Der Sonntagsspaziergang, Öl auf Holz
Karl Spitzweg, 1841
von Günther Nenning
Paradies als Heimat, Heimat als Paradies
I. Das Paradies gibt es
Das Paradies gibt es nicht. Doch, das Paradies gibt es. Es gibt die „Heimat, wo wir noch nie waren“ (Ernst Bloch). Es gibt den „Schatten an der Mauer, von Ästen bewegt im Mittagswind, Teilnahme am Himmelsspiel“ (Gottfried Benn). Es gibt „ein seltenes Ankunftsgefühl, verbunden mit dem frischen Rotbraun des gerade umgegrabenen Gartens“ (Peter Handke). Es gibt „beinahe eine Art Festung, in der man sich wohlig geborgen fühlt“ (Friedrich Torberg).
„Du mein Ort, du kein Ort, über Wolken, unter Nacht, über Tag. Ich deine Welle, du meine Erdung“
Ingeborg Bachmann
Oh Gott, was für ein Chor. Bloch, Benn, Handke, Torberg, Bachmann, immer so abwechselnd, immer so weiter, einmal links, einmal rechts, das hab ich absichtlich so ausgewählt. Man muß die Linken ärgern, indem man Rechte zitiert, man muß die Rechten ärgern, indem man Linke zitiert. Die Wahrheit ist nicht links oder rechts, sondern Stücke Wahrheit sind links und rechts und unten und oben.
Heimat ist ein Stück Wahrheit, ein Vordergrund und Hinterhalt, und keiner kommt unbeschädigt dran vorbei. Heimat ist ein Rufzeichen und ein Fragezeichen.
Der letzte erhaltene handschriftliche Satz von Martin Heidegger vor seinem Tod (1975) lautet: „Denn es bedarf der Besinnung, und wie im Zeitalter der technisierten, gleichförmigen Weltzivilisation noch Heimat sein kann.“
Ob und wie? Und ob und wie!
II. Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft
„Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!“ – Macht man ernst mit diesem historisch ehrwürdigen Schlag- und Stichwort, muß man auch die postmoderne Gleichung ernstnehmen: Faschismus ist Nationalismus ist Faschismus. Und man muß Faschismus/Nationalismus verfolgen bis in sein neuestes, unverdächtiges Versteck, seine kuschelige Euro-Datscha, am Eingang der Sinnspruch in mehreren Sprachen: „Kam’raden, werdet nicht nervös / Wir legen das alte Gesäß / In neue regionale Falten / Und bleiben doch die Alten.“
Andre Fontaine hat in „Le Monde“, unter dem treffenden Motto „Das Märchen vom absterbenden Nationalismus“ eine Liste von 14 regionalen Konfliktzonen präsentiert, weltweit. Er hält Regionalismus eher für ein Heilmittel gegen Nationalismus, und ich will ihn für meine genau gegenteilige Interpretation nicht einspannen. Mir scheint seine kühn subsumierende Liste hilfreich, wenn man Regionalismus einmal nicht verharmlosen, sondern dramatisieren will.
Die Liste, in Fontaines bunter Reihenfolge, lautet (die Schlußfolgerungen sind meine):
- England, das sich in eine sezessionistische Außenregion der EU verwandelt.
- Auflösung der Sowjetunion in eine bunte Landkarte von Regionalismen, in Wahrheit Nationalismen mit politischen, kulturellen und ökonomischen Ehrgeizen; das zentrale Rest-Reich versucht sie zu beschwören durch Eingliederung als Regionen. Das ist die gleiche Beschwörung, die die EU versucht.
- Auflösung Jugoslawiens, wo der in Rußland unternommene Versuch, Nationalismen zusammenzufügen zu Regionalismen unter zentralem Dach, offenkundig und blutig gescheitert ist.
- Kanada, mit fast gelungener Abspaltung der leidenschaftlich französischen Region Quebec.
- Spanien, wo eine schwache rechtskonservative Regierung überleben will durch Konzessionen an den eingewurzelten Regionalismus der Katalanen. Der noch stärkere Regionalismus der Basken setzt sich fort mit intermittierendem Terror.
- Nochmals Rußland, im blutigen Konflikt mit dem tschetschenischen Nationalismus, dessen Zähmung zu Regionalismus bereits mißlungen ist.
- China, dessen ökonomisch, kulturell und sprachlich sehr diversen Küstenregionen zur Abspaltung neigen, sobald die Zentralregierung nicht stark genug ist.
- Zerfall der Tschechoslowakei; in der nun selbständigen Slowakei heftiger Regionalismus/ Nationalismus der Ungarn.
- Rumänien; gleichfalls starker ungarischer Regionalismus/Nationalismus.
- Frankreich; eingewurzelter Regionalismus/Nationalismus auf Korsika, komplett mit blutigem Bombenterror.
- Nochmals Britannien; der endlose und endlos blutige irische Regionalismus/ Nationalismus.
- Belgien; Flamen und Wallonen, Regionalismus/Nationalismus schon bis zur faktischen Zweiteilung des Landes und seiner Hauptstadt; welche ironischerweise die Hauptstadt des vereinten Europa ist.
