von Werner Olles
Zeitschriftenkritik: Agora Europa
„Weltwirtschaft im Umbruch – Geldordnung und Weltordnung in Bewegung“ lautet das Schwerpunktthema der Ausgabe 5 (September 2024) der rechten Theoriezeitschrift „Agora Europa“. Während gleichzeitig mit dem Zusammenbruch der US-amerikanischen „New World Order“, der Unipolarität und dem Abstieg des Dollars der Aufstieg der sogenannten BRICS-Staaten einhergehe, beginne die multipolare Welt sich immer stärker zu institutionalisieren. Allerdings könne sich die im Niedergang begriffene politiko-mediale Negativ-Elite in Deutschland und Europa auf die Begriffe Großraumordnung und Zivilisationsstaat, die jedoch auch eine Abkehr vom Nationalstaat und mehr noch vom westlich liberalistisch-kapitalistischen System und dessen globaler Weltordnung bedeuten, noch keinen Reim machen. Das gleiche gelte für die „geldpolitische Weltrevolution“ der digitalen Zentralbankenwährung CBCD und einer „raumorientierten Volkswirtschaft“ als Postulat der neuen Politischen Ökonomie.
Der Politikwissenschaftler und Historiker Dominik Schwarzenberger erweist sich im Interview über die BRICS-Staaten und die Neue Weltordnung jedoch als äußerst pragmatischer Bedenkenträger, dessen ungeschönte und objektive Analysen auch vor sehr pessimistischen Prognosen nicht zurückschrecken. So bezeichnet er die BRICS als „eine lose Ansammlung von Suchenden, die krampfhaft eine Alternative zu den internationalen Institutionen westlicher Dominanz erstreben – ein zweifelhaftes Forum, gespeist aus unterschiedlichen nationalen Motiven“. Überhaupt sollte man bei der BRICS-Analyse zwischen dem geographischen Westen (Europa und Nordamerika) und dem geistigen Westen als Bewußtseinsform unterscheiden. Eine schwächelnde, aber noch immer starke USA halte die BRICS zusammen, doch da sowohl die USA als auch China in prekären Momenten lebten, bleibe die spannende Frage, wer zuerst abstürze. Schwarzenberger sieht keine positive Alternative, da eine glaubhafte Vision jenseits des Ökonomischen fehle. Zudem treibe die Einkreisung Rußlands und der Ukrainekrieg Moskau in die Arme Chinas, damit wachse jedoch die russische Abhängigkeit, was für dessen souveränistische und selbstbewußte Agenda eine Zumutung bedeute und Handlungsfreiheit beschneide. Tatsächlich würden aber Rußland wie China beide gern die Vorherrschaft ausüben. Während die imponierenden demographischen Werte und wirtschaftlichen Leistungen von China, Indien und Brasilien „nur blendende quantitave Oberflächlichkeiten“ seien, verursachten ihre riesigen, heterogenen Menschenmassen, anders als die europäischen Bevölkerungsexplosionen des 19. Jahrhunderts, existenzbedrohende Probleme vor allem im Hinblick auf die ethnische, sprachliche und religiöse Zusammensetzung mit ihren Antagonismen.
Der Naturwissenschaftler Jens Woitas, der auch den Lesern der „Wir Selbst“ nicht unbekannt sein dürfte, setzt sich im Heftteil „Ekklesia“ in seinem Beitrag „Kapitalismuskrise, Great Reset und tradionalistische Weltordnung“ unter anderem auch mit dem Marxismus auseinander. Sein Versuch durch einen „Marxismus von rechts“ Karl Marx gleichsam „vom Kopf auf die Füße zu stellen“ überzeugt jedoch nicht ganz, sondern erinnert an einen ziemlich untauglichen „Versuch Marx auf´s Kreuz zu legen“, was zwangsläufig mißlingen muß. Zwar konzediert er, daß wir tatsächlich in dem von Marx weitsichtig prophezeiten krisenhaften Spätkapitalismus leben, und auch dessen Prognose vom Scheitern des Kapitalismus an seinen inneren Widersprüchen mit der heutigen Realität der gesamtgesellschaftlichen und globalen Verhältnisse weitgehend übereinstimmt. Er kann sich jedoch nicht dazu durchringen, die vor dem unsäglichen Verrat der neoliberalen rosa Linken herrschende Evidenz der echten linken Ideen der Verteidigung der Arbeit und der Solidarität, der Gemeinschaft und den Interessen der Arbeiterklasse anzuerkennen. In solchen Fällen lohnt es sich den italienischen Denker des Sozialpatriotismus Diego Fusaro, einen unabhängigen Schüler von Marx und Hegel jenseits der Linken und der Rechten, zu lesen, der linke Ideen und rechte Werte wie Vaterland, Familie, Ehre und Transzendenz zusammenführen will. Fusaro verschließt aber seine Augen dennoch nicht davor, daß der Klassenkampf existiert – gewiß nicht in der Form, wie Marx ihn sich vorstellte -, sondern in einer neuen politischen Geographie derer von unten, d.h. des Volkes, der Arbeiterklasse und der Mittelschichten, die sich heute einem einseitigen Gemetzel der herrschenden Klassen ausgeliefert sehen. Die Einsicht, daß der Klassenkampf auch ein kultureller Kampf ist, der sich auch als Kampf zwischen den Strömen des Territoriums und der Regulierung, und jenen der Deregulierung und der Kultur der Auslöschung, mithin der Zivilisation des Nichts der globalen plutokratischen Klasse darstellt, wird jedoch grundsätzlich in der heutigen sogenannten Neuen Rechten“ kaum rezipiert. Doch stellt genau dies jene Entsittlichung und Desethizierung dar, die den souveränen Nationalstaat, die Familie, die kommunitären Gemeinschaften, praktisch die gesamte Lebenswelt prekarisiert, entwurzelt, mobilisiert, alles und jeden zur Ware kommerzialisiert, den grenzenlosen Raum der Welt auf einen Markt reduziert und noch die kleinste widerständige Restgemeinschaft dekonstruiert.
