Gesinnungspolizei im Rechtsstaat!

Rezension des Buches von Klaus Kunze

Gesinnungspolizei im Rechtsstaat!

Haben Sie Angst vor dem Verfassungsschutz? Das brauchen Sie nicht. Sie sind ihm vermutlich intellektuell weit überlegen.

Zu diesem Urteil kann man bei der Lektüre der Analyse und der sechs Fallstudien Mathias Brodkorbs gelangen. Die Dreistigkeit, mit der unser Inlandsgeheimdienst seit vielen Jahren Recht und Gesetze bricht, wird nur noch von der offenkundigen fachlichen Unfähigkeit überboten.

Schriebe das jemand, der selbst unter einem „Extremismusverdacht“ steht, könnte man zur Tagesordnung übergehen. Aber über den Autor schreibt Wikipedia: „Mathias Brodkorb (* 20. März 1977 in Rostock) ist ein deutscher Politiker (SPD) und Journalist. In der Vergangenheit befaßte sich Brodkorb als Gründer und Hauptautor des Projekts Endstation Rechts mit der Erforschung rechtsextremistischer Ideologien. Von 2016 bis 2019 war er Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern, zuvor von Oktober 2011 bis Oktober 2016 Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern und vom 20. September 2016 bis November 2016 Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag Mecklenburg-Vorpommern, dem er von 2002 bis 2019 angehörte.“

„Gesinnungspolizei im Rechtsstaat?“, so nannte er sein 248 Seiten umfassendes Büchlein – mit dem Fragezeichen, das der Leser zu Beginn der Lektüre sich stellt. Mit Ausrufezeichen hinter diesem Titel verläßt es der Leser. Daß „der Verfassungsschutz als Erfüllungsgehilfe der Politik“ fungiert – so der Untertitel –, erweisen sechs eingehende Fallstudien: die Fälle Bodo Ramelow und Rolf Gössner von links und die Fälle Schnellroda, Martin Wagener, AfD und Delegitimierer von rechts.

Bereits in den 1990er Jahren war der Verfassungsschutz instrumentiert worden, um den damals etablierten Parteien eine rechte Konkurrenz vom Leibe zu halten. Vorgängerin der AfD waren Die Republikaner, die seit 1992 „beobachtet“ wurden. Seit 2006 stehen sie nicht mehr in den VS-Berichten. Vorangegangen waren zahlreiche erbitterte Prozesse gegen die Beobachtung. Wenn man die damaligen Scheinargumente der Behörden in den dokumentierten Prozeßakten und Schriftsätzen (1) mit den aktuellen Vorwürfen des VS gegen die AfD vergleicht, kann man nur seufzen: Im Westen nichts Neues! Das Niveau der Kölner Behörde hat sich kein bißchen verbessert.

Mathias Brodkorb als Sozialdemokrat weist das ohne irgendeine Sympathiebekundung für die Rechte so akribisch auf, wie es einem Nichtjuristen möglich ist, wenn er allgemeinverständlich schreiben will. Namhafte Verfassungsrechtler haben ihn aber beraten. Sein Buch hat juristisch Hand und Fuß. Juristisch und vor allem begrifflich mitdenken muß der Leser. An eben dieser anscheinend schwierigen Übung scheitern Verfassungsschutzbehörden immer wieder.

Sie wissen und verstehen nicht, daß ein harmloses Wort wie Volk in verfassungsrechtlichem Zusammenhang eine ganz andere Bedeutung hat als in kulturellem. Indessen drängt sich der Eindruck auf: Sie wollen es gar nicht verstehen. Vielleicht sollen sie es auch nicht, schließlich ist der VS eine ministeriell anweisungsgebundene Behörde. Wenn sie sonst nichts hat, jemanden als „rechtsextremistisch“ zu etikettieren, muß sein Bekenntnis zum ethnisch deutschen Volk dafür herhalten. Seit das BVerfG 2017 die NPD als verfassungsfeindlich bezeichnet hat, kapriziert sich der VS nahezu vollständig auf das Argument des höchsten deutschen Gerichts: Indem die NPD das Volk als eine Volksgemeinschaft verstehe, deren Ansprüche das Individuum sich grundsätzlich unterzuordnen habe, sei sie kollektivistisch. Das Grundgesetz geht aber von einem Primat der Einzelperson aus. Der Staat ist für die Bürger da, nicht umgekehrt.

Weder Brodkorb noch der Rezensent sehen das anders. Der VS sieht aber überall da, wo jemand sein Volk als Kulturnation versteht und erhalten wissen möchte, finstere kollektivistische Verschwörungen am Werke. Das ist erkennbarer Unsinn. Er kennt noch nicht einmal das Grundgesetz, das er schützen soll. Nach Art.116 gibt es nämlich durchaus auch Menschen deutscher Volkszugehörigkeit, aber ohne unsere Staatsangehörigkeit. Der sozialwissenschaftliche-empirische Volksbegriff und die Staatszugehörigkeit sind ganz verschiedene Kategorien. Verfassungswidrig wäre es nur, Staatsangehörigen Rechte abzusprechen, nur weil sie nicht auch deutsche Volkszugehörige sind. Von den amtlichen Beobachtungsobjekten in Brodkorbs sechs Fallstudien will das aber niemand.