- Italien; der lombardisch-venetische Regionalismus/Nationalismus; mit grotesken Zügen, aber politisch und ökonomisch vielleicht ernstzunehmen.
Fontaines Liste ist nicht komplett, aber wahrhaft ausreichend für die Frage: Ist Regionalismus so harmlos wie er im EU-Quacksprech aufscheint? Ist Regionalismus nicht vielmehr die neue Verkleidung des alten Nationalismus?
Nationalismus pflanzt sich fort durch Zellteilung.
Im Schoße der alten Nationalstaaten, deren feste
Fügung nun aufgeweicht wird durch die europäische
Integration, entstehen neue Nationalismen, die von
harmlosen Gemütern als Regionalismen dekretiert
werden, und sogar als Alternativen zum Nationalismus.
In Wahrheit handelt es sich um Nationalismus zum Quadrat: der ökonomisch motivierte Euro-Nationalismus der EU wird gesprengt durch neue Nationalismen in den alten Nationalstaaten; die alten Nationalstaaten werden gesprengt durch den neuesten Nationalismus namens Regionalismus.
Ja, ja, Regionalismus ist EU-konform. Übersetzt aus dem Euro-Quacksprech in der Euro-Realität heißt das: Regionalismus ist Fortsetzung des Nationalismus mit anderen Mitteln, die die gleichen sind, nur EU-gefördert.
III. „Regio“, königliches Land
„Regio“ war zu gewissen Zeiten ein dem „rex“ gehöriges Gebiet, „Königsland’’.
Im frühen Mittelalter bezeichnete dies die Hervorhebung von wesentlichen Besonderheiten eines Landes unter königlicher und insofern zentraler Verwaltung. Aber „königlich“ war nicht nur der administrative Ausdruck von Oberhoheit und Einheitlichkeit; „königlich“ bezeichnet metaphorisch auch die hochrangige Eigenheit der betreffenden Region.
„Königlich“ als höchstes erhältliches Adjektiv bezog sich sowohl auf Rang und Besonderheit der Region wie auf deren Unterworfenheit unter den König. Sie waren gleichwertig, Besonderheit und Einheitlichkeit. Buntheit, Vielfalt und Vielzahl der Regionen waren unerläßlich für Glanz, Wert und Würde einer darüber gebreiteten Einheit des Reiches. Heute ist das umgekehrt. Die Verschiedenheit der Regionen ist störend und ärgerlich für die notwendige Einheitlichkeit des Marktes. Statt Regionaltrachten „United Colors of Benetton“.
Zu Wert und Würde EU-Europas trägt regionale Vielfalt nicht nur nichts bei, sondern sie ist ein Hindernis für die Wertschöpfung. Wenn in jeder Region anders gegessen, anders getrunken, anderes Zeug konsumiert werden will – so muß Regionalismus abgeschafft werden, möglichst rasch und möglichst radikal. Verschiedenheit ist altmodischer Blödsinn.
Freiheit der Wirtschaft heißt: Sie ist frei alles zu beseitigen, was ihrer Freiheit entgegensteht, uns allen immer mehr vom immer Gleichen zu verkaufen. Unser Lohn ist Billigkeit in jeglichem Sinn.
Die Hoheit der Region, die in ihrer Etymologie sich als eine „königliche“ enthüllt, ist in der Demokratie des National- wie des Kontinentalstaates nicht herstellbar. Und zwar genau bis zu dem Zeitpunkt nicht, wo ihre Wiederherstellung nötig wird: nämlich bei Scheitern der zentralisierenden und konzentrierenden Wirtschaftsweise und damit verknüpfter emotionaler Wiederkehr von Halt und Wurzel in einer Heimat.
Das ist Zukunftsmusik. Derzeit ist ernsthafte Autonomie der Regionen zwar wesentlicher Bestandteil wahrer Demokratie, aber nicht realisierbar in der realen Demokratie, mit zentraler Regierung, zentralem Parlament und deren Übermacht über alle denkbaren regionalen Konzessionen.
Wahre Autonomie der Regionen widerspricht den ureigenen Interessen der Zentralinstanzen, vor allem den Interessen der von diesen Zentralinstanzen geförderten zentralisierenden Ökonomie.
Die historische Hauptaufgabe politischer Zentralinstanzen ist die Förderung einer einheitlichen Ökonomie. Dieser ökonomische Zweck war der historische Hauptzweck der Nationalstaaten und ist der aktuelle Hauptzweck des Kontinentalstaates, als welcher sich die Brüsseler Bürokratie etablieren möchte. Die Regionen spielen da nur eine Rolle als verschleierndes Blabla in unzähligen EU-Papieren.
„Integrierte Regionalentwicklung“ heißt: Stört die Integration nicht, ihr kriegt zur Belohnung schöne Worte und vielleicht ein bißchen Geld.
