Buchbesprechung von Werner Olles
Shitbürgertum
Die Frage, was dabei herauskommt, wenn ein „Shitbürger“ ein Buch über „ Shitbürger“ schreibt, ist im Prinzip leicht zu beantworten: Shit! Die Rede ist von Ulf Poschardts „Shitbürgertum“, ein Werk, für das er keinen Verleger fand und dann auf die unheilvolle Idee kam, es im Selbstverlag herauszubringen. Gemeint ist mit dem besagten Terminus das „kulturell dominante Links-Grün-Bürgertum mit seinem ewig urteilenden Gestus der Überheblichkeit, das in Deutschland und Europa eine Spur der Verwüstung hinterlassen hat, und auf die Dauer den Westen zerstören wird!“ Stimmt man als reaktionärer Etatist dem ersten Teil noch zu, wird es schon beim letzten Teil brenzlig. Nun kann man von Poschardt nicht unbedingt verlangen, daß er Alain de Benoists „Den Westen brechen“ gelesen und verstanden hat, und natürlich gehen auch unsereinem die Genderisten, LGTB-Fans, Antifas und Konsorten gehörig auf die Nerven, doch viel interessanter als ihr „Denken“ ist doch ihr Erfolg. Ihre Wirklichkeitsferne und ihr Erfolg, sich wechselseitig stützend, liegen darin, daß die geisteswissenschaftliche Intelligenz der heutigen Massenuniversitäten, aus denen sich das Personal der „Belehrung, Betreuung und Beplanung“ speist, zwar politisch relativ machtlos ist, aber die Alleinherrschaft im Überbau an sich gerissen hat und sich dort genüßlich austobt. Ihre geringe Machtchance macht sie indes immer gereizter, ihren antinationalen Charakter immer aggressiver und ihren Schuld-Messianismus immer klebriger.

Was man als Autor nicht machen sollte: das Kind mit dem Bade auszuschütten. Genau dies läßt sich Poschardt jedoch nicht nehmen, und so treffen seine Ressentiments und Affekte leider viel zu oft auch die Falschen. Ist es schon peinlich genug, sich an Toten abzuarbeiten – wir reden hier von Grass und Jens -, so geht es völlig an der Realität vorbei, einen Autor wie Heinrich Böll kurzerhand mit dem Signum des „Kitschier“ auszustatten, weil er einmal einen tatsächlich ziemlich miserablen Roman wie „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ geschrieben hat. Poschardt vergißt aber, daß der frühe Böll nach sechs Jahren Kriegserfahrung mit seinen Erzählungen und Kurzgeschichten, die das Ausgeliefertsein des Menschen im modernen Krieg zum Inhalt haben, die Not der ersten Nachkriegsjahre schildern, die Schwierigkeiten der Kriegerwitwen und die Mühen vieler Ehepaare, trotz Wohnungs- und Geldnot beisammen zu bleiben im Gehorsam gegenüber den katholischen Postulaten ehelicher Verbundenheit, Literatur schrieb, die zwar durchaus zeitkritisch war, aber auch seine Liebe zu den einfachen Menschen ausdrückte. Romane und Erzählungen wie „Haus ohne Hüter“ (1954) oder „Das Brot der frühen Jahre“ (1955) offenbaren die Schäden, die eine Seele in dieser drangvollen Zeit erlitt und bezeugen einen von Mitleid getragenen sozialen Sinn mit einer christlichen Glaubensüberzeugung, und dies in einer unaffektiert schlichten und direkt realitätsbezogenen Sprache, die wunderbar mit dem Fluidum der damals noch von Katholizismus dampfenden Stadt Köln konvergiert.
Gleiches gilt für Martin Walser, der 1944 in die Partei eingetreten war und dem Poschardt, ohne dies zu belegen, unterstellt, er sei „immer ein Antisemit“ geblieben. Als angeblicher „Beweis“ dient Walsers „Paulskirchenrede“, die Ignaz Bubis schockiert zur Kenntnis genommen habe, während „der Rest des Shitbürgersaals begeistert stehend applaudierte“. Poschardt scheint nicht zu begreifen, daß Deutschland ein so extrem neurotisches Land ist und von der Bastelstunde und dem Preußentum bis zu den angeblichen „Sekundärtugenden“ alles als „Nazi“ gilt, weil die Deutschen es nicht fertigbringen, endlich aus dem Schatten Hitlers herauszutreten („Ein jedes Volk hatte seine Nazizeit“, Anwar el Sadat) und die nicht vergehen wollende Vergangenheitsbewältigung endlich abzuschütteln. Es bleibt jedoch nicht bei Walsers Beschimpfung, die ganze „Gruppe 47“ bekommt als „zentrale Akademie des Shitbürgertums“, die ihr „inneres Nazitum“ nie abgelegt habe, weil sie Paul Celans „Todesfuge“ nicht ausreichend goutierte, ihr Fett weg. Die „Gruppe 47“, die es verdient hätte, daß endlich jemand ihre Geschichte ohne ressentimentgeladene Anekdötchen aufschreibt, wird hier tatsächlich auf ganzen vier Seiten in einer Weise abgehandelt, die bereits nicht mehr als geschmäcklerisch zu bezeichnen ist, sondern als holzschnittartig-infam und eben shitbürgerlich.
Ersparen wir uns den Rest, denn es wird mit jeder Seite schlimmer. Selbstverständlich sind Ernst Jünger und Carl Schmitt „rechte Hasardeure“. Dies schreibt ein liberaler Hasardeur, der sich an Springer verkauft hat und sich nun wundert, daß nicht einmal „Klassik und Idealismus gegen die Barbarei immunisieren“. Doch das hat nicht einmal die von Poschardt hochgelobte Aufklärung geschafft, da die Barbarei nur deren Rückseite ist, so jedenfalls Adorno, der mehr von Dialektik verstand als Poschardt jemals verstehen wird. Würde er sonst einen so unsäglichen Satz schreiben wie „Freiheit ist wertvoller als Sicherheit!“? Wo bleibt da die Dialektik, Herr Poschardt?
Ulf Poschardt: Shitbürgertum. Uflposhbooks. Berlin 2024. 162 Seiten, 18 Euro

Werner Olles, Jahrgang 1942, war bis Anfang der 1980er Jahre in verschiedenen Organisationen der Neuen Linken (SDS, Rote Panther, Jusos) politisch aktiv. Nach grundsätzlichen Differenzen mit der Linken Konversion zum Konservativismus und traditionalistischen Katholizismus sowie rege publizistische Tätigkeit in Zeitungen und Zeitschriften dieses Spektrums. Bis zu seiner Pensionierung Angestellter in der Bibliothek einer Fachhochschule, seither freier Publizist.
Autor der Bücher:

Bestellungen: Grenzgänger des Geistes. Vergessene, verkannte und verfemte Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.
Bestellungen: Feindberührungen – Wider den linken Totalitarismus!

Nachfolgend sehen Sie die aktuelle Druckausgabe unserer Zeitschrift „wir selbst“ mit einer Bestellmöglichkeit:

Hier können Sie die Druckausgaben 2022 und 2023 bestellen:
Die beiden Druckausgaben des Jahres 2022 unserer Zeitschrift sind auch noch erhältlich:





