konservative Autor der Gegenwart, der eine Analogie zwischen der Endphase der römischen Republik und der heutigen Krise des Westens zog war 2013 der belgische Althistoriker David Engels mit seinem Buch „Auf dem Weg ins Imperium“. Engels warnte seinerzeit davor, dass sich eine nicht wirklich demokratisch konstituierte Europäische Union zu einem autoritären Imperium entwickeln könnte. Diese Gefahr besteht aus meiner Sicht angesichts des desolaten Zustandes der Brüsseler Institutionen und der zunehmenden Desintegration der EU-Mitgliedstaaten eindeutig nicht. Trotzdem benennt Engels viele Entwicklungen des ersten vorchristlichen Jahrhunderts, die ein erhellendes Licht auf unsere Gegenwart werfen können.

Die Stadt Rom und ihre Umgebung verloren in jener Zeit ihren Charakter als Sitz einer bis dahin ethnisch weitgehend homogenen römischen „Nation“. Stattdessen wurde die Stadt, genauso wie der gesamte östliche Mittelmeerraum, Wohnstätte einer Mischbevölkerung, deren gemeinsame Sprache eher Griechisch als Latein war. Die Analogie zu unserer Gegenwart, in welcher sich homogene, ethnisch eindeutig abgrenzbare europäische Völker durch Massenmigration immer mehr auflösen und die kontinentaleuropäischen Sprachen gegenüber dem Englischen zunehmend an Bedeutung verlieren, ist offensichtlich. Weiterhin weist Engels darauf hin, dass im ersten vorchristlichen Jahrhundert die staatlichen Institutionen der römischen Republik zunehmend dysfunktional wurden. Allgegenwärtige Korruption spielte dabei genauso eine Rolle wie der Umstand, dass sich die Staatsordnung der römischen Republik immer noch auf die Stadt Rom bezog und dem inzwischen aus ihr entstandenen Weltreich nicht mehr gerecht werden konnte. Auch hier sind Analogien zu unserer Gegenwart deutlich erkennbar: Korruption bedeutet in unseren Tagen weniger „Bestechung“ als vielmehr die Verschmelzung von Parteien, Medien und Organisationen, die sich in einer funktionierenden Demokratie eigentlich gegenseitig kontrollieren sollten, zu einem sich selbst erhaltenden Machtkomplex, der gegen demokratischen Widerstand weitgehend immun geworden ist. Dies hat ursächlich auch damit zu tun, dass innerhalb einer schrankenlosen Globalisierung die demokratischen Mechanismen der Nationalstaaten genauso wenig auf zunehmend internationale Zusammenhänge passen wie einst die Selbstverwaltung der Stadt Rom auf ein Weltreich, das sich über drei Kontinente erstreckte. Statt eine demokratische Kontrolle über wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Prozesse zu gewährleisten, muss sich in unserer Gegenwart der Staatsapparat damit zufrieden geben, überhaupt noch eine innere Ordnung aufrecht zu erhalten und nimmt dabei einen zunehmend autoritären Charakter an. Die Wahrnehmung, dass „nicht mehr viel funktioniert“ kennzeichnet die Bundesrepublik des Jahres 2023 wahrscheinlich in ähnlicher Weise, wie dies vor etwas mehr als 2000 Jahren für die römische Republik galt. Im Rom des ersten vorchristlichen Jahrhunderts kulminierten diese Entwicklungen darin, dass offene Machtkämpfe und schließlich Bürgerkriege an die Stelle einer demokratischen Ämtervergabe traten. So weit sind wir im heutigen Deutschland noch nicht, aber in den USA haben solche Entwicklungen angesichts der Todfeindschaft zwischen Demokraten und Republikanern und den Begleitumständen der letzten Wahlen offenbar bereits begonnen und sind schon weit fortgeschritten. Donald Trump spielt dabei die Rolle eines modernen Gaius Julius Cäsar (100-44 v. Chr.), der die Institutionen sprengt und mehr oder weniger offen eine Art Monarchie anstrebt.

Selbstmord des Marcus Portius Cato d. J. (95–46) – die Verteidiger der römischen Republik hatten wohl die besseren Argumente, als Feind aber den Lauf der Geschichte. Eine Analogie zur heutigen Zeit?
(Catos Tod auf einem Ölgemälde von Guillaume Lethière, 1795.)