IV. Region, ein Schwindel
„Region“ ist ein Schwindel, ein Kunst- und Heuchelwort. „Region“ ist die Ausrede für alle, die sich nicht getrauen, „Heimat“ zu sagen. Und erst recht für alle, die Heimat redlich hassen. Und zwar sind sie desto gehässiger, je tiefer ihre innerste Sehnsucht ist nach Heimat und Halt.
Mir sind die redlichen Heimathasser lieber als die Vorsichtigen, die „Heimat“ schon sagen möchten, aber „Region“ sagen, um sich keine politischen Verdächte einzuwirtschaften.
Es ist ein Teufelskreis. Weil jene vielen, die „Heimat“ sagen möchten, sich fürchten, „Heimat“ zu sagen, werden jene wenigen, die „Heimat“ trotzdem sagen, desto gehässiger heruntergemacht von den Heimathassern.
Hoch lebe die Region! Sie ist das Zauberwort für Verschweiger und Verharmloser.
Freilich ändert sich das allmählich zum schlimmbesseren. Im Zuge des schleichenden Rechtsrucks wird Heimat ein Modewort im fremdenverkehrsfördemden Talmi-Kulturbetrieb. Wer alles heute wieder von „Heimat“ redet und mit ihr in Wahrheit nichts am Hut hat – das ist arg.
Kein noch so ehrenwerter Veranstalter entgeht gänzlich dem Verdacht Kundiger wie Unkundiger, daß er neben die politisch korrekte „Region“ die unkorrekte „Heimat“ deswegen setzt, weil ma halt scho wieder derf und weil’s vielleicht gut ist für die „integrierte Regionalentwicklung“, wie das im EU-Slang genannt wird. Heimat wird wieder, was auf anglodeutsch „trendy“ heißt.
„Region“ und „Heimat“ stehen in einem Zusammenhang, in welchem kompliziertes Herumreden die bessere Lösung ist, verglichen mit der Wahrheit. In Wahrheit bleibt „Region“ ein Kunstwort zur Behübschung der Integration EU-Europas, sprich: Vereinheitlichung, Konzentration und Zentralisation.
Was immer man hinzufügt zu „Region“, es bleibt ein Krampf. „Integrierte Regionalentwicklung“ ist Gipfel der Heuchelei. Integration ist die Einschmelzung aller Heimaten in eine große Nicht-Heimat; die daraus resultierende Halt- und Rat-, Hilf- und Heillosigkeit, Depression und Desperation der Seelen wird verschlimmbessert durch Konsum, Konkurrenz, Jobangst, Jobverlust, Wachstum, Weltmarkt und andere Borniertheiten.
Gerade darum wird „Region“ immer schwindelhafter, „Heimat“ immer aktueller. Zwecks Gegenwehr kommt es zur Mobilisierung einer ganzen Euro-Brigade von „Regionalwissenschaftem“ zur Unterfütterung der dürftigen Regionalideologie gemäß Maastricht-Vertrag. Auf Wissenschaftsdeutsch heißt Heimatgefühl „kognitive und emotionale Regionalidentitätsakzeptanz“. Oh Heimat, ich krieg Regionsweh nach dir.
Dürftiges Ergebnis der neuen „Regionalwissenschaft“:
„Regionalidentifikationsakzeptanz“ (Heimatgefühl) läuft über Ästhetik und Geschichte. „So schön wie bei uns ist’s nirgends“.
Und, Zitat vom feinsten: „Ich will nur dort sein, wo schon etwas gewesen ist“ (Ingeborg Bachmann).
Geschichte ist die große Feindin aller Modernität. Vergangenheit ist unausrottbar. Vergleiche mit der Vergangenheit können schiefgehen zuungunsten der Gegenwart und erst recht der Zukunft. Dieses Risiko will Modernität nicht eingehen. Alle Geschichte ist verdächtig; alle Schönheit ist verdächtig. Wer Geschichte schön findet, ist reaktionär. Wer reaktionär ist, findet Schönheit schön. Mehr noch als Geschichte ist Schönheit die Feindin von Gegenwart und erst recht Zukunft. Training auf Häßlichkeit ist Überlebenstraining. Wir müssen das Hexeneinmaleins lernen: Häßlich ist schön, und schön ist häßlich.
Schöne häßliche Zukunft: Unter dem Kommando des sich konzentrierenden Kapitals werden die Regionen eingeebnet. Ihre schönen Idiosynkrasien sind ebenso viele häßliche Hemmnisse für die Einheit des Marktes. Die Vernichtung der Regionen geschieht unter ständigem Absingen von Hymnen auf den Regionalismus.
Natürlich ist die EU, zusammengsetzt aus demokratischen Staaten und selber so ungefähr vierteldemokratisch – nicht zu vergleichen mit totalitären Staaten. Insofern aber schon, als auch in ihr das Regionale eine Art Folklorismus darstellt, zur Tarnung eines in allen wesentlichen Punkten zentralistischen und bürokratischen Gebildes. Unterm kommunistischen Zentralismus ist ja gleichfalls das regionale Trachtenwesen, das Volkstänzen und Volkssingen lebhaft gefördert und subventioniert worden bis zum Tode.
