von Werner Olles
Günter Maschke ist tot – Nachruf auf einen Freund!
Es gibt einige wenige Menschen, deren Existenz allein bereits tröstlich ist. So jemand war mein lieber Freund Günter Maschke, der am 7. Februar, nur drei Wochen nach seinem 79. Geburtstag, unerwartet verstorben ist. Eine Woche zuvor hatten wir noch miteinander telefoniert, er war guter Dinge, arbeitete an seinem Anekdotenbüchlein über Carl Schmitt und freute sich auf den Frühling, weil wir dann wieder gemeinsam zum Italiener essen gehen könnten. Und dann sah ich am Mittwoch auf Michael Klonovskys Blog „acta diurna“ sein Bild und las die Nachricht von seinem Tod, wollte es zuerst nicht glauben und kann es bis heute nicht fassen.
Kennengelernt hatten wir uns Mitte der 1980er Jahre, als Alain de Benoist in einem Bürgerhaus irgendwo im Taunus über die „Nouvelle Droite“ sprechen sollte. Als wir ankamen standen dort vier, fünf Figuren herum, die ich als Mitglieder des Kommunistischen Bundes (KB) erkannte – mit dem ich zehn Jahre zuvor noch sympathisiert hatte -, worauf der Veranstalter, ein Frankfurter Rechtsanwalt, das Treffen absagte. Maschke schäumte vor Wut und schrieb dem Herrn einen bitterbösen Brief mit dem Tenor: Wenn wir schon vor so ein paar KB-Hanseln den Schwanz einziehen, wie wollen wir dann jemals an die Macht kommen? Das war mir als ehemaligem Linksradikalen aus dem Herzen gesprochen, und als wir dann noch viele Gemeinsamkeiten entdeckten, er hatte z.B. wie ich auch Versicherungskaufmann gelernt, war SDS-Mitglied gewesen, später auch in der SPD, hatte aber nach seinem Asyl auf der Zuckerinsel Kuba dem Kommunismus abgeschworen, während bei mir einige Jahre später schon die triste linke Realität an meiner Dienststelle reichte, um meine sozialistischen Utopien zu zerstören.
Wir trafen uns danach öfter, gingen zusammen essen oder ins Café, und bei den monatlichen Treffen in der „Nibelungenschänke“, an denen auch Martin Mosebach, Lorenz Jäger, der Kabarettist Matthias Beltz, Gerd Koenen, Claus Wolfschlag, „unser“ damaliger Abgeordneter im Römer Wolfgang Hübner, Eckhard Henscheid, Götz Kubitschek und Ellen Kositza teilnahmen, war er immer dabei. Noch intensiver wurde dies dann nach dem Tod seiner geliebten Sigrid vor sechs Jahren, die er bis zum Schluß aufopferungsvoll gepflegt hat. Da wurde auch eine Seite sichtbar, die viele bei einem Mann, der als Gastprofessor an der Akademie der Kriegsmarine in La Punta in Peru seinen Offizierschülern die Theorie des Partisanenkampfes seines eigenen Lehrers Carl Schmitt nahe brachte und der selbst an zwei Feldzügen gegen die Terroristen des „Leuchtenden Pfades“ („Sendero Luminoso“) teilnahm, so nicht unbedingt vermutet hatten. Von diesen Feldzügen ist eine köstliche Anekdote überliefert, die es wert ist festgehalten zu werden: Bei einem Feuergefecht in Ayacucho wurde die Armee vom Sendero mit Granatmörsern beharkt, und als der Marktplatz des Städtchens mit Trümmern und Leichen übersät war, entdeckte er im Schaufenster einer Buchhandlung, die seltsamerweise einigermaßen heil geblieben war – der Buchhändler hatte sich klugerweise verflüchtigt – ein Buch seines Lieblingsfeindes Jürgen Habermas „Theorie der herrschaftsfreien Kommunikation“. Seine Kameraden staunten nicht schlecht, als er daraufhin trotz des Blutbads um ihn herum in schallendes Gelächter ausbrach. In seinem großartigen Buch „Das bewaffnete Wort“ schildert er übrigens in einem gleichnamigen Essay den Aufstieg des „Sendero“, eine Lektüre, die einem den Atem raubt.

