NAPOLEON – Biographie von Dimitri S. Mereschkowski: ein Werk der Weltliteratur

von Dr. Uwe Sauermann

NAPOLEON – Biographie von Dimitri S. Mereschkowski: ein Werk der Weltliteratur

Napoleon war ein Mann, der einen so herausragenden Philosophen und Schriftsteller wie Dimitri Mereschkowskij nicht nur zum Verfassen einer Biografie, sondern zum Komponieren eines Werks der Weltliteratur herausfordern konnte. Der Russe Mereschkowskij hat Männer wie Arthur Moeller van den Bruck und Thomas Mann beeinflusst. Thomas Mann schrieb in seiner „Russischen Anthologie“ über ihn: „Dmitrij Mereschkowskikj! Der genialste Kritiker und Weltpsycholog seit Nietzsche!“

Napoleon war in den meisten Teilen Europas im 19. Jahrhundert das Hassobjekt Nummer eins. Allenfalls Luzifer konnte ihm den Rang ablaufen. Was sollte man auch über einen Menschen denken, der am 30. Juni 1813 zu Fürst Metternich sagte: „Ich bin im Felde aufgewachsen, und ein Mann wie ich schert sich wenig um das Leben einer Million Menschen. … Die Franzosen können sich nicht über mich beklagen; um sie zu schonen, habe ich die Deutschen und Polen geopfert. Ich habe in dem Feldzug nach Moskau 300.000 Mann verloren; es waren nicht mehr als 30.000 Franzosen darunter.“ Selbst die wenigen Familien, die keine Toten zu beklagen hatten, wurden ruiniert, denn Napoleons Armeen bekamen keinen Nachschub aus Frankreich, sie mussten sich vom eroberten und besetzten Land ernähren, durch Plünderungen also. „Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung“ schrieb schon 1806 der von den Franzosen erschossene Buchhändler Johann Philipp Palm. So war es.

Napoleon Bonaparte auf der Brücke von Arcole, 1796, Baron Antoine Jean Gros

Doch es gab auch vereinzelte Stimmen, die von Napoleon zutiefst beeindruckt waren. So sagte Goethe nach einer Begegnung mit dem Franzosenkaiser den nach Freiheit dürstenden Deutschen: „Schüttelt nur an Euren Ketten! Der Mann ist Euch zu groß! Ihr werdet sie nie zerbrechen!“ Und Nietzsche hielt im Nachhinein Napoleons Erscheinung als das „Hauptereignis des letzten Jahrtausends“ und charakterisierte ihn als „Synthesis von Unmensch und Übermensch“. Heinrich Heine, der Napoleon stets bewunderte, meinte: „Er war nicht von jenem Holz, woraus man die Könige macht – er war von jenem Marmor, woraus man Götter macht.“

Dmitri Sergejewitsch Mereschkowski (2. August 1864 – 9. Dezember 1941

Napoleon war ein Mann, der einen so herausragenden Philosophen und Schriftsteller wie Dimitri Mereschkowskij nicht nur zum Verfassen einer Biografie, sondern zum Komponieren eines Werks der Weltliteratur herausfordern konnte. Der Russe Mereschkowskij hat Männer wie Arthur Moeller van den Bruck und Thomas Mann beeinflusst. Thomas Mann schrieb in seiner „Russischen Anthologie“ über ihn: „Dmitrij Mereschkowskikj! Der genialste Kritiker und Weltpsycholog seit Nietzsche!“ Und Markus A. Castor, ein Rezensent des Mereschkowskij-Werks „Leonardo da Vinci“, schrieb, Mereschkowskij stelle sich „in die Reihe der großen russischen Erzähler wie Dostojewski und Tolstoi.“

D. S. Mereschkowski auf einer Zeichnung Ilja Repins, circa 1900

Dmitrij Sergejewitsch Mereschkowskij (üblicherweise Dmitri Mereschkowski geschrieben) wurde am 14. August 1865 in St. Petersburg geboren und starb am 9. Dezember 1941 im Pariser Exil. Seine Ehefrau wurde 1888 die Dichterin Sinaida Hippius. Beide standen den russischen Sozialrevolutionären nahe, begrüßten die Revolutionen von 1905 und 1917, wurden aber vom Putsch der Bolschewiki („Oktoberrevolution“) abgestoßen, emigrierten nach Warschau und 1922 nach Paris. Im anbrechenden 20. Jahrhundert wurden Mereschnikowskijs Schriften rasch bekannt. In Westeuropa galt dieser Nachfolger Dostojewskis als der russische Autor schlechthin und wurde mehrmals für den Literaturnobelpreis nominiert.

