Geopolitische Nachhilfe am kalten Kamin

von Rocco Burggraf


Geopolitische Nachhilfe am kalten Kamin

Was da im Weißen Haus zwischen Trump und Selenskyj ablief, mag spektakulär anmuten. Spektakulär war aber lediglich, dass die Öffentlichkeit diesmal ungefiltert an Politik teilnehmen durfte. Was zum Vorschein kam, läßt die stocksteifen Etikettenschwindler in Europa erneut dastehen wie Amateure. Ihr ewiges Märchen von Gut hier und Böse da erweist sich als lächerliche Sandkastenspielerei. Und natürlich wird in ihrer Schockstarre über die Offenbarung des Wesens von Politik auch die völlige Überforderung Europas in geostrategischen Fragen deutlich.

In den entsetzten Kommentaren der europäischen „Einordner“ ist nun von allem Möglichen die Rede, übersehen wird aber der Hohlraum, der sich noch unter dem von Trump aufgerissenen doppelten Boden befindet. Dort liegt aber der Hund begraben. Europa mit den Deutschen an erster Stelle täte so langsam gut daran, die Schlachtaufstellung endlich aus der eigenen Perspektive zu analysieren. Nur – die begriffsstutzigen Mündel kommen einfach nicht in die Pubertät. Die Lage ist – wie so oft – weder besonders komplex noch undurchschaubar oder gar untersuchungsbedürftig, sondern völlig offensichtlich. Das meiste liegt auf der Hand, man darf also Eins und Eins zusammenzählen.

Vor dem EU-Parlament und geladenen Journalisten wurde kürzlich von einem langjährigen demokratischen Mitarbeiter der US-Regierung nochmals unmissverständlich offengelegt, welche Pläne die CIA bereits 1990 zur neuen Weltordnung in der Schublade hatte und auch bis zuletzt verfolgt hat. Die USA hängen seit Jahrzehnten einem Konzept der unilateralen Weltordnung nach. Regionen, die als amerikanische Interessenssphäre galten, wurden mit gezielten finanziellen und geheimdienstlichen Interventionen politisch so lange destabilisiert, bis ein prowestliches, regelmäßig als „demokratisch“ bezeichnetes Regime installiert war. „Nationbuilding“ hieß das eine Zeit lang, „Farbenrevolution“ oder auch mal „arabischer Frühling“. Regelmäßig verkalkulierte man sich allerdings im selbstreferentiellen Washington bei der Auswahl der geeigneten „Ortskräfte“. Und regelmäßig wendeten sich diese nach einiger Zeit gegen ihre Geldgeber und verfolgten ganz eigene Interessen. Unzählige Terrororganisationen verdanken ihre Existenz den amerikanischen Hütchenspielern im Pentagon. Die Geostrategen der CIA setzten eine Partie nach der anderen in den Sand, fühlen sich allerdings bis heute als Meister ihrer Profession. Ob sich das Weltpolizistendasein wenigstens ökonomisch bezahlt gemacht hat, ist in Ermangelung einer bewertbaren Referenz schwer zu sagen. Vermutlich ja, sonst würde man nicht nur gelegentlich etwas nachjustieren, sondern seine Planspiele grundsätzlich anders ausrichten. Offensichtlich ist Trump – Learning by doing – nun erstmals zum Paradigmenwechsel bereit.

Die rohstoffreiche und hochkorrupte Ukraine stand seit langem auf der „Transferliste“ der Weltpolitik. Die Aktivitäten der CIA, die Bunkerbauten entlang der russischen Grenze, die Planungen für einen NATO-Eintritt, die konkreten Vorbereitungen für Raketenstationierungen, die Vor-Ort-Machenschaften eines Hunter Biden, die vielen strategischen Investitionen Chinas und die zuletzt immer konkreter werdenden Warnungen Putins vor dem strategischen Zugriff des Westens waren nur die letzten Flashlights im geopolitischen Gezerre. Die förmlich explodierende Nachfrage nach seltenen Erden mag den Beteiligten nochmals klargemacht haben, dass keinen Fuß in der ukrainischen Tür zu haben, ein schwerer strategischer Malus sein könnte. Der lediglich für die naiven Europäer überraschende Maidan-Putsch bildete den Auftakt beim Zugriff Washingtons. Die nun generös ausgebreiteten Arme des Westens stießen unter den Ukrainern auf wenig Widerstand. Vielen erschien die Neuorientierung als der natürliche Lauf der Dinge.