Geboren wurde Günter Maschke am 15.Januar 1943 in Erfurt, sein leiblicher Vater fiel in den letzten Kriegsjahren, und so wurde er von dem mittelständischen Strickwarenfabrikanten Maschke adoptiert. Sein Adoptivvater, politisch Stresemannianer, den er sehr liebte, zog nach Kriegsende mit der Familie und der Firma nach Trier. Hier wuchs der junge Günter in einem französisch geprägten Nachkriegsdeutschland auf, machte die Mittlere Reife, das Begabtenabitur holte er Jahre später in Baden Württemberg nach, und trat alsbald in die Deutsche Friedensunion (DFU), eine von der DDR finanzierte Tarnorganisation der verbotenen KPD ein, was im katholischen Trier eine Sensation war und zu Tumulten und Pöbeleien führte, was ihm sehr gefiel. Es war nur konsequent, daß er sich wenig später auch der illegalen KPD anschloß. Mit Rudi Dutschke, Frank Böckelmann, Herbert Nagel und Dieter Kunzelmann war er in der „Subversiven Aktion“ aktiv, später dann auch im SDS. Er desertierte von der Bundeswehr, allerdings nicht aus pazifistischen Gründen, flüchtete nach Österreich und wurde dort als „Dutschke von Wien“ bekannt. Als die Polizei ihn nach Deutschland ausweisen wollte, bot ihm der kubanische Botschafter Asyl an. In den knapp zwei Jahren auf der Zuckerinsel lernte Maschke die Schattenseiten des Kommunismus kennen, eine marode Wirtschaft, Hunger und übertriebene Repression, das Spitzelunwesen, die übliche lateinamerikanische Mentalität des Nichtstuns, und aus Castros „Nesthäkchen“ wurde durch seine Freundschaft mit dem Dissidenten und Lyriker Heberto Padilla mit der Zeit ein Oppositioneller. Als das Regime ihm „Verschwörung“ vorwarf, konnte auch der Maximo Lider – den er dennoch verehrte, weil Castro dem Hauptfeind Lateinamerikas, den USA die Stirn geboten hatte – nicht mehr schützen: Die kubanische Militärpolizei holte ihn ab, steckte ihn am Flughafen noch eine Zigarre in die Hemdtasche und setzt ihn ins Flugzeug. In Deutschland wartete in Landsberg ein Jahr Gefängnis auf ihn. Während dieser Zeit, die er nie bereute, baute er die Gefängnisbibliothek auf und tat das, was er am liebsten tat: Lesen.
Es würde zu weit führen, alle Stationen seines abenteuerlichen Lebens aufzuzählen. Bis zum Tod Carl Schmitts 1985 war er als fester freier Mitarbeiter der FAZ tätig. Sein Nachruf auf Schmitt bewog Dolf Sternberger einen Gegenartikel zu schreiben und Maschke, seine Stellung bei der FAZ zu kündigen. Maschke gründete einen eigenen Verlag, die „Edition Maschke“, hielt Vorträge, vor allem in Ausland, in Spanien, Frankreich, Kolumbien, schrieb wunderbare Essays, kommentierte und übersetzte die Werke von Juan Donoso Cortés – man lese nur seinen Aufsatz „General Narváez’ „Legale Diktatur“ und Donoso Cortés (1847/51)“ – und wurde in Franfurt am Main zum Mittelpunkt von jungen Rechtsintellektuellen, vor allem auch ausländischen Schmitt-Verehrern, denen er gewissermaßen Privatvorlesungen bot. Er gab zahllose Interviews zu Carl Schmitt, zum Völkerrecht, zur bis heute nicht existierenden Verfassung der Bundesrepublik – legendär ist sein erstes Interview in der JF „Die Verfassung ist unser Gefängnis“ – und pflegte seine Existenz als Privatgelehrter, der selbst von der äußerst umstrittenen Plattform Wikipedia relativ pfleglich behandelt wurde.

Lesenswert ist im Prinzip alles, was er zu Papier gebracht hat, vor allem aber „Das bewaffnete Wort“ mit den Aufsätzen „Sterbender Konservativismus und Wiedergeburt der Nation“, in dem er den Konservativen empfahl, sich doch bitte als solche abzuschaffen, um als Nationalrevolutionäre wiedergeboren zu werden, „Die Verschwörung der Flakhelfer“, die man gelesen haben muß, um die sonderbare Rolle und das seltsame Selbstverständnis der Bundesrepublik überhaupt annähernd zu verstehen und „Die schöne Geste des Untergangs“ über den faschistischen Schriftsteller und Décadent Pierre Drieu la Rochelle, einen Aufsatz, den – man mag es kaum glauben – die FAZ noch 1980 abzudrucken wagte. Wer auch Persönliches über ihn wissen möchte oder was er über die sogenannte „Neue Rechte“ denkt, greife zum 200-seitigen Interviewbuch „Verräter schlafen nicht“. Wer wissen will, warum er seine Karriere bei der FAZ fünf Jahre später trotz Joachim Fests Fürsprache beendete, lese „Der Tod des Carl Schmitt“ mit dem darin enthaltenen Teil „Sankt Jürgen und der triumphierende Drache – Anläßlich Habermas’ neuestem Angriff auf Carl Schmitt“. Er wird dann auch verstehen, warum es sich – wie Maschkino gern sagte – nicht lohnt, sich mit den Habermaschen Theorien auseinanderzusetzen, die, O-Ton Maschke „jeden Abend in den Nachrichten widerlegt werden“. Und dies, obwohl der ihn immerhin als „einzigen echten Renegaten der Achtundsechziger-Bewegung“ bezeichnete. Deswegen noch einmal Maschke: „Was sind hundert Seiten Habermas gegenüber einer Seite Hobbes oder Gehlen?“

