Alain de Benoist: Vom Polytheismus zum Ethnopluralismus – wir fröhlichen Heiden

von Klaus Kunze

Alain de Benoist: Vom Polytheismus zum Ethnopluralismus – wir fröhlichen Heiden

Eine Neuauflage des Altmeisters der französischen Neuen Rechten.

„Heide sein“ – das neue Buch von Alain de Benoist, dem Altmeister der französischen Neuen Rechten. Das mit Spannung erwartete Werk (eine überarbeitete Neuauflage des paganistischen Grundlagenwerkes) erfüllt alle Wünsche an ein hochpolitisches und zugleich gelehrtes Werk. Benoist zeigt wieder einmal geistesgeschichtliche Zusammenhänge auf, die vieles Altbekannte miteinander sinnvoll verknüpfen.

Der Titel könnte aber auch falsche Erwartungen wecken. Benoist wirbt keine Jünger für altnordische Fruchtbarkeitsriten und ruft auch zu keinem Ragnarök auf.

Man braucht nicht an Jupiter oder Wotan zu ›glauben‹ – was jedenfalls nicht törichter ist, als an Jahwe zu glauben –, um Heide zu sein. Heutzutage besteht das Heidentum nicht darin, Apoll Altäre zu errichten oder den Odin-Kult wiederzuerwecken.

Alain de Benoist, Heide sein, S.23.

Sein Blickwinkel ist religionsgeschichtlich. Europas vorchristliche Religionen haben in unserer kollektiven Psyche tiefe Spuren hinterlassen, wurden aber 2000 Jahre lang überlagert und fast ausgemerzt durch den vorderorientalischen Monotheismus. Auch wo der buchstäbliche Glaube an Gott oder Götter längst der Aufklärung gewichen ist, scheiden sich in den Tiefenstrukturen unseres Denkens „Heiden“ von den Jüngern eines „einen Gottes“.

Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 22.Aufl. 1989.

Viele moderne Philosophien und Ideologien sind von Metaphysik tief geprägt. Diese behauptet entweder ein vom Diesseits geschiedenes transzendentes Jenseits oder doch den Erscheinungen der Welt immanente Wirkkräfte. Diese stellt sich Metaphysik per definitionem als nicht physikalisch vor, also als spirituell oder “heilig”. Alain de Benoist setzt der monotheistischen Jenseits-Metaphysik des Judenchristentums sein “Heidentum” entgegen: seine Metaphysik, seine

besondere Weltanschauung, die von vornherein allen ihren Teilen einen Sinn gibt. Unter diesem Gesichtspunkt können wir die Ansicht vertreten, daß der Mensch die Welt durch seine Weltbetrachtung schafft, daß die Seele sich einen Körper zusammenbaut, daß eine kollektive Weltanschauung eine Gesellschaft formt, indem sie sie in-formiert.

Alain de Benoist, Heide sein, S. 198.

Im Kern vertritt Benoist eine pantheistische oder panpsychistische Metaphysik:

Während im jüdischchristlichen Monotheismus die Seele sich »vom Absoluten ontologisch unterscheidet, daß sie von ihm geschaffen wird, und nicht von ihm ausgeht, daß sie ein Teilchen der göttlichen Substanz ist« (1), ist die Seele in der Religion Europas göttlichen Wesens. Somit stehen Mensch und Gott in einer wechselseitigen Beziehung. Die Vereinigung des Menschen mit Gott, die Verkörperung Gottes im Menschen, die Erhöhung des Menschen zur göttlichen Substanz sind in dieser Welt möglich.

Alain de Benoist, Heide sein, S. 221 f.

Benoist will den Menschen nicht, wie im jüdischchristlichen Monotheismus, zu einem sündhaften Geschöpf erniedrigt wissen, sondern als erhöht verstehen im Sinne des Nietzsche’schen Übermenschen. Wenn aber das Göttliche in jedem Menschen lebt und webt und uns inspiriert, über uns selbst hinauszuwachsen, liest sich das zwar sehr hübsch und erbaulich:

»Nichts ist im Himmel noch auf Erden, das nicht im Menschen sei. Der Gott, der im Himmel ist, der ist auch im Menschen. Denn wo ist der Himmel als im Menschen?« (2). Angelus Silesius ebenfalls: »Der Himmel ist in dir. Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.« (3) Giordano Bruno behauptet seinerseits, daß die Seele sich »zum Himmel« hinaufschwingt, wenn sie sich »in ihrer eigenen Innerlichkeit erhöht«, denn »Gott steht ihr nahe, er ist bei ihr, in ihr, dem tiefsten ihrer selbst näher, als sie selbst es sein  kann, etwa als die Seele der Seelen, das Leben allen Lebens, das Wesen aller Wesen«.

Alain de Benoist, Heide sein, S. 222 f.

„Bonifatius fällt die Donareiche bei Geismar“

Aber Gott als normgebende Instanz ist damit vollständig beseitigt: Er waltet dann täglich in jedem, aber gebietet und verbietet nichts und richtet am Schluß nichts. Er wird zur dichterischen Metapher ohne praktische Relevanz. Dieses Ergebnis ist von den Vertretern des Pantheismus gern in Kauf genommen, wenn nicht beabsichtigt. Damit verhält sich Benoists Heidentum tatsächlich antithetisch zum monotheistischen Judenchristentum und zum Islam. Wer Gott vollständig im Weltlichen verortet, entpersonalisiert ihn, löst ihn damit auf und macht ihn irrelevant.

Wenn Gott und Welt miteinander identisch sind, weil er in allem lebt, drängt sich nämlich die Frage auf, wozu er überhaupt noch als semantische Figur benötigt wird. Indem man zugibt, daß alle Vorstellungen von immanenter Göttlichkeit nur in unseren Köpfen entstehen, werden sie praktisch bedeutungslos.  Wir benötigen ihn nicht mehr, weil wir selbst wie Götter werden:

Der Mensch darf nicht danach trachten, Gott zu werden, sondern wie die Götter zu werden. […] Der Mensch verwirklicht selbst, das heißt, wenn er über sich hinauswächst.

Alain de Benoist, Heide sein, S. 226.

Vom Universalismus zum Totalitarismus

Benoists Analyse und Verwerfung des Monotheismus sind überzeugender als die Verortung rechter Wertvorstellung in einem als metaphysisch gedachten Heidentum. Daß jemand diese Wertvorstellungen als „für mich richtig“ annimmt, weil sie seiner Perspönlichkeit und ihren Bedürfnissen entsprechen, erfordert keine Metaphysik. Man kann sich auch einfach so für ihre Geltung entscheiden. Eine tiefe Kluft scheidet metaphysisch denkende Rechte und Linke von nichtmetaphysisch denkenden Rechten, und Linken.

Innerhalb der Metaphysiker wiederum scheiden sich die Geister erneut in Vertreter unerbittlich moralisierender Jenseitsgötter wie Jahwe, Sohn & hl. Geist hier, dort aber eine lachende (4) oder auch zürnende Göttervielzahl. Auf der einen Seite glauben die Menschen an universelle Wahrheiten, an absolut geltende Wertmaßstäbe, an die vorstaatliche Geltung einer strengen Moral. Ihnen steht ein fröhliches Heidentum derer gegenüber, denen es ganz gleichgültig ist, welchen Göttern man auf den Fidschis opfert, für die nicht die Weltordnung wankt, wenn Chinesen oder Perser einen „Kritiker“ einsperren, die aber ihr Eigenes, ihre Identität, strikt verteidigen.

Wer die Existenz einer jenseitigen Welt ablehnt, die Scheidung von Sein und Welt zurückweist, eine Auffassung der Göttlichkeit verwirft, die auf dem Begriff der alleinigen Wahrheit und demnach auf der Abwertung des Anderen gründet, der ist seit jeher bereit, alle Götter anzuerkennen, selbst diejenigen, die ihm am meisten fremd sind, selbst diejenigen, die er niemals verehren wird, selbst diejenigen, die seiner Seele habhaft zu werden wagten. Der ist ebenfalls bereit, das Recht der Menschen zu verteidigen, sich in den Göttern ihrer Wahl wiederzuerkennen – vorausgesetzt natürlich, daß dieses Recht ihm auch gewährt wird.

Alain de Benoist, Heide sein, S.10.

