Die totalitäre Demokratie

von Klaus Kunze

Die totalitäre Demokratie

Die Begriffsverwirrten

Begriffsverwirrte marschieren massenhaft in großen Städten auf. Sie wähnen, für „die Demokratie“ einzutreten, die Guten. Mangelnde politische Schulbildung und pausenlos eingehämmerte Schlagworte haben in ihren Köpfen ein Chaos sondergleichen angerichtet.

Weil sich eine Handvoll AfD-Mitglieder einen Vortrag angehört hatten, in dem – so die inzwischen nachgewiesene Propagandalüge – „massenhafte Deportation“ von Ausländern gefordert worden sein soll, demonstriert die Volksfront von links „gegen Rechts“, namentlich gegen die AfD: „für Demokratie!“

Oh diese Ahnungslosen! Niemand hat sie gelehrt, was Demokratie überhaupt bedeutet und welches ihre Merkmale sind. Das Demokratieprinzip ist eines der Strukturmerkmale des Grundgesetzes, aber nicht das einzige. Ein weiteres ist das Rechtsstaatsprinzip. Ohne Rechtsstaat kann eine reine Demokratie totalitär werden.

Die Rechtsstaatlichkeit ist gänzlich eigenständig, sie bildet geradezu das Gegenprinzip zur Demokratie: Selbst wenn und obwohl eine demokratische Mehrheit es vielleicht will und so entscheidet, verbietet es jeden Verstoß gegen Recht und Gesetz, besonders gegen unsere Grundrechte.

Wer sich in Deutschland weniger Ausländer wünscht, muß darum das Rechtsstaatsprinzip beachten. Dagegen würde verstoßen, wer Staatsbürger ohne gesetzliche Grundlage wegen ihrer Abstammung ausbürgern würde. Gegen das Demokratieprinzip aber würde es nicht  verstoßen, wenn genau das der Wille einer Mehrheit wäre.

Der Pferdefuß der Demokratie

Das Demokratieprinzip für sich besagt nur, daß alle Macht sich von unten nach oben bilden muß, und was auch immer Mehrheitswille ist, gilt als legitim und richtig. Ohne rechtsstaatliche Bremse hat es schon bei den alten Athenern, seinen Erfindern, zu haarsträubenden Ergebnissen geführt.

Der Philosoph Anaxagoras aus Klazomenai kam 462 v.Chr. nach Athen. Er vertrat die für die fromme Masse höchst ketzerische Lehre, die Sonne sei nicht göttlich, sondern nur eine glühende Masse. Auf dem Höhepunkt der attischen Demokratie wurde er 430 nur durch den Einfluß seines Freundes Perikles von der Todesstrafe verschont, aber für immer verbannt. Dreißig Jahre später verurteilte die Athener Volksversammlung dann – ganz demokratisch – den Philosophen Sokrates zum Tode – weil er „die Jugend verführte“.

Anaxagoras (ca.499-428 v.Chr.)

Vox populi, vox dei – die Stimme des Volkes gilt fundamentalistischen Demokraten wie die unhinterfragbare Stimme Gottes.

Es wurde jahrtausendelang ruhig um die Demokratie, die man allenfalls als nette, aber unpraktikable Utopie betrachtete. In ihrem Namen handelten dann in der französischen Revolution kleine Gremien, die von sich behaupteten, das Volk zu repräsentieren. Dieser Gedanke war den alten Athenern noch völlig fremd. Er führte bald zu Massenhinrichtungen von Menschen mit unpassender Abstammung (Adel), unpassendem Glauben (Klerikern) oder unpassender Gesinnung, als sich die Demokraten am Ende gegenseitig verdächtigten und guillotinierten. Erst das 19. Jahrhundert erlebte schließlich die Zähmung der totalitären Demokratie durch die Einführung von Verfassungs- und Rechtsstaaten.

Hinrichtung 1793 im demokratischen Namen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit: eine jubelnde Pöbelmasse war immer zur Stelle.

Die Bestie aus dem Käfig lassen

Aus guten Gründen ist die Bundesrepublik keine Demokratie. Ihre Staatsform ist die Republik und die Regierungsform ein demokratischer Parlamentarismus. Demokratisch ist hier nur Adjektiv. Die Macht über alle drei Staatsgewalten bündelt sich im Parlament.

