Über Wahlhelfende, freiwillige Gleichschaltung und Hannah Arendt

von Matthias Matussek

Über Wahlhelfende, freiwillige Gleichschaltung und Hannah Arendt

In diesen Tagen hat der Bundeswahlleiter Briefe an die Wahlhelfer, Quatsch, die Wahlhelfenden (aller möglichen und unmöglichen Geschlechter) verschickt mit der frohen Botschaft, dass sie eventuell für die Vorzugsbehandlung einer Corona-Impfung in Betracht kämen sowie in den Genuss einer „Erfrischungspauschale“ von 25 Euro.

Dass hier nun von „Wahlhelfenden“ die Rede ist, liegt nicht unbedingt an dem Gebot einer geschlechtsneutralen Anrede. Sie ist einfach richtiger, weil sie auch Institutionen wie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit einschließen, die ja durch durchaus helfen auf den letzten Metern hin zu Wahlkabine, indem sie Orientierung geben im verwirrenden demokratischen Dschungel so vieler Parteien.

Gerade wir älteren Mitbürger sind da oft überfordert. Sollen wir die V-Partei wählen (Veganer und Vegetarier) oder die MLPD (Marxisten/Leninisten Deutschlands), die Gartenpartei oder die Pinken (Bündnis 21)? Fest steht nur, wen wir nicht wählen sollten, obwohl sie, ihrem Gewicht bei der letzten Wahl entsprechend, an dritter Stelle wohl oder übel auf dem Wahlzettel aufgeführt werden musste: die AfD.

Aber unsere Medien, auch die Zeitungen und Magazine, sind sich einig, dass die Wahl der AfD einen bedenklichen Mangel an demokratischem Bewusstsein der Wählenden verraten würde. Kurz: die AfD gilt als rechtsextrem und darf eigentlich nicht gewählt werden. Deshalb wurde sie bisher auch nie zu irgendwelchen irgendwie bedeutsamen TV-Auftritten gebeten.

Bisher galt es in den „Nachrichten“-Sendungen für durchaus möglich, dass eine nonchalant so genannte „Mitte-Links-Regierung“ gebildet werden könne aus linksradikalen Antifa-SPDLern (Esken), Linken, Grünen – eine „Mitte-Rechts“-Regierung aber des Teufels wäre, denn die wäre ein bürgerliches Bündnis aus CDU, AfD und FDP, und selbst die Bezeichnung als „bürgerlich“ dafür kostete einst einer Moderatorin nach der Landtagswahl in Sachsen fast den Kopf.

Für die AfD gilt im öffentlichen politischen Diskurs ein schon alttestamentarisches  Bilderverbot – man sollte sie nicht nennen bei Strafe der allgemeinen Ächtung.

Dafür beeilen sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten – sicher ist sicher – auf diesen letzten Metern noch einmal drastisch vor Augen zu führen, was passieren könnte, sollten wir doch das Kreuz an verbotener Stelle setzen – wie nun die Science Fiction Serie im ZDF mit dem Titel „Deutscher“ vorführt, die drastisch und mit blutig geschlagenen Schädeln und himmelschreiend Antifa-konform erzählt, was in Deutschland passiert, wenn “plötzlich eine rechtspopulistische Partei die Regierung in Deutschland übernehmen würde“.

Als hätten Saskia Esken (SPD) und Janine Wissler (Linke) bereits jetzt eine volkspädagogische Produktion einer künftigen rotgrünlinken Regierung in Auftrag gegeben. Dass die Wahlstände der AfD in diesem gesteuerten und gleichgeschalteten Überzeugungseifer derzeit regelmäßig zu Kleinholz verarbeitet werden, gilt als, nun, demokratisches Kavaliersdelikt.

Es geht aber auch positiver! Letzte Woche zum Beispiel setzt das ZDF seine Wahlhilfe fort mit „Eure Wut, Euer Mut“, eine Motivationsstunde für Wähler der Grünen, besser: für die Wahl der Grünen.

So einig sind sich alle in unserer Republik, dass die AfD unwählbar ist, dass es einen gruseln könnte. Denn gleichzeitig, das ist ermittelt, haben drei Viertel der Bürger Angst in diesem Lande, ihre Meinung zu sagen. Ja, sie fühlen sich „gegängelt“.

Durch wen? Durch knallende Stiefelhacken? Nein, durch die Drohung, geächtet zu sein, und die wird durch diejenigen wach gehalten, die man in England als „chattering class“ bezeichnet, die Meinungsmacher in den Salons und Redaktionstuben und TV-Programmabteilungen, die Meinungsmacher aus Medien und Politik.