Der Schein-Regionalismus ändert nichts am ökonomischen Prozeß, der sich machtvoll in der EU vollzieht. Die EU ist der gewaltigste ökonomische Konzentrationsprozeß in der Geschichte Europas. Die Regionen sind nur Feigenblätter. In Wahrheit ist der EU-Kaiser nackt.
V. Ökonomie statt Heimat
Politik ist Phantasie, Kraft und Kunst zugunsten des Polis. Als solche scheint sie, von Ausnahmen abgesehen, nicht mehr vorfindbar, nicht in den einzelnen EU-Nationalstaaten, nicht in der EU-Zentrale.
Politik hat abgedankt zugunsten Ökonomie. Politik macht nur noch Begleitmusik zur Ökonomie. Und Ökonomie verfehlt immer deutlicher ihre altmodische, wortwörtliche Zieldefinition: OIKONOMIA als Kunst, wie man gut wirtschaftet zugunsten der Menschen im Haushalt wie im Staat.
Adam Smith war, was immer man sonst von ihm halten mag, Professor der Moralphilosophie. Bill Gates ist seine Karikatur, ein Buberl, übersät mit den eitrigen Pusteln des Profits.
In Österreich haben wir einen absterbenden Nachklang der wahren Ökonomie als Akkord von Leben, Arbeit und Nahrung, alle drei sowohl schwierig wie gesund: Der Bundespräsident verleiht an verdiente Landwirte den Titel „Ökonomierat“. Aber immer seltener, denn Landwirtschaft ist ihrem Urgrund gemäß keine Profitwirtschaft.
Derzeitige Ökonomie ist das Gegenteil von gesundem Leben, gesunder Arbeit, gesunder Nahrung. Ökonomie verkommt zum dummdreisten Ersatz von arbeitenden Menschen durch zweckmäßige Maschinen. Ökonomie degeneriert zum reinen Unsinn: Wenn „alle“ keine Arbeit mehr haben, kann „keiner“ mehr was kaufen. Finis mundi capitalistici. Kladderadatsch.
Bis dahin gilt: Ökonomie ist allmächtig. Ob Region oder Heimat, beide verkommen zur zynischen oder nostalgischen Redensart. Beide sind nur noch gut zum Schindluder treiben.
Nur in einem einzigen Punkt kehrt sich das Machtverhältnis um. Weder die Ökonomie noch gar ihre Hure, die Politik, vermögen unserem Leben Sinn zu geben, anderen Sinn als Blödsinn. Heimat kann genau dies. Und zwar unbeschadet jeglichen Schindluders, das mit ihr getrieben wird.
Heimat ist stärker als ihr Mißbrauch. Sie kann Sinn bieten. Halt, Wurzel, Geborgenheit, überhaupt Gefühl – all das, was derzeit weder Politik noch Ökonomie bieten.
Die Gefühlspotenzen von Politik und Ökonomie sind näherungsweise null. Altbewährte Mythen und Verführer wie Konsum, Wohlstand, Leistung landen auf der Mülldeponie der Weltgeschichte, Arbeitslosigkeit wird zur einzig verallgemeinerungsfähigen Zukunft.
Auch die gefürchtete mythologische und ästhetische Potenz faschistischer Politik ist nur noch eine Karikatur der Hitler- und Mussolinizeit.
Je geringer die Gefühlspotenzen von Politik und Wirtschaft zu veranschlagen sind, desto höher steigt der Mythos Heimat. Zumal auch Kultur und Kunst, modern gefaßt oder postmodern, derzeit, von wichtigen Ausnahmen abgesehen, meist keine Gefühlsmacht haben über die sogenannte „breite Masse“. Ebendrum ist dies die Stunde der „Volksmusik“, der schlechten wie der guten.
Wir befinden uns in einer Stunde Null, abzulesen am verläßlichen Barometer Literatur. Die neue Gefühlspotenz der Heimat hat sich kaum noch in die Aktualität von neuer Heimatliteratur umgesetzt, gemeint als Literatur, die strengen und strengsten Kriterien standhalten müßte.
Umgekehrt ist auch die Antiheimatliteratur solchen Kriterien nicht gewachsen. Gerade im konservativen Österreich hat die Antiheimatliteratur Karriere gemacht. Sie brachte es zu angeblich oder wirklich internationaler oder wenigstens deutscher Beachtung. Aber das war ein typisch österreichisches Umkehrphänomen: Die Österreicher kommen immer dann in den Rang einer Avantgarde, wenn sie ihr eingeboren Konservatives bedenkenlos auf den Kopf stellen.
Wo Heimat auf reaktionäre Weise geliebt wird, kann sich Heimathaß als fortschrittlich etablieren. Österreichliebe und Österreichhaß sind zwei Seiten der gleichen Heimweh-Medaille.
VI. Geistige Wühlarbeit
Auf die EU schimpfen ist leicht und schön. Aber was soll geschehen?
Die ökonomische Entwicklung zu Größe und Einheit und die zugehörige psychische Entwicklung und vergebliche Feier von Größenwahn und Einheitswahn – läuft allen wesentlichen Interessen der Regionen/Heimaten stracks zuwider. Der EU-Kapitalismus ist eine Entwicklungsphase von großer historischer Dynamik. Man kann sie nicht überspringen oder weg dekretieren, vielleicht abkürzen oder mildern.
Nur diesen Trost kann sich aus der Geschichte jeder ihrer Liebhaber holen: Noch so unwiderstehliche Haupttendenzen einer Epoche erzeugen stets Gegentendenzen. Die Haupttendenz arbeitet durch Verallgemeinerung, Ausdehnung und Überdehnung schließlich an ihrem eigenen Untergang. Ebendrum kann und muß man Gegentendenzen fördern, ohne pedantische Beachtung ihrer realen Nullchancen im gegebenen historischen Augenblick.
Untergangsarbeit ist immer zuerst Ideenarbeit. Geistige Wühlarbeit. Die frontal und derzeit unbesiegbare Haupttendenz wird von seitwärts und ins künftig angegriffen, unter- und schließlich begraben. Mit jener mysteriösen Eleganz, die auf Begräbnissen der Weltgeschichte derigueur ist.
Die gegenwärtige Haupttendenz der Ökonomie,
in Richtung auf Übergröße und Übertechnisierung,
zerstört den Arbeitsmarkt und damit zugleich den
Konsumentenmarkt. Sie ist so konsequent blind und
blöd wie ökonomische Tendenzen immer.
Genau dies öffnet das weite Feld der Ideenarbeit. Während die realen Arbeitsplätze schwinden, kriegen die Ideenarbeiter, unbeschadet dessen, daß sie gleichfalls joblos werden, zu tun. Im klassisch-kritischen Aufweis der Dummheit der Ökonomie, und viel wichtiger und munterer: Im Aufbau von gegenständigen Geisterreichen.
Zu den subversiven Geisterreichen gehören: Heimat, ganz allgemein und hervorragend; Österreich, mit all seinen lächerlichen Eigenheiten und Dauerhaftigkeiten; Mitteleuropa, als ein konservatives Gegenreich zum fortschreitenden Westen. Und sonst noch allerhand.
So wenig wir uns die Haupttendenz der gegenwärtigen Geschichtsepoche aussuchen können nach unserer ideologischen Geschmacksrichtung, so wenig können wir dies mit den Gegentendenzen.
Am besten sind wir noch dran mit der ökologischen Gegentendenz zur ökonomischen Haupttendenz. Bei flüchtigem Hinblick kann uns das „Grüne“ als schlechthin fortschrittlich erscheinen. Wir können es entdecken im Zug zum Kleinen und Eigenständigen, das zum Wesen des Regionalen wie Heimatlichen gehört. Und ins „grüne“ Fach können wir auch einschlichten das angeblich ökologische Musterland Österreich.
Und Österreich wie Mitteleuropa sind beide natürlich auch „grün“ als Widerstandszentren gegen Giga-Europa und dessen ökonomische und technologische Monstrosität..
Theoretisch bringt das alles nicht viel, aber praktisch wärmt es das Herz. Und Widerstandsarbeit ist nur möglich und lustig als Herzensarbeit.
VII. Heimat wörtlich
Bezeichnenderweise hat das deutsche Wort „Heimat“ keine genaue etymologische Entsprechung in anderen europäischen Sprachen. Auch bedeutungsgeschichtlich steht „Heimat“ isoliert da als typisch deutsche Gefühlsduselei. „Heimat“ und unübersetzbar. Als Fremd- und Spottwort geistert es durch andere Sprachen, wenn Deutsches, Allzudeutsches denunziert werden soll und muß.
Das gilt nur für das emotional und ideologisch aufgeladene Abstraktum „Heimat“. Das schlichte Konkretum „Heim“ hingegen hat sehr wohl seine Entsprechungen in allerlei europäischen Sprachen bis hinauf zum alten Griechischen.
„Heim“ hat als indo-europäische Wurzel KOIM, die sich im Griechischen findet in:
KOME, „Dorf’, eigentlich „Heimstätte“. Es ist das Wort für unkriegerisches, friedliches Siedeln. Im Gegensatz zu POLIS, der befestigten Stadt mit krönender Burg (AKROPOLIS), wo die Organe des Staates ihren heiligen Sitz haben und die ewig kriegführenden Ritter und Militärs. Als Fremdwort gehören hierher: „Polizei“ und „Politik“. POLIS, die Stadt ist politisch; KOME, das Dorf, unpolitisch.
KOMOS, „Festzug, Gelage, Tanz, Gesang“, ursprünglich: „Umzug ausgelassener, angetrunkener Dorfjugend“. Als Fremdwörter gehören hierher: „Komik“ und „Komödie“.
KOMA, „Liegen, tiefer Schlaf, Todesschlaf’. KOIMEMA, „Liegen, Schlafen“, ebenso „Beiwohnen, Beischlaf’. KOIMETERION, „Schlafzimmer“, ebenso „Grabstätte“.