Glücklicherweise kommt Woitas zum Schluß dann doch wieder auf den richtigen Weg zurück, indem er eine traditionalistische Zukunftsvision mit der Gegenwart verbindet. Genau diese Idee einer Synthese zwischen hochtechnologischer Moderne und traditionellen Gesellschaftsformen, die manchen durchaus abseitig erscheinen mag, ist jedoch keineswegs so neuartig. Guillaume Faye, der leider bereits vor fünf Jahren verstorbene französische Denker und Mitbegründer von GRECE und der Nouvelle Droite, formulierte bereits vor über zwanzig Jahren exakt diese Idee eines Neo-Traditionalismus in dem Konzept des von ihm als „Archäofuturismus“ bezeichneten Denkgebäudes, dem vor allem in Deutschland – im Gegensatz zu England, Frankreich, Belgien, Holland und den USA -, von der sogenannten „intellektuellen Neuen Rechten“ bis auf wenige löbliche Ausnahmen jedoch keinerlei Beachtung geschenkt wurde. Daß Woitas jetzt diese Ideen aufgreift und die deutsche Rechte damit konfrontiert, ist ihm jedenfalls hoch anzurechnen.
Der Literaturwissenschaftler Fabian Stummer beschreibt in seiner Diagnose zu Geschichts- und Zeitbewußtsein „Offene Gesellschaft – Gesellschaft der Lauheit“ die „bösen Geister im totalitären Liberalismus“ indem er den orthodoxen Priestermönch Seraphim Rose zitiert: „Der Antichrist ist nicht in erster Linie in den großen Verleugnern zu finden, sondern in den kleinen Jasagern!“ Nicht einmal in den tatsächlichen, aus metaphysischer Not heraus Ungläubigen, den „Kalten“, aber sehr wohl in denjenigen, denen Gott gleichgültig und das Irdische allein der einzige Ort ihres Strebens ist, finden sich die Vorboten des Antichristen. Tatsächlich führte selbst der gottlose Kommunismus in Rußland nach seinem Niedergang zu einer Neugeburt des Glaubens durch die kollektive Buße der gesamten Nation, so wie es die ersten Mitglieder der eurasischen Bewegung vorhersagten. Leider konnte sich bei den eher europäisch geprägten Westslawen nach dem Zerfall der UdSSR eine positive Haltung gegenüber der liberalen Doktrin entwickeln, der Staatsatheismus schlug nicht in eine nationale Metanoia um. In Poppers Schüler George Soros erkannte die russische tradionalistische Philosophin Darja Dugina daher auch „die Krönung des historischen Fortschritts der liberalen Ideologie, die den totalitären Charakter der „offenen Gesellschaft“ noch weiter verschärft und einen wahrlich extremistischen Charakter annimmt!“ Sie zitiert in diesem Zusammenhang die Figur Schigalevs in Fjodor Dostojewskis Roman „Böse Geister“, einen wirren totalitär- anarchistischen Ideologen, dessen Schigalevismus eine Trennung der Gesellschaft in 90 Prozent Sklaven und 10 Prozent „Herren“ vorsieht, da für die dienenden Massen Freiheit und Gleichheit einzig in der absoluten Knechtschaft zu finden sind: „Indem ich von der schrankenlosen Freiheit ausgehe, schließ ich mit dem schrankenlosen Despotismus!“ Wer also in Zeiten des Wertezerfalls und der Immanenzreligionen immer noch glaubt, daß Freiheit, Gleichheit, Humanismus und die offene Gesellschaft ein Paradies auf Erden verwirklichen, der wird in seinem Streben die ganze Welt zu retten, indem er sie umgestaltet, alles Menschliche verlieren, seine Güte, sein Mitleid, seine Nächstenliebe – und wird lau sein.
Weitere interessante Beiträge: „Unendlicher Wohlstand in einer endlichen Welt“ (Ernst Rahn) und „Geld und Weltpolitik“ (Tom Dieke).
Kontakt: Metapol Verlag & Medien. Caya Postbox 604127, 11516 Berlin. Das Einzelheft kostet 12 Euro. http://www.gegenstrom.org.

Werner Olles, Jahrgang 1942, war bis Anfang der 1980er Jahre in verschiedenen Organisationen der Neuen Linken (SDS, Rote Panther, Jusos) politisch aktiv. Nach grundsätzlichen Differenzen mit der Linken Konversion zum Konservativismus und traditionalistischen Katholizismus sowie rege publizistische Tätigkeit in Zeitungen und Zeitschriften dieses Spektrums. Bis zu seiner Pensionierung Angestellter in der Bibliothek einer Fachhochschule, seither freier Publizist.
Autor der Bücher:

Bestellungen: Grenzgänger des Geistes. Vergessene, verkannte und verfemte Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.
Bestellungen: Feindberührungen – Wider den linken Totalitarismus!

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