Die Macht wird also nicht vom Volk ausgeübt. Um diese Regierungsform dennoch demokratisch nennen zu können, muß wenigstens die Fiktion, die Macht gehe vom Volke aus, durch eine Willensbildung von unten hoch zu den Staatsorganen, durch freie Wahlen und die Chance der Opposition gestützt werden, friedlich die Mehrheit zu gewinnen und die Regierung abzulösen. Wer diese rechtsstaatlichen Sicherungen beseitigt, läßt die Bestie aus dem Käfig.

Deutschland hatte 1933 gelernt, was geschieht, wenn eine Mehrheit einen Führer will, der die Opposition vernichtet. Der ersetzte die Fiktion, der Volkswille herrsche durch Wahl von 814 Reichstagsabgeordneten, durch die Fiktion, er herrsche durch Akklamation eines einzelnen Führers. Eine totalitäre „Demokratie“ herrschte auch in der DDR und zeichnete sich durch dieselben tyrannischen Exzesse aus wie jede andere, in der autoritäre Macht im Namen des Volkes, aber ohne rechtsstaatliche Sicherungen ausgelebt wird.

Die Drahtzieher der aktuellen Großkundgebungen „für Demokratie“ wollen eine solche Bestie wieder aus dem Käfig lassen. Was in der DDR faktische Volksfront, namentlich Nationale Front mit Blockparteien war, demonstriert heute Seit an Seit „für Demokratie“, Antifa-Fahnen neben CDU-Fahnen. Sie stellen sich die gleiche totalitäre Demokratie vor, die wir in Deutschland schon ein paarmal hatten: ob sie sich nun sozialistisch oder nationalsozialistisch nennt. Ihre Strukturmerkmale sind dieselben.

Totalitäre Gesinnungsstaaten lieben Massenaufmärsche (FDJ-Aufmarsch in Berlin am 1.5.1973)
 Demonstration nach dem 17. Juni 1953, Demonstranten mit Transparent: „Unsere Antwort an Provokateure: Festes Vertrauen zur Regierung!“

Ausschaltung der Opposition

“Alle sollen mitmachen können in der Demokratie.” So idyllisch malt unsere staatliche Bundeszentrale für politische Bildung die demokratische Utopie als Thema im Unterricht für Kinder.

Das wäre wirklich utopisch schön. Auf dem juristischen Papier ist es im Rechts- und Verfassungsstaat nahezu verwirklicht. Ein Wesensmerkmal der Demokratie besteht aber in der Ausgrenzung des Abweichenden. Sie richtet sich nämlich tendenziell darauf, eine Willensübereinstimmung Vieler herbeizuführen. Erst diese Willensübereinstimmung legitimiert die Herrschaft. Da sie (volonté générale) aber nur Fiktion ist, gibt man sich notfalls mit der relativen Mehrheit zufrieden, doch am demokratischsten ist es, wo alle einverstanden sind.

Von Anaxagoras und Sokrates zieht sich die üble Duftspur des Totalitären durch alle Demokratien, die nicht primär Rechtsstaaten waren. Der demokratische Gedanke vermag Andersdenkende schwer zu ertragen. Erst Rechtsstaat und Menschenrechte schützen ihn. Je weniger rechtlich und je mehr demokratisch sich eine Bewegung gebärdet, desto stärker haßt sie den Störenfried, den Abweichler, den Oppositionellen. Er behindert das wohlige Gefühl inniger Eintracht, das jedem Sozialismus zugrunde liegt und das auf seinen historischen und gegenwärtigen Massenveranstaltung so lebevoll gepflegt wird.

Völlig klar: Die AfD muß „weg“, man muß „AfDler töten“, wie es auf einem Spruchband hieß, und man muß ihnen die Zähne einschlagen, wie ein interviewter Gutmensch (via Twitter) von sich gab. Sie demonstrieren „gegen Haß“ und hassen gleichzeitig die AfD, wie hochgehaltene Parolen verkünden (Ganz Berlin haßt die AfD“). Grund für diesen Haß ist keineswegs, daß die AfD gegen die Demokratie eingestellt wäre. Dafür gibt es keinerlei Anzeichen. Der Grund besteht lediglich darin, daß sie einen anderen Standpunkt in der Remigrationsfrage einnimmt als die Drahtzieher des Massenkundgebungen: Jusos, Grüne, SPD, Pro Asyl, Kirchengemeinden, die SED bzw. Linke, halt die üblichen Verdächtigen.

Totalitarismus

Die verschiedenen Totalitarismustheorien stimmen darin überein, daß jeder totalitäre Staat alle seine Bürger total zu erfassen sucht, geistig gleichschaltet, auf Linie bringt, alle Lebensverhältnisse durchdringt und sie bis ins Privatleben hinein autoritär und allumfassend zu regeln sucht. Wer die Gesetzgebungs- und Maßnahmen der jetzigen Koalition seit ihrem Regierungsantritt vor seinem inneren Auge Revue passieren läßt, findet dafür Belege zu Hauf. Ihre große Transformation transformiert die Bundesrepublik von einem demokratischen Rechtsstaat in einen totalitären Gesinnungsstaat. Diese Gesinnung wird eine sozialistische sein.

Strukturell strebt jeder Sozialismus nach Gleichheit der Lebensverhältnisse und der Gesinnung. Es bleibt sich gleich, ob er sich diese Gleichheit materiell als Homogenität der Rasse oder als Homogenität der Gesinnung vorstellt. Die demokratische Utopie, auf der er fußt, hat nicht Rast noch Ruh, solange Menschen ungleich sind. Nach ihrer Machtergreifung verfügt die herrschende Partei über das ganze Übergewicht, das der bloße Besitz legaler Machtmittel mit sich bringt. Die Mehrheit fühlt sich jetzt nicht mehr als Partei, sondern als der Staat selbst.

So ruft unsere Regierung ihre Getreuen zu Massendemonstrationen gegen die einzig nennenswerte Oppositionspartei auf, stellt sich an die Spitze der Demonstranten, ruft zum Kampf „für Demokratie“ auf, verhöhnt die Opposition als extremistisch oder Schlimmeres, läßt staatsbezahlte Aktivisten mit nachrichtendienstlichen Mitteln die Opposition bespitzeln, läßt im Staatsfernsehen Haß und Hetze über sie ausgießen und lügt, daß selbst J. Goebbels vor fachlichem Neid erblassen würde.

Das strategische Ziel besteht darin, die Opposition durch ein Verbot auszuschalten, bei dem auf rechtsstaatliche Belege weniger geschaut wird als auf die erzeugte Massenstimmung. Durch die Summe aller dieser Maßnahmen wird aber eine tragende Säule unseres demokratischen Verfassungsstaats erschüttert: Der demokratische Verfassungsstaat ist undenkbar ohne die Chance der Opposition auf friedliche Mehrheitsgewinnung und einen Regierungswechsel. Wenn man den demokratischen Parlamentarismus denn – umgedreht – als parlamentarische Demokatie bezeichnen möchte, steht und fällt diese mit der gleichberechtigten Chance der Opposition auf Mehrheitsgewinnung.

Diese Chancengleichheit besteht heute bereits nicht mehr. Uns steht ein totalitärer Gesinnungsstaat ins Haus, der die Heterogentät an Ethnien, Religionen, Kulten, Kulturen und Ideologien nur noch durch eine oktroyierte Einheitsgesinnung kompensieren kann – sonst flöge er auseinander.

Dieser Kommentar erschien auch auf der Internetseite von Klaus Kunze: http://klauskunze.com/blog/2024/02/04/die-totalitaere-demokratie/

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Klaus Kunze

Klaus Kunze, seit 1984 selbständiger Rechtsanwalt in Uslar, von 1970-71 Herausgeber eines Science-Fiction-Fanmagazins, von 1977 bis 1979 Korrespondent der Zeitung student in Köln, seit 1978 diverse Beiträge in genealogischen und heimatkundlichen Fachzeitschriften, seit 1989 Beiträge für politische Zeitschriften wie u. a. die Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT

Autor der Bücher:

Klaus Kunze, Die solidarische Nation

Klaus Kunze: Die solidarische Nation. Wie Soziales und Nationales ineinandergreifen. Gebundene Ausgabe, 206 Seiten, Preis: 19,80 Euro ist hier erhältlich: https://lindenbaum-verlag.de/produkt/die-solidarische-nation/

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