„Für Werner Olles –in hoffnungsschwacher, doch heiterer Verbundenheit“, mit diesen Worten hat er mir letztgenanntes Buch gewidmet, „Das bewaffnete Wort“ mit der Widmung „Die Garde stirbt, aber sie ergibt sich nicht!“ Nun ist er, unser brillantester, klügster und gleichzeitig liebenswertester Kopf gegangen, aber wir werden uns nicht ergeben, solange wir leben. Zugleich ist mit seinem Tod jedoch auch eine Ära zu Ende gegangen, nicht nur für mich und all seine persönlichen Freunde, sondern für die gesamte intellektuelle Neue Rechte, deren Wirken er immer mit wachem Interesse und kritischer Solidarität begleitet hat.
Maschkino, mein lieber, treuer Freund, Du fehlst mir, Du fehlst uns allen, und ich vermisse Dich jetzt schon, Deinen so wunderbar speziellen Humor, Dein dröhnendes Lachen, Deine Noblesse und Jovialität, den völligen Mangel an Dünkel – noch für den Bettler, der mit seinem Pappbecher vor Rewe saß, hattest Du ein paar freundliche Worte und vor allem immer ein paar Euro parat – ach, ich weiß nicht wo ich anfangen und aufhören soll. Ging es Dir einmal nicht so gut, was dem „General Zucker“ geschuldet war, konntest Du auch schon mal etwas ruppig sein und mich anraunzen, daß meine Beitrage ja auch nicht „so toll“ wären und ich meine publizistischen „Wutanfälle“ und „Hassausbrüche“ in der „Einsicht doch gefälligst etwas zügeln solle“, nur um mich ein paar Minuten später zu umarmen. Es bleiben die Erinnerungen an unsere gemeinsamen Essen bei Pino und bei Apulia, unsere Gespräche und Spaziergänge in Rödelheim, bei denen Du alle zehn Meter einen Bekannten trafst, die Bewunderung, die Du als „der Professore“ bei unseren beiden Lieblingsitalienern genossen hast, während ich „der Teemann“ war, weil ich immer nur grünen Tee trank.
Auf die Frage „Glauben Sie an Gott?“ hast Du in einem Interview einmal geantwortet: „Nicht immer, aber oft!“ Für einen gestandenen Agnostiker, der in seiner Jugend Protestant war, das Zweite Vatikanum der Katholischen Kirche als „Selbstmord“ bezeichnete, ist das eine ganze Menge. In einem Gespräch über Gott, das wir einmal nach einem guten mediterranen Essen führten, bestandest Du darauf, daß Du wohl eher in der Hölle landen würdest. Ich widersprach und schließlich fiel mir nichts anderes mehr ein, als zu sagen, na gut, aber dann komme ich Dich dort ab und zu besuchen. Du bekamst einen Lachanfall und hast gleich allen Gästen begeistert von meinem Plan erzählt. Solche Erlebnisse bleiben für immer in meinem Gedächtnis.
Mein guter Maschkino, ich danke Dir für Deine treue Freundschaft und für die gemeinsame, einmalige Zeit, die ich nie vergessen werde. Irgendwann kommt der Tag, an dem wir uns wiedersehen werden, ganz egal wo, aber ich glaube doch eher da oben. Bis dahin bin ich in Gedanken bei Dir!
Dein Freund Werner Olles

Werner Olles
Werner Olles, Jahrgang 1942, war bis Anfang der 1980er Jahre in verschiedenen Organisationen der Neuen Linken (SDS, Rote Panther, Jusos) politisch aktiv. Nach grundsätzlichen Differenzen mit der Linken Konversion zum Konservativismus und traditionalistischen Katholizismus sowie rege publizistische Tätigkeit in Zeitungen und Zeitschriften dieses Spektrums. Bis zu seiner Pensionierung Angestellter in der Bibliothek einer Fachhochschule, seither freier Publizist.
Autor der Bücher:

Grenzgänger des Geistes. Vergessene, verkannte und verfemte Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.

Meinem Freund Werner Olles will ich zu diesem Gelungen Nachruf ein öffentliches Kompliment aussprechen. Einfach auf sehr hohem Niveau! Viel Wissenswertes über das Leben des GM aber auch die persönlichen Anekdoten haben mich beeindruckt. Leider konnte ich ihn nie persönlich kennen lernen, auch weil ich viel zu spät meinen Absprung von der Linken und meinen beruflichen Verflechtungen mit der korrupten Sozialwirtschaft gemacht habe. Gefreut hat mich auch, dass in der gesamten europäischen Presse Nachrufe zu ihm erschienen sind.
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Ich muss sagen, das trifft mich doch sehr. Wir wollten dieses Jahr eine interne philosophische Veranstaltung organisieren und ihn hierfür gewinnen. Sehr traurig.
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