Das wohl beeindruckendste Interview, das ich in letzter Zeit gesehen habe, ist ein uraltes aus den sechziger Jahren, als das Fernsehen noch schwarzweiß war, ein Gespräch von zwei Kettenrauchern, mit Günther Gaus mit Hannah Arendt, der klugen deutschjüdischen Emigrantin, die sich erinnert an den schlimmsten Freundschafts-Verrat, den sie in den 30er Jahren zu erdulden hatte – er wurde von den gleichgeschalteten Intellektuellen verübt.

Die Gleichschaltung, und das ist die historische Paradoxie, wird heute von links ausgeübt, unter dem Vorwand, eine rechte Machtübernahme zu vereiteln. Eine angesichts der Verhältnisse absurde Annahme und durchaus ein Vorwand, jede regierungskritische Haltung zu unterdrücken. Dieses Verfahren wird erspürt von der Bevölkerung („Gängelei“), aber nicht zum Ausdruck gebracht, aus Angst vor – genau, Repressalien oder Jobverlust.

Noch einmal zu Hannah Arendt, die die opportunistische Beweglichkeit der Intellektuellen unter der Bedingung der begeisterten Gleichschaltung erlebte.

„Sie glauben gar nicht, wie interessant sie diesen Hitler plötzlich fanden – sie sind in die Falle ihrer eigenen interessanten Überlegungen gerannt!“

Also hoffen wir, dass die Wahlhelfenden am Wahlabend in ihrem gleichgeschalteten „demokratischen“ Eifer nicht aus Versehen die Stimmen für jene Unaussprechlichen dahin sortieren, wohin sie offizieller Meinung nach gehören – in den Müll.

Dieser Kommentar zur bevorstehenden Bundestagswahl erschien zuerst auf der stets lesenswerten Internetseite von Matthias Matussek.

Wir danken Matthias Matussek für die Genehmigung zur Veröffentlichung auf unserer Seite.

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Matthias Matussek

Matthias Matussek, geboren 1954, wollte Missionar oder Bundesliga-Spieler werden. Er schloss einen Kompromiss und wurde Maoist. (Paul Breitner!) Nach dem Abitur trieb er sich ziellos in der Welt herum (Griechenland, Balkanstaaten, Indien). Ein ebenso zielloses Studium (Theaterwissenschaften, Amerikanistik, Komparatistik, Publizistik, Schauspiel) wurde erstaunlicherweise relativ zügig mit einem Zwischendiplom in Anglistik und Germanistik beendet. Danach wechselte er auf die Journalistenschule in München, wo es Zuspruch von erfahrenen Journalisten gab, sowie eine Abmahnung seitens der Schulleitung aufgrund mangelnder Disziplin. Nach Praktika beim Bayrischen Fernsehen und der Münchner tz wechselte er zum Berliner Abend, danach zum TIP. Die Zeit: RAF-Wahnsinn, besetzte Häuser, Herointote.

Als er 1983 zum STERN nach Hamburg wechselte, hatte er das Gefühl, endlich in der Bundesliga angekommen zu sein. Allerdings purzelte ein paar Monate später das gesamte Staresemble des STERN über die gefälschten Hitlertagebücher und war fortan stark abstiegsgefährdet. Dennoch lernte Matussek – gemeinsam mit den großen STERN-Fotografen (Bob Lebeck) – die Kunst der Reportage, die zu einem nicht geringen Teil auf der Kunst besteht, im entscheidenden Moment unverschämt zu sein. Weshalb Disziplinlosigkeit durchaus Teil des Berufes sein kann.

1987 machte ihm der SPIEGEL ein Angebot, das er nicht zurückweisen konnte. Chefredakteure und Ressortleiter gingen und kamen. 1989 konnte er seine theoretischen Kenntnisse des Maoismus nutzbringend anwenden, als er in die kollabierende DDR zog und dort ins Palasthotel. Die Lehre: kein Umweg, den wir nehmen ist unbrauchbar.Schriftsteller Thomas Brussig, der im Palast-Hotel als Etagenkellner arbeitete, und Matussek zur Hauptfigur seines Romans „Wie es leuchtet“ machte, schrieb:“ Für Matthias Matussek hatte ich die meiste Bewunderung. Er schrieb eine glänzende Reportage nach der anderen. Sie lasen sich wie Rezensionen des laufenden Geschehens…Zum Reporter muss man geboren sein – und Matthias Matussek ist es“. (Natürlich hatte er Brussig dafür ganz groß in eine Pizzeria ausgeführt.) Für eine seiner Ost-Reportagen erhielt Matussek 1991 den Kisch-Preis.

