Widerstand gegen den Globalismus: Die Basken – Interview mit Mireia Zarate Agirre

Widerstand gegen den Globalismus: Die Basken

Interview mit Mireia Zarate Agirre, Vorsitzende der Sabino Arana Stiftung, EAJ-PNV-Politikerin und baskische Patriotin

Mireia Zarate Agirre, geboren 1986, ist die Vorsitzende der Sabino Arana-Stiftung, deren Hauptaufgabe es ist, das Wissen um die baskische Geschichte, Kultur und Identität zu bewahren, um der baskischen Nation zu Selbstbehauptung und Selbstverwaltung zu verhelfen. Zuvor saß die junge Baskin als Politikerin der EAJ-PNV im baskischen Parlament. Sie ist Nationalratssekretärin der EAJ-PNV, der Baskischen Nationalistischen Partei, die seit 1975 die stärkste politische Kraft im spanischen Teil des Baskenlandes ist. Die EAJ-PNV setzt sich seitdem für eine stark ausgeweitete Autonomie des Baskenlandes ein, teils sogar für eine völlige Unabhängigkeit von Spanien.

Die Basken sind ein stolzes Volk mit einer einzigartigen Kultur und Geschichte, einer Sprache, die sich als nicht-indogermanische Sprache erheblich von allen anderen Sprachen Europas unterscheidet, und sie sind ein Volk, das, wie viele andere in Europa und auf der ganzen Welt, noch immer von staatlicher Seite unterdrückt und seiner Rechte beraubt wird. Im Fall des Baskenlandes gibt es zwei Staaten, die sich baskisches Gebiet einverleibt haben und dem dort beheimateten Volk seine Souveränität entziehen: Spanien und Frankreich. Die völkerrechtlich legitimierten Bedürfnisse der Basken, sich selbst zu verwalten und für ihre Souveränität einzutreten, werden von den herrschenden Staaten im besten Fall als Separatismus verunglimpft, im schlimmsten Fall wird die Forderung nach mehr Souveränität sogar verboten und mit harten Strafen belegt.

Dieses Interview kam durch den direkten Kontakt im Museum des baskischen Nationalismus in Bilbao zustande, einer der Einrichtungen der Sabino Arana-Stiftung, um das kulturelle Erbe der Basken zu bewahren und zu verbreiten.

Museum des Baskischen Nationalismus in Bilbao. Aktuelle Ausstellung: „Nor gara gu?“ – Wer sind wir?
wir selbst: Vor ein paar Wochen haben wir uns im Museum des Baskischen Nationalismus in Bilbao getroffen. Für mich war es sehr interessant, daß es im Baskenland ein Museum gibt, das den baskischen Nationalismus in positiver Weise präsentiert. Ein positives Nationalismus-Museum wäre in Deutschland ganz und gar undenkbar! Daher lautet meine erste Frage: Was bedeutet Nationalismus für Sie?

Mireia Zarate Agirre: Der moderne baskische Nationalismus wurde – obwohl es bereits lange zuvor schon Hinweise auf die baskische Nation als ein Volk mit nationalen Merkmalen gab – Ende des 19. Jahrhunderts geboren. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts verband sich der Nationalismus mit der Idee der Freiheit, mit der Freiheit der Völker, die großen Imperien unterworfen waren, welche ihre nationalen Einzigartigkeiten unterdrückten. Diese Idee eines Befreiungsnationalismus entstand in der Hochphase der Romantik im 19. Jahrhundert, in der sowohl das Bewußtsein von Individualität als auch Nationalgefühle verstärkt aufkamen.

Später wurden diese Ideen mißbraucht, weil viele im Namen des Nationalismus Gobineaus Theorie von der Hierarchie der Rassen aufgriffen, welche manche Intellektuelle in ihrem Denken beeinflußte und letztlich von Hitler in die Tat umgesetzt wurde. Diese negative Verknüpfung von Nationalismus und Rassismus wird seither mit den Aggressoren im Kontext des Bruderkrieges in Verbindung gebracht, der im Ersten und Zweiten Weltkrieg Europa in Atem hielt.

Zudem sorgt der Begriff des Nationalismus im heutigen Europa für einige Verwirrung, denn der baskische Nationalismus ist von Grund auf pro-europäisch und damit der Gegensatz zu äußerst rechten Positionen in Europa, die sich ebenfalls Nationalisten nennen. Folglich gibt es einen Nationalismus, der die eigene Identität verteidigt, der inklusiv, offen und kosmopolitisch ist und einen Gegensatz zu der anderen Vorstellung von Nationalismus darstellt, einem geschlossenen, exklusiven und fremdenfeindlichen Nationalismus.

