von Werner Olles
Aufstieg, Abweg oder Niedergang – eine Kritik der Neuen Rechten
Als Günter Bartsch Mitte der 1970er Jahre mit seinem Grundlagenwerk „Revolution von rechts? Ideologie und Organisation der Neuen Rechten“ auf den nicht-marxistischen Sozialismus Lassalles, den Syndikalismus Sorels und die Tradition des revolutionären Linksfaschismus aufmerksam machte, staunten viele seiner Leser nicht schlecht, denn genau diese Symbiose von nationalrevolutionärer und sozialrevolutionärer Gesinnung war der Beginn einer Neuen Rechten als gesamteuropäische Gestalt, die sich jedoch speziell in der BRD keine Illusionen über ihre schlechten Startbedingungen angesichts des gebrochenen Verhältnisses des größten Teils der Westdeutschen zum eigenen Volk und zur eigenen Nation machte.

45 Jahre später legt der 1991 geborene Historiker Alexander Markovics mit „Der Aufstieg der Neuen Rechten“ nun eine Monographie vor, die „die geistige Herkunft der „Mosaikrechten“ beleuchtet und darlegt, wie sich diese gegenüber anderen Strömungen in den letzten Jahren durchsetzen konnte und durch mediale Projekte im vorpolitischen Raum den Wahlerfolg der AfD in Deutschland und den anderen europäischen Patrioten in ihren Ländern geistig vorbereitete“. Der Autor, Vorsitzender des Suworow Instituts in Wien, dessen Forschungsschwerpunkt auf der Neuen Rechten und „Vierten Politischen Theorie“ des russischen Philosophen Alexander Dugin liegt, dem ein beträchtlicher Teil des Buches gewidmet ist, sieht im Populismus „die Stunde des Aufstands der Völker gegen den Liberalismus“, wenngleich er diese Behauptung mit einem Fragezeichen versieht. Dabei beruft er sich auf Alain de Benoist, der die Wurzeln des Populismus in den USA (People’s Party, 1891) und Rußland (Narodniki, 1860-1880) verortet. Doch im Gegensatz zu den Narodniki, die nur das Landleben gegen den Kapitalismus verteidigten, griffen die Anhänger der People’s Party auch den Finanzkapitalismus an.
Benoist zitierend differenziert Markovics zwischen identitärem und Nationalpopulismus, die sich beide gegen die Eliten richten. So ist die Frage, ob Populismus nicht eher ein Stil als eine Ideologie sei, durchaus berechtigt. Wer jedoch Populismus mit Demagogie gleichsetze, verkenne, daß es auch eine Demagogie der Eliten geben kann – siehe Brexit. Es liege also an der Neuen Rechten, einen Populismus des Volkes auszuarbeiten, um die liberalen Eliten „vom Thron zu stürzen und die Volkssouveränität wiederherstellen zu können“. Ob sich allerdings Gesellschaftskritik einen Gefallen tut, indem sie nach dem totalitaristischen national- und realsozialistischen Grauen der wuchernden Ausbreitung von Suggestivbegriffen, sakrosankten Leerformeln wie „Toleranz“, „Weltoffenheit“, „Vielfalt“ und „Buntheit“ und einer ganzen Batterie neu gegründeter Sprechblasen und Newcomer-Begriffen wie „Alltagsrassismus“, „struktureller Rassismus“ und „People of Colour“ eine neurechte Zuckergußvariante „zukunftsorientierter“ Aufbruchs-Schwadronaden entgegenhält, ist dann doch mehr als fragwürdig. Eine Gesellschaft, die sich von augenscheinlich geistig Gestörten über 60 verschiedene Geschlechter aufschwätzen läßt, jährlich über 100.000 ungeborene Kinder, die Schwächsten der Schwachen also, ohne mit der Wimper zu zucken im Mutterleib abmetzelt und neben einer desaströsen Energiewende mal so eben zwei Millionen Menschen aus raum- und kulturfremden Völkerschaften unkontrolliert ansiedelt, nicht in der Lage ist, zumindest einen einzigen konservativen Fernsehsender aufzubauen, aber sich Abend für Abend im Zwangsgebühren-TV belügen, als „Rassisten“, „Faschisten“, „Neo-Nazis“ und „Rechtsextremisten“ beschimpfen und beleidigen läßt und dafür auch noch Geld bezahlt, ist von der „Volkssouveränität“ weiter entfernt als die Erde vom Mond.
Ein umfangreiches Kapitel ist dem Islam in der Einschätzung der Neuen Rechten gewidmet. Während rechte Islamkritiker wie Egon Flaig, Michael Ley und Henryk M. Broder den Islam für die größte Bedrohung Europas halten, sehen andere Vertreter der Neuen Rechten wie Alain de Benoist, Thor von Waldstein und das IfS darin eine Vereinfachung, mit der man der Propaganda Huntingtons und dessen „Kampf der Kulturen“ folge. Von Waldstein habe herausgearbeitet, daß „die Völker des Islam mit Europa ein zum Teil mehrere Jahrhunderte überdauerndes geistiges Erbe verbinde. Orient und Okzident seien eine symbiotische Einheit“. Hier muß man allerdings einwenden, daß Europa mit dem Islam bis heute durchaus negative und erschreckende Erfahrungen gemacht hat und mit allergrößter Wahrscheinlichkeit noch weit größere Konflikte vor uns liegen. Immerhin sieht auch von Waldstein keine Möglichkeiten einer Integration, da das gegenwärtige Europa keine Identität besitze. Hinzuzufügen wäre, besäße Europa eine solche, wäre es sehr wohl imstande, der islamischen Invasion energisch Einhalt zu gebieten.
