Der Ehrenhain auf dem Dresdner Nordfriedhof

Bert Wawrzinek

Der Ehrenhain auf dem Dresdner Nordfriedhof

Mag der Staub gefallner Helden modern
Die dem großen Tode sich geweiht
Ihres Ruhmes Flammenzüge lodern
In dem Tempel der Unsterblichkeit

Theodor Körner (1812), Umschrift auf dem Ehrenhain der Weltkriegsregimenter

Am Rande der einst für die sächsische Armee errichteten Soldatenstadt, die den Namen des populären Königs Albert (1828-1902) trägt, liegt, am nördlichen Ende der Marienallee, eine der wohl interessantesten Friedhofsanlagen der Landeshauptstadt, ja Sachsens, der heutige Nordfriedhof.  1901 für die Verstorbenen der Garnison Dresden errichtet, war das erweiterte Friedhofsareal bereits während des Ersten Weltkrieges als Ort für ein Ehrenmal gefallener Angehöriger Dresdner Regimenter vorgesehen. Nach Plänen des Regierungsbaurats Emil Hartmann wurde 1917-1920 östlich der ursprünglichen Friedhofsmauern eine weiträumige Anlage errichtet. Während im Mittelteil 9 hochformatige galvanoplastische Erinnerungstafeln (der bereits im Frieden aktiven Regimenter) dominieren, ergänzen jeweils 6 querformatige (für die Reserve- und Ersatztruppenteile) an beiden Seitenflügeln die Anordnung. 7 steinerne und  3 eiserne Tafeln wurden zusätzlich an den Außenseiten bzw. Aufgängen des Bauwerks angebracht. 

Dresdner Regimenter? Bereits vor dem Ersten Weltkrieg bildete die sächsische Landeshauptstadt mit vier Infanterie-, einem Kavallerie-, zwei Feldartillerieregimentern sowie Jäger-, Pionier- und Telegraphenbataillonen eine der bedeutendsten Garnisonen des Kaiserreiches. In der Alberststadt lag mit den beiden Grenadierregimentern die sächsische Garde, am Alaunplatz kasernierten die   108er Schützen, daneben Gardereiter und Pioniere. Der sächsische Offiziersnachwuchs exerzierte in der Kadettenanstalt.  Nicht wenige der genannten Einheiten galten als Eliteformationen, deren Gründung bis ins 17. Jahrhundert zurückreichte, die also aufs Engste mit der Geschichte des Landes verbunden waren. Traditionell absolvierten junge Männer ihren Militärdienst in Truppenteilen, wo schon der Vater und Großvater gestanden, und selbstverständlich war die Garnison auf vielfältige Weise Bestandteil städtischer Kulturlandschaft, fühlten sich die Dresdner ihren Soldaten eng verbunden. Was in langer Friedenszeit heranreifen konnte, sollte 1914 seine Bewährung finden, und so zogen neben den aktiven Regimentern die Sachsen auch in zahlreichen Reserve- bzw. Landwehrregimentern in den Krieg …

Da die an den Fronten gefallenen Feldgrauen meist fern der Heimat bestattet waren, diente der Ehrenhain den Hinterbliebenen als symbolischer Gedenkort, vordergründig aber als Stätte kollektiven Erinnerns am Volkstrauertag, nicht zuletzt den früheren Regimentsangehörigen, die hier ihrer gefallenen Kameraden gedachten. Daß dies über alle politischen Umbrüche hinweg weitgehend respektiert wurde, mag auch an der Dimension des Geschehens liegen: bei einer angenommenen Zahl von durchschnittlich 2500 Gefallenen jedes Regiments, repräsentiert allein dieser Ort mehr als 40 000 Tote. Der Friedhof (seit 1930 „Standortfriedhof“) ist ursprünglich Reichseigentum gewesen und kam später, nach 1945,  in den Besitz der sächsischen Landeshauptstadt. Die veranlaßte 1955 seine Umbenennung in „Nordfriedhof“ und stellte das Areal 1987 unter Denkmalschutz.

Doch über dem Idyll, auf dem der Interessierte fernab des Straßenlärms inspiriert und ungestört seinen Gedanken nachhängen kann, sind dunkle Wolken aufgezogen.  Nach mehr als 100 Jahren ist der Stahlbeton des Unterbaus sanierungsbedürftig. Mauern mußten bereits notgesichert, Teile des Areals gesperrt werden. Ob die politischen Entscheidungsträger die Bedeutung der Anlage zu würdigen wissen? Schlimmer noch: Wer in diesen Tagen Friedhof und Ehrenhain aufsucht, wird entsetzt feststellen, daß wenigstens drei der oben beschriebenen Erinnerungstafeln, darunter eine der neun vertikalen Metallplatten, von unbekannter Hand entfernt und vielleicht auf immer verloren sind. Zuständigen Stellen ist dies bekannt, wohl um Nachahmung zu vermeiden, blieb die Öffentlichkeit bislang uninformiert. Wie aber läßt sich weiterem Schaden vorbeugen?

Es liegt vor allem bei den Dresdnern, denen die geweihte Stätte im Norden ihrer Stadt am Herzen liegt, auf deren Erhalt und Wiederherstellung zu drängen – und dabei wachsam zu sein, und jedem Hinweis auf das Ehrenmal und seine geraubten Tafeln nachzuspüren – auf daß sie uns die Schicksale der Altvorderen bald wieder eindringlich vor Augen führen!

Bert Wawrzinek

Bert Wawrzinek

Bert Wawrzinek wurde 1959 in Leipzig geboren und lebt heute im Stolpener Land. Im ersten Leben Rockmusiker, betreibt er seit mehr als 30 Jahren das Historica Antiquariat in Dresden und ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu Themen sächsischer Geschichte und Kultur.

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