von Gerald Haertel
Der mit dem Wolf tanzt
Vor 30 Jahren kam Kevin Costners Regiedebut in die Kinos
Es gibt eine Anzahl Filme, die sich jeder Filmfreund im Laufe seines Lebens mindestens einmal angesehen haben sollte. Diese Liste wird natürlich von jedem Cineasten nach subjektiven Gesichtspunkten zusammengestellt, als da wären Genres, Schauspieler, Schnitt oder Kameraführung. Wovor jedoch niemand seine Augen verschließen kann, dass in weitreichenden Abständen Filme auf die Leinwand kommen, die in Sachen Bildsprache, Geschichtenerzählung und Musik neue Maßstäbe setzen. In ganz bestimmten Fällen sogar in Kombination all dieser Elemente. So geschehen vor 30 Jahren in Kevin Costners Regiedebut „Der mit dem Wolf tanzt“. Als Costner Ende der 80 Jahre, damals fast noch ein Nobody in der Branche, ankündigt, einen Western mit Empathie für die Indianer drehen zu wollen, in dem er zugleich die Hauptrolle spielt, schüttelte man in der Filmwelt nur die Köpfe. Western galten zu dieser Zeit als mausetot, als ein fiskalisches und künstlerisches Himmelfahrtskommando. Am Ende erhielt „Der mit dem Wolf tanzt“ sieben Oscars, darunter für den „Besten Film“ und „Die beste Regie“.

Das ließ den damals erst 35-jährigen Costner zu einem der jüngsten Filmemacher aufsteigen, der jemals mit dem wichtigsten Kinopreis ausgezeichnet wurde. Als dann 1992 Clint Eastwood mit dem Western „Erbarmungslos“ ebenfalls in den wichtigen Oscar-Kategorien abräumte, erlebte das Genre seine Renaissance, man denke nur an den fulminanten Erfolg von Quentin Tarantinos „Django Unchained“ aus dem Jahre 2012.
Vor Drehbeginn seines Regiedebuts war Costner, ich erwähnte es oben schon, kein Superstar. Mit „The Untouchables“ (Die Unberührbaren), einer rasanten Mafiakomödie im Chicago der Prohibition, hatte er erst einen einzigen Kassenhit im Rücken. Und am Set von seinem neuen Projekt war neben ihm selber kein anderer A-Schauspieler beteiligt. Das bekannteste „Crewmitglied“ war der 2011 verstorbene Filmkomponist John Barry, der Berühmtheit erlangte durch seine Musik für etliche Bondfilme oder dem Score für „Jenseits von Afrika“. John Barry bekam übrigens für seine schwelgerische und mitreißende Musik zum „Wolf“ zurecht seinen vierten Oscar. Und Graham Greene, der neben Costner die zweite Hauptrolle als weiser „Kicking Bird“ sehr überzeugend mimte und von den Oneida-Irokesen abstammt, stand erst kurz vor seinem schauspielerischen Durchbruch.
Die Dreharbeiten fanden hauptsächlich in der grandiosen Ödnis, den Great Plains, im US-Bundesstaat South Dakota statt, der geographisch genau in der Mitte der Staaten liegt, und landschaftlich genau die Präriebilder ermöglicht, die man für einen ordentlichen Indianerfilm benötigt. Ein Stab von 130 Mitarbeitern kümmerte sich um 48 Schauspieler, 500 Statisten, 300 Pferde und 3500 Büffel. Kevin Costner bestand als Regisseur darauf, dass in einem großen Teil seines Films die Sprache der Lakota, eines Stammes der Sioux, gesprochen wurde, die der Zuschauer unsynchronisiert nur mit Untertiteln übersetzt bekam. Für die Authentizität und den identitären Gehalt der erzählten Geschichte war dieser dramaturgische Kniff allerdings ungemein förderlich! Da selbst die Indianer unter den Darstellern die alte Sprache der Lakota nicht beherrschten, mussten sie vor Drehbeginn einen Monat lang Sprachunterricht nehmen.
Der Film basiert auf dem 1988 erschienen Roman „Dances with wolves“ von Michael Blake und beginnt in den Wirren des amerikanischen Bürgerkrieges. Hier fällt bereits zu Beginn positiv auf, das Costner weder Partei für die Nord- noch für die Südstaaten nimmt, obwohl sein Protagonist, den er ja selber spielt, Offizier der Nordstaaten ist. Allerdings, und dies findet man in keiner Filmchronik, gibt es für die zentrale Gestalt des „Wolf“, den Offizier John Dunbar, ein historisches Vorbild aus Deutschland. Christian Gottlieb Priber hieß der 1697 im sächsischen Zittau geborene Mann. Er wanderte 1730 nach London aus, um dort eine siebenköpfige Delegation von Cherokee-Häuptlingen kennen zu lernen. Priber schiffte sich daraufhin nach Amerika ein und auf verschlungenen Wegen, man spricht von 800 Kilometern, fand er dort im heutigen Tennessee zu den Cherokees und wurde von denen nach einiger Zeit adoptiert. Er assimilierte sich schnell und stieg dort sogar zu einem Würdenträger des Stammes auf. Von Anfang an warnte Priber seine neuen Blutsbrüder vor dem Expansionsdrang der Engländer, er strebte Bündnisse mit anderen Indianerstämmen als auch mit den Franzosen an, um so eine strategische günstigere Position für sein neues Wirtsvolk zu erringen. 1743 wurde er allerdings von den Engländern gefangen genommen, die ihn auf einer Insel vor der Ostküste einkerkerten, wo er bald darauf starb.