Neben einer Neuausrichtung der Handelsbeziehungen wurden in Kiev sofort politische, kulturelle bis hin zu sprachlichen Umformungen intensiviert. Woher die dafür nötigen Mittel im Armenhaus Europas kamen, war unerheblich. Die zwischenzeitlich entdeckten, gut gefüllten Offshorekonten des nach altbekanntem Muster aus dem Hut gezauberten Kabarettpräsidenten Selenskyj bildeten lediglich eine ärgerliche Panne. Eine, die man sogleich den Blicken der Öffentlichkeit wieder zu entziehen wusste. Putins Einmarsch nicht als späte Reaktion auf die Entwicklung vor seiner Haustür, sondern als Ergebnis seiner imperialistischen Bestrebungen darzustellen, war die nächste, den Europäern verordnete Halbwahrheit. Viele hatten ihm den unstrittig völkerrechtswidrigen Schritt einfach nicht zugetraut. Wieder eine der zahlreichen Fehleinschätzungen des Westens. Nicht wenige begannen nun kryptisch vom sogenannten „Stellvertreterkrieg“ zu sprechen. Es gab aber von Anfang an nur einen Stellvertreter: die Ukraine.

Wäre Trump beim Eklat im Weißen Haus ehrlich gewesen, hätte er darlegen müssen, dass die Rechnung seitens der USA einfach ohne Putin gemacht worden war, nicht funktioniert hat und nun eben nachverhandelt wird. Er versucht, aus der mehr oder weniger gescheiterten feindlichen Übernahme der Ukraine wenigstens noch eine amerikanisch-russische Win-Win-Situation zu machen. Selenskyj hat in diesem Spiel keine schlechten, sondern nun überhaupt keine Karten mehr in der Hand. Er hat sich mit seinen Maximalforderungen verzockt. Aus einer Marionette wird kein Strippenzieher.

Neben der amerikanischen, der russischen und der durchaus tragisch zu nennenden ukrainischen Perspektive gibt es noch eine weitere, der wir uns schleunigst bewusst werden sollten. Das europäische Interesse besteht ganz sicher nicht darin, weitere Hunderte Milliarden in einem Krieg zu verpulvern, von dem Europa mit Deutschland in der Mitte außer der behaupteten Abschreckung gegen einen fiktiven Einmarsch Putins in Nato-Territorium rein gar nichts hat. Nein, dem feudalen Kreml-Chef gebührt keinerlei Sympathie, aber die Fortführung des Schlachtens einer absichtsvoll diskreditierend „Diktatfrieden“ genannten Lösung vorzuziehen, wäre an Zynismus schlecht zu überbieten. Eine Million tote Ukrainer sind der Katastrophe genug. Weder die dezimierte kriegsmüde ukrainische Bevölkerung noch die an der Front verheizten Russen und auch nicht die Europäer können irgendein Interesse an einem dauerhaften Krisenherd Ukraine haben. Europa hat zweifellos genügend Baustellen. Der Wiederaufbau der Ukraine ist nur eine davon. Sollten die Europäer nicht ab sofort alle Konzentration auf ihre Interessen, nämlich die eigene wirtschaftliche Wiederauferstehung, den Einwanderungsstopp für Gotteskrieger und die Wiederherstellung der inneren Sicherheit legen, ist das Schicksal des „alten Kontinents“ innerhalb einer neuen, multipolaren Welt ohnehin besiegelt.

Ich wohne in Dresden, bin parteilos, Familienvater, hauptberuflich freier Architekt und nebenberuflich inzwischen auch kritischer Publizist in sozialen Netzwerken. Meine politische Orientierung würde ich in erster Linie als freiheitlich bezeichnen. Kontaminierte Einordnungen nach links oder rechts, sozial oder wertkonservativ sind für mich uninteressant, weil von Fall zu Fall verschieden.

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