Der Ukraine-Krieg: Emotionen über dem Siedepunkt

Ein Meinungsbeitrag von Hanno Borchert

Der Ukraine-Krieg: Emotionen über dem Siedepunkt

Die aktuellen Ereignisse in der Ukraine emotionalisieren die Gemüter derzeit bis weit über den Siedepunkt. Das ist nur zutiefst verständlich.

In Erinnerung an die umfangreichen russischen Kriegsverbrechen in den beiden Tschetschenienkriegen halte ich es überhaupt nicht für ausgeschlossen, daß die behaupteten Vorkommnisse in Butscha auf das Konto Rußlands gehen. Allerdings sind auch ganz andere Szenarien denkbar! Wir alle, die wir nicht vor Ort sind und waren, müssen aufpassen, nicht zu sehr einer polarisierten Berichterstattung und damit auch politischer Instrumentalisierung der beiden Kriegsparteien samt ihrer Zuträger und jeweiligen Symphatisanten zu folgen und eventuell aufzusitzen. Das zumindest sollte uns die Erfahrung nicht nur aus den beiden Kriegen in Tschetschenien, dem Jugoslawienkrieg oder dem Irakkrieg lehren. Stichworte nur für den Irak wären hier die Brutkastenlüge und die Lüge von den Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins. Für den Jugoslawienkrieg das so genannte Massaker von Racak am 15.1.1999 mit 45 Toten. Wie die Opfer zu Tode gekommen sind und wer die Verantwortung dafür trägt, ist bis heute nicht restlos aufgeklärt.

Es bräuchte halt zur Verifizierung der Vorkommnisse in Butscha wirklich eine unabhängige, glaubwürdige Institution. Oder unabhängige, engagierte und investigativ arbeitende Journalisten von Format.

Guter Journalismus wäre, die Propaganda beider Seiten zu hinterfragen und selbst zu recherchieren und nicht nur irgendwelche Meldungen aus den Nachrichtenagenturen abzutippen.

Butscha: Satellitenbilder zeigen Tote vor Abzug russischer Truppen

Während des Tschetschenienkrieges legten die Russen die Hauptstadt Grosny und die meistem Dörfer in Schutt und Asche. Sie bombardierten Wohnviertel und Krankenhäuser sowie Schulen.
Heute sehen wir fast die gleichen Bilder von vollkommen zerstörten Städten, Stadtteilen und Häuserblocks, aber auch Gehöfte irgendwo in der Pampa. Wochenlang saßen damals in Grosny die Menschen ohne Licht und Wasser in Deckung. Auch das wiederholt sich jetzt, nicht nur in Mariupol.
Die Geschichte, die uns von russischer Seite versucht wird zu verkaufen und auf die auch viele “Rußlandfreunde” von rechts und links aufspringen, Rußland wäre sehr darauf bedacht, zivile Opfer zu vermeiden und sich primär auf militärisch-strategische Ziele zu konzentrieren, kann meines Erachtens angesichts der Millionen von Flüchtlingen und der Bilder von den zerbombten Städten nicht so ohne weiteres aufrechterhalten werden.
Rußlands Vorgehen in der Ukraine scheint mir mit dem Vorgehen in den Tschetschenienkriegen doch in vielerlei Hinsicht identisch zu sein.

Und mag dieser Krieg auch viele Väter und Gründe haben, so wie es Generalmajor a.D. Gerd Schultze-Rhonhof in seinem Artikel “Ist Putin wirklich ein Kriegsverbrecher?” hier auf der “wir-selbst”-Seite dargelegt hat, so rechtfertigt er doch in keiner Weise massenhafte gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung, auf Frauen, auf Kinder.
Allein, um das festzustellen, braucht es kein Butscha.

Und nein, der Zweck heiligt nicht immer die Mittel.