Verheerend wirkt sich auf die Qualität der Behördenarbeit an vielerlei Stellen aus, daß ihre Mitarbeiter nicht klar begrifflich denken können, wollen oder dürfen. Das leuchtet sofort ein, wenn man den gesetzlichen Auftrag der Behörde und die einschlägigen Urteile des BVerfG mit der immer wieder verwandten VS-Terminologie vergleicht. Es geht um Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Der juristische Begriff wurde vom BVerfG erfunden und definiert. Die Verfassungsschutzgesetze zitieren und deklamieren seine festliegenden Merkmale wie das Mehrparteiensystem mit Recht auf Opposition, die klar definierten Menschenrechte und andere. Juristen bezeichnen es als „Subsumtion“, wenn ein Lebenssachverhalt unter die gesetzlichen Merkmale „subsumiert“ wird.

Wie Brodkorb instruktiv darlegt, geht der Verfassungsschutz so nicht vor. Er fragt nicht, wer Verfassungsfeind ist, indem er die gesetzlichen Merkmale durchprüft. Er fragt überhaupt nicht nach den gesetzlichen Merkmalen, sondern erklärt ganz einfach zum Verfassungsfeind jeden, dem er das Etikett „extremistisch“ aufgeklebt hat. Das ist ein politologischer Begriff, unter dem jeder verstehen kann, was immer er will. Unter dem VS-Präsidenten Maihofer von der FDP habe die offizielle Lesart 1974 noch darin bestanden, extremistisch sei, was sich gegen den Grundbestand der Verfassung richte. Inzwischen aber lebe Deutschland „seit Jahrzehnten in extremismus-terminologischer Verwirrung“ der Begriffe.

Während Maihofer noch ausdrücklich „Radikalität“ nicht mit Extremismus und Verfassungsfeindlichkeit gleichgesetzt habe und der Verfassungsschutz diese Sprachregelung lange beibehalten habe habe die Bundeskanzlerin öffentlich erklärt, den politischen Radikalismus von rechts entschlossen und konsequent bekämpfen zu wollen. Die Begriffsverwirrung ist total, wenn inzwischen schon als rechtsextremistisch gilt, wer darauf beharrt, daß es zwei sexuelle Geschlechter und daß es ein ethnisch-kulturell deutsches Volk gibt.

Wenn sich niemand mehr die Mühe macht, begrifflich klar zu denken, „gerät das gesamte Interpretationsgefüge zu intellektuellem Brei“. Solche deutlichen Worte des Autors machen sein Buch auch zu einem witzigen Lesegenuß, wenngleich dem Leser das Lachen vor dem Bierernst amtlicher Stigmatisierungen im Halse stecken bleiben könnte. Immerhin ist der VS die „Behörde, die innerstaatliche Feinderklärungen auszusprechen beansprucht“.

Rechtliche Einordnungen des höchsten deutschen Gerichts ignoriert der VS, weil er sie nicht gelesen oder nicht verstanden hat. So zählt er in der Fallstudie „Schnellroda“ angeblichen Antiparlamentarismus zum Anhaltspunkt für eine verfassungsfeindliche Bestrebung. Dagegen hatte das BVerfG im NPD-Urteil 2017 ausdrücklich erklärt, daß ein fast reiner Parlamentarismus, wie ihn das GG zur Zeit vorsieht, kein konstituierendes Merkmal der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist. Wichtig sei nur, daß die Staatsgewalt immer vom Volk ausgehe, was in einer direkteren Demokratie ebenso gewährleistet sei.

Haben Sie Angst vor dem Verfassungsschutz? Nein? Sollten Sie aber. Der VS, resümiert Brodkorb nach eingehenden Fallanalysen, „betätigt sich letztlich sogar als Gedankenpolizei. […] Der Versuch, das Denken der Bürger im Staatsauftrag sogar gegen die Realität zu regulieren, ist eigentlich das typische Verhalten totalitärer Gesellschaftssysteme.“

„Begriffe zu verwenden, deren saubere Definition zugleich verweigert wird, ist […] kein Ausrutscher, kein Versehen. Werden die Begriffe, die Rechtsfolgen nach sich ziehen, elastisch wie Kautschuk, läßt sich mit ihnen allerhand anstellen.“ Man kann sie in den Dienst tagespolitischer Bedürfnisse des jeweiligen (Partei-)Dienstherrn stellen. Verfassungsfeind sei dann „nicht der Feind der Verfassung, sondern bereits der Kritiker der Regierung“. Nach Meinung des jahrezehntelang zu Unrecht beobachteten radikalen Linken Rolf Gössner ist der VS ein „ideologischer Regierungsgeheimdienst“. Er schütze häufig nicht die Verfassung, sondern die Regierenden und schränke demokratische Grundrechte ein. Fallweise habe der VS „im Zentrum der verfassungsmäßigen Ordnung über Jahre hinweg das Recht gebeugt.“

Nach Meinung Brodkorbs brauchen wie ihn nicht.


(1) Klaus Kunze, Geheimsache Politprozesse, Uslar 1998, ISBN 3-933334-05-5.

Klaus Kunze

Klaus Kunze, seit 1984 selbständiger Rechtsanwalt in Uslar, von 1970-71 Herausgeber eines Science-Fiction-Fanmagazins, von 1977 bis 1979 Korrespondent der Zeitung student in Köln, seit 1978 diverse Beiträge in genealogischen und heimatkundlichen Fachzeitschriften, seit 1989 Beiträge für politische Zeitschriften wie u. a. die Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT

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Autor der Bücher:

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Klaus Kunze: Die solidarische Nation. Wie Soziales und Nationales ineinandergreifen. Gebundene Ausgabe, 206 Seiten, Preis: 19,80 Euro ist hier erhältlich: https://lindenbaum-verlag.de/produkt/die-solidarische-nation/

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