Die Vorstellung von Nationalismus hat sich also, wie viele andere Konzepte wie beispielsweise Liberalismus auf beiden Seiten des Atlantiks, verändert und birgt viele verschiedene Interpretationen, abhängig von den historischen und kulturellen Gegebenheiten, in denen der Begriff entstand und sich wandelte.

In diesem Sinne ähnelt der baskische Nationalismus am ehesten dem Konzept des Patriotismus, der in Amerika und auch in großen Teilen Europas existiert.

Das Eigene zu lieben, bedeutet nicht, das Fremde abzuwerten.

wir selbst: Der Name der laufenden Ausstellung in dem Nationalismus-Museum ist „Nor gara gu?“, also: Wer sind wir? Wie würden Sie auf diese Frage antworten? Wer ist das baskische Volk? Was macht euch einzigartig, was bildet eure Identität als Nation oder Volk?

MZA: Wir sind ein Volk, das zwischen dem französischen und spanischen Staat beheimatet ist, ein Volk, das objektiv betrachtet alle Bedingungen für seine Definition als Nation erfüllt: Wir sind eine Gruppe von Personen, die die gleiche Geschichte, Sprache, das gleiche Gebiet, die Kultur und ethnische Abstammung teilen und die sich ihrer nationalen Zusammengehörigkeit bewußt sind.

Als Nation entsprechen unsere Ursprünge und unser Wesen eher der deutschen Vorstellung einer natürlichen und kulturellen Nation aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Wilhelm von Humboldt unterstreicht in seinen Schriften zu den Basken, die er nach seinem Besuch und seinen Untersuchungen in unserem Land 1801 herausbrachte, die auffälligen Merkmale der Basken auf beiden Seiten der Grenze und kommt zu dem Schluß: „Nie ist mir ein Volk vorgekommen, das einen so echt nationalen Charakter, eine sich schon auf den ersten Anblick so originell ankündigende Physiognomie behalten hat.“

Auf der anderen Seite ist das baskische Volk heutzutage ein sehr vielseitiges Volk mit sehr unterschiedlichen Empfindungen zur nationalen Zugehörigkeit unter seinen Angehörigen. In diesem Sinne müssen wir auch den mächtigen Einfluß von Spanien und Frankreich berücksichtigen, wenn es um unsere kollektive Identität geht.

Gerade in diesem Zusammenhang stehen wir vor der Herausforderung herauszufinden, wie wir das Überleben von Identitäten in dieser Ära der Transformation sicherstellen können, die zu grundlegenden Veränderungen in unserer Gesellschaft führen wird. Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Klimawandel, demographische Veränderungen und Migrationsbewegungen beeinflussen und formen die Welt um, in der wir leben, und dies wird in noch stärkerem Maße in den nächsten Jahren geschehen.

Daher erachten wir Basken es für wichtig, die – uns bislang verweigerte – Möglichkeit zu haben, unseren kollektiven Willen, über unsere eigene Zukunft zu entscheiden, frei auszudrücken.

wir selbst: Die Geschichte der Basken ist auch geprägt von Gewalt und Unterdrückung. Wie ist heutzutage in Spanien das Verhältnis zwischen der baskischen und der spanischen Bevölkerung? Als ich Bilbao besuchte, sah ich oftmals, daß die baskische Beschriftung auf Schildern durchgekritzelt wurde – manchmal wurden sogar Begriffe wie „fascistas“ oder „terroristas“ darauf geschrieben. Gibt es tatsächlich immer noch so viel Haß und Mißtrauen zwischen ihnen?

MZA: Zum Glück ist die politisch motivierte, terroristische Gewalt inzwischen aus dem Baskenland verschwunden. Haß und Mißtrauen gehen zurück, und wir haben eine neue Stufe einer friedlichen Umgebung erreicht, in der sich auch die Beziehungen zwischen den Basken untereinander verbessert haben. Wie in anderen Ländern wird es auch hier immer eine radikale Minderheit geben, die das demokratische System bekämpft.

In unserem Bestreben nach mehr Selbstverwaltung und dem Wunsch der spanischen Regierung, so viel politische Macht wie möglich zu bewahren, auch im Kontext der Errichtung eines souveränen Europas, wird es aber immer demokratische Dispute geben.

wir selbst: In Bizkaia sahen wir unter anderem auch Graffiti-Sprüche, die Amnestie für die ETA-Aktivisten fordern. Wie ist die aktuelle Politik der führenden baskischen Partei EAJ-PNV hinsichtlich dieses heiklen Themas und wie wird sich der Umgang mit ihnen in den nächsten Jahren entwickeln?