Im übrigen hat Huntington durchaus den Niedergang der westlichen Zivilisation beschrieben, ohne diese dem Islam anzulasten, sondern auf die Beziehungen von Macht und Kultur hingewiesen und darauf, daß der Islam durch Kriegslist und Gewaltbereitschaft gleichsam kulturell codiert ist: „Die Grenzen des Islam sind in der Tat blutig, und das Innere ist es ebenfalls“. Wie für Spengler, den Markovics kaum für „überholt“ halten dürfte, ist auch für Huntington Menschheitsgeschichte Kulturgeschichte, und „dem Aufstieg der chinesischen Macht und der Dynamik des Islam stehen im Sinne einer historischen Apokalypse die inneren Verfalls- und Fäulnisprozesse des Okzidents gegenüber“. Es ist daher mehr als fahrlässig, geopolitische Grundgesetze wie die Ursachen und Folgen einer islamischen Migrantenflut und die offene Feindseligkeit und den imperialistischen Machthunger Rot-Chinas zu ignorieren.
Dugins „Vierte politische Theorie“, die viele Ideen der Neuen Rechten zusammenfaßt, sieht den notwendigen Konflikt mit China und dem Islam im Gegensatz zu Huntington lediglich als „Möglichkeit“, nicht als Schicksal, was einer Realitätsverweigerung und Verharmlosung der Barbareien des Neo-Kommunismus und des fanatischen Islam gleichkommt. Dies auszublenden, bedeutet die Rückkehr zum Irrationalen, zu einem Alptraum durch das geistig-sinnlich Irrationale. Gewiß liegt Dugin richtig, wenn er dem russischen Volk eine verborgene katechotische Mission zubilligt, während der Westen sich dazu entschieden habe, die Postmoderne zu vollenden und – was besonders ekelhaft ist – nun ungeniert erneut die antirassistischen Töne erklingen läßt. Man mag darin die Bedeutung von Heideggers Satz: „Nur ein Gott kann uns retten“ erkennen. Der Autor lobt Götz Kubitscheks Kaplakenband „Provokation“ als „Anleitung zum Widerstand“. Dem „dekadenten Verlust der Wirklichkeit“ setze dieser „die Hochschätzung der Form entgegen, die sich in tragischer Haltung („und dennoch die Schwerter halten“) und Stilbewußtsein ausdrücke“. So könne es gelingen, zum „Wegweiser“ zu werden, einer „Widerstandsinsel, die erahne, daß es noch etwas anderes gebe“. Angesichts des unwiderruflichen Niedergangs und einer Spektakularisierung der Politik, hört sich dies ein wenig wie Wunschdenken an. Immerhin haben wir es hier mit keiner bedauerlichen „Fehlentwicklung“ zu tun, sondern mit einem integralen Moment und wesentlichen Produkt eines durch und durch katastrophalen Systems, dessen einzige Leistungen die Verdrängung der Realität und die schamlose Propagierung der wunderbaren Segnungen der Aufklärung sind, über die Adorno und Horkheimer in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ das Nötige gesagt haben, die unsere liberalen und linken Eliten als geschworene Dunkelmänner der Aufklärung subjektivistisch jedoch nie verstanden haben und bei Gevatter Habermas´ „Theorie der herrschaftsfreien Kommunikation“ stehengeblieben sind.
Das interessanteste Kapitel ist jenes über die italienische Nuova Destra, die zur Zeit wohl weltweit erfolgreichste mit „Casa Pound“ und einer parlamentarischen Neuen Rechten in Gestalt der „Lega“ und den „Fratelli D’Italia“. Seltsam mutet an, daß im gesamten Buch kein einziges Mal der Name Steve Bannon auftaucht, der gerade in Italien eine neurechte Denkfabrik aufbaut. Durchaus kritisch ist zu sehen, daß die Frage, ob die Partie für die Neue Rechte nicht längst verloren ist, nicht einmal ansatzweise diskutiert wird.
Befreiung muß in der Tat neu gedacht werden, denn wir haben dem System nicht für irgendeine „zivilisatorische Mission“ zu danken, sondern es als bösartige Zusammenfassung einer negativen Leidensgeschichte zu erkennen, der keinerlei positiver metaphysischer Sinn dieses Leidens an den infamen politischen Verhältnissen mit all ihren häßlichen Erscheinungsformen der neuerdings wieder gern beschworenen liberalen, demokratischen Werte abzugewinnen ist. In den immer häufiger auftretenden Extremen des Globalismus wird der Bann der modernen Form von Entstaatlichung und Ökonomie grauenvoll kenntlich. Genau hier hat eine antiemanzipatorische Kritik eines Rechts-Konservativismus anzusetzen, die den selbstläufigen Zerfall des Politischen nicht selber als politischen Akt mißversteht.
Alexander Markovics: Der Aufstieg der Neuen Rechten. Arcadi Media, Dresden 2020. 144 Seiten, 19,99 Euro.

Werner Olles
Werner Olles, Jahrgang 1942, war bis Anfang der 1980er Jahre in verschiedenen Organisationen der Neuen Linken (SDS, Rote Panther, Jusos) politisch aktiv. Nach grundsätzlichen Differenzen mit der Linken Konversion zum Konservativismus und traditionalistischen Katholizismus sowie rege publizistische Tätigkeit in Zeitungen und Zeitschriften dieses Spektrums. Bis zu seiner Pensionierung Angestellter in der Bibliothek einer Fachhochschule, seither freier Publizist.