Seine Frau lernte Matussek 1990 im Roten Rathaus kennen, wo sie, von Sprachstudien aus Moskau kommend, ein Praktikum absolvierte. Zwei Jahre später zogen sie um nach New York, was damals in etwa gleich weit von Ost- wie West-Berlin lag, also durchaus neutraler Boden war. In New York entstanden nicht nur der gemeinsame Sohn sondern auch ausgedehnte Reportagen und Artikel für amerikanische Zeitungen, sowie Kurzgeschichten und ein Roman. Harold Brodkey nannte Matussek „den besten seiner Generation“.

Zurück in Deutschland zog Matussek kreuz und quer durch die Nation und schrieb eine zweiteilige Bestandsaufnahme der deutschen Einheit, die wiederum für den Kischpreis nominiert wurde. Dann nahm er Stellung im Geschlechterkampf. Mit seinem Buch „Die Vaterlose Gesellschaft“ verärgerte er den Großteil deutscher Frauen und wurde von der Zeitschrift „Emma“ zum „Pascha des Monats“ ernannt. Aus seinem Buch entstand das Spielfilm-Projekt „Väter“ (Regie: Dany Levi), zu dem Matussek das Drehbuch schrieb. Mittlerweile, hat er den Eindruck, hat man ihm beides verziehen.

Im Jahr 1999 trat Matussek die Korrespondentenstelle in Rio de Janeiro an. Er bereiste den Kontinent, erlebte Putschversuche und Katastrophen, recherchierte in Favelas, unter Drogenbanden und unter den Eliten der Länder. Für eine 2-teilige Serie zog er wochenlang durch den Amazonas, und veröffentliche das Ergebnis in Buchform unter dem Titel „Im magischen Dickicht des Regenwaldes“.

Im Jahr 2003 übernahm er die Korrespondentenstelle des SPIEGEL in London, wo er sich ehrenhafte Kämpfe mit der blutrünstigen, Deutschen-hassenden Fleetstreet lieferte, was in seinem Buch „Wir Deutschen – warum uns die anderen gerne haben können“, auf das schönste dokumentiert ist. Das Buch war 13 Wochen lang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste, und lieferte den Beleg dafür, dass man patriotische Gefühle nicht den Knallköpfen von rechts überlassen muss.

2003 übernahm er das Kulturressort in der Hamburger Spiegel-Zentrale. Die Presse meinte, dort sei nun „Rock n Roll im Laden“. Gleichzeitig hatte er für den SWR das TV-Format „Matusseks Reisen“ entwickelt und einen wöchentlichen Video-Blog etabliert, der 2007 mit dem Goldenen Prometheus ausgezeichnet wurde. Im gleichen Jahr entstand sein Buch „Als wir jung und schön waren“ (Fischer-Verlag).

Schon 2007 hatte Matussek seine Funktion als Ressortchef wieder abgegeben und widmete sich den Sachen, die er am besten kann: dem Schreiben und der Disziplinlosigkeit. „Matusseks Reisen“ wurde unter dem Titel „Matussek trifft“ noch ein paar Folgen fortgesetzt und fiel dann dem Sparzwang zum Opfer. Seinen wöchentlichen Videoblog betrieb er weiter und publizierte mit „Das Katholische Abenteuer“ eine „Provokation“, die es ebenfalls in die Bestellerliste schaffte.

Nach mehr als 25 Jahren beendete er seine Zeit beim Spiegel und stellte sich als Kolumnist für den Springer-Konzern zur Verfügung, eine Zusammenarbeit, die bereits nach erfüllten und produktiven 17 Monaten beendet wurde.

Fortan arbeitet er als freier Autor für die „Weltwoche“ und den „Focus“ und andere und widmet sich erneut seinen Stärken: dem Schreiben und der Disziplinlosigkeit.

Ein Kommentar zu “Über Wahlhelfende, freiwillige Gleichschaltung und Hannah Arendt

  1. Mißbruchsmöglichkeit der Freiheit
    Da freie Wahlen nicht ausschließen können, daß Wahlberechtigte ihre Freiheit mißbrauchen, um
    Oppositionelles zu wählen statt eine der demokratischen Blockparteien und da es für eine demokratische
    Wahl nicht opportun ist, keine Oppositionspartei zur Wahl zuzulassen, da dann die überwältigenden Ja-
    stimmen zu den Blockparteien nicht mehr eindeutig als Ja zu beurteilen sind, weil man nicht mit einem
    Nein votieren konnte, ist es mehr als notwendig, daß volkspädagogischen Institutionen,wie alle etablierten Medien dem Volke sagen, wen sie auf keinen Fall wählen dürfen. Mißbräuchten nämlich zu viele ihre Freiheit, müßten dann
    ja oppositionelle Parteien verboten werden. Das wollen aber diese Volkspädagogen verhindern, damit die
    freien Wahlen als frei erscheinen.

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