Die wichtigste Analogie zwischen dem „Abendland“ unserer Gegenwart und der Endphase der altrömischen Republik liegt aber meiner Meinung nach an einem anderen Punkt, nämlich der politischen Bewertung der jeweiligen Übergangsprozesse. Altrömische Verteidiger der Republik wie Marcus Tullius Cicero (106-43 v. Chr.) und Cato der Jüngere (95-46 v. Chr.) hatten gegenüber Monarchisten wie Cäsar und dessen Adoptivsohn Octavian (Kaiser Augustus, 63 v. Chr. – 14 n. Chr.) mit Sicherheit die besseren Argumente. Sie kämpften aber gegen keinen geringeren Feind als den Lauf der Geschichte selbst, der sich in einem ungeheuren Bewusstseins- und Einstellungswandel der Menschen ihrer Zeit ausdrückte. An dieser Stelle der Analogie finden wir uns selbst als konservativ-demokratische Oppositionelle unserer Gegenwart wieder. Unsere Argumente für den Fortbestand von Nationalstaaten, in denen eine demokratische Selbstbestimmung ethno-kulturell weitgehend homogener Völker stattfindet, mögen noch so gut sein. Eine „Kulturrevolution von rechts“ (Alain de Benoist) wird aus diesem Engagement nicht folgen, denn sie widerstrebt offenbar einer gewandelten politischen Einstellung großer Bevölkerungsmehrheiten. Diese Mehrheiten haben angesichts der Corona-Politik eben nicht für Demokratie gekämpft, die sie offenbar schon längst als Auslaufmodell erkannt haben, genauso wie es – noch uneingestanden – die Politiker des Mainstreams tun. Auch mit der Masseneinwanderung und der aus ihr resultierenden „multikulturellen Gesellschaft“ hat sich die große Mehrheit der Bevölkerung längst abgefunden und arrangiert.

Aus diesen ernüchternden Einsichten ziehe ich den Schluss, dass sich die rechte Opposition unserer Tage nicht radikal allen Veränderungen entgegenstellen, sondern stattdessen für mehr Kontinuität innerhalb des unvermeidlichen Wandels eintreten sollte. Die altrömische Analogie hält an dieser Stelle eine sehr tröstende Erkenntnis bereit, die ich schon weiter oben erwähnt habe: Das Ende der römischen Republik markierte seinerzeit nicht den „Untergang des Römertums“ und erst recht keine religiöse Endzeit, wenn man einmal von dem eigenartigen Umstand absieht, dass Christi Geburt in die Regierungszeit des Kaisers Augustus fiel. Dieses Ereignis erlangte aber erst Jahrhunderte später jene historische Wirksamkeit, die wir ihm heute zumessen.

Das Römerreich erlebte unter Augustus und seinen Nachfolgern bis zum Ende des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts weder Verfall noch Untergang, sondern eine Glanzzeit, die der Traditionalist Julius Evola (1898-1974) als eine Wiederkehr des legendären „Goldenen Zeitalters“ feierte. Das Reich war trotz des Endes der Demokratie zu jener Zeit keine finstere, totalitäre Despotie, wie sie sich erst gegen Ende des dritten Jahrhunderts etablierte. Gewaltherrscher wie Caligula (Kaiser 37-41 n. Chr.) oder Nero (54-68 n. Chr.) blieben kurzzeitige Ausnahmen gegenüber Kaisern, die zum Wohle von Staat und Volk regierten und durch Adoption schon zu Lebzeiten unbestrittene Nachfolger heranbildeten. Wirtschaftliche und persönliche Freiheit blieben nach dem Ende der Republik weitgehend gewahrt, auch wenn die politische Selbstbestimmung der römischen Bürgerschaft verloren gegangen war. Es herrschte eine im weltgeschichtlichen Maßstab fast einmalige Phase inneren und äußeren Friedens in einem Staatsgebiet, das zu seiner Hochzeit eine größere Fläche besaß als die heutigen USA. Noch heute kündet in Rom die ara pacis, der Friedensaltar des Augustus, von dieser sensationellen politischen Leistung. Die traditionelle römische Religion blieb in der Kaiserzeit noch Jahrhunderte lang lebendig, und auch die kulturelle Schaffenskraft der Römer war mit dem Ende der Republik noch lange nicht erschöpft, man denke nur an das unter Augustus entstandene gewaltige Versepos Aenaeis des Dichters Vergil (70-19 v. Chr.) über die sagenhafte Vorgeschichte der Gründung Roms.

Natürlich kann und will ich hier nicht mit Gewissheit verkünden, dass auf unsere triste Gegenwart schon bald derartige Glanzzeiten folgen werden. Trotz allen „Spenglerismus“ lässt sich Geschichte nicht vorhersagen. Trotzdem können uns die hier beschriebenen historischen Analogien einige Hoffnung vermitteln. Zum Schluss möchte ich versuchen, die daraus folgenden Zukunftserwartungen wenigstens etwas zu konkretisieren.

