von Dr. Winfried Knörzer
Das Dilemma des gewöhnlichen Antinationalismus
Auch abseits der Straßen, durch die das „Deutschland verrecke“-Geschrei des Antifa-Pöbels schallt, findet sich antinationale Gesinnung. In der gedämpft-gediegenen Atmosphäre der Parteizentralen kommt sie in entsprechend harmlos klingenden Formulierungen daher: Europa, westliche Wertegemeinschaft, die Menschheit, humanitäre Verpflichtungen, historische Verpflichtungen, usw. Man fühlt sich verpflichtet gegenüber allem Möglichen, allen möglichen fremden Völkern und übernationalen Organisationen, nur nicht gegenüber dem eigenen Volk. Angesichts des ostentativ bekundeten Desinteresses an der Verfolgung eigener nationaler Interessen muß man sich ernstlich fragen, warum man noch nicht den Plan gefaßt hat, die BRD an Frankreich oder die Schweiz anzuschließen oder sich als 52. Bundesstaat der USA zu bewerben. Die räumliche Entfernung dürfte kein Hinderungsgrund sein, da die BRD näher an Washington, D.C. liegt als Hawaii. Wenn herkömmliche Kriterien wie Staatsvolk und Staatsgebiet keine Rolle mehr spielen, vielmehr eine Berufung auf diese als Anzeichen eines veralteten und sogar verdammenswerten „Nationalismus“ gilt, sondern für die Legitimität staatlichen Daseins allein demokratisch-humanitäre Werte ausschlaggebend sein soll, dann besteht kein Anlaß, sich dem Anschluß an jeden Staat, der diese Werte verwirklicht, zu verweigern.
Ein solches Vorhaben liegt freilich nicht im Interesse der politischen Klasse, die sich bei dessen Realisierung selbst entmachten würde. In einem Großfrankreich oder einer erweiterten USA wäre sie nur noch fünftes Rad am Wagen und nicht mehr selbst herrschend. Sie bedarf durchaus der (formalen) Souveränität eines Staatsgebiets, um Machtausübung genießen zu können. Das Selbsterhaltungsinteresse der politischen Klasse gebietet ihr also ein Festhalten an nationaler Autonomie. Dieses aber steht im Widerspruch zur offiziell bekundeten antinationalen Ideologie, gemäß derer das Nationale per se ein zu überwindender Anachronismus sei, weshalb auch kein vernünftiger Grund erkennbar ist, warum man die BRD nicht ohne viel Federlesens in einem größeren Zusammenhang auflöst.
Der Antinationalismus der politischen Klasse ist ein bundesrepublikanischer Sonderweg. der so in keinem anderen Land anzutreffen ist. Dieser war ihr aber nicht von Anfang an eigen, sondern hat sich erst im Laufe der Zeit herausgebildet. Wer sich ein wenig mit der Nachkriegszeit und insbesondere mit der Entstehung des Grundgesetzes beschäftigt, wird verblüfft feststellen, mit welch patriotischer Verve die politisch Verantwortlichen sich dem Oktroi der Besatzungsmächte widersetzten und wie verzweifelt sie versuchten, im Grundgesetz Fixpunkte nationaler Eigenständigkeit durchzusetzen. Wie es zum Abdriften in den Antinationalismus kommen konnte, läßt sich hier nicht untersuchen. Nur so viel: diese Entwicklung hat auf jeden Fall mit dem Bestreben nach Anerkennung vom Ausland zu tun. Adenauer wollte Anerkennung von Frankreich, Brandt vom Osten und alle zusammen von den USA. Um als „gute Menschen“ anerkannt werden zu können, mußte man unbedingt alles vermeiden, was auch nur entfernt an Nationalsozialismus erinnern könnte, was dann eben auch eine nationale Orientierung beinhaltet. Sobald sich diese Haltung als obligatorisches Merkmal der politischen Klasse etabliert hat, emanzipiert sie sich von ihrer ursprünglichen Motivation und wird zum sich selbst reproduzierenden Selbstzweck.

Hin- und hergerissen zwischen dem egoistischen Interesse an Machtausübung, welches den Fortbestand der Nation voraussetzt, und der antinationalen Ideologie, welche die Priorisierung fremder Interessen erheischt, kann die Außenpolitik der BRD nur die einer prinzipiellen Kompromißbereitschaft sein. Gemäß antinationaler Ideologie müßte jedweder Forderung des Auslands bereitwillig Folge geleistet werden, was aber auf Dauer zum Staatsbankrott und damit auch zum Verlust der eigenen Machtstellung führen würde. Das Interesse am eigenen Machterhalt gebietet, sich ein Interesse am Erhalt der Nation zu eigen zu machen, sich also nolens volens mit der Nation zu identifizieren, weshalb man sich letztlich doch unwillig zeigt, wenn das Ausland mit besondes dreisten Ansinnen aufwartet. Dies hat den schönen Nebeneffekt, dem Wahlvolk suggerieren zu können, dem „Wohle des deutschen Volkes“ dienen zu wollen. Da allerdings die Prägung durch eine Ideologie, die Menschheitsbeglückung und euopäische Solidarität gegenüber dem nationalen Interesse priorisiert, keinen Grund liefert, den eigenen Standpunkt offensiv zu vertreten, sondern vielmehr eine Tendenz zur Nachgiebigkeit befördert, kann ein Kompromiß immer nur nachteiliger ausfallen als bei einem selbstbewußt auftretenden Verhandlungspartner.

Besonders drastisch zeigt sich das Dilemma der Antinationalen in ihrem Verhalten gegenüber den sporadisch erhobenen Reparationsforderungen der Polen, Griechen, Hottentotten etc. Diese werden unter Verweis auf die bereits erfolgten und nach völkerrechtlich-rationalen Kriterien materieller Schuld bemessenen Zahlungen abgeschmettert, wobei die bundesdeutschen Politiker die von ihnen immer wieder beschworene untilgbare moralische Schuld mit einem Male geflissentlich ignorieren. Wie kann man so naiv sein, gegenüber dem Ausland permanent ein nahezu ausschließlich auf Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg fixiertes Deutschlandbild zu präsentieren und dann zu erwarten, daß das Ausland nicht daraus folgert, die BRD deshalb ebenso permanent zur Rechenschaft ziehen zu können?

Es drängt sich der Verdacht auf, daß der offizielle Antinationalismus – im Gegensatz zum radikalen der Antifa – gar nicht so ernstgemeint ist. Man versteht die antinationalen Bekenntnisse als Erkennungszeichen des Gutmenschentums, als sachlich indifferente, anerkennungsheischende Kommunikate. Man erwartet nicht, daß diese Bekenntnisse reale, materiell greifbare Folgen haben könnten, daß sie als Wiedergutmachungsaufforderungen mißverstanden werden könnten. Das ist das zweite Dilemma: man will den moralischen Gewinn der fortwährend demonstrierten Bußfertigkeit einheimsen, ohne den dafür in Geld zu entrichtenden Preis zu zahlen. Das kann nicht funktionieren, weil die anderen das Spiel nicht mitspielen. Was die Bundespolitiker als Kommunikationsspiel betrieben, nehmen die anderen für bare Münze.

Dr. Winfried Knörzer, geboren 1958 in Leipzig, studierte in Tübingen Philosophie, Germanistik, Medienwissenschaften, Japanologie und promovierte über ein Thema aus der Geschichte der Psychoanalyse. Berufliche Tätigkeiten: Verlagslektor, EDV-Fachmann. Seit Anfang der 90er Jahre ist er mit Unterbrechungen publizistisch aktiv.

Eine Anfrage
Wird in diesem Text nicht bürgerliche Politik mit nationaler verwechselt, daß die Parteien Deutschlands wie auch in anderen Ländern Politik für die Bürger machen insoweit, wie sie ihre politische Herrschaft abzusichern haben, aber dabei sehr wohl eine antinationale Politik betreiben? Sie müssen eben so regieren, daß es immer Mehrheiten für sie in den Wahlen gibt. Das ist aber nicht notwendiger weise eine nationale Politik. Ja, daß der Bürger als Bürger mit seinen Partikularinteressen angesprochen wird und nicht als Glied des Volkes macht ja die bürgerliche Politik aus.
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