Die philosophischen Geister scheiden sich schon lange in Vertreter des ontologischen Dualismus (eines Diesseits versus Jenseits) und die Befürworter des ontologischen Monismus. Benoist ist Monist. Er zieht mit keinem Wort in Erwägung, ob es Götter tatsächlich gibt. Alle Götter entspringen unserer Vorstellungswelt und menschlichen Erfahrungen, auch die Vorstellung eines gestaltlosen, abstrakten „einzigen Gottes“, den sich Wüstennomaden einst ausgedacht hatten; ihm entgegen gestaltete sich die Götterwelt der Europäer vielfältig, bunt und üppig wie unsere einheimische Natur. In ihr führen die Menschen einen oft gefährdeten Existenzkampf. Zeige mir deinen Gott, und ich sage dir, wer du bist!

Der Mensch ist Schöpfer der Natur, aber auch Schöpfer von Göttern. Er ist mit Gott verwandt, jedesmal, wenn er an die Grenzen des Besten und des Stärksten seiner selbst stößt. Mit dem – so häufig mißverstandenen – Gedanken des Übermenschen griff Nietzsche unter einem besonderen Gesichtspunkt auf diese Ansicht zurück. Sie fand in der modernen philosophischen Anthropologie (Gehlen, Portmann, Plessner) ihre wissenschaftliche Untermauerung in dem Gedanken des Menschen als Baumeister, als Erbauer seiner selbst.

Alain de Benoist, Heide sein, S. 198.

Allerdings hatte schon der christliche Renaissancephilosoph Pico della Mirandola 1494 den Menschen zum Former und Schöpfer seiner selbst erklärt. (5) Er legte „Gott“ die Worte an Adam in den Mund:

Du wirst von allen Einschränkungen frei nach deinem eigenen freien Willen, dem ich dich überlassen habe, dir selbst deine Natur bestimmen. In die Mitte der Welt habe ich dich gestellt, damit du von da aus bequemer alles ringsum betrachten kannst, was es auf der Welt gibt. Weder als einen Himmlischen noch als einen Irdischen habe ich dich geschaffen und weder sterblich noch unsterblich dich gemacht, damit du wie ein Former und Bildner deiner selbst nach eigenem Belieben und aus eigener Macht zu der Gestalt dich ausbilden kannst, die du bevorzugst. Du kannst nach unten hin ins Tierische entarten, du kannst aus eigenem Willen wiedergeboren werden nach oben in das Göttliche.

Pico della Mirandola, De hominis dignitate 1494, S.9 (Reclam).

Diese Uminterpretation der Schöpfungsgeschichte hatte allerdings keinen päpstlichen Segen gefunden. Benoist (6) würde sie vielleicht unter „heidnisch“ katalogisiert haben. Wir sehen darin, wie kompliziert die argumentativen Fronten der Geistesgeschichte oft verlaufen sind. Das Querdenken war eher die Regel als der Ausnahmefall.

Im Grundsätzlichen hat Benoist jedenfalls völlig Recht: Ideologische Weichen wurden schon vor Jahrtausenden durch die monotheistische Grundentscheidung ganz anders gestellt als in der polytheistischen Tradition Alteuropas. Ihrer religiösen Form entkleidet prägen sie unsere modernen Ideologien, und zwar entlang der Trennungslinie zwischen altheidnischem und monotheistischem Denken.

Erließe ein solitärer Gott Verbote, müßten diese für alle Menschen gelten. Gibt es aber von Volk zu Volk verschiedengestaltige Götter, mögen auch unterschiedliche religiöse und ethische Regeln gleichberechtigt existieren können. Die Behauptung nur eines einzigen Gottes zieht unweigerlich religiösen und moralischen Universalismus nach sich, der kein anderes Denken erlaubt: „Ich bin ein eifersüchtiger Gott!”

Jahwe ist der Gott, der den Anderen ablehnt. Zunächst stellt er sich über alle anderen Götter, dann hält er sie für nicht-existent. Der andere Gott existiert nämlich nicht. Er wird wie ein Gott dargestellt, in Wirklichkeit ist er lediglich ein ›Götze‹, ein falscher Gott, ein Gott ohne göttlichen Wert. Auf weltliche Ebene übertragen, scheint dieser Denkprozeß sämtliche Formen der Alterophobie (Angst vor dem anderen), sämtliche Rassenideologien, sämtliche Ausstoßungen zu rechtfertigen. Vom Begriff des als Gottheit wertlosen Gottes geht man zu dem in seiner Menschlichkeit wertlosen Menschen über und zu dem in seinem Lebenswert wertlosen Leben. Der Mensch wird mit dem anderen ebenso verfahren, wie Jahwe mit den anderen Göttern verfährt. Im biblischen Monotheismus sind die anderen die eigentliche Hölle.

Benoist S.145 f.

Die heidnische Denkstruktur

Benoist versteht sich dagegen als Heide. Damit meint er nicht, in heiligen Hainen Opfergaben darzubringen. Seine Denkstruktur ist es, die er dem alteuropäischen Heidentum entnimmt, mit Goethe ausgedrückt: „… und es ist das ewig Eine, das sich vielfach offenbart…“ Hier streitet ein Pluralismus gegen ontologischen Monismus.

Potentiell gibt es nämlich „Götter“ im Plural, soviel wir uns nur auszudenken vermögen, und – da liegt der Hase im Pfeffer – auch unendlich viele verschiedene Kulturen, Religionen, Völker und ihre jeweiligen Moralen. Benoist beschwört den Pluralismus der Ethnien, ohne den Begriff Ethnopluralismus zu benutzen. Er beinhaltet Toleranz gegenüber jedem anderen und seinen „Göttern“. Die „heidnische“ Antike kannte keine Mission, keine Religionskriege und keinen Religonshaß. Und „eifersüchtig“ war allenfalls die Göttin Hera im Olymp, wenn ihr Mann Zeus, der alte Schwerenöter, mal wieder fremdgegangen war.

Vornehmlich das alte Testament liest sich dagegen wie eine Gruselgeschichte von Moralismus, “Gottesfurcht”, Blut und Tod. Und heißt es nicht noch heute: „Trinket, das ist mein Blut?“ Benoist erweckt das vielen Christen unbekannte biblische Grauen und spickt es mit Zitaten:

Zur Vernichtung der Abgötterei scheinen in der Tat alle Mittel gut zu sein: »Völlig zerstören sollt ihr all die Stätten, an denen die Völker, welche ihr alsbald verdrängen werdet, ihre Gottheiten verehrten, auf den hohen Bergen, auf den Hügeln und unter jedem grünen Baume. Reißt ihre Altäre ein, zertrümmert ihre Malsteine, verbrennt im Feuer ihre heiligen Bäume, zerhaut ihre Gottesbilder und tilgt so ihren Namen an jener Stätte.« (7) Und sollte eine ganze Stadt ihren Göttern treu bleiben, dann wird der Massenmord zu einer frommen Pflicht.

Benoist, S. 139 f. mit Fußnotennachweisen.

Die politischen Implikationen liegen auf der Hand: Vom real existierende Monotheismus führt ein direkter Weg in den modernen Totalitarismus.

Die von Lukas wiedergegebene Äußerung Jesu: »Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter und Weib und Kinder und Brüder und Schwester und dazu auch sein eigenes Leben haßt, kann er nicht mein Jünger sein« (8), hat die Geister besonders bewegt.

Benoist, S. 150.

Bei Ungehorsam gegenüber seinen Geboten konnte der biblische Gott ziemlich rigoros werden: An den “unzüchtigen” Städten Sodom und Gomorrha verübte er aus Rachsucht höchstpersönlich göttlichen Massenmord, indem er Feuer regnen ließ (Abbildung: Schedelsche Weltchronik, 1493. Blatt 21)

Das polytheistische Heidentum hingegen läßt den ganz Anderen gelten als das, was immer er ist oder glaubt.

Der Totalitarismus stammt in seinem Wesen auch nicht von Saint-Just oder Stalin, von Hegel oder Fichte. Der Totalitarismus kommt vielmehr auf oder neigt dann dazu aufzukommen, wenn ein starres ›monotheistisches‹ System, das auf der exemplifizierenden Einmaligkeit sowie auf der beschränkenden und todbringenden Einseitigkeit gründet, »die flexible, da pluralistische, polytheistische, kontradiktorische Totalität einer organischen Verknüpfung« (Michel Maffesoli) ersetzt oder zu ersetzen droht.

Benoist, S. 156.

Es ist kein Zufall bei einem Autor wie Benoist, daß er im „Heidentum“ genau diejenigen Ideologeme, Wertmaßstäbe und Haltungen wiederfindet, die auch Grundlagen seiner rechten politischen Haltung sind:

Als es um die Bestimmung der kennzeichnenden Merkmale des Heidentums ging, wurden allgemein folgende kennzeichnende Äußerungen aufgezählt: eine äußerst aristokratische Auffassung der Person; eine auf der Ehre gründende Ethik (eher ›Schande‹ als ›Sünde‹), eine heroische Haltung gegenüber den Herausforderungen des Daseins; die Erhöhung sowie Heiligung der Welt, der Schönheit, des Körpers, der Kraft und der Gesundheit; die Ablehnung einer jenseitigen Welt; die Untrennbarkeit von Ästhetik und Moral und so weiter.

Benoist, S. 31.

Zeitschrift der Unitarier um Sigrid Hunke

Er bezieht sich in seiner Metaphysik ausführlich zitierend und anderem auf Sigrid Hunke und Herbert Böhme, beide, maßgebliche Denker der Unitarier-Religionsgemeinschaft. Man kann „Heide sein“ auch als politisch-philosophisches Manifest dieser aus freikirchlichen Gemeinden hervorgegangenenreligiösen Gruppe lesen. Das mindert nicht den Wert von Benoists brillanten Analysen des Monotheismus und seiner Gefahren. Es macht aber in Großbuchstaben deutlich: Was Benoist hier vorträgt, ist Metaphysik, ist letztlich eine Spielart von Religion.

Wie Sigrid Hunke zeigt: Im Gegensatz zu dieser Theologie der Erbsünde behauptet das Heidentum, daß der Mensch seinem Leben einen Sinn zu verleihen vermag, sofern er sich selbst gestaltet und eine seinen Grundsätzen entsprechende Existenz führt; daß er nicht von irgendeiner Erbsünde durch einen Erlöser reingewaschen zu werden braucht; daß er nicht an der Ankunft der messianischen Zeiten zu arbeiten hat; kurzum, daß er in und durch seine Handlungen, durch seine Entscheidungen und seine Werke sich selbst genügt.

Benoist, S. 240 f.

Man kann dem Satz Sigrid Hunkes über die Fähigkeit des Menschen, seinem Leben einen Sinn zu verleihen, aber voll zustimmen, (9) ohne damit religiöse Ambitionen zu verbinden. Als Metaphysiker lehnt Benoist indessen jede Erklärung menschlichen Verhaltens aus angeborenen Unterschiedlichkeiten als “naturalistisch” ab, obwohl die Genetik uns inzwischen eines Besseren belehrt.

Deshalb auch lehnen wir jegliche hauptsächlich naturalistische Auslegung der indoeuropäischen Religionen ab, um deren Kern nicht in einer Vergöttlichung der natürlichen Elemente zu ermitteln, auch nicht in einer Folge geschichtlicher, durch den Mythos verklärter Ereignisse, sondern wohl in einem ideologischen System, in einer besonderen Weltanschauung, die von vornherein allen ihren Teilen einen Sinn gibt. Unter diesem Gesichtspunkt können wir die Ansicht vertreten, daß der Mensch die Welt durch seine Weltbetrachtung schafft, daß die Seele sich einen Körper zusammenbaut, daß eine kollektive Weltanschauung eine Gesellschaft formt, indem sie sie in-formiert. Dem Naturalismus stehen wir hier vollkommen gegenüber.

Benoist, S. 198.

Dafür ist er scharf kritisiert worden. Was naturwissenschaftliche Tatsache ist, bedarf keine metaphysischen Sinndeutung, und zwar weder einer monotheistischen noch einer pantheistischen.

In den 1970er Jahren fing er einmal als dezidierter nichtchristlicher, neuheidnischer und der Biopolitik verpflichteter “Vordenker” an. Heute hört man von all solchen Dingen kaum noch etwas unter den rechristianisierten “Neuen Rechten”. […]

Wir sollten es klarer ausdrücken: Es geht hier um die Erkenntnisse der Naturwissenschaft, um das naturalistische, naturwissenschaftsnahe Menschenbild, zu dem es heute gar keine Alternative gibt, auch wenn man das gerne hätte in “neurechten”, sprich christlichen und okkulten Kreisen.

Ingo Bading: Alain de Benoist – Er hat “biologische Fragestellungen” “allzu sehr in den Vordergrund gerückt”, studgenpol.blogspot, 7.10.2015.

Das religiöse Bedürfnis

Offenbar verspüren viele Menschen aber ein religiöses Bedürfnis. Glaube vermag ein Gefühl der Geborgenheit in einer von einer sinnvollen Seinsordnung erfüllten Welt zu wecken.

Die Vernunft muß einsehen, daß sie sämtliche inneren Bestrebungen des Menschen nicht zu erschöpfen vermag. Das Bedürfnis nach Heiligem ist für das menschliche Wesen ein Grundbedürfnis, ebenso wie das Essen oder der Geschlechtsverkehr. Mircea Eliade stellt fest, daß »die Erfahrung des Heiligen eine Struktur des Bewußtseins ist« (10), auf die man nicht verzichten kann.

In diesem Sinne ist wohl zu verstehen, wenn der Quantenphysiker und Nobelpreisträger Anton Zeilinger auf die Gretchenfrage antwortete:

Als Naturwissenschaftler bin ich Agnostiker, so wie Monod (11), da kann ich nichts zur Gottes-Frage sagen. Aber als Mensch bin ich weder Agnostiker noch Atheist. Ja, für mich -und ich verstehe das nicht – war es im Leben immer evident, daß es einen Gott gibt.

Anton Zeilinger (12), Ein voll berechenbares Universum wäre eine Schreckensidee, 24.3.2023.

Man könnte das auch so ausdrücken: Der animalische Anteil am Menschen fürchtet sich davor, bloßer “Zigeuner am Rande des Universums” (Jacques Monod (13)) zu sein, und sucht verzweifelt nach einer Vaterfigur, die ihn birgt. Wissenschaftlich arbeitender Verstand bewahrt ihn aber davor, an Schutzgottheiten zu glauben. Benoist beschreibt das seelische Bedürfnis mit den Worten:

Der Mensch braucht einen Glauben oder eine Religion – wir halten hier Religion und Moral auseinander – als Ritual, als beruhigende einförmige Handlung, als Bestandteil der Gewohnheitsnetze, aufgrund derer er sich formt. Diesbezüglich gehört die in letzter Zeit aufgekommene echte Ungläubigkeit zu jenen Untergangserscheinungen, die den Menschen in dem zersetzen, was er an kennzeichnend Menschlichem aufweist. (Ist jemand, der die Fähigkeit oder den Wunsch zu glauben verloren hat, überhaupt noch ein Mensch?

Benoist, S. 24 f.

Nach diesem strengen Urteil des Autors mußte ich mich spontan durch einen Blck in den Spiegel vergewissern. Zumindest eine gewissen Menschenähnlichkeit des Rezensenten war nicht zu leugnen. Aber das heidnische Urteil Alain de Benoists fiel noch vernichtender aus:

Alle Glaubensbekenntnisse sind zwar nicht gleichwertig, aber die totale Nicht-Gläubigkeit ist noch schlimmer als jeglicher niederträchtige Glaube.

Benoist, S. 8.

Ja, so sind sie eben, unsere Gläubigen. – Jedenfalls hat der Rezensent hier den Vorteil, gänzlich unparteiisch zu sein, wenn bei Benoist die heidnischen Götter Alteuropas mit dem judenchristlichen Gott streiten. Unparteiisch heißt aber nicht, auf ein eine Beurteilung zu verzichten. Wo der Verstand urteilt, hat gewöhnlich das Herz schon lange entschieden.

Die mir aus meinem Homer seit Schülertagen vertrauten griechischen Götter habe ich mir innerlich zu eigen gemacht. „Unauslöschlich Gelächter erhoben die seligen Götter, als sie da sahen Hephaistos keuchendes Humpeln“, las ich damals in der Ilias. Im Konfirmandenunterricht hörte ich dann von jenem eifersüchtigen Gott mit seinen nervenden Geboten und Verboten, las „seine“ Bibel mit der Geschichte, wie Jahwe dem Abraham die Opferung des Sohnes Isaak befahl und schließlich seinen eigenen Sohn ans Kreuz schlagen ließ. Mein Herz hat sich schon damals entschieden, welche Götter meinem innersten Wesen und Bedürfnis entsprechen und welche ich abscheulich finde.

Damit bin ich Heide im Sinne Benoists. Ja, ich empfinde eine emotionale Leerstelle, ein leises Bedauern, daß die Götter meiner Ahnen niemals real existiert haben. Aber ich bin stolz auf sie, daß sie mit Wotan und Donar, mit Ziu und Freija so wunderbare Vorstellungen erschaffen haben, die bis heute viele Menschen faszinieren und inspirieren. Wenn ich jetzt im Frühling durch einen Laubwald gehe und zu einer leisen Quelle komme, höre ich die Götter meiner Ahnen leise in den Blättern flüstern und raunen.

(1) Anm. Benoist: Claude Tresmontant, Les idées maîtresses de la métaphysique chrétienne, aaO., S. 83.

(2) Anm. Benoist: Paracelsus, Das Buch von den natürlichen Dingen, 9, S. 219.

(3) Anm. Benoist: Angelus Silesius, Cherubinischer Wandersmann, Wiesbaden 1949, I,

82.

(4) Homer, Ilias, 1.Gesang, 599: “Unauslöschlich Gelächter erhoben die seligen Götter ….”

(5) Siehe bereits Klaus Kunze, Die kollektivistische Sozialreligion, Blogbeitrag vom 1.5.2020.

(6) Benoist kennt die Zitatstelle auch, siehe S.242.

(7) Deuteronomium 12, 2–3.

(8) Lukasevangelium 14,26.

(9) Vgl. etwa Klaus Kunze, Mut zur Freiheit, 1995, Kapitel Determinismus und teleologisches Denken.

(10) Mircea Eliade, Gespräch mit Le Monde-Dimanche, 14. September 1980.

(11) Zu Jacques Monods Standpunkt siehe im einzelnen mit Nachweisen; Klaus Kunze, Die Geburt des kosmischen Bewußtseins aus dem Geist der Aufklärung, Blogartikel vom 22.11.2019.

(12) Anton Zeilinger, Ein voll berechenbares Universum wäre eine Schreckensidee, Interview mit Christian Wehrschütz, in: Perry-Rhodan-Journal 200, Beilage zur Perry-Rhodan-Serie, hier Heft 3214 vom 24.3.2023, S. 6 ff. (12).

(13) Siehe Zitatnachweise K. Kunze a.a.O

Dieser Beitrag erschien zuerst auf der stets lesenswerten Seite von Klaus Kunze:

http://klauskunze.com/blog/2023/04/28/5704/

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Klaus Kunze, Staatsfeind Liberalismus

Soeben erschienen: die Generalabrechnung mit der Ideologie des Liberalismus von Klaus Kunze. Hier findet man die Inhaltsangabe und die Bestellmöglichkeit.

Klaus Kunze

Klaus Kunze, seit 1984 selbständiger Rechtsanwalt in Uslar, von 1970-71 Herausgeber eines Science-Fiction-Fanmagazins, von 1977 bis 1979 Korrespondent der Zeitung student in Köln, seit 1978 diverse Beiträge in genealogischen und heimatkundlichen Fachzeitschriften, seit 1989 Beiträge für politische Zeitschriften wie u. a. die Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT

Autor der Bücher:

Klaus Kunze, Die solidarische Nation

Klaus Kunze: Die solidarische Nation. Wie Soziales und Nationales ineinandergreifen. Gebundene Ausgabe, 206 Seiten, Preis: 19,80 Euro ist hier erhältlich: https://lindenbaum-verlag.de/produkt/die-solidarische-nation/

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Die beiden Druckausgaben unserer Zeitschrift sind noch erhältlich:

16 Kommentare zu „Alain de Benoist: Vom Polytheismus zum Ethnopluralismus – wir fröhlichen Heiden

  1. Der Text ist mir viel zu stark verallgemeinernd. Es gibt riesige Unterschiede zwischen Neuheiden und dem Altheidemtum, dem ich mich zugehörig fühle. Es ist auch nicht gesagt, daß es die Götter so nie gab, nur weil das einer in seinem Buch schreibt.

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  2. Eine Korrektur bzw. vielmehr eine Aktualisierung, die ich als paganistischer Unitarier unbedingt tätigen muss: Die „Unitarier – Religionsgemeinschaft freien Glaubens“ haben sich bereits in den 80er Jahren von den Grundgedanken Sigrid Hunkes abgewandt, zugunsten eines globalistisch-liberalen Verständnisses, weswegen sie auch das „Deutsche“ aus ihrem Namen gestrichen haben. Die Grundgedanken Hunkes leben heute stattdessen im „Bund Deutscher Unitarier – Religionsgemeinschaft europäischen Geistes“ (BDU) weiter.

    Widersprechen muss ich ebenfalls, wenn Herr Kunze behauptet, dass die Götter „real niemals existiert haben“. Was ist in der Welt der Spiritualität „real“? So nimmt Herr Kunze eine atheistische Behauptung vorweg, deren Wahrheitsbestand er gar nicht zu prüfen imstande ist, was seinerseits den Charakter eines (a)religiösen Postulats aufweist. Aus unitarischer Auslegung sind die heidnischen Götter Symbolbilder der göttlichen Kraft in der Natur, in all ihrem Widerstreiten und ihrem Lebenskampf, in dem und mit dem sie doch eine natürliche Ordnung schaffen. Das ist alles andere als „irreal“, sondern sogar tagtäglich um uns herum sichtbar!

    Und hier liegt auch der nächste Irrtum Kunzes: Der unitarische Paganismus macht Gott alles andere als irrelevant – im Gegenteil. Er zeigt erst seine eigentliche Relevanz auf, indem er das Göttliche als etwas sieht, was uns alle verbindet, als eine Energie und ein Potenzial, das in jedem von uns steckt und das es zu entflammen gilt. Das ist doch nicht „irrelevant“! Das ist sogar die höchste Form der Relevanz. Mehr als das geht nicht.

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  3. „In der Welt der Spiritualität“ gibt es natürlich keine Realität, ebenso wenig wie in einem Traum. Allerdings gibt es den Spiritus (griechisch psyche) nur in unseren Köpfen. Wer klar im Kopf ist, durchschaut das. ein solcher schlauer Kopf war schon im 6. Jahrhundert v.Chr. Herodot von Halikarnassos. Er schrieb in seinen Neun Büchern der Geschichte (2.Buch, 53): „Ich glaube, Hesiod und Homer haben nur vierhundert Jahre vor mir gelebt, nicht früher. Diese aber sind es doch, die den Hellenen ihr Göttergeschlecht geschaffen, ihnen ihre Namen gegeben, die Ämter und Tätigkeiten unter ihnen verteilt und ihre Gestalten beschrieben haben.“
    Gegenüber diesem klaren Blick auf die Realität gibt es anscheinend heute noch Leute, die auf der primitivsten Stufe der Religiosität stehengeblieben sind (dem Animismus), eine dualistische Ontologie (Diesseits / Jenseits) vertreten und im Jenseits irgendwelche Seelen, Geister, Spiritus und dergleichen Spukgestalten vermuten. Wenn sie diese, statt sie in ein Jenseits zu verlegen und damit scheinbar argumentativ unangreifbar zu machen, in ein panpsychistisches Verständnis der Welt retten (beseelt sind Bäume, Quellen, alle Wesen etc.), erreicht die Groteske ihre Klimax. Solche Phasmagorien waren unserer steinzeitlichen Vorfahren würdig (vor 10000 Jahren mal ein brillianter Einfall), lesen sich in Indianergeschichten (Der Große Geist ist überall) ganz nett, wirft aber heute ernsthaft die Frage nach dem Zustand eben der Psyche (s.o.) auf. Ob ich mich für Napoleon halte, für eine Frau oder für den Inhaber eines göttlichen Geistes, ist nur ein gradueller Unterschied.
    Jedenfalls ist es grundsätzlich unmöglich, rational mit jemandem zu diskutieren, der in allen Menschen und allem was da lebt und webt spiritualistische Spukgestalten am Werk sieht, gerade wenn er diese für seine Götter und sich selbst für göttlich inspiriert (lat.: in-spirare: vom Geist besessen sagte man früher dazu) hält.
    Bedauerlicherweise ist ein relevanter Teil der deutschen Rechten und Konservativen hoffnungslos esoterisch verseucht und damit politikunfähig.

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  4. Herr Kunze, Sie müssten sich schon entscheiden. Wenn Sie Heide auch im Sinne Benoists sein wollen, dann können Sie nun wirklich schwerlich heidnische Vorstellungen von Göttlichkeit im selben Atemzug implizit als geisteskrank brandmarken. Damit betreiben Sie liberalen Rationalismus, wie man ihn heute vom linken Mainstream kennt, und arbeiten damit bewusst oder unbewusst jedem übergeordneten Sinnzusammenhang, wie eine rechte Vision ihn braucht, entgegen. Einen Schritt weiter gedacht könnte man fragen, ob Sie nicht unbewusst von der Geisteshaltung der Postmoderne geprägt sind, ohne es zu merken.

    Man merkt auch, dass Sie wesentliche Elemente unitarischen Denkens überhaupt nicht verstanden haben, wenn Sie hier von „Beseelung“ von Bäumen reden. „Seele“, ob es sie nun gibt oder nicht, ist nicht gleichbedeutend mit Göttlichkeit. Es ist ja gerade der Charakter des Göttlichen, eine All-Einheit darzustellen und sich eben nicht in Millionen von Einzelseelen aufsplitten zu lassen. Das sind vulgär-pantheistische Vorstellungen, an denen Sie sich da abarbeiten. An jedem Ihrer Sätze merkt man einen ursprünglich wohl christlichen „bias“, der dann von der rationalistisch-atheistischen Postmoderne geentert und mutiert wurde. Weder das eine noch das andere schafft aber ein Verständnis für heidnisches Denken. Bücher, die man im Kern nicht verstanden hat, sollte man aber besser nicht besprechen. Und erst recht sollte man dann nicht auch noch Urteile über die „Politikfähigkeit“ anderer Leute fällen.

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    1. Natürlich bin ich kein „Heide im Sinne Benoists“. Sein für uns gemeinsamer Wert besteht darin, daß wir denselben Gegner haben: das monotheistische Religionsverständnis mit all seinen weltlichen Ablegern. In Benoists Kritik an diesem Gegner sind wir uns alle einig.
      Ebenso wie Benoist notwendigerweise auf die Grundideen des Monotheismus zu sprechen kommen muß, um ihn mitsamt seinen Ablegern und Epigonen zu widerlegen, muß auch eine Kritik an Benoists eigener Metaphysik gerade da grundsätzlich werden, wo er diese Grundlagen nicht klar ausspricht. Die ganze panpsychistische und pantheistische Ideenfamilie ist seit der frühen Neuzeit von Philosophen und Theologen durchdekliniert worden. Sie muß nicht mehr widerlegt werden, weil sie das schon sehr lange ist.
      Wer „das Göttliche als All-Einheit“ auffaßt, verortet es jedenfalls nicht außerhalb des Universums, sondern als dessen integraler Bestandteil. Ein „Gott“, der integraler Bestandteil des Alls ist, kann dieses aber nicht geschaffen haben. Worin soll dann seine Göttlichkeit bestehen?
      Und wer ihn gar nicht als Person auffaßt, macht ihn als Weltenlenker oder -schöpfer ebenso praktisch irrelevant wie als normgebende Instanz. Wer schlechthin alles „Gott“ nennt, entkleidet das Göttliche aller Attribute und macht es damit argumentativ überflüssig.
      Mir ist alles sympathisch, was Benoist schreibt. Ich teile seine Denkinhalte weitgehend, aber nicht seine metaphysische Denkstruktur. Meine Werte befinden sich als meine Denkerzeuge hübsch sortiert n meinem Kopf und wabern nicht als quasi göttliche Funken durch die „All-Einheit“. Auch bin ich nicht von etwas Göttlichem beseelt oder sonst von etwas Geistigem besessen, sondern denke bescheiden nur für mich.

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      1. Es wird nicht besser. Benoist spricht es vielleicht deswegen nicht klar aus, weil a) sein Buch sich primär an politische und nicht religiöse Adressaten richtet und b) er innerhalb seines Buches eben auf die spirituell klareren Ausarbeitungen anderer – etwa Sigrid Hunkes – verweist. Insofern muss er das ja gar nicht alles nochmal selbst aufschreiben. Nur: Als Rezensent sollte man das dann doch gelesen und verstanden haben.

        Und es tut mir leid: Sie machen auch mit diesem Kommentar wieder deutlich, dass zumindest letzteres bei Ihnen nicht der Fall ist. Denn: Der Punkt, an dem Pantheismus mit wissenschaftlichen Erkenntnissen kollidierte, ist lange, lange vorbei. Genau das macht ja Neuheidentum / Neopaganismus aus, nämlich dass er imstande ist, mit aktuellen Erkenntnissen zu harmonieren. Ein Buchtipp dazu, der im unitarischen Umfeld recht beliebt ist und genau diese Frage fundiert klärt: „Ökologische Religion“ von Hubertus Mynarek. Und von Sigrid Hunke nicht zuletzt: „Glauben und Wissen – Die Einheit europäischer Religion und Naturwissenschaft“. Darin wird das Verhältnis heidnischen Glaubens und der Wissenschaft akribisch beackert. Das sollte man dann erst einmal entkräften können, bevor man sich so weit aus dem Fenster lehnt.

        Ihre Frage allein zeigt auf, wie rationalistisch Sie denken, was wiederum Ihre Ablehnung erklärt. Sie sind schlicht und einfach ein Atheist – der aber, ohne es selbst zu merken, immer noch in monotheistischen, vermutlich entsprechend ansozialisierten Bahnen denkt. Religionspsychologisch ist das gerade faszinierend. Sie schreiben: „Ein „Gott“, der integraler Bestandteil des Alls ist, kann dieses aber nicht geschaffen haben. Worin soll dann seine Göttlichkeit bestehen?“

        Merken Sie nicht Ihre Gedankenfalle? Alleine „Gott“ mit „Schöpfer“ ohne zu hinterfragen gleichzusetzen, ist ja schon eine monotheistische Prämisse. Wir sprechen nicht umsonst vor allem vom „Göttlichen“ und glauben an den göttlichen Ur-Grund ebenso wie an den faustischen Menschen. Selbst ist der Mensch – und selbst ist das Göttliche. „Das Universum“ ist göttlich, und gerade deswegen BEDARF es keines äußeren „Schöpfers“. Legen Sie Ihren gedanklichen Dualismus ab, wenn Sie es verstehen wollen, sonst wird das nichts. (Am liebsten will man anfügen: Mein Gott!)

        Gerade deswegen ist das Göttliche eben NICHT überflüssig, sondern offenbart erst seine wahre Macht und sein wahres Vorbild, und dadurch seine normative Kraft, indem es eben unsere eigene Verantwortung darlegt (Stichwort: Verantwortungsdemokratie nach Hunke, nachzulesen im „nach-kommunistischen Manifest“). Und hierin liegt auch die Harmonie mit der Wissenschaft, denn: Schauen Sie sich mal an, wie die Natur funktioniert. DNA. Genetik. Evolution. Fünf Finger an jeder Hand und ein daraus generiertes mathematisches System. In all diesen natürlichen und doch so stimmigen Prozessen liegt eine allumfassende Intelligenz und Ordnung. Eben die Gottes. Aber aus sich selbst heraus, ohne äußere, dualistische und primitive „Schöpfungsmythen“. Und absolut wissenschaftlich.

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  5. In der Gedankenfalle sitzen Sie, nicht ich. Auf der Falle steht das Wort „Gott“. Sie schreiben: „Selbst ist der Mensch – und selbst ist das Göttliche. „Das Universum“ ist göttlich.“
    Ein Attribut „göttlich“ ist aber sinnlos und sinnleer ohne ein Substantiv oder Subjekt „Gott“.
    Mit dem Attribut göttlich implizieren Sie bereits Gott und setzen sich dabei der bekannten Kritik aus.
    Alles, was Sie über das Funktionieren des Natürlichen und die Wissenschaft schreiben, teile ich inhaltlich vollständig. Ihr verzweifeltes Bemühen aber, das Etikett „Gott“ daraufkleben zu wollen, geht ins Leere.
    Während sie zunächst schreiben, das Universum bedürfe keines äußeren Schöpfers, weil es selbst göttlich sei, benötigen Sie am Ende Ihrer Zeilen doch wieder Gott als „allumfassende Intelligenz“. Ihre Argumentation scheint darauf hinauszulaufen, dieser habe sich „aus sich selbst heraus“, also selbst, geschaffen oder erzeugt und soll anscheinend mit dem Kosmos identisch sein. Als „allumfassende Intelligenz“ hat er sich also selbst erschaffen?
    Wie aber konnte die allumfassende Intelligenz sich selbst erschaffen, ohne vorher schon als solche existiert zu haben?
    Das ist nicht „absolut wissenschaftlich“, es ist Irrationalismus.

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  6. Man merkt, Sie sind Jurist. Ganz tief im Denken nach Schemata, nach von anderen vorgefertigten Gerüsten. Alles folgt vorgegeben Mustern eines (in diesem Fall religiösen) „Gesetzgebers“, den man aber noch nicht mal als solchen erkennt, weil man, ohne es zu merken, selbst zu tief im „System“ steckt und seinen eigenen blinden Fleck nicht reflektiert und erkennt. Hier bräuchte es das, was Luhmann Beobachtung zweiter Ordnung nannte.

    Ich lehne das Wort „Gott“ ja nicht ab bzw. Unitarier tun es nicht. „Das Göttliche“ als Begriff ermöglicht nur, sein Charakteristikum besser zu fassen, eben weil sich durch die Monotheismen eine allgemeine Assoziation von „Gott“ herausgebildet hat, die personalisierend und dualistisch und sich stets auf „jemanden“ bezieht, der außerhalb des Diesseits steht und es erschaffen haben soll. Neue Begriffe oder begriffliche Abwandlungen hingegen ermöglichen eine Art kognitive Emanzipation von solchen über Jahrhunderte verfestigten Assoziationen. Drehen Sie den Gedanken doch einfach mal um. Ich sage: Das Wort „Gott“ ist sinnlos und leer, ohne genauer zu benennen, was denn „göttlich“ ist.

    Ich muss da gar kein Etikett drauf kleben, und ich bin alles andere als verzweifelt. Ich muss nichts etikettieren, was bereits da ist. Ich muss es nur erkennen. Sie hingegen folgen dem atheistisch-postmodernen Hype des Konstruktivismus, indem sie alles Metaphysische als menschengemacht (sozial konstruiert) darstellen. Damit sind Sie dem linksliberalen Mainstream viel näher als Sie glauben.

    Und ja, so kann man das sagen: Alle wahrhaftige Göttlichkeit speist sich aus sich selbst, erzeugt sich selbst und verbreitet sich selbst (Autopoiesis in der Systemtheorie). Das ist sehr wissenschaftlich, denn genau diese Art der allumfassenden Entwicklung, Selektion und Ausdifferenzierung ist eben auch das, was Evolution ausmacht. Genau so funktioniert Natur.

    Allein die Vorstellung dagegen, Gott würde etwas schaffen, was dann selbst nicht göttlich sei, sondern irgendwie weltlich-verdorben, „Jammertal“, erbärmlich, sündig oder leidvoll, ist doch schon an sich unlogisch und dualistisch-erniedrigend. Wieso überhaupt sollte ein „Gott“ sowas tun? Finden Sie DAS etwa wissenschaftlich? Allein dieser „Schöpferbegriff“, der das Jenseits verherrlicht und das Diesseits und den Menschen erniedrigt, ist der Kern der orientalisch-verwurzelten Selbsterniedrigung des Menschen vor einem autoritären Gott. Und ohne es zu merken sind Sie immer noch gefangen in dieser Sichtweise.

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    1. Wir sind uns über den gemeinsamen Gegner, „der orientalisch-verwurzelten Selbsterniedrigung des Menschen vor einem autoritären Gott“, völlig einig.
      Ich möchte diese Art eifersüchtigen Gott aber auch nicht eintauschen gegen einen Gottesbegriff, der nichts Greifbares bietet außer einem gefühlvollen Nebel leerer Worte. Das gilt selbst dann, wenn ich diese Gefühle inhaltlich verstehe oder teile.
      Personalisierende Gottesvorstellungen kamen auf, als man zur Absicherung moralischer Normen und weltlicher Herrschaftsansprüche eine normgebende Instanz benötigte und diese in einem weit im Jenseits entrückten Gott sah, dessen Gebote unerforschlich und nur durch Priester verkündet wurden. Diese dualistische (Jenseits / Diesseits) Vorstellung wurde seit der frühen Neuzeit angegriffen und zweifelhaft. An ihre Stelle traten monistische Anschauungen, von denen Sie eine seit Ende des 17.Jh. aufgekommene vertreten. Monismus erreichte man entweder, indem man das ganze All pantheistische mit „Gott“ identifizierte, wie Sie offenbar, oder panpsychistisch, indem man es als allseits beseelt auffaßte. Damit sind wir bei den Gespensterchen, über die ich mich schon vor ein paar Tage belustigt habe.
      Ihre Variante des Monismus ist mit einer Vergöttlichung und damit Aufwertung der Natur (gegenüber der scholastischen Abwertung des „Diesseits“ gegenüber den „höheren“ Spären des Jenseits) verbunden. Indem Ihr Naturbegriff aber mit einem numinosen Göttlichen zu einem All-Einen verschmilzt, eignet er sich nicht mehr dazu, als normgebende Instanz zu fungieren, was ihn für die traditionellen Kirchen unbrauchbar machte. Er eignet sich auch nicht als Gegenstand einer Anbetung – Soll ich mich als Teil des All-Einen selbst anbeten? Und er ist ontologisch völlig unbrauchbar, worauf ich schon hingewiesen habe, weil er sich in Widersprüche bei der Frage verwickelt, ob sich das Alleine denn vielleicht selbst geschaffen habe, und wenn nicht, was an ihm denn dann das spezifisch Göttliche wäre.
      „Alle wahrhaftige Göttlichkeit speist sich aus sich selbst, erzeugt sich selbst und verbreitet sich selbst“. Möchten Sie sich argumentativ hinter den Urknall zurückziehen? Ihre zitierte Behauptung enthält zwei unbewiesene Annahmen: Es gebe etwas Göttliches, und ein Etwas könne sich selbst erzeugen. Nicht offenkundig ist auch der logische Nexus: Woher wissen Sie, daß es Merkmal des Göttlichen ist, sich selbst zu erzeugen, und woher wissen Sie, daß etwas, das sich selbst erzeugt, göttlich ist?
      Ich folge keinem „atheistisch-postmodernen Hype des Konstruktivismus, indem ich alles Metaphysische als menschengemacht“ bezeichne. Pantheismen wie der von Ihnen geglaubte wurden schon vor 300 Jahren als Physikotheologie vertreten, konnten sich aber nicht durchsetzen, weil eine auf das Physische setzende Naturwissenschaft keine inhärente Theologie benötigte. Die Kritik an pantheistischen und physikotheologischen Hypothesen ist so alt wie diese selbst und keineswegs erst postmodern oder konstruktivistisch. Wer sein Weltbild auf Fiktionen aufbaut, braucht nicht lange auf Leute zu warten, die das ihre auf andere Fiktionen gründen, bis jemand bemerkt, daß alle Fiktionen Denkprodukte sind.

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  7. Nein, ich vertrete nicht eine seit dem 17. Jahrhundert aufgekommene Anschauung, sondern ich vertrete eine, die es, wenn auch ursprünglich in äußerlich anders erscheinender Form, seit Jahrtausenden gibt. Wieder ein Buchtipp: „Europas eigene Religion“ von Sigrid Hunke, in dem diese genau diese Kontinuitätslinie geradezu akribisch religionswissenschaftlich nachweist. Und übrigens wiederum von einer Autorin, die auch Benoist sehr schätzt. Wer Hunke ablehnt, sollte dann nicht Benoist loben. Das passt nicht zusammen und dagegen würde er sich wohl auch wehren.

    Sie können sich gerne belustigen. Damit zeigen Sie nur wieder Ihren rationalistischen Atheismus, der – doch – sehr wohl postmodern ist. Gar nicht mal so sehr, weil er Gottesvorstellungen anzweifelt; das gab es in der Tat schon vor Jahrhunderten. Neu und explizit postmodern ist aber die rationalistische Herablassung dabei, in der immer irgendwie, im Bewusstsein, sich damit im gesellschaftlich Etablierten zu bewegen, ganz überlegen mitschwingt, man „wüsste“ es ja besser. Das tun Sie aber nicht. Sie wissen über die Ursachen der kosmischen Entstehung nicht mehr als jeder Monotheist oder Pantheist.

    Und erneut zeigen Sie wieder Ihre monotheistischen Denkmuster: „Er eignet sich nicht als Gegenstand der Anbetung.“ Wer sagt denn, dass Gott immer „angebetet“ werden muss? Allein hinter dieser Prämisse versteckt sich schon wieder der orientalisch verwurzelte Akt der Unterwerfung. Wiederum: Ihr Gefangensein in alten Glaubensmustern, die Sie dann rationalistisch abwehren müssen, weil es nicht mehr in die Zeit passt. Doch sowohl die monotheistischen Affekte als auch Ihre rationalistischen Abwehrreaktionen sind nur Zeugnisse eines inneren Kerkers.

    Wieso auf den Urknall „zurückziehen“? Darauf muss man sich nicht zurückziehen, sondern gerade das ist einer der Punkte, an dem die Harmonie unitarischen Glaubens mit den Naturwissenschaften deutlich wird. Das ist kein Rückzug, das ist Erkenntnis.

    Und bitte, BITTE, tun Sie mir einen Gefallen: Kommen Sie mir jetzt nicht mit Adjektiven wie „unbewiesen“ oder Fragen, die mit „Woher wissen Sie überhaupt, dass…“ beginnen. Das sind jetzt wirklich Diskurse auf dem Niveau von Religionsunterricht in der Mittelstufe. Solche Debatten habe ich gefühlt hundertmal mit anmaßenden Atheisten geführt, die missionarischer waren als es manch Christ je sein könnte. Ein für allemal: Wir bewegen uns hier in der Sphäre des GLAUBENS. Da ist per se alles „unbewiesen“, denn sonst wäre es ja eben kein „Glauben“, sondern „Wissen“. Und ich „weiß“ es natürlich nicht, denn sonst müsste ich ja nicht „glauben“. Das sollte bei alldem klar sein. In systemtheoretischen Begriffen gesprochen: Beides – Wissenschaft und Religion – sind voneinander differenzierte soziale Systeme. Wenn Sie das durcheinander werfen, dann können Sie demnächst auch einem Manager vorwerfen, dass er kein Hochschulprofessor ist, oder andersherum. Oder einem Journalisten, dass er nicht Politiker ist, oder andersherum.
    Wenn ich sage, ich glaube an etwas, dann postuliere ich damit eben kein „Wissen“. Ebenso wenig wissen übrigens Atheisten mehr als Gläubige, auch wenn sie dauernd so tun, als wäre das anders.

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  8. Schön, dann sind wir bei der Frage angelangt: Wozu glauben?
    Alle suchen wir doch gern „Erkenntnis“, das heißt wir möchten vor jeder Ecke wissen, was hinter ihr liegt. Das führt natürlich zum infiniten Regreß. Wir können nicht alles wissen und erfahren.
    Was nun? Hier scheiden sich die „Geister“: Die einen glauben eben irgend etwas ihnen Sympathisches, die anderen zucken die Achseln und sagen: Dann weiß ich es eben nicht und werde es wohl auch nie erfahren.
    Sie „glauben“ irgend etwas – was, ist inhaltlich von Ihnen bisher nur vage angedeutet worden – und halten es damit für wahr. Ich halte dagegen für wahr, was ich weiß. Damit erfüllt das Glauben für sie dieselbe Funktion wie für mich das Wissen. Und wenn Sie zugeben, daß Sie etwas nicht wissen, sondern nur glauben: Warum glauben Sie es dann? –
    Wissenschaftliches Denken stellt dann gern Hypothesen auf, die es plausibel finden mag, bis sie durch neue Fakten widerlegt sind. Irgend etwas in diesem Moment aber zu glauben, also für „wahr“ zu halten, obwohl es nichts als eine Hypothese ist, begründet dogmatischen Denkstil. Dieser glaubt ins Blaue hinein irgendeine Fiktion und verteidigt sie gegen jeden Zweifel.
    Darum sehe ich im Glauben prinzipiell keinen tauglichen Erkenntnismodus. –
    Hinzu kommt, daß das Angebot als Glaubensdogmen unübersehbar ist. Glaubensinhalte sind erkennbar geprägt von dem, der sie sich ausdenkt, also nur Produkte flüchtigen menschlichen Denkens. Wozu soll ich an die Inhalte irgendeiner Religion oder Metaphysik glauben, das sie sich doch ständig gegenseitig widersprechen? –
    Schließlich sollte ein Glaube, um attraktiv zu sein, wenigstens in sich widerspruchsfrei sein, nicht mit allgemein bekannten Tatsachen in Widerspruch stehen und gedanklich einigermaßen kohärent sein. Das ist bei der nebligen Idee eines „All-Eins“, dessen nähere Eigenschaften zum staunenden Zuhörer überlassen bleiben, leider nicht der Fall. Es scheint eine Art Mysterium zu sein, vergleichbar antiken und christlichen Mysterien. Vielleicht gibt es ja nicht bloß ein All-Eins, sondern All-Zwei, -Drei oder viele? Wer weiß? Wenn alle Alls sich selbst gebären, weil das zu ihren Fähigkeiten gehört, sind ihrer Zahl keine Grenzen gesetzt. Aus dem Universum würde ein Multiversum.

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    1. Dann vergessen Sie aber bitte nicht den Unterschied zwischen Agnostikern und Atheisten. Mit ersteren – also den „Schulterzuckenden“ – kann ich leben. Mit letzteren, die ihren Nichtglauben manchmal wie eine Monstranz vor sich her tragen und allen Andersdenkenden fast militant die Ratio absprechen, kann ich oft weniger gut leben.

      Ja, tut mir leid, mehr als „vage“ andeuten kann man in diesem begrenzten Rahmen hier nun auch nicht, und – Herr Olles spricht es an – auch meine Zeit ist begrenzt. Meine Richtung der Spiritualität wurde hinreichend andernorts von besseren Autoren detailliert dargelegt. Ich habe darauf jetzt mehrfach hingewiesen. Mehr kann ich hier dann auch nicht tun.

      Und nochmal: Der unitarische Glaube steht nicht im Widerspruch zur Wissenschaft. Ich habe die Buchquellen, die das nachweisen, bereits genannt. Man kann sich den Glauben hier wie eine Flüssigkeit vorstellen, die die Lücken zwischen den harten, steinigen Fakten füllt, solange bis neue Fakten erkannt werden. Dann geht die Flüssigkeit eben dorthin, wo noch Leerstellen sind, und weicht den neuen steinigen Fakten, anstatt sie zu blockieren. Aber deswegen wird sie weder verkehrt noch per se irrational, sondern sie stimuliert auch zu neuen Ideen und schafft innere Resilienz.

      Ich glaube (!), dass die Suche nach etwas Höherem oder Metaphysischem tief im Menschen verankert ist und übrigens auch Gegenstand jeden Fortschritts ist, solange der Glaube keine anti-wissenschaftlichen Züge annimmt. Wer hingegen ständig postuliert, er wüsste schon alles, wird die Menschheit vermutlich nicht sonderlich voranbringen. Ehrlicher Glaube gesteht ja gerade ein, dass er auch nur Glaube ist. Ich halte etwas für wahr, gestehe aber zu, dass ich es nicht belegen kann. So gesehen eine Hypothese, an der aufgrund (bislang) fehlender Instrumente erst einmal nicht weiter geforscht werden kann. Wer deswegen dann aber sagt: „Dann glaub ich lieber gar nix“, ist aus meiner Sicht kognitiv ziemlich verschlossen, weil fantasie- und oft gefühllos.

      Klar, erst einmal wirkt vieles für Außenstehende zunächst „fiktiv“ (wenn auch eine subjektiv gefühlte und erfahrene Fiktion und nicht nur eine rein kopfmäßige, wie etwa das Schreiben eines Romans). Aber was ist daran verkehrt, wenn es seine Funktion erfüllt, psychosozial und für andere? Glaube hat schon zu vielen Verbrechen geführt, aber er gibt auch vielen Menschen Kraft und Vertrauen, wie ich aus vielfacher persönlicher Erfahrung weiß. Es gibt Menschen, die trotz größter Gebrechen Höchstleistungen in verschiedenen Gebieten erbringen, weil sie Gottvertrauen haben und ihnen das Kraft gibt. Glauben Sie wirklich, dass Sie das Recht haben, darüber die Nase zu rümpfen oder sich darüber lustig zu machen?