Ähnlich wie bei Costners Filmheld, dem verletzten Nordstaaten – Offizier John Dunbar, fand man auch bei Christian Gottlieb Priber ein dickes Bündel ethnographischer Aufzeichnungen sowie Studien zur Sprache der Cherokee – Indianer. Sie gelten mittlerweile ebenfalls als verschollen, beim „Wolf“ visualisiert man diesen Verlust, indem zum Schluß seiner Odyssee die Kladde mit Dunbars Aufzeichnungen in den Wellen eines Flusses verschwindet. Von daher nehme ich an, dass der Autor des Romans oder sogar Kevin Costner selber die Geschichte des Zittauer Auswanderers und kulturellen und ethnologischen Grenzgängers kannten. Aber dies ist nur eine Hypothese von mir, Belege dazu gibt es nicht. Recherchen dazu im Netz ergaben nichts, die Eintragungen zu Priber sind mehr als dürftig. Meine Informationsquelle war ein Artikel aus der FAZ vom 9.1.2002 unter der Überschrift „Das Königreich des Paradieses“.

Obwohl Costners Welterfolg eindeutige Sympathien für die verfolgten Indianer zeigte und den Genozid an den Ureinwohnern Amerikas thematisierte, hat sich bis heute nichts an der rechtlosen Lage der meisten Indianer geändert. Leonard Peltier, 75-jähriger “American Indian Movement“ – Aktivist der ersten Stunde – sitzt nun seit über 40 Jahren im Gefängnis, obwohl Robert Redford einen preisgekrönten Film über ihn drehte und sogar der Dalai Lama oder Miachail Gorbatschow seine Freilassung forderte. Sein in der Gefangenschaft geschriebenes Buch ordnet sich mit einem erstaunlichen Optimismus in den großen geschichtlichen Kontext der indigenen Völker Amerikas ein, die seit Jahrhunderten dafür kämpfen, dass ihre Rechte von den US-Instanzen respektiert und nicht den Profiten von Bodenspekulanten und Bergwerksgesellschaften geopfert werden, die „ihre Mutter Erde“ auf der Jagd nach Uran, Erz und Fracking-Lizenzen zerstören. Oder wie Peltier es ausdrückt: „Ich bin ein Indianer. Mein einziger Wunsch ist es, wie einer zu leben.“

Kevin Costner gehört bis heute der Dank, mit seinem Epos den von der Weltöffentlichkeit vergessenen Indianern, die im Gegensatz zu den schwarzen „Afro-Amerikanern“ keine nennenswerte weltweite (Gutmenschen-) Lobby besitzen, ein ehrenhaftes und überzeugendes Denkmal gesetzt zu haben.
Für jeden Ethnopluralisten und Sympathisanten unterdrückter Völker und Nationen ist dieser Film in Zeiten des großen Austausches und forcierter Umvolkung sowohl Trost als auch ein cineastischer Hochgenuß.

Gerald Haertel
Gerald Haertel ist 62 Jahre alt, gelernter Verlagsbuchhändler, war 33 Jahre in der Musikbranche tätig, u.a. bei Firmen Ariola und Virgin-Records. Lebt in Süddeutschland.