MZA: Die Position der EAJ-PNV ist geleitet von der Achtung der Menschenrechte aller und von den Prinzipien Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. In Hinblick auf die ETA-Gefängnisinsassen bedeutet dies, daß die EAJ-PNV den Insassen Anwälte stellt, die sich bemühen, sie näher an oder in baskische Gefängnisse zu verlagern, damit sie näher bei ihren Familien sein können, vor allem um die Familien der Insassen nicht mitzubestrafen.

ETA-Aktivisten und ihre politische Entourage werden aufgefordert, mehr Empathie und Zeichen des Mitgefühls mit den Opfern und ihren Familien zu zeigen und zu erkennen, welchen enormen und irreversiblen Schaden sie ihnen zugefügt haben. Wichtig ist, daß wir alle – auch der spanische Staat, der diesen schmutzigen Krieg auf kriminelle Weise für seine Zwecke mißbraucht hat – mutige Schritte in Richtung einer Versöhnung gehen.

wir selbst: Die Basken in Spanien haben sich bereits eine beachtliche Autonomie erkämpft. Wie ist die Situation andererseits bei den Basken in Frankreich?

MZA: Die Situation und der institutionelle Schutz der Basken in Frankreich sind sehr fragil, was insbesondere am tief verwurzelten französischen Zentralismus liegt.

Dennoch gibt es dort – zum ersten Mal in der modernen Geschichte – seit 2017 eine Institution, zur Zeit noch mit wenigen Befugnissen ausgestattet, die die Basken des Nordens zusammenbringt. In Zusammenhang mit der globalen Tendenz des Erwachens der Identitäten ergreift die Minderheit der Basken im französischen Staat nun vielfältige öffentliche Initiativen, um ihr baskisches Nationalbewußtsein zu nähren und ihre eigene Identität zu bewahren.

wir selbst: Gibt es auch gemeinsame Ziele oder Projekte von den Basken in Spanien und denen in Frankreich, um ein Bewußtsein für ihre gemeinsame ethnische Identität zu schaffen?

MZA: Die kontinentalen und halbinsularen Basken, die zuvor mehrere Jahrhunderte mit dem Rücken zueinander gelebt haben, haben nun in einem Europa ohne Grenzkontrollen ihre Beziehungen wieder verstärkt. Es gibt zahlreiche gemeinsame multidisziplinäre Projekte, die bereits dazu beigetragen haben, die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Realitäten desselben Volkes zu verstärken. Diese Kooperation hat auch das Zusammengehörigkeitsgefühl der baskischen Nation insgesamt verstärkt. In Zukunft werden wir uns für eine Konföderation der baskischen Gebiete einsetzen, die auf dem Respekt für die Bedürfnisse jeder der Provinzen, Regionen und Gemeinschaften basiert, die dieses Land bilden.

wir selbst: Welche Ziele verfolgt Ihre Partei für die Basken in Spanien? Mehr Autonomie? Oder sogar eines Tages eine Volksabstimmung für einen eigenen, souveränen Staat? Was sind Ihre realistischen Hoffnungen für die Zukunft?

MZA: Uns ist es wichtig, im Rahmen der intrinsischen Vielfalt unseres Volkes das Nationalbewußtsein unserer Mitbürger zu bewahren und zu stärken. Zu diesem Zweck ist es essenziell wichtig, eigene Institutionen zu haben mit einer mächtigen Selbstverwaltung, die die Bürger schützt und die Identitätsmerkmale herausstellt, die unser Volk ausmachen. Wir sehen die Zukunft unseres Volkes eingebettet in ein föderales Europa, das respektvoll mit den Völkern umgeht, aus denen es besteht, in einer Föderation, in der unser Land zum politischen Subjekt wird, das den anderen Nationen des Kontinents gleichgestellt ist.

wir selbst: Basken, Katalanen, Flamen, Sorben, Schotten – allein in Europa gibt es allerhand Völker ohne einen eigenen Staat, teils sogar ohne Autonomierechte. Was ist Ihre Hoffnung und Vorstellung für diese Völker?