      Mir sind Menschen am sympathischsten, die noch staunen können. Für die die Summe mehr ist als ihre Teile. Die zynischen, abgeklärten, die immer schon alles gesehen haben, die immer nur müde lächeln – also im Grunde das Milieu, was heute gefühlt den Mainstream bildet – widern mich mittlerweile regelrecht an, wegen ihrer Anmaßung, ihrer Arroganz, ihrer Beschränktheit, und wegen ihrer Unfähigkeit zu erkennen, dass sie eigentlich nicht anders sind als die, die sie als ihre Feindbilder sehen.

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  9. Ich habe mich lange nicht so gut unterhalten gefühlt wie bei der Lektüre der Kommentare, die man irgendwo zwischen Esoterik, Folklore und Dadaismus verorten könnte. Mal ganz abgesehen davon, daß Sie ja offenbar unheimlich viel Zeit zur Verfügung haben müssen, um diese ungleublich relevante „Debatte“ zu führen, stellt sich für einen römisch-katholischen Sedisvakantisten natürlich die Frage, wie man es überhaupt wagen kann von Intellektualität zu sprechen, wenn man die Dialektik von Glauben und Wissen nicht verstanden hat.
    Man kann sich mit dem verstorbenen französischen Philosophen Guillaume Faye über das naive, billige Heidentum und seine „entmündigenden Obsessionen“ lustig machen und mit Nietzsche die Konsequenz ziehen: Gott ist tot und die Menschheit vom Zentrum ins Nichts gerollt. Der große kolumbianische Reaktionär Gómez Dávila lehrte uns, daß Religion die Erfahrung einer radikalen Anderartigkeit ist, und der Begriff Gottes nur als absoluter Gegensatz zu allem Menschlichen und Weltlichen überhaupt einen Sinn hat. Insofern ist es auch falsch zu sagen, daß der Mensch Gott denkt, da er ja unter diesem Begriff gerade meint, was seinen Geist übersteigt, während etwas das unseren Geist nicht übersteigt als göttlich zu bezeichnen reine Vergötzung ist. Der Fromme ist bei Dávila immer zugleich Skeptiker. Aus der Erfahrung, daß seine Vernunft nicht ins Letzte von Welt und Dasein eindringen kann, wächst sein Glaube. Von einem solchen Gott, der die nur im Gebet erfahrbare Andersartigkeit ist, läßt sich jedoch positiv nicht reden, er läßt sich nicht inhaltlich bestimmen. Dávila hält dann auch den Neger, der in seinem Schrank irgendeinen Fetisch hat, für unendlich klüger als den modernen Atheisten. Wobei die meisten unserer ach so aufgeklärten und studierten Zeitgenossen nicht einmal den Unterschied zwischen Atheismus und Antitheismus kennen.
    Weil der Katholizismus für ihn nicht naiv die einzig wahre Form des Glaubens darstellt, gibt es auch keinen Grund für Abstriche in Liturgie und Dogmatik. Denn wenn alle Religion nur menschliche Form der Annäherung an ein Unmenschliches ist, dann ist gerade in religiöser Hinsicht eines wichtiger als alles andere: Daß die Form gewahrt bleibt. Im Übrigen war Dávila der Auffassung, daß die Geschichte keinen Zweck sondern ein Ende hat.
    Benoists „Heide sein“ las ich bereits vor vierzig Jahren und war ziemlich begeistert über diese „tranzendentale Erfahrung“. Inzwischen denke ich, daß es vollauf genügt hätte Sigrid Hunke zu lesen, die viel tiefer in die Mysterienspieel des Paganismus eingetaucht ist und eine viel genauere Erfassung von dessen historischen Bezügen und geistig-sinnlicher, epistemologischer Eschatologie hatte. Tatsächlich existiert der Mensch in einer Schöpfungs-Ordnung, nicht außerhalb derselben, in der Einheit eines Sinn-Ganzen, in dem er eine bestimmte Stelle einnimmt, er vollzieht seine Existenz in einem Seinsbereich, den er aufgrund seines unwandelbaren Wesens weder überschreiten noch unterschreiten kann; er kann sich weder zu einem reinen Geist hinaufentwickeln noch zu einem Tier herunterentwickeln, weil er kategorial aus keinem dieser Bereiche stammt, weder durch Emanation noch durch Auszeugung. Diese Erkenntnis bezeichnet wohl den entscheidenden Unterschied zwischen Heidentum und Christentum. Daß die Erkenntnispotenz des heutigen Menschen, der sich slbstbewußt für aufgeklärt hält, ungemein verengt, eingeschränkt und nur noch auf zeitliche Dinge fixiert ist, darf man ruhigen Gewissens als eine Art Verblödung bezeichnen, die der Pastorensohn Nietzsche sehr früh erkannte und diese „Menschenrasse“ als „tragische Hanswürste und kokette Wanzen, deren Ehrgeiz unersättlich ist, nach dem Unendlichen zu riechen, bis zuletzt das Unendliche nach Wanzen riecht“, bezeichnete. Man kann von Nietzsche manches lernen, wenn man damit aufhört ihn zu verteufeln.

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  10. Es ist hübsch, daß auch ein Vertreter der katholischen Fraktion sich beteiligt. Gegenüber dem in sich unschlüssigen Glauben an ein All-Eins hat er den Vorteil einer in Jahrhunderten ausgefeilten Dogmatik, die, meinem Geschmack zufolge, mit Juan Donoso Cortès ihren Glanz- und Höhepunkt erreicht hatte.
    Glaubensbekenntnisse wie
    „Tatsächlich existiert der Mensch in einer Schöpfungs-Ordnung, nicht außerhalb derselben, in der Einheit eines Sinn-Ganzen, in dem er eine bestimmte Stelle einnimmt, er vollzieht seine Existenz in einem Seinsbereich, den er aufgrund seines unwandelbaren Wesens weder überschreiten noch unterschreiten kann; er kann sich weder zu einem reinen Geist hinaufentwickeln noch zu einem Tier herunterentwickeln, weil er kategorial aus keinem dieser Bereiche stammt“
    sind nicht bereits auf Grundlage mangelnder innerer Logik angreifbar wie der Glaube an ein All-Eins, das göttlich sein soll, aber doch wieder nicht Gott, sich selbst erzeugend und mit dem Universum identisch und dergleichen mehr.
    Dieser Glaube hat aber den Nachteil, daß derartige, ähnliche oder andere Glaubensinhalte durch die menschliche Phantasie beliebig produzierbar und reproduzierbar sind, während keine reale Evidenz für sich spricht.
    Das gilt für den impliziten Glauben an „reine Geister“, einen Geist-Gott, ein Sinn-Ganzes, die kühne Behauptung, alles habe überhaupt einen vorgegebenen, (vom Gottgeist?) gestifteten Sinn und dergleichen.
    Zu solcher Argumentation kann kam schlicht „amen“ sagen – oder auch nicht.

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  11. Genau, lieber Herr Kunze. Das sollte eigentlich auch mein Schlußwort sein, leider habe ich es dann doch vergessen. Es sei hiermit nachgeholt: Amen!

    Dennoch eine kurze Randbemerkung: Ich sage es ungern, aber in ihrer Argumentation und Epistemologie sind Sie sowohl Benoist als auch Sander um ein Vielfaches überlegen. Chapeau!

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  12. Mein letzter Antwortkommentar wurde entweder gelöscht oder nicht zugelassen, keine Ahnung.

    Nur so viel: Wer nur die inneren Widersprüche sieht, die er sehen will, und alle anderen ausblendet, der hält dann wohl tatsächlich auch ein Religionssystem für in sich stimmig, das postuliert, Gott würde etwas Nicht-Göttliches schaffen und sich dann pausenlos drüber aufregen, bis er es ein oder zweimal selbst zerstört (womit er ja eigentlich zeigt, dass er eben nicht allmächtig oder perfekt ist, denn sonst wäre die „Schöpfung“ es ja auch). Dieser eklatante Grundwiderspruch fällt Ihnen nicht auf, während Sie sich gleichzeitig darüber wundern, dass Unitarier die Prämisse jenseitiger Schöpfer ablehnen und – völlig in Harmonie mit den Naturwissenschaften – von natürlicher Evolution und Ausdifferenzierung ausgehen. Wie gesagt: Sie sind und bleiben ein in den Mustern des dualistischen Monotheismus gefangener Rationalist. Sie sehen (nicht), was Sie (nicht) sehen wollen.

    Wie es bei Herrn Olles ist, kann ich nicht beurteilen. Immerhin bin ich dann ja aber mit Benoist in bester Gesellschaft. Mehr kann ich mir nicht wünschen. 🙂

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