KOIMESIS, „Liegen, Schlaf’, ebenso „Todesschlaf, Heimgang“. In ostchristlicher Theologie und Ikonenmalerei ist dies das Wort für die „Entschlafung Mariens“ und ihre anschließende Himmelfahrt am 15. August. Sie stirbt und steht wieder auf; genaugenommen stirbt sie gar nicht, schläft nur und kommt gleich in den Himmel. Seltsam genug hat Maria den Vorzug vor Jesus, daß sie aufersteht ohne gestorben zu sein.
In dieser sehr reichen Verzweigung läßt sich die Wortsippe „Heim“ trümmerhaft auch in anderen europäischen Sprachen aufspüren.
Übrigens gehört zur Wortfamilie von „Heimat“ und „Heim“ natürlich auch das „Heimchen“, die Grille, die in ihrem Käfig am häuslichen Herde gemütlich ihr Liedchen zirpt, während die gute Suppe brodelt.
Heimat ist, wo es zirpt.
Heimat ist, wo man liegt, sich befindet,
ißt und trinkt, musiziert, tanzt, besoffen ist.
Feste feiert, mit komischem Beigeschmack.
Heimat ist, wo man stirbt, tot da liegt, begraben ist.
Und wieder aufersteht, nach und trotz Todesschlaf.
Heimat ist Dorf, wo man Frieden hat,
während es in der Stadt zugeht.
Heimat ist unpolitisch, steht gegen Stadt und Staat.
Wem dieser Befund nicht reicht, ist hoffnunglos. Es gibt viele Hoffnungslose. Wer hoffnungslos ist, hat keine Heimat. Aber verkappte Sehnsucht. Heimat ist, wo er noch nie war. Und auch angeblich nie hinwill.
Mitleidend stimmen wir mit ihm überein: für einen auch nur einigermaßen fortschrittlichen, liberalen und multinational gesinnten modernen Menschen ist und bleibt Heimat das Letzte. Wort und Begriff, Gefühl und Realität von Heimat liegen ihm stagelgrün auf. Und so tief sitzt der Brechreiz, daß der besorgte Analytiker eben fragen könnte, mit dem notwenigen Quentchen Bosheit: Sitzt nicht ebenso tief wie die Abneigung gegen Heimat die verleugnete Sehnsucht, das Heimweh?
Naja, fragen wird man ja noch dürfen?
VIII. Was ist Zeitgeschichte
Wenn man sich nicht mehr auskennt, soll man die Sprache befragen, seine eigene Sprache, die Sprachen der Welt. Sprache ist Orakel; Geheimnis und Lösung zugleich.
Wort und Begriff „Heimat“ sind verdorben worden in der Nazizeit. Ja. Aber das ganze reiche Wort- und Begriffsfeld „Heimat“, das sich über einen Gutteil von europäischen Sprachen erstreckt und hinabreicht in Jahrtausende – das preiszugeben ist Pseudo-Antifaschismus; Ängstlichkeit statt Mut zum Eigenen und Eigensten. Wer Heimat will, darf nicht zurückweichen vor faschistischer Verdrehung.
Aufklärung über Faschismus, auf daß er nie wiederkehre, ist die vornehmste praktische Aufgabe dessen, was „Zeitgeschichte“ genannt wird. Zeitgeschichte ist was typisch Deutsches. Als ob nur unsere Zeit Gegenstand von Geschichte wäre. Als ob nicht alle Geschichte Zeitgeschichte wäre. Zeitgeschichte ist die sehr deutsche Kunst, alle Geschichte verdächtig zu finden, die nicht Geschichte des Faschismus ist.
Gewiß kann man gar nicht genug tun gegen den Faschismus. Aber es gibt einen Antifaschismus, der das von ihm Bekämpfte durch ständige Beschwörung neu hervorzubringen versucht, um es neu bekämpfen zu können durch ständige Beschwörung. Da capo sino al fine.
Zeitgeschichte ist immer zu kurz gegriffen. Zeitgeschichte heißt: Allzutief in die Geschichte will ich mich nicht wagen. Ich bleibe in unserer Zeit, einschließlich kürzlicher Vergangenheit; und wenn ich dann, wegen zu kurzen Griffes, nicht begreife, desto schlimmer – nein, nicht für mich, sondern für die Zeit. Ich denunziere sie, bewältige sie, treibe Vergangenheitsbewältigung als Vergangenheitsvergewaltigung. Ich greife ihr an die Gurgel und rufe: Kusch, jetzt rede ich.
Ja. das ist ein etwas ungerechtes Porträit des Zeitgeschichtlers.
Abhilfe bietet am sichersten das Sich-Hinablassen in die Sprache. Vor Wörtern mit ihren uralten Wurzeln verblassen Phrasen.
Der Marxist und Mystiker Emst Bloch hat „Heimat“ nicht ideologisch abstrakt gefaßt, sondern konkret und architektonisch, als gebaute Heimstätte. Er ist, wie man im Grimmschen Wörterbuch nachlesen kann, im Einklang mit deutschen Mundarten, wo „Heimat“ einfach Haus und Hof, auch bebauter Ackerboden heißt.
