von Prof. Dr. Dr. Gunnar Heinsohn
Warschau und Budapest als Europas Prügelknaben
Als Polen in den 1970er/1980er Jahren dringend Solidarität braucht, gibt es für die Freiheitsbewegung der Solidarność aus dem „offiziellen Deutschland“ in Ost und West keinerlei Hilfe. Helmut Schmidt (Bundeskanzler von 1974-1982) signalisiert
DDR-Chef Honecker Verständnis für die Verhängung des Kriegsrechts in Polen. Er hat Angst, dass seine Annäherung an die SED-Führer „durch Unruhe im Nachbarland Polen gefährdet werden könnten. Im Unterschied zu anderen westeuropäischen Diplomaten gingen westdeutsche und vor allem sozialdemokratische Politiker möglichst jedem Kontakt mit der polnischen Opposition aus dem Weg. […] Herbert Wehner [bis 1983 SPD-Fraktionschef im Deutschen Bundestag] reist als erster westlicher Politiker bereits wenige Tage nach Verhängung des Kriegsrechts im Januar 1982 nach Warschau, um sich von den kommunistischen Machthabern direkt informieren zu lassen; [1984] nahm er auch noch ausgerechnet am Jahrestag der Ausrufung des Kriegsrechts einen Orden [der polnischen KP] entgegen. Noch bei Besuchen im Jahre 1985 gehen der SPDVorsitzende Hans-Joachim Vogel und Willy Brandt einem Treffen mit Lech Walesa aus dem Weg.“1
Als Fachkräfte aus Polen nach Deutschland abwandern, fordert kein Berliner
Politiker, dass sie lieber die Heimat aufbauen als dem ohnehin reichen Deutschland
zuarbeiten sollten. Es wäre eine wahrscheinlich erfolglose, aber doch Mitgefühl
ausdrückende Geste der Solidarität gewesen. Als Deutschland 2015 allerdings
Millionen Menschen aus Afrika und dem Islambogen in die EU holt, wird alsbald die
Solidarität entdeckt – und zwar als eine den Polen fehlende Eigenschaft, denn das
Land will sich an Ansiedlungen unbekannter Dauer nicht beteiligen.
Zunächst freilich lauten die Aussagen noch sehr unterschiedlich, denn man erwartet allen Ernstes die Zuwanderung von Millionen hochqualifizierten Menschen. Selbst der Daimler-Benz-Direktor Dieter Zetsche erkennt in den 2015 Hereindrängenden „eine Grundlage für das nächste deutsche Wirtschaftswunder.“2 Hätten die Neuankömmlinge tatsächlich Mercedes oder Siemens wieder zu globalen Innovationsführern gemacht, hätte wohl niemand Polen gedrängt, diese Könner bei sich aufzunehmen: Man hätte sie ganz still eingesackt und niemanden gebeten, doch bitte solidarisch zu sein und diese Ingenieure und Hightech-Spezialisten in ihre Betriebe zu holen.
Bald aber kommt heraus, dass 85 bis 90 Prozent der Neuen unqualifiziert sind.3
Eingedeckt bis zur Halskrause mit teuren Sozialhilfeempfängern, ruft Deutschland
daher auf einmal Solidaritäts-Parolen in höchster Lautstärke durch ganz Europa. Wer
darauf nicht hereinfällt, wird als minderwertig in Sachen Menschlichkeit diffamiert.
Offene Wut trifft schließlich alle, die auch angesichts solcher Beleidigungen nicht
einknicken, sondern das Manöver nur zu gut durchschauen.
Vor allem Budapest und Warschau werden dämonisiert. Bis heute kann man dort
flanieren, ohne Menschenmengen durchpflügende LKWs fürchten zu müssen. Obwohl antijüdische Ranküne nicht fehlt, benötigen Synagogen keinen Schutz durch
gepanzerte Fahrzeuge. Auch altehrwürdige Kirchen bleiben von Brandstiftern
verschont – und die am Straßenrand parkenden neuen Autos auch. In der NATO gehört zwar nicht Ungarn, aber doch Polen zur kleinen Minderheit, die den vereinbarten Beitrag zur Verteidigung der westlichen Allianz leistet.4 Hingegen steht ein Bündnis-Gütesiegel für die Finanzierung der Gasleitungen Putins nach Deutschland weiterhin aus. Berlin verbittet sich hier jegliche Mahnung zur Solidarität mit den besorgten östlichen Nachbarn.
Längst ist auch Angst im Spiel, wenn gerade jene Regierungen als Europas
Buhmänner verschrien werden, die Torheiten unterlassen und für die Sicherheit ihrer
Menschen einstehen. Fürchtet man, eines Tages von den eigenen Bürgern an ihnen
gemessen zu werden? Wenn Berlin auf Solidarität pocht, wird damit stets ein
Eigeninteresse maskiert. Solches Bestreben ist selbstredend bei allen am Werk. Doch es bei anderen zu tadeln, sich selbst hingegen moralisch aufzuplustern, ist ein Spielchen, das man am ehesten durch Nichtbeteiligung abstellt. Am Ende werden die Vorteile der osteuropäischen Maßnahmen – kein Terror und keine Überwältigung durch bildungsferne Einwanderer – zum stärksten Argument gegen ihre Verleumdungen.
Nachweise
1) http://niemcydlasolidarnosci.pl/prasa/prasa-inna/die-solidarnosc-und-die-spd/
2) https://www.faz.net/aktuell/technik-motor/iaa/daimler-chef-zetsche-fluechtlinge-koenntenneues-wirtschaftswunder-ausloesen-13803671.html ; Fettdruck GH
3) http://www.rp-online.de/wirtschaft/unternehmen/ba-chef-frank-juergen-weise-fluechtlingekeine-antwort-auf-fachkraeftemangel-aid-1.6709807
4) https://www.graphicnews.com/de/pages/38134/militar-beitragszahlungen-der-natomitgliedslander

Professor Dr. Dr. Gunnar Heinsohn, geboren 1943 in Gotenhafen, ist Wirtschaftswissenschaftler, Soziologe und Historiker. Er ist emeritierter Professor der Universität Bremen, wo er 1993 Europas erstes Institut für vergleichende Völkermordforschung aufgebaut hat. Heinsohn verfasste u.a. die erste Enzyklopädie zu Genoziden (Lexikon der Völkermorde, 1998). Er lehrt Kriegsdemografie am NATO Defense College in Rom und Eigentumsökonomie am Management-Zentrum St. Gallen.
Das Foto von Prof. Heinsohn haben wir auf der Seite von Wikipedia gefunden: Von Freud – Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=29218949
Der Artikel von Prof. Dr. Dr. Heinsohn wurde hier erstveröffentlicht:
KOMMENTARE aus dem WESTINSTITUT:
Instytut Zachodni
im. Zygmunta Wojciechowskiego
ul. Mostowa 27A, 61-854 Poznań
https://www.iz.poznan.pl/aktualnosci
Wir bedanken uns bei Herrn Prof. Dr. Dr. Heinsohn und bei Prof. Dr. David Engels für die Veröffentlichungsgenehmigung.