Mereschkowskij begründete 1892 den russischen Symbolismus. Eigentlich war der Symbolismus eine französische Strömung, entwickelte aber in Russland eine ganz eigene Dynamik. Der literarische Symbolismus, dessen hervorragender Denker Mereschkowskij fortan war, wandte sich gegen die Verflachung der russischen Literatur in der Nach-Dostojewski-Ära. Dekadenz, positivistisches Weltbild, Materialismus und Naturalismus sollten literarisch überwunden werden. Die symbolistische Dichtung will bilden, erschaffen und letztlich zu einer neuen Lebensphilosophie beitragen. In einem Brief schrieb er 1894: „Wir brauchen einen außergewöhnlich starken Impuls, um die Schönheit der Kunst vor der Barbarei der Banalität und der selbstgefällig-optimistischen Dummheit zu retten, die uns bedroht“.

Vom „Komponieren“ wurde gesprochen. Tatsächlich gibt es in der Literatur kaum ein Werk, das derart musikalisch ist. Mereschkowskij gestaltet das Leben Napoleons wie eine Symphonie. Mit sechs statt der üblichen vier Sätze zwar und noch in anderer Weise modifiziert: Von Richard Wagner hat Mereschkowskij die Kunst des „Leitmotivs“ übernommen. Ins Literarische übersetzt sind dies immer wieder auftauchende Phrasen oder kurze Andeutungen, die immer dann im Text erscheinen, wenn der Leser der Dramatik der aktuellen Ereignissen zum Trotz auf Konstanten in Napoleons Charakter oder seiner persönlichen Erfahrung verwiesen werden soll. Das mag dem oberflächlichen Leser als den Lesefluß störend erscheinen, aber an den richtet sich Mereschkowskij nicht.

Zwar wird Napoleons Leben und Wirken wahrheitsgetreu geschildert. Unzählige Fußnoten verweisen auf die Quellen. Aber der Leser wird wegen der musikalischen Sprache in Stimmungen versetzt. Er steigt auf in die Höhen des Titelhelden, versinkt inmitten des Unglücks seiner Opfer, schwebt wieder empor und liest nicht nur, er empfindet Geschichte.

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Daneben erfährt er noch heute Grundlegendes: Napoleon mit seinen Ideen von Freiheit, Gleichheit und der von Frankreich dominierten Weltgesellschaft mit ewigem Frieden und Wohlstand verkörperte den Universalismus, und er kollidierte letztlich mit dem Partikularismus. Folgendes Zitat zeigt diesen unausweichlichen Zusammenstoß am Beispiel der Völkerschlacht bei Leipzig. Der Russe Mereschkowskij schreibt über das Schlüsselerlebnis am 18. Oktober 1813:

Da geschieht mitten im Zentrum der französischen Armee etwas Seltsames, daß die Leute zuerst gar nicht begreifen können, was es bedeuten soll: das ganze, zwölftausend Mann starke Korps der sächsischen Infanterie, und nach ihm auch die württembergische Reiterei, stürmen plötzlich vorwärts, der feindlichen Linie zu. Man glaubt, es sei eine Attacke. Doch nein, sie machen halt, drehen sich gegen die Franzosen und feuern aus ihren eigenen Geschützen in ihre Reihen. „Gemeine Verräter!“ empört sich General Marbot, der am Kampf teilnimmt. Wieso ,gemein‘? Sie wollten nicht ,kosmische Wesen‘ sein, nach dem Grundsatze Napoleons und Robespierres, sie wollten Deutsche bleiben. Es zog den Bruder zum Bruder: das kleine Quecksilberkügelchen hatte sich mit dem großen vereinigt, — das ist keine Gemeinheit, sondern ein Naturgesetz. Fleisch und Blut der Völker lehnten sich auf gegen das Phantom des Universalismus, und das Phantom verschwand.“

So gesehen ist das Prinzip „Napoleon“ heute wieder in der Welt, wenn auch nicht von Frankreich dominiert, nennt sich „westliche Wertegemeinschaft“, verlangt Weltgeltung und kollidiert immer noch mit unausrottbaren Partikularismen. Nur eine Heldenfigur wie Napoleon kann dieser Universalismus nicht mehr aufweisen. Er benötigt sie auch nicht.

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Dr. Uwe Sauermann

Dr. Uwe Sauermann

Uwe Sauermann studierte in München und Augsburg Politische Wissenschaften, Neueste Geschichte und Völkerrecht. Seine Dissertation ist das hier vorgestellte Werk. Obwohl es danach mehrere Veröffentlichungen zu Niekisch gab, ist Sauermanns Werk bis heute die materialreichste und gelungenste Analyse von Ernst Niekischs Zeitschrift „Widerstand“. Uwe Sauermann war später für das öffentlich-rechtliche Fernsehen tätig, war schon vor dem Ende der DDR Korrespondent in Ost-Berlin und Leipzig, produzierte zeitgeschichtliche Filme und berichtete danach für die ARD u.a. aus Indien, Irak und Afghanistan. Er lebt heute in Berlin.

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