Dichter haben das Architektonische von Heimat, das Steinerne, Umbaute, Umschlossene gerne aufgesprengt in alle Richtungen der Windrose. In jeder dieser Richtungen kann Heimat sein, und der ganze Kreis der Schöpfung wird einbezogen in den Begriff. Im Grimmschen Wörterbuch finden sich die folgenden zwei schönen Exempel:
„Und Vögel flogen nach diesen und jenen Richtungen wie nach verschiedenen Heimathen.“
Adalbert Stifter
„Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer, Wie Sprache der Heimat rauscht mir dein Wasser.“
Heinricht Heine
Ja, die deutschen Ideologen hatten den engsten Begriff von Heimat. Aber die deutschen Philosophen und Dichter den ideologiefreiesten, weitesten. Bei Herder reicht der Bogen von Heimat als einige Fußbreit Heimaterde – bis Heimat als die ganze Erde, planetarische Heimstätte für Weltbürger.
Hiermit entschuldige ich mich bei meinen Freunden, den Zeitgeschichtlern. Ich meine halt nur: Sie bedürfen der Ergänzung durch Literatur und überhaupt Sprache.
IX. Heimat, ein Skandal
Ungeheuerlich, daß der Marxist und Mystiker Ernst Bloch sein „Prinzip Hoffnung“ nach mehr als anderthalbtausend Seiten, zehn Jahren Schreibarbeit (1938-1947), beschließt mit einem letzten Wort, das lautet: „Heimat“. Meist wird der Schlußsatz zitiert als: „Heimat ist, wo wir noch nie waren.“ Wie so oft bei Zitaten, die wirklich weiterleben, ist das eine den exakten Wortlaut überflügelnde Vereinfachung, eine Deutlichkeit, deutlicher als der Autor. Der letzte Satz des „Prinzips Hoffnung“ lautet (Subjekt des Satzes ist: „der Mensch“):
„Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“
Oh, der große Hexenmeister. In seinem Alchemisten-Kolben kocht er Disparates, bis es zusammenschmilzt, krumm oder grad Bloch verkocht:
Aufklärerisches: Der Mensch „erfaßt sich selbst“. Münchhausen zieht sich selbst am Zopf aus dem dumpfen Weltsumpf, ans Licht.
Marxistisches Esperanto: „Entäußerung und Entfremdung“. Durch den Speichel vieler Ideologen-Münder ausgewaschen, in 150 Jahren schal geworden; auch bei Bloch wahrhaft nicht mundfrisch. Entehrt durch die Katastrophe des realen Sozialismus. Und doch. Und doch.
Westliche Demokratie: Bloch war ja verdächtig lang in den USA (1938 – 1949). Der Marxist verzichtet nicht darauf, die Demokratie ernstzunehmen. Er zieht dem Hauptwort ein adjektivisches Kondom über, um sich vor Infektion zu schützen. Nicht Demokratie, täuschende, enttäuschte, aber „reale Demokratie“. Das schon.
Kindheit: Nun der typisch Bloch’sche Salto aus der Fachphilosophie in die Dichtung. Nichts neu zu Bauende, kein Kartenhaus aus Begriffen, nein, etwas deutlich Dämmerndes, ein Konkretes, das wir einst schon fast hatten, „etwas, das allen in die Kindheit scheint“. Revolution ist nicht Vollzug einer unerhörten Zukunft, sondern Vollendung einer vertrauten Vergangenheit. Revolution ist wahrgewordener Kindertraum.
Bei Marx, dem jungen (1843, 25jährig, Brief an Rüge; es ist Blochs Lieblingszitat) träumt den Kindertraum von Revolution die ganze Welt:
„Es wird sich dann zeigen, daß die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewußtsein besitzen muß, um sie selbst zu besitzen.“
Ja, was denn für eine „Sache“? Bloch flippt urplötzlich aus aller linken Orthodoxie und exhibiert sich als Romantiker. Die „Sache“ nennt er nicht Sozialismus, Kommunismus, klassenlose Gesellschaft, sondern schrecklich schlicht, zwei Silben, sechs Buchstaben Heimat.
Ja, Heimat, ein Skandal.
X.
Alle wichtigen politischen Begriffe haben in letzter Instanz religiöse Wurzeln. Wir müssen Heimat nur weit und kühn genug zurückverfolgen und wir landen im Paradies. Religion ist Sehnsucht aus dem Elend des Ist-Zustandes in einen besseren. Draus folgt: Heimat ist eine religiöse Kategorie – freundlich gesagt. Hart gesagt: Heimat ist eine pseudoreligiöse Kategorie. Für Nationen gilt beides erst recht: das Freundliche und das Bittere. Wer Religion für interessant hält (für das Interessanteste überhaupt), muß die unscharfe Welt der Ersatz-Religionen einbeziehen, und zwar, insofern die Religion daran Anteil hat, auf freudliche Weise.
Heimat ist sowohl das vergangene
Paradies wie das künftige.
Das längst Vergangene
und das längst noch nicht Kommende
finden zu einer rührenden, rührseligen,
authentisch seligen Einheit und Einfalt.
