Zeitschriftenkritik: CRISIS

von Werner Olles

Zeitschriftenkritik: CRISIS

Die Sommer-Ausgabe 2024 des vierteljährlich erscheinenden Journals für christliche Kultur CRISIS wartet mit dem Schwerpunktthema „Künstliche Intelligenz“ auf und läßt bereits im Editorial der Redaktion keinen Zweifel daran aufkommen, daß es nicht darum geht, Technologie als solche zu bekämpfen, sondern vielmehr, die mit ihrem Mißbrauch verbundenen negativen moralischen, kulturellen, sozialen und ethischen Folgen zu vermeiden. Dennoch sollten gläubige Christen die Gefahren, die von der KI ausgehen, nicht unterschätzen oder gar ignorieren. So könnten die bereits heute genutzten Technologien sowohl zum Guten als auch zum Bösen ausgenutzt werden. Es sei daher entscheidend sich kritisch mit diesen Entwicklungen auseinanderzusetzen, denn tatsächlich gebe es heute schon Geistliche, die ihre Predigten von ChatGPT generieren ließen, und auch „Segensroboter“ existierten bereits. Auf dem evangelischen Kirchentag 2017 habe eine KI einen ganzen Gottesdienst geleitet, und um die Beichte abzulegen, bestehe inzwischen die Möglichkeit bei einem Besuch der Internetseite www.beichte.de, nachdem eine blecherne, künstliche Stimme die Worte „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ gesprochen habe, seine Sünden zu bekennen. Den Segen könne dann auch der 1,80 Meter große Roboter „BlessU-2“ spenden, der zwei Wochen vor dem Altar der Oelder Stadtkirche stand. Noch seien dies zwar absurde Einzelfälle und bizarre Versuche, die nur bei einem kleinen Teil der Gläubigen auf Verständnis stoßen würden, doch durchdringe die KI mittlerweile in hoher Geschwindigkeit in sämtliche Lebensbereiche ein und sei allgegenwärtig in Wirtschaft, Medizin oder im privaten Alltag und mache auch nicht vor dem kirchlichen Leben halt.

Der Informatiker und Orthodoxe Theologe Nicolae Robert Geisler beschreibt in seinem Beitrag „Geschichte und Konzepte der Künstlichen Intelligenz“ deren Anfänge in der Antike, die von der griechischen Mythologie über die byzantinische Kultur bis zur jüdischen Mystik reichten. Das in den 1940er Jahren beginnende Computerzeitalter und die Dartmouth-Konferenz von 1956 waren die eigentliche Geburtsstunde der modernen KI, die die Grundlagen für viele spätere Entwicklungen legten, während die 1990er Jahre eine entscheidende Dekade für ihre Weiterentwicklung waren, als 1997 das Computerprogramm DeepBlue den amtierenden Schachweltmeister Garry Kasparov in einem Wettkampf besiegte. Sie brachten auch den Aufstieg der lernbasierten Systeme, die auf zahlreiche Anwendungsbereiche erweitert wurden, bei denen die KI selbständig aus riesigen Datenmengen lernt und ihr erlerntes „Wissen“ heuristisch einsetzt.

Der Schriftsteller und Kulturjournalist Walker Larson fragt hingegen, ob die KI ein dämonisches, transhumanistisches Trojanisches Pferd sei. Der transhumanistischen Agenda, die ihre Wurzeln in der wissenschaftlichen Revolution des 16. und 17. Jahrhunderts habe, gehe es um den Grundsatz von Sir Francis Bacon „Wissen ist Macht“, wobei die Grenze zwischen dem Okkulten und der Wissenschaft sehr dünn sei. Nach C. S. Lewis „gab es im Mittelalter nur sehr wenig Magie“, deren Hochphase kam erst zur gleichen Zeit auf wie die wissenschaftliche Revolution, doch nach Lewis waren sie aus dem gleichen Impuls geborene Zwillinge. Freimaurerei, Okkultismus und Alchemie sollten die gesamte Menschheit in ihrer Evolution voranbringen. Für Larson beschwört der transhumanistische Wahn Fantasien herauf, daß wir uns selbst retten können, daß wir Gott nicht brauchen, daß wir sogar Gott sind. Es scheine die Zeit anzubrechen, in der der Mensch „obsolet“ werde, ersetzt durch KI oder den transhumanistischen Traum vom Mensch-Maschine-Cyborg und der totalen Kontrolle über die Natur.

Leider beschäftigt sich keiner der tiefgründigen Beiträge mit dem „Archäofuturismus“, einer von dem 2019 verstorbenen Rechtsintellektuellen und GRECE-Mitbegründer Guillaume Faye entwickelten hochinteressanten Vision einer Synthese, die von griechischem Archaismus, einem technisch-wissenschaftlichen Instrumentarium und Abenteuergeist getragen wird, auf Macht und Überleben abzielt und Nietzsches Gegensatzpaar des Apollinischen und des Dionysischen, basierend auf einem Gleichgewicht zwischen einem rationalen Projekt und dem Ästhetizismus, miteinander versöhnt und so zum Erhabenen führt. Dieser vitalistische Konstruktivismus durch bioanthropologische und ethnische Realitäten definiert sich nicht nur über Kontraste, sondern als Ausgangspunkt für die Anwendung sehr alter Ideen auf völlig neue Probleme, auf die Wiederkehr einer vergessenen Ordnung und der Wiederentdeckung von Europas politischem Imperativ, der darin besteht, dem Erbe seiner Vorfahren treu zu bleiben und für die Zukunft seiner Kinder zu kämpfen.

Weitere Beiträge befassen sich mit der „Abschaffung der Materie“ (Eva Rex), „KI und die Religion der Zukunft“ (Priester Jeremy McKemy), „Cyber-Unsterblichkeit – Betrachtungen über den technologischen Posthumanismus“ (Roland Chr. und Anna-Maria Hoffmann-Pietsch), „Ein Ausdruck der Freiheit oder ein satanischer Tanz?“ (Metropolit Siluan von Australien und Neuseeeland), „Die Furcht der Zauberlehrlinge vor ihrer Kreatur“ Dr. Nicolae Robert Geisler) und „Michail Alexandrowitsch Wrubel – Der russische Symbolist, der seine Seele verkaufte“ (Gregor Fernbach).

Kontakt: CRISIS. Feldstr. 5. 47669 Wachtendonk. Einzelheft 12, 50 Euro, Jahresabo 38 Euro. http://www.crisis-journal.de

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Werner Olles

Werner Olles

Werner Olles, Jahrgang 1942, war bis Anfang der 1980er Jahre in verschiedenen Organisationen der Neuen Linken (SDS, Rote Panther, Jusos) politisch aktiv. Nach grundsätzlichen Differenzen mit der Linken Konversion zum Konservativismus und traditionalistischen Katholizismus sowie rege publizistische Tätigkeit in Zeitungen und Zeitschriften dieses Spektrums. Bis zu seiner Pensionierung Angestellter in der Bibliothek einer Fachhochschule, seither freier Publizist.

Autor der Bücher:

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