Eine Erkenntnis aus dem bisher Gesagten ist, dass der Wandel zu einer möglichen neuen, abendländischen „Kaiserzeit“ nicht durch eine Revolution restaurativer Kräfte bewirkt werden kann, sondern in Gestalt einer umfassenden Reform durch den Mainstream selbst geschehen müsste. Ferner würde die weltgeschichtliche Entwicklung der Globalisierung nicht umgekehrt werden, sondern erhalten bleiben. Unvermeidlich müssten dabei nicht nur die uns vertraute Demokratie verlorengehen, sondern auch die ethno-kulturell homogenen Völker als politische Einheiten. An dieser Stelle könnte man mir vorwerfen, dass ich hier auf der Basis einer konservativen Argumentation letztendlich dem Great Reset unserer globalen Eliten das Wort rede. Dies liegt mir fern. Klar ist aber, dass wir in der Tat eine Art von weltgeschichtlicher „Großer Transformation“ erleben, der wir auch durch demokratischen Widerstand nicht entgehen können. Besser wäre es, den unvermeidlichen Umbruch so zu gestalten, dass er im Sinne des biologischen Menschen homo sapiens stattfindet, anstatt diesen, wie es heute leider geschieht, zum Feind des Ökosystems Erde und einer lediglich imaginierten, liberalen „Menschheit“ zu erklären. Eine moderne Analogie zur römischen Kaiserzeit könnte eine solche Option auf einen besseren, menschlicheren Wandel darstellen, weil darin genügend konservative und damit auf den real existierenden Menschen bezogenen Elemente enthalten wären. Die neue politische Ordnung des Westens könnte an das Imperium Sacrum, also das erste deutsch-römische Kaiserreich des Mittelalters anknüpfen, das schon damals weniger ein deutscher Nationalstaat war, sondern eine frühe Spielart des vereinigten Europa. In Verbindung mit einem solchen „modernen Mittelalter“ könnte auch das Christentum eine ungeahnte Wiedergeburt erleben. Die neue Kaiserzeit, wie auch immer man diesen Begriff praktisch verstehen mag, wäre auch nicht mit Notwendigkeit völlig undemokratisch. Im Idealfall würden moderne „Cäsaren“ als demokratische Verkörperung ihres Volkes in einzelnen Personen angesehen werden können. Für eine direkte Kommunikation zwischen einem solchen Herrscher und seinem Volk stellt das Internet Möglichkeiten bereit, an welche die alten Römer noch nicht einmal im Traum denken konnten. „Brot und Spiele“, in heutigen Begriffen wohl ein bedingungsloses Grundeinkommen und elektronische Unterhaltungsmedien, wären für die breite Masse eine immer noch eine sehr viel bessere Perspektive als die heutige politisch organisierte Verarmung.

Die hier beschriebene Vorstellung eines neuartigen Konservatismus innerhalb der Globalisierung mag manch einem Leser als allzu utopisch erscheinen. Sie ist aber aus meiner Sicht zumindest nicht schlechter als pessimistische Untergangsvisionen, die in letzter Zeit im rechtskonservativen Meinungsspektrum allzu dominant geworden sind. Diese Untergangsvisionen lassen sich auch nicht durch historische Analogien rechtfertigen, denn die Geschichte lehrt uns vor allem eines: Es gibt selbst nach den schlimmsten Ereignissen immer wieder eine neue und meistens auch bessere Zukunft. Der rasante Wandel, inmitten dessen wir das Jahr 2023 beginnen, könnte auch ungeahnte positive Überraschungen in sich bergen.

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Dr. Jens Woitas

Jens Woitas, geboren 1968 in Wittingen (Niedersachsen), verheiratet, lebt (mit einigen Unterbrechungen) seit 1970 in Wolfsburg. Abitur 1988, dann Zivildienst und Tätigkeit als Gartenarbeiter. Studium der Physik in Clausthal-Zellerfeld und Tübingen, dann Promotion zum Doktor der Naturwissenschaften in Heidelberg (1999). Wissenschaftlicher Mitarbeiter an astronomischen Forschungsinstituten in Tübingen, Heidelberg und Tautenburg (1995-2005), dann Unternehmensberater. Seit 2011 Erwerbsunfähigkeitsrentner. Von Kindheit an lebhaft an Politik, Geschichte, Literatur und Religion interessiert, Mitglied der evangelisch-lutherischen Kirche und von 2017 bis 2020 Mitglied der Partei DIE LINKE. Neben einer Reihe von Artikeln in astronomischen Fachzeitschriften auch Autor einer autobiographischen Erzählung (Schattenwelten, Mauer Verlag, Rottenburg am Neckar 2009). In den letzten Jahren intensive Beschäftigung mit dem Denken des Neomarxismus und der „Neuen Rechten“ unter Einbeziehung französischer Originaltexte, insbesondere von Alain de Benoist und Jean-Claude Michéa.

Im Lindenbaum Verlag ist unlängst das Buch „Revolutionärer Populismus. Das Erwachen der Völker Europas“ von Dr. Jens Woitas erschienen und kann hier bestellt werden: https://lindenbaum-verlag.de/produkt/revolutionaerer-populismus/

2 Kommentare zu „Das Ende der römischen Republik – eine Analogie zu unserer Gegenwart?

  1. Hat dies auf Chaosfragment rebloggt und kommentierte:
    Bemerkenswerte Analogien und Gedankengänge. Allerdings vergißt man leicht, wie sehr Deutschland und Europa unter der Fuchtel der „Schutzmacht“ USA stehen. Diese sehen sich zwar in der Tradition des römischen Reiches, erscheinen allerdings wohl nicht nur mir als etwas, das sich doch sehr von deutscher und europäischer Kultur wegentwickelt hat, von den sinnenfrohen Römern ganz zu schweigen, und bei genauerer Betrachtung fremdartiger erscheint als vieles in Asien oder dem „Orient“.

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  2. Stimme vor allem der Kritik am Fetisch für Untergangsvisionen zu. So etwas zieht wohl kaum. Das merkt man auch unter vielen Rechten. Sehr viele leiden unter erlernter Hilflosigkeit.

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