Im Paradies waren wir noch nie, und doch kennen wir es, an Hand des unverwüstlichen Modells „Heimat“. Es ist Himmelsgefühl (Benn), und doch waren wir noch nie im Himmel, Ankunftsgefühl (Handke), und wir sind doch noch nie dort angekommen. Es ist Mauer und Garten, Festung und Geborgenheit (Torberg) Erde und Wasser, Mein-Ort und Kein-Ort (Bachmann).
Das Paradies hat seine Grenzen, sonst wäre es überall und nicht nur in der Heimat. Natürlich ist die Heimat aller Völker aller Weltgegenden schön, vielleicht schöner als unsere eigene Heimat, jede fremde Heimat hat nur den einzigen Makel, daß sie nicht meine Heimat ist.
Wer sagt: „So ein Blödsinn, Heimat ist überall“ –
hat ganz recht.
Heimat ist überall, nur meine Heimat ist hier.
Das Paradies hat seinen Namen davon, daß es umgrenzt ist. Das Wort kommt aus dem alten Persischen (Awestischen). „pairi daeza“ ist das „Um-mauerte“. Der „hortus inchusus“, „der verschlossene Garten“ ist in der lauretanischen Litanei das Schmuckwort für die Jungfrau Maria, die im Paradiesgärtlein sitzt, umgeben von Tieren und Pflanzen, Kräutern und Bäumen, Wiesen und Gewässern.
Pison, Ghihon, Hidechel und Euphrat benennt die Bibel die vier Flüsse, die unterm Paradiesbaum entspringen. In den Paradiesen der anderen Weltregionen fließen andere Flüsse, aber das Prinzip ist das gleiche; in jeder Heimat fließen Flüsse. Auch sonstiges Paradies-Inventar und -Personal wechselt je nach Religion. Im buddhistischen Paradies, so auf dem Wandgemälde eines Tempels von Bangkok, wimmelt es von wunderbaren Elefanten, weißen, rosaroten, grasgrünen.
Daß alles Unmögliche möglich ist, gehört zu Erkennungsmerkmalen eines jeden Paradieses. Friedrich Heilr, in seiner ungeheuer detailreichen Studie „Erscheinungsformen der Religion“ nennt als die Hauptmerkmale aller Paradiese der Weltreligionen: Nahrungsfülle, Leidlosigkeit, Gottesnähe.
Damit kann kein irdisches Paradies konkurrieren, außer als Gegenstand der Sehnsucht und Zukunft. Aber das immerhin haben das himmlische Paradies wie die irdische Heimat gemeinsam, daß sie von der sehnsüchtigen Seele nach den gleichen architektonischen Prinzipien gebaut werden. Ernst Bloch, natürlich wieder er, fragt und antwortet:
„Wie kann menschliche Fülle in Klarheit wieder gebaut werden? So beginnt mit Extrovertiertheit zum Kosmos, doch in Zurückbiegung seiner zum Lineament einer Heimatarchitektur insgesamt ist und bleibt ein Produktionsversuch menschlicher Heimat… das Umschließende gibt Heimat.“
Nun, „das Umschließende“ ist die etymologisch exakte Übersetzung von „Paradies“ (persisch) ins Deutsche. Daß der Linke Bloch sich einläßt auf Heimat, ist und bleibt ein Skandal, wiederum im etymologisch exakten Wortsinn:
Griechisch „skandalon“ ist das Wort für die Falle, die der Jäger stellt (wahrscheinlich ein uraltes Lehnwort aus dem vorderen Orient). „Skandalon“ ist speziell das Fallholz, jener entscheidende Bestandteil der Falle, an die das Tier mit der schnuppernden Schnauze anstößt, das Fallholz fällt, die Falle schnappt zu.
Heimat, süße Falle, die zuschnappt, Paradieses Vorausglanz.
Manuskript zum Vortrag von Günther Nenning am 15.2.1997 auf Burg Ludwigstein bei einer Veranstaltung der Unabhängigen Ökologen Deutschlands. Mit Genehmigung des Autors zuerst erschienen in der Druckausgabe der Zeitschrift wir selbst, Ausgabe 1/1998.
Wir werden auch in Zukunft einzelne Artikel aus älteren wir selbst-Ausgaben, sofern sie für unsere neue Internetplattform programmatischen Charakter haben, neu und wiederholt veröffentlichen.

Günther Nenning
Dr. Dr. Günther Nenning (1921-2006) war Journalist, Autor, Fernsehmoderator (Club 2) und Religionswissenschaftler. Er galt als „wendiger, intellektueller Vor- und Querdenker der Alpenrepublik“, als „Wahrheitssucher im Kostüm des Anarchisten“. Als Sozialist und Mentor der GRÜNEN während der Gründungsphase in Österreich engagierte er sich gegen das AKW Zwentendorf und wurde schließlich aus der SPÖ geworfen. Er bezeichnete sich selbst als „kulturdeutsch“ und „östereichischnational“. In „Grenzenlos deutsch“ und „Die Nation kommt wieder“ nahm Nenning zur nationalen Frage Stellung.