2 Kommentare zu „Der Ukraine-Krieg: Emotionen über dem Siedepunkt

  1. Hanno Borchert hat Recht, es ist durchaus denkbar, aus bisherigen Erfahrungen, daß sich der Vorwurf „Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung“ gegen Rußland am Ende doch bewahrheitet. Nur weil man selbst gegen den Westen, gegen die NATO, gegen die BRD ist, wie ich, muß es sich bei den Vorwüfen nicht automatisch um Fake-News handeln.
    Ich tippe auf a) Einschüchterung gegen eine widerständige Stadtbevölkerung, die sich gegen Befehle der russischen (Besatzungs.) Armee gestellt hatte; bzw. b) Repressalien als Antwort auf Partisanenangriffe aus dem Hinterhalt, bei Verlusten für die Russen; c) niedere menschliche Instinkte von Menschen bzw. Soldaten, durchs Töten und Foltern von wehrlosen Feinden persönliche Macht auszuüben.
    Alle drei Möglichkeiten sind nach aktuellem Kriegsvölkerrecht verboten, b) war allerdings bis etwa zum Ersten Weltkrieg erlaubt, toleriert, bzw. Kriegsvölkergewohnheitsrecht, Erschießen von Geiseln. Dies wird aber trotz UN-Verbot heute immer noch praktiziert, unter anderem von der Bundeswehr in Afghanistan und von der US-Armee im Irak. Dies alles – a) b) c) – ist nach der „Logik“ eines Krieges leider nicht vermeidbar. Einen „sauberen“ Krieg gibt es nur in der Propaganda.
    Gefühlsmäßig bin ich ganz auf der Seite des Generals Schultze-Ronhofs. In diesem Krieg geht es um Geopolitik und Energiepolitik. Rußland führt einen Präventivkrieg gegen die NATO bzw. gegen die USA. Aber völkerrechtlich legal ist der Angriffskrieg der Russen gegen die Ukraine, für den es sicherlich gute Gründe gibt, gewiß nicht.
    Zu debattieren wäre einmal a) über den rechtsphilosohischen Begriff des „Völkerrechts“. – Hegel meinte, daß der „Rechts“-Begriff nur innerstaatlich anzuwenden sei, da es einen Weltstaat, wie von Kant gerfordert, nicht gibt. „Vökerrecht“ ist ein „Sollen“, kein „Müssen“, zumal wenn Supermächte wie USA, Rußland und China durch keine irdische Macht zu stoppen bzw. zu bestrafen sind. Das kann dann nur der „liebe Gott“ (der „höhere Prätor“ bei Hegel).
    B) Das Recht Krieg zu führen: stand bis zum WK I jedem souveränen Staat zu, auch aus nationalem Interesse einen Krieg zu beginnen. Kriegsvölkerrecht wie in der Haager Landkriegsordnung diente ausschließlich der „Hegung“ des Krieges, also daß man Gefangene gut behandelt und die Zivilbevölkerung schont, usw. – erst nach dem WK I (Völkerbundsatzung, Briand-Kellog-Pakt, UN-Charta, Schlußakte von Helsinki, usw.) setzte sich ein Angriffskriegsverbot aus nationalem Interesse durch, heute nur noch mit UN-Mandat oder Verteidigungskrieg.
    In der Wirklichkeit hat sich jetzt ein Angriffskriegsverbot der Supermächte durchgesetzt, die es sich alleine leisten können, ungestraft gegen dieses Verbot zu verstoßen, wie USA und Briten im Irak und im Kosovo, die Russen in Georgien, Krim und jetzt in der Gesamt-Ukraine. Tschetschenien ist ein anderes Thema, da hier die Russen sich auf eigenem Staatsterritorium befanden bzw. befinden. Das ist so, wenn die Briten brutal gegen Iren und Nordirland vorgehen.
    Wir hatten also bis zum WK I ein Angriffskriegsrecht für a l l e souveränen Staaten, danach ein Angriffskriegsverbot für alle Staaten, heute faktisch einen Auserwähltheitsangriffskriegsanspruch von w e n i g e n , starken Staaten.
    Das ist die Situation.

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  2. In der Wirklichkeit hat sich jetzt ein Angriffskriegsverbot der Supermächte durchgesetzt,

    Korrektur:

    In der Wirklichkeit hat sich jetzt ein Angriffskriegs a n s p r u c h der Supermächte durchgesetzt,

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