MZA: Diese Völker und kulturellen Gemeinschaften haben Europa seit Anbeginn der Geschichte geformt und ihren Beitrag zur europäischen Seele geleistet. Ich glaube, daß die Sorben als nationale und kulturelle Minderheit bezeichnet werden können, die von einer Reihe von Rechten darin unterstützt wird, ihre kulturelle Identität zu entwickeln und zu stärken, um ihr Verschwinden zu verhindern. Die Flamen, die Katalanen … sie sind weder künstliche Gebilde noch bloße rechtlich-politische Strukturen, die nach bewaffneten Konflikten entstanden sind. Sie sind alte, natürliche, genuine und vielfältige Nationen, die für ihr Überleben in einer globalisierten Welt kämpfen, die versucht, alles zu homogenisieren. Im derzeitigen Europa der Staaten betrachten viele der genannten Völker es als die richtige Vorgehensweise, die Basis ihrer nationalen Existenz zu bewahren, indem sie zu einem Nationalstaat werden.

wir selbst: Da unsere Zeitschrift wir selbst ein besonderes Augenmerk auf ethnische Minderheiten und volkliche Identität legt, wird uns oft entgegengehalten, das Volk sei nur ein soziales Konstrukt, ja sogar ein veraltetes Konstrukt ohne jegliche Relevanz für die heutige Politik. Was würden Sie jemandem entgegnen, der so argumentiert?

MZA: Ich denke, wir brauchen Publikationen wie wir selbst, weil sie das menschliche Wissen bereichern. Es gibt viel mehr kulturelle Wahrheiten und Gegebenheiten, nicht nur den Bürger und den Staat, die daran festhalten, ihre Identität zu bewahren. In einer Welt, die proklamiert, wie wichtig die Bewahrung der Diversität in allen Ökosystemen ist, ist es doch ebenso wichtig, sich auch die Wirklichkeit der kulturellen Gemeinschaften bewußt zu machen, die schließlich auch die Vielfalt und den Reichtum unseres Kontinents ausmachen. Es handelt sich hier um intime, zutiefst persönliche Angelegenheiten wie die Sprache, die direkt verknüpft sind mit dem Individuum und seinen Rechten. Angehörige eines Volkes würden in ihrer Gemeinschaft nicht als Teil derselben erkannt werden, wenn diese kulturellen Errungenschaften, die sie von Kindesbeinen an begleiten, verschwänden. Das sind hochaktuelle Themen, denn eine der Reaktionen auf eine Globalisierung mit uniformierenden Tendenzen, die die Souveränität der Staaten zu untergraben versucht, ist ein Erwachen der ethnischen Identitäten. Identitäten, die zuvor von den Imperien und Nationalstaaten unterdrückt und versteckt wurden, die die Vielfalt der menschlichen Kulturen und Kenntnisse zu einer einzigen, dominanten Kultur zu vereinheitlichen trachten.

wir selbst: Wir bedanken uns für das Interview!

Benannt ist die Sabino-Arana-Stiftung nach dem Vater des baskischen Nationalismus, Sabino Arana Goiri, der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert im Baskenland wirkte und dort einen erheblichen Beitrag zum baskischen Nationalbewußtsein leistete. Er verfaßte zahlreiche politische, literarische und poetische Werke sowie die Nationalhymne der Basken, betrieb Studien zur baskischen Sprache und gründete nicht zuletzt die Euzko Alderdi Jeltzalea, die Baskische Nationalistische Partei. Aufgrund seiner fundamentalen Bedeutung für die Basken ist Sabino Arana natürlich bis heute umstritten, sein Nationalismus wird mit Rassismus gleichgesetzt und aus dem historischen Zusammenhang gerissen.
Porträt des Sabino Arana, Entwürfe für die baskische Flagge sowie seine Notizen für die baskische Nationalhymne, die aus seiner Feder stammt.

Rechts im Bild: Das Gemälde zeigt einen baskischen Mann und eine baskische Frau in kämpferischer Pose, die die baskische Flagge hochhalten. Im frühen 20. Jahrhundert wurde das Gemälde von den Spaniern konfisziert und die baskische Flagge durch die spanische übermalt. Doch im Zuge neuer Autonomiebestrebungen und der Bewahrung baskischer Traditionen wurde der Originalzustand wiederhergestellt und das Gemälde schließlich im Museum des baskischen Nationalismus ausgestellt.

Frauen haben für den baskischen Nationalismus schon früh eine entscheidende Rolle gespielt. In den 20er und 30er Jahren erkämpften sich die baskischen Frauen nicht nur ihr Wahlrecht, sie setzten sich auch tatkräftig für die Unabhängigkeit von Spanien ein. Unter der Franco-Diktatur wurden alle linken und baskisch-nationalistischen Frauenverbände verboten, und die baskischen Freiheitskämpferinnen mußten harte Repressionen erleiden.

Gemälde mit dem baskischen Wappen, das die baskischen Provinzen zeigt, und typisch baskischen Szenen wie traditionellen Tänzen und Trachten.
Die baskische Nationalhymne „Eusko Abendaren Ereserkia“

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