Rammstein in Stuttgart – eine Nachlese

von Oleksander Petrov

Rammstein in Stuttgart – eine Nachlese

Zunächst: Das war ein gigantisches Konzert im wahrsten Sinne des Wortes. Die Cannstatter Wasen ist eine enorme Fläche, 50.000 Menschen waren dort zugange, auf Tribünen und im großen Gedränge unten, eine riesige Menschenmasse. Das Äquivalent eines Siebtels meiner Heimatstadt Mannheim oder viermal so viele Menschen auf einmal wie es Einwohner in meinem Stadtteil gibt. Für mich als tendenziellen Misanthropen und naserümpfenden Meider der Massen eigentlich zum Verdruss, der nie einem Stadionkonzert beigewohnt hat und für den schon die 14.500 Metallica-Fans in der vergleichsweise winzigen SAP-Arena zu viel waren.

Rammstein-Konzert in Stuttgart: dem Turm Saurons ähnelnd

Auch die Bühne sprengte jede mir bekannte Dimension. Die Show, ein episches Spektakel. Der zentrale Turm, dem Turm Saurons ähnelnd, ist so groß wie ein Riesenrad und hat einen Aufzug, mit dem die Band während der Show auf- und abfährt. Der Aufbau dauert eine Woche, ganze 18 Lastwägen und zwei XXL-Kräne verlegen kilometerweise Kabel, Schrauben und heben Stahlträger. Ein Bauvorhaben wie aus einer Mad Max-Welt. Auch mitten im Stehbereich waren Türme aufgebaut, die wie die Hauptbühne immer wieder in Flammen aufgingen und die Szenerie in ein flammendes Inferno verwandelten, dessen Druck- und Hitzewelle selbst auf hundert Meter Entfernung deutlich zu spüren war. Dazu immer wieder dichter, schwarzer Rauch, der die untergehende Sonne vernebelte, oder in Unmengen ausgestoßene winzige schwarze Fetzen, die wie ein unheimlicher Schwarm bösartiger kleiner Kreaturen über das Feld wirbelten. Feuer und Explosionen waren kilometerweit zu sehen und zu hören. Kein Wunder, dass Sänger und Kopf Till Lindemann selbst Pyrotechniker ist – einer muss ja die Kontrolle dieses Chaos behalten.

Rammstein-Konzert in Stuttgart: winzige schwarze Fetzen wie ein unheimlicher Schwarm bösartiger kleiner Kreaturen

A propos Lindemann – an ihm ist wohl ein begnadeter Schauspieler in der Art eines Kinski vorbeigegangen. Auch wenn ich es nur aus der Ferne klein klein miterleben konnte, aber man kennt ja sein Spiel zur Genüge aus stillen und bewegten Bildern – eine beeindruckende, dominante Präsenz. Leni Riefenstahl hätte ihre Freude an seinen Inszenierungen gehabt, könnte ich mir vorstellen.

Dominant war an diesem Abend auch die Härte und Schwärze, sanft und melancholisch wurde es selten, so beim neuen Lied über die Grausamkeit der „Zeit“ und dem ähnlich trauernden „Adieu“ zum Schluss.

Meine persönlichen Höhepunkte waren aber das auf über 10 Minuten ekstatisch ausgedehnte „Deutschland“ mit seinem „wer hoch steigt, der wird tief fallen – Deutschland, Deutschland, über allen“ (wenn ihr mich fragt, ein Abgesang auf das deutsche hypermoralistische Weltrettertum) und die brachiale „Sonne“:

„Die Sonne scheint mir aus den Händen –

Kann verbrennen, kann dich blenden –

Wenn sie aus den Fäusten bricht –

Legt sich heiß auf dein Gesicht –

Legt sich schmerzend auf die Brust –

Das Gleichgewicht wird zum Verlust –

Lässt dich hart zu Boden gehen –

Und die Welt zählt laut bis zehn“,

ein Lied, das mir für immer mit einem Tanz an einem heißen Sommertag verbunden bleiben wird, bei dem ich meinen kleinen Sohn eng in meinen Armen tragend, mit ihm getanzt habe und er, gerade zählen gelernt, die Aufzählung „1 – hier kommt die Sonne…“ mit voller Inbrunst kindlich falsch mitgesungen hat und damit gar nicht mehr aufhören wollte. Deshalb bekam er auch extra einen Videomitschnitt auf Papas Handy angefertigt.

Am Ende war es gut, dass es zu Ende war, mehr Bombast hätte man auch gar nicht verkraften können und wollen. Ich glaube, man kann Rammstein mit Recht als größte und erfolgreichste deutsche Band bezeichnen. Und wenn sie so auch in die Geschichte eingehen wollen – was ich ihnen wünschen würde – müssen sie sich so langsam überlegen, wann es auch für sie „gut“ ist (sie gehen alle auf die 60 zu). Eine Steigerung nach dieser Tour scheint jedenfalls kaum noch möglich. Rammstein auf dem Mond, powered by Elon Musk?

„Nach uns wird es vorher geben – Am Ufer winkt Unendlichkeit“

PS: Wer das Konzert nachhören möchte, hier ist die Setlist als Spotify-Playliste https://open.spotify.com/playlist/6WCZHrjXgOiBzNGIuwVKsb…

Ein Kommentar zu “Rammstein in Stuttgart – eine Nachlese

  1. Ein paar Thesen zur ästhetischen Qualität von Rammstein
    1. Die zeitgenössische Pop/Rockkultur wird seit den Beatles auch in Deutschland davon geprägt, die angloamerikanische Musik nachzuahmen. 3 Versuche gab es bei uns, wieder selbstständiger zu werden.Eigenes hervorzubringen: a) den „Krautrock“ (=ironische Selbstbezeichnung), die „Neue Deutsche Welle“ und jetzt die „Neue Deutsche Härte“, deren beeindruckendster Vertreter: „Rammstein“ ist.
    2. Das Besondere der heutigen Musikpräsentation: Die Musiker sind selbst zu einem Element ihres Kunstwerkes geworden, sie bringen die Musik nicht einfach mehr hervor. Den Anfang bildete, daß zur gespielten Musik noch eine Bühnenshow dazukam, so wie man ein Geschenk in Geschenkpapier einwickelt. Jetzt wird die Musik auf der Bühne inszeniert, wie ein Theaterstück oder wie eine Oper. Das ist das Ende der Show und stellt die Musiker vor hohe Anforderungen. Sie müssen nun auch Schauspieler sein, die Bühne eine Kulisse für das Musikwerk.
    3. Trditionell ist die Struktur des Liedes: im Vordergrund die Gesangsstimme, begleitend im Hintergrund die Instrumentenstimmen.Der Text des Liedes, gesungen steht im Vordergrund. Für die jetzigen Musikwerke gilt dagegen: Alle Stimmen , die Gesangsstimme wie die Instrumentenstimmen sind gleichberechtigt, die Musikstücke geben dann sich jeweils eine eigene Struktur, welche Stimme im Vordergrund erklingt, welche begleitet und gestaltet ein permanentes Wechseln der Führungsstimme. Bei Rammstein dominiert dabei aber oft die Gesangsstimme ob ihrer besonderen Qualität. Zur Gesangsstimme: Nicht mehr die Bedeutung der Wörter, ihr Sinn sondern ihr Klangwert ist das Wesentliche des Gesanges. Die Konzerte von „Kreator“ einer der besten deutschen Musikgruppen veranschaulicht dies. Das Bühnenlicht dient dann auch nicht mehr dazu, daß die zu spielenden Noten lesbar sind für die Musiker, sondern die Gesamtbeleuchtung soll die Gestimmtheit des Musikstückes widerspiegeln, dazu dient auch die Atmosphäre der Bühne, die wie eine Opernbühne aufgebaut wird.Es könnte von einer Rückkehr des Opernformates gesprochen werden.
    All das schafft Ramstein und darum sind sie so gut!

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